Martin Walser: Dorle und Wolf (Novelle) |
Martin Walser: Dorle und Wolf |
Inhaltsangabe:Man muss, wenn man etwas zu verbergen hat, mehr tun, als man selber für nötig hält. Obwohl Wolf wusste, dass ihn niemand beobachtete, benahm er sich, als müsse er jemanden, der ihn ununterbrochen beobachtete, von seiner Harmlosigkeit überzeugen. (Seite 7)
Mit diesen Sätzen beginnt Martin Walser seinen Roman "Dorle und Wolf". "Am ersten Tag, an dem die drüben aufgeholt haben, hör ich auf, das weißt du. Aber solang die aus der elektronischen Steinzeit nicht rauskommen ..." (Seite 12) Unter dem Vorwand, eine weitere Zuträgerin im Verteidigungsministerium zu benötigen, begann Wolf vor einiger Zeit eine Affäre mit Dorles Kollegin Sylvia Wellershof. Deren Ehemann Dominick sucht wegen seiner Angstneurosen seit drei Jahren jede Woche zweimal einen Psychoanalytiker auf. Sylvia nimmt zwar das Geld, das Wolf ihr für die kopierten Protokolle gibt, betont aber, dass sie aus Liebe zu ihm handele. Sylvia hatte offenbar eine Begabung, Wünsche eines Mannes zu ertasten und dann zu erfüllen [...] Dorle würde ihm leid tun, wenn sie alles täte, was er gern hätte, dass sie's tue. Wen man liebt, will man schonen vor sich. (Seite 115) Wolf verheimlicht Dorle zwar das Verhältnis mit Sylvia nicht, stellt es jedoch als freudlose Pflichtübung eines Agenten dar. Wolf hatte eine Art Tatsachenzubereitung entwickelt, die für Dorle gerade noch erträglich war. Eine Art Zwischentürundangel-Verhältnis. Zwischen Dienstschluss und Abendessen, wenn Dominick beim Analytiker war, dann huschte Wolf dort schnell vorbei; und nach dem, was er Dorle berichtete, leistete er dort ebenso komische wie quälende Geschlechtsdienste, deren Hauptcharakteristikum ihre Kurzgefasstheit war. Auf jeden Fall: für die Beteiligten sehr unbefriedigend. Das ließ Dorle gelten. (Seite 42) Dorle, die gerade fünfunddreißig Jahre alt geworden ist, wird von ihrem Chef umworben: Ministerialdirigent Dr. Jürgen Meißner. Wie Wolf stammt er aus der DDR, aber er kam bereits vor zweiundzwanzig Jahren in die Bundesrepublik. Vor sechs Wochen war er noch einmal "drüben" zur Bestattung seiner alkoholkranken Mutter in Jena. Seine Ehefrau Nina ist gerade wieder schwanger. Dr. Meißner hat sie [Dorle] heute, als alle gegangen waren, in sein Büro gebeten, hat ihr Rotwein eingeschenkt und dazu hat er gesagt, wenn Dorle wolle, gehe er auch in ein Café mit ihr. Von ihm aus könne das ganze Ministerium sehen, wie er mit Dorle Zieger ein Glas Wein trinke. Für Dorle riskiere er alles. Aus Liebe. Liebe mache rücksichtslos. Ob sie das wisse? Je größer die Liebe, desto größer die Rücksichtslosigkeit. Gegen sich selbst nämlich. Das Schlimmste sei, mit einer Frau verheiratet zu sein, die Wein nicht nur nicht mag, sondern verabscheut. Nichts deprimierender als dieses einsame Trinken. Direkt entwürdigend. Und man trinke doch, dass man sich nicht so einsam fühlen müsse. Und dann wird man durch nichts so einsam wie durch das Trinken [...] mit seiner Frau könne er nicht einmal über seine Mutter reden. Seine Mutter sei eine Trinkerin gewesen. Das Gebiss seiner Mutter, als die Nachbarn sie fanden, im Keller, am Fuß der Kellertreppe, es war zerbrochen, das Gebiss seiner Mutter. Vom Sturz. Um sich das Trinken schwerer zu machen, hat sie nie mehr als eine Flasche auf einmal aus dem Keller geholt. Sie musste also oft hinunter. Das ist ihr zum Verhängnis geworden. (Seite 55f)
Tamás Ujfalussy, ein im selben Haus wie Dorle und Wolf wohnender ungarischer Mathematiker, wundert sich darüber, dass Wolf immer nur mit einer Hand Klavier spielt. Eines Tages meint er spaßeshalber, er habe berechnet, dass es sich bei ihm um einen Spion handeln müsse.
"Wir sind im Krieg. Der Imperialismus setzt uns das Messer an die Kehle. Die wollen uns weg haben von der Erdoberfläche. Denen würde die Erde einfach besser gefallen, wenn da keine sozialistischen Staaten drauf wären. Die wollen uns zutoderüsten. Die geben nicht nach, bis wir vor lauter Kanonen keine Kartoffeln mehr produzieren können. Koexistenz – eine Illusion [...]
Wolf wird zum Major befördert, darf die entsprechende Uniform anprobieren, und der General verleiht ihm einen Orden. Das Land, in dem man lieber vor Gericht geht, muss man vorziehen. Vielleicht." (Seite 110) Um sich bei dem geplanten Schritt beraten zu lassen, wendet er sich an die Anwaltskanzlei Dr. Bestenhorn und Buhl. Bis zum Prozess muss er in Untersuchungshaft.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Es stellt sich heraus, dass Wolf, Dorle und Sylvia längst observiert wurden. Bei den Geräten, die Wolf von Dr. Rick Bruno, dem Inhaber einer Elektronik-Handelsfirma, bekam und an seine Auftraggeber weiterleitete, handelte es sich um Spielmaterial. |
Buchbesprechung:
Der preußische General Ludwig York von Wartenburg (1759 – 1830) musste 1812 an Napoleons Russland-Feldzug teilnehmen. Als sich die Grande Armée zurückzog, schloss er auf eigene Faust mit den Russen die Konvention von Tauroggen und stellte damit den preußischen König Friedrich Wilhelm III. vor vollendete Tatsachen. – Es ist wohl kein Zufall, dass Wolf Zieger als DDR-Agent den Decknamen "York" wählt, denn es geht ihm darum, einen Beitrag dafür zu leisten, dass die DDR den Vorsprung des Westens auf High-Tech-Gebieten
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Martin Walser: Die letzte Matinee |