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Die »Deutsche Zeitschrift für Philosophie« brachte im zweiten Heft 2009 ein »Symposium zu Charles Taylor: ‚A Secular Age'«, an dem sich philosophische Größen wie Hans Joas, Hent de Vries und Vittorio Hösle beteiligten. Letzterer meinte, Taylor wolle nicht nur über religiöse Menschen schreiben, sondern auch von ihnen lernen. Seine »geistige Offenheit, dieser aufrichtige Respekt«, gelte aber »auch denjenigen, die sich in den letzten Jahrhunderten von der Religion gelöst haben und die Taylor mit Sympathie zu verstehen sucht. Man spürt auf allen [...] Seiten des Buches einen Geist christlicher Nächstenliebe, wie er unter modernen Intellektuellen, und zwar sowohl areligiösen als auch christlichen, nicht häufig ist.« Das ist wohl wahr. Charles Taylor, geboren 1931, ist ein weltweit hochangesehener kanadischer Philosoph und praktizierender Katholik, der vornehmlich mit seinen Studien zu Hegel und mit den »Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität« (dt. 1996) bekannt geworden ist. Als Kritiker liberalistischer Theoriebildungen und Befürworter des Kommunitarismus hat er, was etwa Deutschland anlangt, die Sozialphilosophie des Adorno/Horkheimer-Nachfolgers Axel Honneth maßgeblich angeregt. Mit »Ein säkulares Zeitalter« erscheint nun die Summe seines bisherigen Forscherlebens als ein wahrhaft gewaltiges Opus magnum, das selbst den langstreckengeübten Leser immer wieder an 1 Kor 13 gemahnen könnte: »Die Liebe höret nimmer auf.« Der Autor warnt seinen Leser zwar gleich eingangs davor, das alles andere als systematisch konstruierte Werk »als fortlaufende, argumentativ durchgestaltete Erzählung aufzufassen, sondern als eine Reihe ineinander verschränkter Essays«. Allerdings kann diese Mahnung den Unwillen kaum beschwichtigen, der entsteht, wenn die Wiederholungen sich dermaßen häufen, daß man vermuten muß, Taylor setze mehr auf das Prinzip »Repetitio est mater studiorum« als auf das Begriffsvermögen seines Lesers. Eine symptomatische Wendung: »Um nochmals zu wiederholen, was schon gesagt wurde«. Und dann die ermüdenden Aus- und Abschweifungen, die entweder strategisch der Cliffhanger-Dramaturgie folgen oder von der Angst vor der argumentativen Direttissima motiviert sind. Ständig enervieren Umleitungsempfehlungen wie diese: »Jetzt sind wir soweit, daß wir unsere Geschichte fortsetzen können, um herauszufinden, was den Wandel hin zu einem ausgrenzenden Humanismus [i.e. der Humanismus, der die Notwendigkeit jeden Transzendenzbezugs verneint] ermöglicht hat. Doch ehe ich fortfahre, möchte ich innehalten und das ganze Panorama in einen anderen Rahmen stellen«. Oder zweihundertzwanzig Seiten später: »Die interessante Frage lautet: Wodurch kommt dieses Raster [i.e. das des Deismus des planenden, jedoch nicht eingreifenden Gottes] zustande und welches ist das Motiv, das dahintersteht? Doch ehe wir das zu beschreiben versuchen, ist es vielleicht nützlich, die Fragen, um die es hier geht, aus einer eingehenderen historischen Perspektive zu betrachten.«
Wie übereilt der Übersetzer manchmal zu Werke geht, vielleicht gehen mußte, erweist sich beispielsweise dann, wenn er das »Dein Wille geschehe« aus dem Vaterunser wohl kaum im Sinne Taylors, der injunction schreibt, als »Befehl« versteht. Der Autor hatte mit seiner Wortwahl gewiß andeuten wollen, daß er das in diesem Kontext gebräuchlichere Wort »Bitte« (request) für nicht adäquat hält, und wählte daher eben injunction, was man eventuell mit »Gebot« oder »Verfügung« hätte wiedergeben können; »Befehl« geht jedenfalls nicht. Doch es ist zugegebenermaßen nicht immer leicht, solche Vertracktheiten zu bewältigen. Um es mit Taylor/Schulte zu sagen: »Hier kann man von Dilemmata, Spannungsverhältnissen oder sogar von Versuchen zur Quadrierung des Kreises sprechen.« Die von Taylor ins Visier genommenen Gesellschaften – er befaßt sich ausschließlich mit den Gegenden des ehemals (?) christlichen Abendlands und konzentriert sich insbesondere auf England, Frankreich und die USA – bezeichnet er insofern als säkularisiert, als unser Leben heutzutage von religiösen Überzeugungen weniger beeinflußt ist als ehedem. Gewiß, diese Diagnose streift das Triviale; und da Taylor sich auch noch explizit auf das Entzauberungstheorem Max Webers und dessen Rationalisierungsverständnis beruft, scheint er nur wenig Neues bereitstellen zu können. Immerhin aber entlastet das Etikett »säkulares Zeitalter« von Spekulationen über »Postsäkularität« à la Habermas, indem der von Taylor ins Auge gefaßte Säkularisierungsbegriff (der Glaube an Gott ist nicht mehr unangefochten wie in älteren Zeiten) sich auf Prima-facie-Beobachtungen stützt, denen Plausibilität und konsensusfähige Evidenz zunächst einmal nicht abzusprechen sind. Die FAZ brachte es kürzlich (18.11.2009) wie folgt auf den Punkt: »In Westeuropa ist der Anteil der bekennenden Katholiken wie die Zahl der Geistlichen und Ordensleute so gering wie seit Menschengedenken nicht, die Volksreligiosität verdunstet, die Prägekraft des christlichen Ethos in Politik und Gesellschaft ist im Schwinden begriffen.« Obschon also die Diagnose von »Ein säkulares Zeitalter« aus religionssoziologischer Sicht nicht gerade Sensationelles liefert, verdient doch Taylors Ätiologie des säkularen Zeitalters fraglos Beachtung, derzufolge die Säkularisierungsgeschichte als »Subtraktionsgeschichte« nur sehr unzulänglich zu erzählen ist. Das will besagen: Der Wandel von der »verzauberten«, vorneuzeitlichen Welt, in der – so jedenfalls Taylors Annahme – das »poröse« Selbst des Menschen eingebettet war in einen ihn mit vorgängigem Sinn imprägnierenden Kosmos, dessen umgreifende Gegenwärtigkeit ihm durch transzendente Wesenheiten (Geister, Götter, Gott) garantiert war, zur neuzeitlich-modernen Welt, in der sich unser Selbst gegen alle prästabilierenden Ordnungsmächte »abgepuffert« und die Dämonenfurcht gegen das »Unbehagen an der Immanenz« eingetauscht hat, ist eben nicht zu verstehen als ein bloßes, historisch voranschreitendes Sichentledigen von Trugbildern, Aberglauben und oktroyierten Irrtümern. Vielmehr ist das Aufkommen des »ausgrenzenden Humanismus«, der sich gegen alles Jenseitige und Höhere abdichtet und unser Selbst- und Weltverständnis mit zunehmender Selbstverständlichkeit formt (deformiert?), selbst ein eminent erklärungsbedürftiges Geschehen. Üblicherweise identifiziert die Ideen- resp. Kulturgeschichtsschreibung Beschleunigungsfaktoren wie den Renaissancehumanismus, die Reformation oder die Expansion der Naturwissenschaften als die Kardinalkräfte der Genese neuzeitlicher Innerweltlichkeit. Taylor hingegen sieht diese immanenzforcierenden Bewegungen selbst als Epiphänomene eines tieferliegenden Hauptstroms, den er, um seine Primordialität zu markieren, mit Majuskeln schreibt: »REFORM«. Das hauptsächliche Bestreben dieser REFORM (man hätte zu fragen, ob diese Intention nicht genuin urchristlich ist), als dessen frühesten Propagandisten Taylor den Reformpapst Gregor VII. (Hildebrand, Stichwort: Investiturstreit und Canossa) erkennen möchte, war es, »die Kirche auf ein einheitlich höheres Niveau zu bringen, um somit den Abstand zwischen Hoch und Niedrig zu verringern«. Paradoxerweise beförderte die von der REFORM ursprünglich beabsichtigte Spiritualisierung eine Desakralisierung des Sakralen und zwar vornehmlich dadurch, daß die volkstümlichen Religionsübungen, die Taylor in Anlehnung an Jaspers‘ »Achsenzeit« »vorachsenzeitlich« nennt, zusehends delegitimiert wurden. Alles, was irgend an Magie erinnerte, wurde aus dem Boden der christlichen Glaubenspraktiken ausgejätet, bis schließlich die Natur völlig entgöttert, entzaubert war und der Glaube sich zu einem geistlichen Abstraktum sublimiert hatte, dem das »Fleisch« als das Prinzip des Bösen schlechthin galt. So verstanden ist die Taylorsche Skepsis gegenüber der REFORM als dem Prozeß der »Exkarnation« zugleich ein Plädoyer für ein Christentum, das sich entschieden zur Inkarnation, zur geoffenbarten Wahrheit des fleischgewordenen Gottes bekennt. Taylor schreibt im fünften und letzten Teil (»Bedingungen des Glaubens«): »[D]e facto ging diese REFORM in Richtung einer umfassenden Exkarnation. Das ist eine der Hauptthesen dieses Buchs. Ältere, vorachsenzeitliche Praktiken wurden im Zuge eines umfassenden Prozesses der Entzauberung weggefegt. Bei den Protestanten wurde das zentrale Ritual der Messe abgeschafft, da es ebenfalls als Beispiel für unzulässige ‚Magie‘ galt. Der Karneval wurde unterbunden. In der katholischen Kirche wurde der Einsatz von Musik, Tanz und Schauspiel mit unterschiedlicher Strenge beschnitten, und auch von seiten der Laien geriet er unter erheblichen Druck. Einige Übergangsriten wurden abgeschafft oder heruntergestuft (in manchen protestantischen Kirchen galt die Ehe nicht mehr als Sakrament). [...] Doch im Zentrum des christlichen Glaubens steht die Hoffnung auf eine letztlich erreichte Versöhnung der Menschen mit Gott, und diese Versöhnung soll im (auferstandenen) Körper stattfinden.« Die Versöhnung des Menschen mit Gott ereignet sich in einer Dimension des Vertrauens, und diese Dimension ist in klassischer Raummetaphorik vertikal ausgerichtet. Das menschliche Bedürfnis nach Transzendenz, nach Transformation seines immanent abgeschotteten Selbst ist für den Autor von »Ein säkulares Zeitalter« schlichtweg unhintergehbar. Wiederholt spricht er von der Dominanz der »Peggy-Lee-Achse«: Eingeschlossen in die kalte, fensterlose Zelle des gegen alles Jenseitige und »Höhere« abgedichteten säkularen Daseins fragen wir uns nolens volens ständig mit der amerikanischen Sängerin: »Is that all there is?«. Wir würden vielleicht, um unserer zaghaften Ahnung von verlorener, aber erstrebter »Fülle« (ein Kernbegriff der Taylorschen Philosophie) Ausdruck zu geben, eher von der Wolf-Biermann-Achse sprechen: »Das soll nun alles gewesen sein/das bißchen Fußball und Führerschein«.
»Fußball
ist nicht alles«,
sagte Bischöfin Käßmann anläßlich der Trauerfeier für Robert Enke. DFG-Präsident
Theo Zwanziger schloß sich dem am 15.11.2009 im Stadion zu Hannover an:
»Denkt
auch an das, was im Menschen ist, an Zweifel und Schwächen«;
und Bischof Huber aufgreifend, sagte Zwanziger:
»Den
wirklichen Siegerpreis, den werden wir auf Erden nicht empfangen.«
Von postmoderner Dekonstruktion
von Sinn und Präsenz hält er noch weniger als von objektivistischer
»desengagierter«,
distanzierter Verstandeskühle. Es führt ein Weg vom philosophischen Denken zum
Glauben. Kritisch bleibt allerdings zu fragen, inwieweit die Position des sich
zum Christentum in seiner katholischen Ausprägung Bekennenden die Diagnose und
die Analyse der abendländischen Säkularität prädeterminiert. Gleichviel, im
Abschnitt über
»Bekehrungen«
lesen wir:
»Auch
Franz von Assisi warf die Parameter seiner Zeit über den Haufen«.
So bringt es der Übersetzer in flapsiges Umgangsdeutsch.
Dann doch
wirklich lieber Charles Taylor im Originalton:
»Francis
of Assisi also upset the parameters of his time«.
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Charles Taylor
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