
(c) Blazenka Kostolna
Hans Durrer
contact [at] hansdurrer.com
geboren
1953 in Grabs (Schweiz), studierte Rechts-
wissenschaften (in Basel),
Journalistik (in Cardiff) und
angewandte Linguistik (in
Darwin); ist der Autor von
"Ways of Perception: On
Visual and Intercultural
Communication" (White
Lotus Press, Bangkok
2006). Er lebt in Sargans.
Homepage
www.hansdurrer.com
Blog
durrer-intercultural.
blogspot.com

Fälschung

Original
BP-Mitarbeiter in Houston blicken auf eine Reihe
von Videomonitoren. In Wahrheit waren zwei der Bildschirme außer Betrieb.
Laut
Joan Fontcuberta
ist der Begriff
"manipu-
lierte Fotografie"
eine
Tautologie, da jedes Foto
manipuliert sei.
Doch wer
so argumentiert, verkennt
das Wesen der Manipu-
lation, bei der es um
eine
bewusste Irrefüh-
rung geht.
Von der Werbefoto-
grafie erwartet niemand,
dass sie aufrichtig ist,
von Nachrichtenbildern
oder dokumentarischen
Aufnahmen hingegen
erwarten wir, dass sie uns
die Wirklichkeit so präsen-
tieren,
wie sie der Foto-
graf vor Ort gesehen und
mit seiner Kamera
eingefangen hat.
Wie, Wann, Wo,
Warum,
und für
welchen Zweck
werden Aufnahmen
gemacht?
Aber was
tun dann
Fotografien überhaupt,
wenn
sie nicht die Welt,
die inszenierte oder die
vorgefundene, abbilden?
"Die
Photographie fixiert
und kristallisiert die
Realität.
Sie saugt in
gewisser Weise dem
Lebensfluss selbst das
Blut aus und gibt als
Leben aus, was nicht
mehr Leben ist." |
Am
21. Juli 2010 erfuhren die Nachrichtenkonsumenten weltweit, dass das Foto,
das am Wochenende zuvor auf der Website von BP zu sehen war und zeigte, wie
Mitarbeiter in Houston, die auf zehn gigantische Videoschirme mit Bildern
von den Ereignissen unter Wasser blicken, gefälscht war. Zwei der
Bildschirme seien in Wirklichkeit leer gewesen, erkärte BP-Sprecher Scott
Dean und führte aus, ein Fotograf des Konzerns habe das Bild mit Hilfe von
Photoshop verändert. In der Folge wurde auch das Original veröffentlicht.
BP-Sprecher Dean sagte, der Fotograf habe nur seine Photoshop-Kenntnisse
unter Beweis stellen wollen. Die Mitarbeiter seien angewiesen worden, das
Bildbearbeitungsprogramm nur für Veränderungen wie Farbkorrekturen oder das
Erstellen von Ausschnitten zu verwenden.
Kurz darauf berichtete die
Washington Post von weiteren manipulierten Bildern auf der Website
des Konzerns. Wiederum war es ein Blogger, der die Fälschung entdeckt und
veröffentlicht hatte:
Ein Foto auf der Webpage von BP zeigt das Cockpit
eines Hubschraubers. Der Blick durch das Fenster zeigt Einsatzschiffe auf
dem Meer, die, so muss man anehmen, mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind.
Das Foto vermittelt den Eindruck, dass sich der Helikopter in der Luft
befindet, doch das tut er nicht: Die Farbabstufungen wirken unrealistisch,
zudem hat der Blogger in einer Ecke des Fotos einen Teil eines Kontrollturms
ausgemacht und daraus gefolgert, dass sich der Hubschrauber bei der Aufnahme
gar nicht in der Luft, sondern am Boden befand. Und genau so war es auch,
wie BP schließlich zugab.
Spiegel
online
bezeichnete diese Manipulationen als "PR-Panne", die Wiener Kronen
Zeitung sprach vom einem "PR-Debakel" und man darf annehmen, dass wohl
die meisten Betrachter dieser Fälschungen diese Einschätzung teilen. Doch
eine solche Sichtweise ist irreführend, ja sie ist falsch, denn
Bild-Fälschungen sind, im Kontext dieser Ölkatastrophe, zuallererst Lügen
und die Leute bei BP, die dafür verantwortlich sind, sind keine PR-Leute,
sondern zynische Lügner. Aber ist das nicht sowieso das Gleiche?
Nun, die Wahrheit ist
bekanntlich ein weites Feld. Angesichts der Tatsache, dass wir alle wissen,
dass mit Fotos gelogen werden kann und häufig auch wird, ist es jedoch
einigermaßen erstaunlich, dass wir Fotos überhaupt trauen. Und zwar so
lange, bis jemand kommt und uns beweist, dass wir uns getäuscht haben.
***
Dass
Fotos die Wirklichkeit abbilden, sei eine Illusion, meint Pedro Meyer, der
Herausgeber der Online Foto-Zeitschrift Zone Zero. Einmal aus den
allseits bekannten Gründen,
der Wahl des Objektivs, des Films etc., dann aber auch, weil es zwischen der
Fotografie und anderen Arten dokumentarischen Schaffens Parallelen gebe, die
oftmals
übersehen
würden.
So sei etwa der Journalist keine simple Kopiermaschine, er reproduziere
nicht gedankenlos, was sich vor seinen Augen abspiele, sondern er sammle
Informationen und stelle dann, was er in Erfahrung
bringen konnte, so zusammen,
dass akkurat wiedergeben werde, was sich vor Ort abgespielt habe. Ein
Dokumentarfilmer tue genau dasselbe, auch er mache Aufnahmen mit der
Vorstellung im Kopf, wie er diese anschließend zusammenfügen
wolle.
Jeder Schritt, meint der fr ühere
Fotojournalist Jeff Share
auf
www.medialit.org,
den ein Fotograf mache, also was, wann, wo, warum und wie aufgezeichnet
werde, sei subjektiv und ein Foto deswegen immer eine dekontextualisierte
Wiedergabe der Realität,
festgehalten von einem Menschen, der bewusste oder möglicherweise
unbewusste Entscheidungen fällt,
die von seiner kulturellen Herkunft, seinen Erfahrungen, Vorlieben und
Abneigungen geprägt
sind. Joan Fontcuberta, der Herausgeber von Photovision, geht noch
einen Schritt weiter:
Er
hält
den Begriff
"manipulierte Fotografie"
für
eine Tautologie, da jedes Foto manipuliert sei.
Nur:
Wer so argumentiert, verkennt das Wesen der Manipulation, bei der es um eine
bewusste Irreführung
geht. Er verkennt zudem, was wir von der Fotografie (nein, nicht von der,
die sich als Kunst versteht) wollen: die Realität,
so wie sie sich unseren Augen präsentiert,
einfangen; den Augenblick festhalten; die Zeit zum Stillstand bringen. Wir
erwarten von Fotos, dass der Fotograf
uns vermittelt, was
seine Augen gesehen haben und was er seinen Augen zu sehen erlaubt hat. Aber
das genügt
nicht, denn wir wollen von Fotos mehr:
wir wollen sie echt, und wir wollen
sie wahr; wir erwarten von ihnen, dass sie uns nicht hinters Licht führen.
Auch wenn uns klar ist, dass Fotos uns die Dinge oft nicht so zeigen, wie
unsere Augen sie wahrnehmen
–
getäuscht
und angelogen werden wollen wir deshalb noch lange nicht.
***
Zugegeben,
an Fotos
"herumzudoktern"
ist gängig
und nichts Neues, das gibt es, seit es die Fotografie gibt. Aufhellen,
Nachdunkeln, eine Horizontale in eine Vertikale umwandeln etc, sei es in der
Dunkelkammer oder am Computer
–
welcher Foto-Redakteur hätte
dies oder
Ähnliches
nicht schon mal gemacht? Und
überhaupt:
Was soll denn schon dabei sein? Kommt ganz drauf an, welche Fotografie wir
meinen. Von der Werbefotografie (und PR-Fotos sind nichts anderes) erwartet
niemand, dass sie aufrichtig ist (es soll jedoch nicht ausgeschlossen
werden, dass 'aufrichtiges Informieren' Bestandteil erfolgreichen Werbens
sein kann), von Nachrichtenbildern oder dokumentarischen Aufnahmen hingegen
erwarten wir, dass sie uns die Wirklichkeit so präsentieren,
wie sie der Fotograf vor Ort gesehen und mit seiner Kamera eingefangen hat.
Anzunehmen, dass die PR-Abteilung von BP etwas anderes
auf Ihre Website stellt als was den eigenen Zwecken dient, ist naiv. Und
ebenso gilt: BP vorzuwerfen, dass sie f ür
sich wirbt, verkennt das Wesen einer Konzern-Webpage. Vorausgesetzt, dass
bei einer
Ölkatastrophe
wie derjenigen im Golf vom Mexiko die
üblichen
Regeln gelten. Das tun sie aber nicht, denn in diesem Fall ist Aufklärung
nicht nur gefragt, sie ist Verpflichtung. Mit andern Worten:
Wer
diese Katastrophe unter PR-Gesichtspunkten, also als reinen
Wahrnehmungswettstreit, sieht und verkennt, dass es hier um das reale Leben von
Menschen geht, denen ihre Lebensgrundlage abhanden gekommen ist.
Wenn
wir Fotos als Dokumente, als Informations- und als Erinnerungsstücke
verstehen wollen, müssen
wir, was sich unseren Augen zeigt, befragen. Wie, Wann, Wo, Warum, und für
welchen Zweck sind diese Aufnahmen gemacht worden? Fragen müssen
wir aber auch, was wir alles nicht zu sehen gekriegt haben, was
gerade vor
der Aufnahme passiert ist und was gerade nachher, und was uns alles nicht
gezeigt worden ist.
Genau das hat der Blogger gemacht, der den BP-Schwindel
aufdeckte. Und es sind immer wieder Blogger, die den Foto-Manipulateuren auf
die Schliche kommen .
Man
denke etwa an den August 2006, als ein freier Mitarbeiter der Agentur
Reuters die aus den Trümmern
aufsteigenden Rauchschwaden im von israelischen Kampfbombern bombardierten
Beirut verdunkelt, damit sie den Eindruck einer brennenden Stadt vermitteln.
Das
ist nicht hinnehmbar. Mit anderen Worten: Kritisches Hinterfragen ist zur
Domäne
der Blogger geworden.
***
Entgegen
einer weitverbreiteten Annahme bilden Fotos die Wirklichkeit nicht ab. Sie können
es auch gar nicht, denn bekanntlich befindet sich unser Leben in stetigem
Fluss, und diesen abzubilden, ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber was
tun dann Fotografien
überhaupt,
wenn sie nicht die Welt, die inszenierte oder die vorgefundene, abbilden?
Sie kreieren die Illusion von etwas Festem, sie versehen uns mit Halt und
Orientierung, sie geben unserer Sehnsucht nach Beständigkeit
Form und Ausdruck, sie helfen uns, uns auf dieser Welt zurechtzufinden
–
und das ist gut so. Sie tun aber noch etwas ganz anderes, meint Paolo
Maurensig in Der Schatten und die Sonnenuhr:
"Jede
Form opfert sich, um eine andere, unmittelbar folgende Form hervorzubringen.
Das ist der menschliche Geist. Er hat sogar die Gabe, sich zurückschauend
so weit zu korrigieren, dass nichts, obwohl es nun der Vergangenheit angehört,
als feststehend angesehen werden kann. Die Photographie hingegen fixiert und
kristallisiert die Realität.
Sie saugt in gewisser Weise dem Lebensfluss selbst das Blut aus und gibt als
Leben aus, was nicht mehr Leben ist."
Wie schon die alten R ömer
wussten: Mundus vult decipi,
"Die
Welt will betrogen werden." Doch angelogen werden wollen wir deswegen
trotzdem nicht. |
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