Ein Klischee als Arbeitsgrundlage – Cowboylyrik aus Leipzig
Natürlich ist das eine lustige Idee und noch dazu geht es ums Klischee. Man sitzt im Café und verlustiert sich über das jährliche National Cowboy Poetry Gathering, wo sich eine romantisierende, nostalgische US-Subkultur reimend um eines der wenigen traditionellen Erben kümmert, welche die USA überhaupt haben: das Leben der Cowboys...
Ein Liebesroman für Leute, die keine Liebesromane mögen – von Jan Off
Um es dem Buch gleichzutun und mit der Tür ins Haus zu fallen: Henning ist Ende 30/Anfang 40 und entspricht so überhaupt nicht den Idealvorstellungen des willkommenen Schwiegersohns: Das Studium war ihm zu anstrengend, geregelte Arbeit ebenfalls, und so jongliert er sich durch wechselhafte, von der Agentur für Arbeit angepriesene Jobs als Rinnenfreikratzer im Stahlwerk, Pizzafahrer oder Zeitungspacker in der Nachtschicht...
Welt im Rohzustand und Tage wie Passagen – Sprachspuren von Waltraud Seidlhofer
Die Autorin, das darf gleich vorweg festgestellt werden, verlangt mit diesem Buch dem Leser einiges ab; es sei ihm daher der Blick auf den Klappentext nicht nur gegönnt, sondern geradezu empfohlen. Wer mit Seidlhofers Werk nicht vertraut ist, wird nämlich zunächst stutzen und fragen: Wer erzählt? Und wovon ist die Rede?...
Der Fortgang der inneren Handlung spiegelt den Zugang zur Welt - Kinogedichte aus 100 Jahren
Die erste Anthologie von Kino- und Filmgedichten ist erschienen – und wer weiß davon? Andreas Kramer und Jan Volker Röhnert haben sich die Lyrik jenes Zeitraum angeschaut, in dem das bewegte Bild, das Wunder des Films unser Bewußtsein zu verändern begann, also ca. ab dem Jahrhundertwechsel um 1900. Sie haben 120 Gedichte ausgewählt ...
Eigenwilligkeiten aus Luft und Geheimnis – Miniaturen von Marie T. Martin
"Die Kunst ist nicht Fälschung der Erfahrung, sondern Erweiterung derselben.“, hat Konrad Fiedler gesagt. Man kann auch sagen: Erneuerung. Die Erfahrung ist etwas, wenn sie das Verb-Sein beendet hat und zum Besitz geworden ist, das unser Leben abschließt und verkapselt und unser Erleben kanalisiert und unzugänglich macht für andere...
Verstreutes findet zusammen und Jutta Treiber zum Sechziger
Eine stille – sehr wohl produktive – Autorin feierte ihren 60. Geburtstag: Jutta Treiber. Aus diesem Anlass überreichte der Verlag Lex Liszt im letzten Jahr einen Glückwunsch in gedruckter Form. Von diesem Geschenk profitiert noch viel mehr Juttas Leserschaft. Texte, die in diversen Anthologien erschienen sind, ergänzt von Gedichten sowie einigen unveröffentlichten Texten sind zu einem Lesebuch vereint. In der Musikbranche würde man „Best of“ sagen...
Was unsere Avantgarde verschläft - Lebendige Poesie von Håkan Sandell
Håkan Sandell (geb. 1962 in Schweden, lebt heute in Oslo) nennt sich selbst einen Retrogardisten, das meint keine Verwandtschaft zur Retro-Avantgarde der 1990er Jahre, die sich von Osteuropa her als künstliches Gegen-Konstrukt jener Übermacht der Kulturdefinition durch die westliche erste Welt entgegenstellte, sondern ein poetisches Konzept, das sich bewußt mit subjektiv erfahrenen Kontexten befaßt und diese kunstvoll präsentiert und behauptet...
Tragen ihren Sinn an sich in sich selbst – Gedichtgedichte von Peter Engel
Seit es Dichter gibt, haben sie über ihr Handwerk nachgedacht und darüber Verse geschrieben. Sie haben die Musen um Beistand angerufen und sie haben sogar eine eigene Gattung geschaffen, die jene Dichtungen umfaßt, die das Dichten selbst zum Thema machen, die Ars poetica. Das geläufigste Beispiel dieser Art ist Goethes oft zitierter Zweizeiler: Bilde, Künstler, rede nicht! / Nur ein Hauch sei dein Gedicht!...
Eine infernalische Symbiose – Natascha Wodin erzählt ihre Beziehung zu Wolfgang Hilbig
Die erste Begegnung fand auf einem Bahnsteig statt. Der begnadete Schriftsteller Jakob Stumm aus dem Osten ergriff die Hand seiner westdeutschen Kollegin – Zwischen Ankommen und Abfahren, Osten und Westen war das für beide ein schicksalhafter Moment. Die Ich-Erzählerin erinnerte sich: „Seit einiger Zeit hatte ich in der rechten Handfläche eine kleine Wunde, die nicht heilte, die Ärzte wussten nicht, was es war. Später sagte mir Jakob, er hätte die kleine raue Stelle auf der Innenseite meiner Haut gespürt und das hätte ihn sofort erotisiert.“...
Wenn in der Physik scheinbar alles logisch zugeht, dann müsste es auch zwischen den Menschen logisch zugehen, wenn man deren Beziehungen mit der Sprache der Physik darstellt...
Isabella Breier verwendet für ihre Kurzgeschichten immer wieder Konstellationen aus der Physik, und schon der Titel Interferenzen erläutert das Erzählprogramm, denn eine Interferenz ist physikalisch gesehen eine Überlagerung von zwei Wellen und sprachlich gesehen die Übertragung von einer Sprachstruktur auf die andere...
Auf der Suche nach der Anderswelt – in Holger Benkels „meißelbrut“
„Holger Benkels Gedichte leben vom Elementaren. Seine Motive sind Erde, Feuer, Wasser, Luft, sind Dinge, Pflanzen und Tiere, Landschaftsformen seiner mittelelbischen Heimat, Körpererfahrungen, Wunden, Zerfall. Aber wenn die Gedichte im wörtlichen Sinn leben, in sich fließen und vibrieren und einander Echo geben, so gerade, weil ihre Motivwelt komplexer ist, als sie auf den ersten Blick scheint...
Ixbeliebig oder iksbeliebig? – eine Reform die keine war beschreibt Ludwig Laher
Ob ix oder iks – fest steht: Die Rechtschreibreform hat ein Chaos angerichtet! Die Verursacher sind sakrosankt und belehren unbehölligt. Wer die Regeln bislang noch nicht kennen gelernt hat, könnte sie kennenlernen, nämlich jeder Zeit oder jederzeit, für wie viel (wieviel?) Un-Sinn sich den Toren Thür und Tor geöffnet haben. Damit nie Mand (Mandr es ischt Zeit) mich miss(mist)verstehen möge: Ich argumentiere keineswegs gegen eine Reform...
Flunkern im Rückspiegel – Zu den Gedichten von Peter Engel
Für Engels Dichtungen ist nichts so bezeichnend wie der Umstand, daß sie ein lyrisches Tagebuch sind. Viele Gedichte gleichen Eintragungen in ein Journal, die die Quintessenz eines Tages, einer Reise, einer Generationserfahrung, einer Lebensepoche festhalten. Sie haben fast alle einen Zeitindex an sich, der durch die puritanische, von allen paratextuellen Angaben absehende Präsentation unnötig verdeckt wird...
Der Saum des Erreichbaren -
„Weiße Pünktchen“ heißt das Nachwort, das A.S. schrieb. Ellipse also. Das, was nicht gesagt werden muss, was die Gedichte in schwarzen Buchstaben sagen. Es ist eine kleine Poetologie. Darin sagt er nicht nur, dass er die Gedichte diesmal nicht ordnete. Keine Zyklen, sondern magische Verse sind es. Ein Gedicht ordnet sich nicht unter, keinem Prinzip, auch nicht einem anderen Gedicht...
Zwei Romane zu einem verkittet - Sema Kaygusuz erzählt von „Wein und Gold“
Leylan lebt mit ihrem Vater, einem Trinker, auf einer türkischen Insel in der nördlichen Ägäis. Sie ist Bibliothekarin, keltert aber auch Wein für den Vater, weil er sich nicht mehr aus dem Haus bewegt. Gern nimmt sie in ihre Bibliothek Bücher auf, die von Touristen vergessen wurden. Diesen Büchern widmet sie sich besonders...
Jeder Tag ein Gedicht · Jeden Tag ein Gedicht – der Lyrikkalender von Alhambra Publishing
Lieben Sie Gedichte? fragt der Verlag auf der Rückseite des Kalenders und antwortet umgehend selbst: Wir auch! – stillschweigend voraussetzend, daß Sie naturgemäß Gedichte schätzen und lieben. Denn welcher Mensch liebt nicht die Sprache der Lyrik, die ihn doch lebenslang in allen lustigen und allen unheilvollen Lebenslagen begleitet, die ihn ständig umgarnt und umgibt: die Sprache der Lieder und Songs...
Die Welt am Nachbartisch. Robert Serbans präzise lyrische Beobachtungen
Man kann die Themen durchaus klassisch nennen, denen sich der Rumäne Robert Serban in seinen Gedichten zuwendet: „Die Poesie“, „Die Liebe“, „Das Leben“ oder „Die Freundschaft“ lauten einige der Kapitelüberschriften in ?erbans Gedichtband „Heimkino, bei mir“, welche die Texte zugleich lose gruppieren. Tatsächlich setzen ?erbans Gedichte weniger auf Effekthascherei oder sprachliche und thematische Innovation...
Wieder aufgetaucht – Jenny Erpenbeck und das Phänomen des Verschwindens
Manche Dinge nimmt der Mensch erst bewusst wahr, wenn sie verschwunden sind. So erging es mir auch mit der Kolumne von Jenny Erpenbeck, die ich in der Samstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meistens nur kurz überflog und die ich erst vermisste, als sie durch eine andere Kolumne ersetzt wurde...
Wolkengebilde und neu geordnete Zeichen - moderne Poesie aus Taiwan
„Mir scheint das weiße Blatt eine schöne Metapher für die Übersetzung von Poesie und für das Dichten im allgemeinen zu sein“, schreibt Volker Sielaff in der von ihm herausgegebenen Sammlung moderner Poesie aus Taiwan „Der Humor der Wolken“. Da ist nicht an Versinterung gedacht, sondern eher an die Stille, in die Töne gemengt wird und das Unbunte, dem man Farben aufmalt. Das Gedicht ist jenes Gebilde, mit dem die Korrespondenz beginnt, dort wo noch nichts ist...
Isländische Dorfgeschichten, Sex und Tragik inbegriffen – Leben pur, erfasst von Jón Kalman Stefánsson
Ein kleines Dorf in Island, im Westen vom Meer begrenzt, 400 Einwohner. „Die Besonderheit des Örtchens bestand darin, keine Besonderheit aufzuweisen. (…) Eins scheinen wir anderen Orten dieser Art aber vorauszuhaben: hier gibt es keine Kirche. Und auch keinen Friedhof.“ Aber es gab eine Strickereifabrik, die wegen einer Wette zweier Politiker errichtet wurde. Inzwischen existiert sie nicht mehr...
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