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Es war einmal in Germany Ein furios-melancholischer, manchmal sentimentaler Beginn. Gregor Korff, 1948 geboren, durchschreitet in Gedanken seine Kindheit und Jugend. Vom Vorharz ins Friesische gekommen, für seine Mitschüler mit einem Geheimnis [ausgestattet]…das er gar nicht hatte, entwickelt sich eine Freundschaft zu Nott (der später ein Anwalt in der linksalternativen Szene wird). Man richtet sich heimlich eine alte, baufällige Hütte ein, beschäftigt sich mit den Beatles und dem Profumo-Skandal (vor allem mit Christine Keeler), hat kurzfristig Respekt vor dem britischen Posträuber Biggs, rezitiert Beckett (den man nur teilweise versteht), spielt Schach und lässt irgendwann zwei Schwestern (die Füchsinnen) ins Refugium hinein (und Gregor erinnert sich an Reni Fuchs und seine aufkommende Lust). Dann die Studentenzeit in Berlin (der seit Schulausflugtagen ungeliebten Stadt), die (Zufalls-)Bekanntschaft mit Lea (im Raum des Möglichen hätte ja eingangs der Party durchaus auch eine andere Blickrichtung gelegen), dadurch Gefolgschaft und Funktion in einer K-Gruppe. Anfang der 70er Jahre geht Lea in den Untergrund (er hört nie mehr von ihr). Die Fussballtruppe der PL/PI ("Proletarische Linke/Parteiinitiative") bleibt noch, diese seltsame Truppe von Träumern und Versprengten; für die Augenblicke des Spiels scheinen alle Probleme und Differenzen getilgt. Hier lernt er Leo Mürks kennen (das Heinrich-Böll-Gesicht), der nach Köln ging (und Uli Goergen [später Professor] und Carl Schelling). Der kommunistische Orden verliert trotz des Fussballs schnell seinen Reiz; der schleichenden Infiltration widersteht er, schreibt einen Abschiedsbrief, verlässt Berlin und geht "in den Westen" zurück. Im Spätsommer 1974 musste dieser Moment gewesen sein, in den Gregor Korff ganz scheu begann, sein Land zu lieben…Seine gewagte Demokratie, deren Kanzler vor ein paar Monaten über einen mediokren Spion gestürzt war. Danach nach Speyer an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften; Gregor fühlte sich geparkt, nicht gefordert. Schliesslich die Begegnung mit dem Mann, der heute (zum Zeitpunkt seiner Reflexionen) Minister ist. 1982 wird Gregor des Meisters Hirn und da beginnt ja auch die "geistig-moralische Wende" (und man ist nicht schlecht überrascht, dass dies damals mehr als nur ein Regierungserklärungsschlagwort gewesen sein soll).
Pragmatismus statt
Exaltiertheit Gregor weiss von den Ergebnissen der Recherchen noch nichts, aber plötzlich gibt es so etwas wie eine Erlösung: Sonja kam ihm entgegen…Er ging lächelnd auf sie zu; dann merkte er selbst, wie ihm von einem Moment auf den anderen das Lächeln verrutschte und sein Gesicht einen entgeisterten Eindruck annahm, auch wenn er es nicht sehen konnte. Die Erlösung ist Sonjas Entzauberung im Auge Gregors (wie er später Anita fragt, als sie das "Verhältnis" beendet, ob er nun für sie entzaubert ist) – eine irreversible Abwendung; unerklärlich. Sonja merkt es. Kurz danach entkommt sie dem Staatsschutz erneut. Die Angelegenheit kommt in die Presse; Gregor ist in seinem Amt gerade in dieser fragilen Zeit nicht mehr haltbar. Mit gepresster Stimme verabschiedet ihn der Minister. Und er beginnt von seiner Abfindung, seinem Ersparten zu leben, trifft sich regelmässig mit dem freien Geist Peter Glotz zum Essen und nimmt eine mässig dotierte Dozentur an, die ihm von Goergen vermittelt wird und ihn einmal pro Woche nach Frankfurt führt.
Dickes Trinkgeld zum
Abschied
Wie durch ein Wunder
gelingt die Aktion und Carl kann in Amsterdam mit neuer Identität untertauchen.
Gregor, der aktiv daran beteiligt war (und –Kontingenz! – Reni bei der Aktion
als Helferin kurz wiedersieht), wird zwar befragt, aber man schöpft keinen
Verdacht; die Herold'sche Rasterfahnung bleibt erfolglos. Allerdings
verliert er seine Dozentur, die Wohnung wird ihm gekündigt und sein Borgward ist
nicht mehr zu reparieren. Die Essen mit Peter Glotz gibt es seit dessen Umzug
nach Erfurt auch nicht mehr. Noch eine Tat muss her, das freud- und
ereignislose Leben aufzupeppen. Er schleudert zwei Farbeier während einer
Podiumsdiskussion, unter anderem auf einen Professor, den er noch zu seiner
Beraterzeit in die Machtzentrale eingebracht hatte, zum Redenschreiber des
Dicken wurde und der sich als Vertreter der neuen, Berliner Republik geriert
(und man fragt sich abermals, ob das sein musste).
Eigenartige Ambivalenz Leo ist mit 51 ausgebrannt und sucht einen Weg zur Frühpensionierung; Gregor hat letztlich nur die acht Jahre richtig gearbeitet, bricht mit 46 endgültig alle Zelte ab und verzichtet auf weitere Protegierungen. Die Loyalität bestand zur Bonner Republik, diesem bräsigen und manchmal spiessigen Provisorium, das alleine durch die Auswahl der Hauptstadt schon vor Grössenwahn gefeit war. Anders wie viele ihrer Generation entdecken Gregor und Leo dieses Land, an dem sie Wohlgefallen hatte[n] nicht erst im Verlust als erhaltenswertes Gebilde. Ihr Strukturkonservatismus mündet in der Enttäuschung über die Preisgabe der Werte dieses Provisioriums in eine tiefe Lethargie, die Politiker wie Kohl nachträglich fast progressiv erscheinen lassen. Daher hat Korff durchaus Parallelen zu Koeppens Keetenheuve (freilich besitzt er nicht dessen intellektuelle Potenz, daher ist er immunisiert gegen den Suizid). Beide verweigern sich auf ihre Art dem politischen Zeitgeiststrom, statt ihn aktiv mit zu gestalten. Dem Neuen stehen sie ablehnend und mit dem lähmenden Gefühl der Ohnmacht gegenüber. Zu gross scheint der Ekel, der von der (vermeintlich?) neuen Zeit ausgeht. Dabei bleibt im Buch der politische Gregor Korff eigenartig ambivalent, wobei man diese Inkonsistenz nicht unbedingt beim Protagonisten festmacht, sondern eher beim Autor: Dezidierter Carl Schmitt-Kenner (aber kein Adept und daher ist er ihn auch am Ende leid), privat eher links-alternative Sympathien, dann das fast selbstverständliche Annehmen des Angebots zum Politikberater im Umfeld der Kohl-Regierung 1982 – und plötzlich das (Wieder-)Entdecken (?) eines anarchischen Kerns, obwohl er doch schon als Schachspieler in der Hütte als Defensivkünstler beschrieben wurde und vom Gerechtigkeitsfuror eines Carl, der beim "Jesse James"-Western mit den Zähnen geknirscht und manchmal die Fäuste geballt hatte und keiner [war], der sich abfindet, weit entfernt war (und dies ganz sicher oft genug bedauert hatte). Schimmangs "Das Beste, was wir hatten" ist in den gelungensten Momenten ein elegischer Abgesang auf die Bonner Republik und den so oft verkannten (und denunzierten) deutschen Provinzialismus. Obwohl das Buch 1994 endet, scheinen die Schröder-Jahre der "normalen Republik" schon ihre Schatten voraus zu werfen. Natürlich ist dieses arg holzschnittartige, dann doch gelegentlich verklärende Urteil nicht "gerecht", da es auch Brüche und Verwerfungen in der Bonner Republik gab und vor allem die eher trüben End-80er Jahre in milderem Licht erscheinen, als sie tatsächlich waren (immerhin galt Kohl im September 1989 einigen Parteifreunden als Anachronismus und man plante auf dem Parteitag den dann gescheiterten Putsch). Und manche Szenen insbesondere im dritten Teil, als Korff beispielsweise im Farbeierwerfen plötzlich eine Aktion von 1969 als Urerfahrung erinnert, die nun, in ganz anderem Zusammenhang, vollendet werden muss, wirken dann doch arg aufgesetzt. Ach hätte doch der Autor da oder dort ein bisschen gekürzt, seufzt der Leser. Oder, noch besser, hätte er diesen ganzen chronologisch-erzählten Plot beginnend 1990, der im zweiten und dritten Teil 1992 wieder einsetzt, einfach auch als Wiederholungen mäandernd vielleicht zur (sogenannten) Jahrtausendwende von einer Insel im Atlantik aus erinnernd, wieder-holend erzählen lassen. Aber man ist am Ende froh, dieses Buch gelesen zu haben. Gregor Keuschnig Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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