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Zweimal verlässt der Ich-Erzähler in Peter Handkes Nachschrift "Die Kuckucke von Velika Hoča" die Reisegesellschaft bzw. die Dörfler/Enklavler. Beim ersten Mal bei der Anreise von Belgrad, in Kosovska Mitrovica diesseits des Flusses Ibar angekommen und am morgen vom Café "Dolce Vita" alleine, zu Fuss (so wie es die Erzähler bei Handke fast immer tun) aufbrechend, über die (so zweifelhaft) berühmte Brücke in nach Mitrovica-Süd gehend, um ein Neuland zu entdecken, für jemanden wie mich wenigstens und dann heisst es weiter: Auf der Brücke brauchte ich mich, gegen die Erwartung, nicht auszuweisen. Sie wurde auf der serbischen Seite bewacht von Franzosen, das war schon an den Uniformen zu erkennen, auf der albanischen Seite von, an jenem Morgen wenigstens, schwarzen Amerikanern. Grüßen in den beiden Sprachen, und freundliches, jedenfalls nirgends argwöhnisches Zurückgegrüßtwerden. Mir war, ich sei der erste Brückengänger am Tag, und die Soldaten sähen sich bei meinem Passieren in der Tat als Angehörige einer Schutztruppe. […] Die Stacheldrahtrollen, beiseite geschoben hüben wie drüben dann, wirkten wie aus einer Vorzeit. Im albanischen Teil angekommen, ging ich im Brückenrhythmus weiter, als hätte ich da zu tun. Nur nicht als Neugieriger oder sonst wer erscheinen. Breite Gehsteige, auch durch die hier fehlende Tausendkioskmeile und also viel Platz zum Gehen. […] Wieviel Luft allein schon um die sichtlich neuerbaute monumentale Moschee, welche, mit ihrem Minarett, sowohl Hauptplatz als auch Hauptkreuzung markierte. […] Die Cafés hier mit offenen Terrassen, auch das ein Unterschied zu denen im Norden, wo die Terrassen, bis auf die einzelne Ausnahme wie das "Dolce Vita", mit Plastikplanen verkleidet waren, so daß das Geschehen dahinter von der Straße aus nur sehr vage und überdies verzerrt sichtbar wurde. Hier dagegen saßen die meist jungen Gäste, zahlreicher jedenfalls als wir Fußgänger, ganz offen im Freien, bei Kaffee oder Bier. […] Wenn einem der Sitzer da der doch wohl offensichtlich stadt- wie landfremde Passant auffiel, so ließ er das aber keinmal spüren. Oder war es eher so, daß er, der Passant, im voraus beschlossen hatte, niemandem aufzufallen? War so etwas denn möglich? An jenem friedlichen Morgen und Vormittag ja. Aus solcher den Norden wie den Süden umfassenden Friedlichkeit heraus ein einziges Wundern, daß das nicht auch schon in der Zeit vorher so hatte sein können, zusammen mit dem Gedanken, einem gewissen, im einzelnen dagegen ganz und gar ungewissen, daß das kein ganz leerer oder grundloser Wahn war: der Friede hatte seinen Grund – er lag in der Luft und ebenso klar auf der Hand – er hatte (eine) Zukunft, wenn es für diese auch im Norden und Süden zwei sehr verschieden klingende Wörter gab, 'budućnost' und 'ardhme'.
»Unheimlichkeitslaute« Ungewiß, wo auf dem Weiterweg zwischen den zwei wenn auch nicht mehr deutlich verfeindeten, so doch einander wie endgültig aus dem Sinn geratenen Dörfern, nach dem Sportplatz mit dem im Strafraum grasrupfenden Kühen, und nach dem letzten Haus, wie bewohnt und beim Hinsehen unbewohnt, und dann noch einem, deutlich verfallenen – ungewiß, wo danach mitten im Land, mitten im da so besonders weiträumig erscheinenden Kosovo das Niemandsland begann. Jedenfalls war es nicht von einem Schritt zum andern, daß der einmal als Fahr- und Verbindungsweg angelegte Weg keinerlei Fahrspuren mehr zeigte. […] "Dahinwandern", das war schon bald nicht mehr das Zeitwort für den sich in dem ungewissen Niemandsland Fortbewegenden. Es handelte sich eher um ein Eindringen, Schritt für Schritt. Dabei ging der Weg in fast luftigen Höhen, über einem sanft nach Ost und West und vor allem nach Süden, auf das Albanerdorf zu, ausschwingenden Bachtal. Ein Eindringling war man dort, und dabei herrschte in dem Zwischengebiet eine nicht bloß episodische oder jüngstentstandene Menschenleere. Die erst noch üppigen, starkgrünen Wiesen im Bachtal erschienen immer schütterer und gingen allmählich über in ein nacktes graues Brachland, so wie auch die Weingärten an den Hängen brachlagen…[…] Vom Bach, der oben, nordwärts in Velika Hoča, als einzigen Namen 'Potočnica', weiblich, das 'Bächlein', hatte, kein Gluckern mehr zu hören. Überhaupt herrschte im Umkreis des Wegs, bis auf das Eindringlingsgeräusch der Schritte, eine beinah vollständige Lautlosigkeit…[…] Stetige Laute, ein immerwährendes allerseits wegbegleitendes Zurufen, einzig von den Kuckucken, den serbischen 'kukavice', den albanischen 'qyqe', aus den mehr und mehr zurückweichenden Waldhorizonten.
Diese Passagen sind
Höhepunkte des Buches; eine feine, klare Prosa. Der Ich-Erzähler (der fast in
Peter Handke aufzugehen scheint, wiewohl man warnen muss vor einer vollständigen
Gleichsetzung) ist dabei tastend, suchend und auch ratlos. Aber die
Friedfertigkeit in beiden Szenen ist fragil: In Mitrovica-Süd kauft er eine
Karte – und stellt fest, dass dort nicht nur die (serbisch-orthodoxen) Kirchen
und Klöster entweder gar nicht oder die Kartensymbole nur winzig eingetragen
sind, sondern der nördliche Teil der Stadt am anderen Flussufer auf der Karte
schlicht nicht eingezeichnet ist (und somit "offiziell" nicht existiert). Und
beim "Dahinwandern" ins Nachbardorf zeigt sich dem Eindringling ausser
einer stummpanischen alten Albanerin keine Menschenseele (ihm, der das
Gespräch doch so ersehnt); nicht einmal bellender Hund oder ein krähender Hahn –
alle Hinweise menschlicher Existenz verstummen vor dem ratlosen Wanderer. Und so
werden die Kuckucksrufe zu Unheimlichkeitslauten und schnürten dem
Eindringling schrittweise die Brust oder den sonst nur durch das Hören
ermöglichten Resonanzraum zu.
Versuch, ein Reporter zu sein Keine Idyllisierung des Enklavenlebens (gar des "Serbentums") findet hier statt – sondern Handkes Erzähler scheint wenn nicht gespalten, so doch zweifelnd. Das erinnert stark an die Brüder Pablo und Felipe Vega im Königsdrama "Zurüstungen für die Unsterblichkeit" (1995) welches (ebenfalls) in einer Enklave spielt "zum Beispiel im Bergland von Andalusien". Beide Brüder bilden in diesem Stück in ihrem Dualismus das Alter-Ego des Dichters: Hier Pablo der Rückkehrer, weltläufig, das, was man "weitgereist" nennt und mit seinem "Lusthaben auf die Macht" die Enklave zu einer "anderen Gesellschaft" formen möchte – dort Felipe, der Daheimgebliebene, Sesshafte, der (scheinbar) immer Gescheiterte, der ewige Skeptiker.
Glockenschläge und Muezzin-Rufe
Pablo und Felipe – diese
beiden Herzen schlagen auch in des Erzählers Brust, als dieser Velika Hoča im
Mai 2008 besucht: Hier die Fürsorge um die Minderheit – dort das Wissen um die
Perspektivlosigkeit dieses Daseins (allen Bekenntnissen zum Trotz: Ranko, der
junge Dichter, der sich mit dem Erzähler und Zlatko B. auf die Fahrt zur Enklave
macht, ein Wildfang, ein Provokateur während der Fahrt, reist einen Tag nach
Ankunft wieder ab). Hier der Wunsch eines anderen Lebens (dem viele nachgegeben
haben, in dem sie fortgingen) – dort der immer weiter konservierte Hass (selbst
der Name des feindlichen gewordenen Dorfes wurde gemieden). Und Pablos
erster Satz der neuen Verfassung "bedenkt vor jedem Fremden die eigene Fremde
mit" dann in Anbetracht der langandauernde[n] Momente des Zorns und des
Nichtbegreifens (für welches eine gewisse Sprache vielleicht "Unbelehrbarkeit"
eingesetzt hätte) bei den Enklavenbewohnern – welche Diskrepanz.
»Kuckuckskonzil«
Ganz am Schluss im
Nachtrag zum Nachtrag dann: Und jener letzte oder vorletzte oder erste
Morgen in Velika Hoča, da ich, aus meinem Quartier durch das Hoftor auf den
Dorfplatz getreten, mich auf die Stufen vor dem Tor setzte, da der eine kleine
Streunhund sich zu mir gesellte, da die Enklaven-Kinder über den Platz zur
Schule gingen, da die Enklaven-Alten sich aufmachten zu ihren
hoffnungslos-heiteren Tagesrunden, da die Dorfplatzlinden grünten, und da unter
uns allen ein illusionäres Einverständnis herrschte, nicht mit der Geschichte,
bewahre, aber mit der Morgenluft, der Ratlosigkeit, dem Rundenziehen, dem
Dasitzen… Doch noch eine Idylle? Ja, doch noch eine Idylle – für den
Augenblick (und warum nicht?). Aber eine todtraurige.
Die kursiv
gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. |
Peter Handke |
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