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Ein Leben am Abgrund
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»Wenn
ich meine Hände jedoch nach dem Eigentum fremder Leute ausstreckte, fühlte ich
in der Anspannung des Moments so etwas wie Freiheit. Ich fühlte, dass es möglich
war, mich von der beengenden Umgebung zumindest ein ganz klein wenig zu lösen.«
»Das Kind langte
zielstrebig und konzentriert zu, wie es die Mutter erwartete. Es bewegte sich
geschickt, darauf bedacht, ja nicht entdeckt zu werden und dadurch die Mutter in
Schwierigkeiten zu bringen. Die Beine, die aus den kurzen blauen Hosen ragten,
waren recht dünn, die Ärmelenden und Taschen seiner grünen Kapuzenjacke waren
zerschlissen. In dem Laden fielen die beiden sofort auf.« Bei einem Einkauf beobachtet er einen kleinen Jungen, der Dinge stielt, auf die seine Mutter deutet. Schnell ist ihm klar, dass der Junge ihm ähnelt, als er selbst in dessen Alter war. Und vielleicht merkt das auch der Kleine. Denn er ist es, der immer wieder zu dem Dieb zurückkommt, in ihm eine Art Vaterfigur sieht. Und Nishimura kümmert sich um ihn – in seiner geraden Art. Wirklich warme Liebe und viel Worte kommen in seiner Welt nicht vor. Er tut, was getan werden muss. Er stiehlt, weil das zu seinem Leben gehört, manchmal schon fast automatisch abläuft. Er verschenkt Geld, wo er helfen will. Und er versucht dem Jungen ein besseres Leben zu ermöglichen. Vom Freund seiner Mutter, einer Prostituierten, geschlagen und zum Stehlen gezwungen, ist der Kleine auf sich selbst gestellt. »Tu so, als wäre ich dein Papa, und bleib an meiner Seite. Dann wird auch die Tasche verdeckt.« Nishimura zeigt dem Jungen ein paar Tricks beim Stehlen, will aber gleichzeitig nicht, dass er diese Laufbahn weiter verfolgt. Nicht nur das gemeinsame Hobby, sondern auch die Wortkargheit und das Talent verbinden die beiden Diebe. Ebenso ihre Einsamkeit und ihr auf sich selbst gestelltes Leben. Sagt doch die Mutter des Jungen an einer Stelle zum Dieb: »[…] Ehrlich gesagt, wozu sind Kinder eigentlich gut? Die sind doch nur am Anfang süß.« Süß – das ist weder das Leben ihres Sohnes noch das Leben des Diebes. Von einem sehr guten Freund und Kollegen, dem tot geglaubten Ishikawa, in einen Coup verwickelt, muss der Dieb um sein Leben fürchten. Denn der Boss des vergangenen Coups fordert von ihm drei Aufgaben: Er soll bei drei Personen bestimmte Dinge beschaffen. Und das in einer begrenzten Zeit. Ein Wettlauf beginnt – und das nicht nur gegen die Zeit. Denn hat man eine Chance, wenn der Gegner das eigene Schicksal ist? Der Dieb lebt sein eigenes Leben. Rau sind die Kreise, in denen er hineingezogen wird, und das Stehlen gehört für ihn dazu wie der Sex mit der Mutter des kleinen Jungen: Beides ist automatisiert, letzteres nur Mittel zur Befriedigung. Die Menschen, die ihm wirklich wichtig waren, hat er verloren: seine ehemalige Geliebte Saeko und Ishikawa, wie es scheint, sein ehemals bester Freund. Der Turm
»Im Rückblick war dieser
Moment vielleicht eine Befreiung, weil sich mein Tun zum ersten Mal der
Außenwelt offenbarte – und nicht nur dem Turm. Ein solches Gefühl von Freiheit
hatte ich bisher noch nicht erlebt.« Der Autor
Fuminori Nakamura, selbst
in Tokio lebend, hat mit seinem Buch ein Werk über die Schattenseiten einer
Großstadt geschrieben, verbunden mit der Frage nach Schicksal und
Vorherbestimmung. Kann man wirklich immer selbst entscheiden, wie sein eigenes
Leben verläuft oder hängt es doch von anderen ab? Kann es sogar sein, dass man
selbst das Schicksal anderer in der Hand hält? »Ich dachte über den Tod nach, auch darüber, wie mein Leben bisher verlaufen war. Ich hatte mich von allem abgewandt, hatte Gemeinschaft verschmäht, Glück und Licht und stattdessen meine Finger in fremde Taschen gesteckt. Ich hatte eine Mauer um mich errichtet und mich in die finsteren Ritzen des Lebens eingeschlichen. Komisch, und trotzdem wollte ich jetzt noch ein bisschen dableiben.« Nicht nur der Dieb muss sich an Punkten in seinem Leben mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Auch wir müssen das. Vergangenheit kann man nicht ändern, Freunde nicht wieder ins Leben rufen und manchmal holt uns das ein, was Kizaki, der große Boss, als Schicksal bezeichnet. Und das ist es, was uns mit der Hauptfigur mitfühlen lässt: Die Frage nach dem Sein, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und die Gelegenheiten, die jeder von uns bekommt, Menschen, denen man begegnet, zu helfen. Auch wenn es nur ein kleiner Junge ist.Was harmlos beginnt, lässt Autor Fuminori Nakamura zu einem Strom aus Liebe, Gewalt, Kaltherzigkeit und der Frage nach dem Schicksal werden. Artikel online seit 08.12.15 |
Fuminori Nakamura |
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