Ich bin ueberzeugt davon, dass wir Orte auf Klischees basierend konsumieren. An jeden Ort bringe ich meine eigenen Ideen mit, und meistens suche ich ihre Bestaetigung. Manchmal laufe ich einfach die Strasse entlang und werde brutal mit der Realitaet konfrontiert. Ich liebe das. Ich setzte mich in ein Cafe, oeffnete meinen Laptop und schrieb los: Die Entfernung benoetigt keine physikalische Realitaet…
, ich wollte ueber Abstaende zwischen Disziplinen sinnieren. Darueber hatte ich zwei Tage lang nachgedacht. Aber gluecklicherweise hoerte ich in dem Moment eine Stimme: weiterlesen »
Als am 7. Dezember 1972 das “Blue Marble”-Foto entstand – jenes ikonische Bild der Erdkugel als Murmel im Weltraum – war ich sieben Monate und vier Tage alt und lebte in einem polnischen Dorf an der Grenze zur ehemaligen DDR. Das Dorf verfuegt zwar ueber einen recht umfassenden Wikipedia-Eintrag, aber damals und vermutlich auch heute ueber kein Krankenhaus – ich kam in der naechstgelegenen Kleinstadt zur Welt. Immerhin war Ullersdorf, so der deutschsprachige Name meines Dorfs, mit Elektrizitaet und Fernsehen ausgestattet. Ostblockfernsehen, versteht sich. Vermutlich gab es auch Zeitungen und Magazine. Aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. weiterlesen »
Vor einiger Zeit habe ich meinen Fernseher von seinem Platz verbannt und an seine Stelle ein kleines Suesswasseraquarium mit brasilianischen Rotkopfsalmlern und asiatischen Zwerggarnelen gestellt. Jetzt gibt es in den zwoelf Stunden am Tag, in denen die Beleuchtung des Aquariums in Betrieb ist, hochaufloesende, breitformatige 3D-Bilder in tollen Farben: frisches Gruen, glitzerndes Silber, tiefes Braun, leuchtendes Rot und sattes Gelb. Es bleibt die Frage: Welche Toene soll man zu diesen Bildern spielen? In meinem Wohnzimmer ruft das ganze Arrangement unbedingt nach Toenen, weil meine Musikanlage direkt neben dem Aquarium steht. weiterlesen »
Ein kleiner Eingriff
, hat er gesagt, wir bekommen Sie schon wieder hin
und immer an ihm vorbeigesehen, wie im Tagtraum. Nach dem Arztbesuch den Spaetnachmittag noch in die Arbeit. An seinem Schreibtisch starrt er nur in den Bildschirm, die Zeit aufgehaengt, abgehaengt, bis die von Wolken verborgene Sonne hinter Daecher geglitten ist. Die am Morgen gehoerte Melodie bewegt sich noch immer irgendwo im Kopf. Die Wohnung oeffnet sich im Dunkeln vor ihm. In die Kueche. Tee. Schuhe abstreifen, die Jacke an den Buegel. Mit der warmwandigen Tasse faellt er in den Sessel, schliesst die Augen, laesst sich vom Dampf das Gesicht bestreichen, verharrt, den Kopf zurueckgelehnt ein Stich, etwas Kaltes auf der Stirn. Noch mal. Nass. Niklas oeffnet die Augen, sieht nichts. weiterlesen »
Gerade ist die Sonne hinter dem ins Meer ragenden Felsen verschwunden, als sich ein Fussballer und ein Mannequin fuer Bademoden am Strand von Rimini begegnen. Sie sind die einzigen hier. Das Maedchen ist suess
, denkt sich der angehende Fussballstar Giovanni und bewundert die strahlenden Augen der leicht bekleideten Strandschoenheit. Warum traegt er ein Trikot mit zwei verschiedenen Nummern?
, fragt sich Marianne, die vor zwei Tagen aus Wuppertal angereist ist und hofft, in Rimini ihre grosse Liebe zu finden. weiterlesen »
Bei meiner Reise nach Palanga war ein bisschen Schummelei im Spiel. Schummelei in dem Sinne, dass ich, anders als die anderen Teilnehmer, die zum Summercamp von Transient Spaces – The Tourist Syndrome
gekommen waren, den Ort schon vorher kannte. Meine Eltern brachten mich als Kind her, vor 20 Jahren, und dann kam ich einige Male als Schuelerin. Zu dieser Zeit entdeckte ich mit meinen Freunden verschiedene Gesichter Palangas. Ich erinnere mich an das letzte Mal, als ich hier war: vor fuenf Jahren, es war Winter, kalt, dunkel und leer. Und wunderschoen, weil es ganz anders war, als das, was ich vorher gesehen hatte. Nun kam ich ins Summercamp, bereit eine Touristin zu spielen, aber vielmehr eine Zeit-Touristin als eine Touristin des Ortes. weiterlesen »
Wo ist es? In welchem Teil Palangas? Wie weit vom Hotel entfernt mit dem Taxi? Zu Fuss? Ist der Garten schoen? Kostet es Eintritt? Wieviel? Wieviel US-Dollar sind das? Ist das Gebaeude in einem guten Zustand? Zerfaellt es? Wie riecht es dort? Ist es innen schwuel? Gibt es einen Giftshop? Ein Café? Ein Restaurant? Was für Licht wird benutzt, um den Bernstein zu praesentieren? Sind die Kaesten um die Objekte aus Holz? Metall? Wie lange dauert es, die ganze Ausstellung zu sehen? Regnet es noch? Sind momentan Leute im Garten? weiterlesen »
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sollte als ein globales Medienereignis begriffen werden. Immerhin steht diese Buchstaben- und Ziffernfolge fuer ein visuelles Signal, das Menschen auf dem gesamten Planeten erreicht hat und noch immer erreicht. Seine aussergewoehnliche Kraft hat der Menschheit ein Schluesselerlebnis von schier unermesslicher Tragweite beschert: die Erdbevoelkerung der 1970er Jahre bekam ihre Zusammengehoerigkeit buchstaeblich vor Augen gefuehrt. Gleichzeitig transportiert das Signal ein ganz bestimmtes Verstaendnis von (geteilter) Welt und (weltumspannender) Gemeinschaft: Es kodiert die Vorstellung von der Weltgemeinschaft als einen grossen Zusammenhang. Einheitlich und ganz. weiterlesen »
Ein Vagabund zieht uebers Land. Sein Koerper ist bedeckt mit Taetowierungen. Sie werden fuer den, der auf sie schaut, lebendig und erzaehlen eine Geschichte aus der Zukunft. So die Rahmenhandlung von Ray Bradburys Science-Fiction-Buch The Illustrated Man
. Eine dieser 18 Geschichten, die sich auf der Haut des Vagabunden abspielt und sich in den Augapfel des Lesers brennt, heisst The Long Rain
. weiterlesen »
Im Nachhinein kam ein bisschen Festivalstimmung bei mir auf. Letzten Freitag: Spaetvorstellung von Til Schweigers neuem Film “Inglourious Basterds”. Aufgeputscht von Cola und Kaesekuchen, zweieinhalb Stunden Traenen gelacht. Spaet in der Nacht noch ins Alt-Berlin gehuscht, um von jungen fuelligen Damen Berliner Pilsener serviert zu bekommen und am Zigaretten-Qualm erstickend ueber den Film zu palavern. Erhellend war das nicht (zweihundert Mal Der Baerrenjude ist kein Golem!
gebruellt). Immerhin erst um vier Uhr im Bett gewesen. So stelle ich mir das Leben der Filmkritiker in Cannes auch vor! Am naechsten Morgen dann: Katerstimmung.
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Doch, es ist schon schoen. Der Wald, die Luft, die beinah leeren Strassen, das merkwuerdige japanische Schwarzwaldhaus zwischen all den Tannen, und eine Minute weiter ein Hotel, das aussieht wie ein Luxusresort in Dubai, aber mit gevierteltem Budget. Und dann ist da der Strand, der oh-allmaechtige Strand, und sein weisser Sand und der starke Wind und der Pier, eigentlich dicht bedraengt und trotzdem irgendwie leer, wenigstens fuer ein paar Sekunden. In so einem Moment, da wirkt selbst etwas gewoehnliches und banales und alltaegliches wie ein Sonnenuntergang auf einmal umwerfend und neu und gross. Aber vielleicht ist das alles fuer eine einzelne Person einfach zuviel. weiterlesen »
Aber ich dachte etwas, das ich noch nie zuvor dachte: Als ob ich eine Person namens Palanga
getroffen haette, und die erzaehlt mir von Bernstein, und dass es in ihrem Koerper welches gibt, 45 Mio Jahre alt und aelter, und sie fluestert es mir zu, im Haus in ihrem Mund, mit dunklen Dielen und staubigen Ecken und natuerlichem Licht und Vitrinen aus Holz. Bernstein konserviert Lebewesen, die es vor Millionen Jahren gab, und die es nicht mehr gibt. Und dieses Museum konserviert die Stuecke Bernstein, die die Lebewesen umschliesst, die es gab und nicht mehr gibt. weiterlesen »