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Ilma Rakusa in
Ljubljana
Von Dragan Aleksić
In
der Abenddämmerung sitzt Ilma Rakusa auf einer Bank in der Čop Straße. Die neben
ihr ausgestreckten Handflächen berühren die warmen Bretter. Eine große
Ledertasche liegt rechts von ihr. Sie betrachtet die Tromostovje, Pešeren's
Denkmal und die rote Fassade der Franziskanerkirche.
Die Blätter der beiden Apfelbäume rascheln bei jeder leichten Brise, welche den
Geruch von Linden aus einer der Nebenstraßen herbeiweht. Zu ihrer rechten steht
eine große, runde Bar aus grünem Plastik um die sich einige junge Menschen
versammelt haben. Sowohl die Mädchen als auch die Jungs trinken Bier.
Drei-vier Meter von ihr entfernt hört sie Stimmen, die sie drei Frauen zuordnen
kann – zwei jünger und eine älter. Die Frauen verabschieden sich mit einem
»adio«.
Einst erzählte ihr jemand in Serbien, dass er diese Art der Verabschiedung in
Ljubljana eigenartig findet. Dieses »adio«. In Serbien sagt man »Auf
Wiedersehen«, sowohl wenn eine längere Trennung folgt als auch wenn diese
Trennung für die Ewigkeit ist.
Ilma
betrachtet das ältere Mädchen und denkt sich dabei: »Einst war ich genauso: die
gleichen schwarzen Haare – schwarz wie Teer – die gleiche Größe und Haltung, der
Busen. Nur habe ich eine Stupsnase und ihre ist gerade.«
Damals hat sie sich ebenfalls so gekleidet: schwarze, fast flache Schuhe,
schwarzer Rock, schwarze Bluse. Weißes Gesicht und weiße Waden. Ein
aufgeknöpfter Knopf an der Bluse deutet die weißen Brüste an.
Vor langer Zeit sagte mal ein serbischer Schriftsteller zu ihr: »Hände sind für
große Brüste gedacht. Die Lippen für kleine. Für mittelgroße, so wie es deine
sind, beides. Ich könnte eine Brust streicheln und die andere küssen.«
»Du bist betrunken und redest Schwachsinn.«, sagte ich lächelnd zu ihm und
richtete meinen Blick zum Boden. Er grinste. Er hob mit dem Finger ihr Kinn an
und als sie ihm in die Augen sah, begann er zu singen: »Alles was ich vom Leben
habe – etwas Hoffnung wenn ich betrunken bin.«
Das Handy läutet. Ilma nimmt es schnell aus ihrer Tasche: »Danilo?«
»...Nein, hier ist nicht Danilo...tut mir wirklich leid...hier ist nicht Kiš...«
sagt eine männliche Stimme.
»Ach du bist es...verzeih mir...ich habe mich gerade eben nur an ihn erinnert,
also...«
»Ich verstehe schon...es gibt ihn schon lange nicht mehr....sag mal, wo habe ich
dich diesmal angetroffen? Bist du gerade in Zürich oder irgendwo anders in der
weiten Welt?«
»Ich bin in Ljubljana. Auf einer Bank in der Čop Straße.«
»Siehst dir Pešeren, Tromostvoje und die jungen Menschen an?«
»Genau. Warst du schon einmal in Ljubljana?«
»Ich war einmal vor langer Zeit da. Für ein paar Tage. Auf dieser Bank habe ich
das Lied »Den Burschen kommt der Abend« geschrieben. Ich sollte es suchen und
dir in den nächsten Tagen zusenden. Ja, das werd ich machen, bevor ich geh'...«
»Wohin gehst du?«
»...ich weiß nicht wie es dort aussieht wo ich hingehe...ich habe dich angerufen
um dir zu sagen, dass ich mich in naher Zukunft nicht mehr melden werde und dass
du mich nicht mehr auf dieser Nummer erreichen wirst können...«
»Wieso?«
»...Ilma...«
»...Oh Gott...bist du krank?«
»..Ja...ich gehe...dort....irgendwo...«
»...Kann ich dir denn irgendwie helfen?«
»...Ja, du kannst...wenn dich jemand anruft, dann sag doch anstatt »Hallo« oder
»Ja, bitte« meinen Namen...manchmal«
Ilma
Rakusa sitzt alleine auf der Bank in der Čop Straße, in Ljubljana.
Langsam beginnt die Nacht ihre Haare und den Schmerz auf ihrem schönen Gesicht
zu bedecken. Die Tränen, die sich über ihre Wangen ergießen.
Sie flüstert: »Den Burschen kommt der Abend...den Burschen kommt der Abend...den
Burschen kommt der Abend.. den Mädchen...«
Übersetzt von
Tamara Kračun
Artikel
online seit 22.12.15
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Ilma Rakusa auf dem Erlanger
Poetenfest 2009
GNU Free Documentation License, Version 1.2
Die Schweizer Literaturwissenschaftlerin Ilma Rakusa ist ein
intellektuelles Literatur-Multitalent. Sie widerlegt
die These, dass Literaturwissenschaftler und -kritiker nicht selber
Literatur schreiben können. Am 2. Januar wird Ilma Rakusa 70 Jahre alt. Der
Schriftsteller Dragan Aleksić hat ihr jetzt schon eine Hommage geschrieben.
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