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Von
Reinhold Wagnleitner |
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"Be disobedient – wherever and whenever it is necessary." (Henry David Thoreau) Das Phänomen der Globalisierung ist gewiss viel älter, als viele Menschen heute annehmen. Die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems wurde von Immanuel Wallerstein und Fernand Braudel bereits vor Jahren auf eindrucksvolle Weise analysiert.(1) Die Entstehung der modernen globalisierten Welt kann eindeutig mit dem atlantischen Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika, Nord- und Südamerika – in dem der Sklavenhandel eine entscheidende und unrühmliche Rolle spielte – und den zunehmenden Handelsbeziehungen mit Asien seit dem 16. Jahrhundert datiert werden. Zweifellos hat die Globalisierung in den letzten fünfhundert Jahren durch den europäischen Kolonialismus maßgeblich an Beschleunigung gewonnen, um sich dann besonders in den letzten fünfzig Jahren unter der militärischen, politischen, ökonomischen und kulturellen Führung der USA mit immer rasenderer Geschwindigkeit weiter zu entfalten. Der Begriff der Globalisierung ist allerdings viel jüngeren Datums. Er entspricht in seinem scheinbar ideologiefreien Charakter der Hochglanz-Ästhetik der modernen Public Relations Strategien des Turbokapitalismus. Denn eine genaue Analyse seiner strukturellen Widersprüche, die vor allem in der ständigen Vergrößerung der Schere zwischen arm und reich gipfeln, beweist, dass es sich bei dem Phänomen der Globalisierung auf dem Gebiet der Ökonomie und der Kultur um nichts anderes als um (Neo-)Kolonialismus bzw. (Neo-)Imperialismus handelt.Denn die Agenda des Freien Marktes schafft ja noch lange keine freien Märkte, sondern nur solche im privaten Besitz, und das ist doch eine vollkommen andere Prämisse. Genau so wie es sich bei dem Begriff Deregulierung nur um ein Code-Wort handelt, also um die Verschleierung der dahinter liegenden, ständig zunehmenden, legalisierten sozialen Unverantwortlichkeit der Großkonzerne. Es dürfte als bekannt voraus gesetzt werden, dass in den letzten zwei Dekaden des immer weniger von gesetzlichen und politischen Regulierungen behinderten "Neo-Liberalismus" die Ungleichheiten extrem verstärkt wurden. Während 1960 das Einkommen jener 20 %, die in den reichsten Ländern der Welt lebten, 40mal so hoch war als das der 20% in den ärmsten Staaten, war es 1995 bereits 82mal höher.(2) Langfristig gesehen ging die Schere zwischen Armen und Reichen wie folgt auseinander:
1820: 3 zu 1
Das Bruttosozialprodukt der 48 ärmsten Staaten lag 2001 unter dem kombinierten Reichtum der drei reichsten Personen der Welt. Rechnet man den Besitz der 497 im Jahre 2001 registrierten Milliardäre zusammen, dann kommt man auf eine Summe von 1,54 Trillionen Dollar. Das Bruttosozialprodukt aller Staaten südlich der Sahara macht dagegen nur 929,3 Milliarden Dollar aus, ja selbst das der ölreichen Staaten des Nahen Ostens und von Nord Afrika zusammengenommen lag mit 1,34 Trillionen Dollar noch darunter. Diese 497 Milliardäre besitzen insgesamt also mehr als die ganze arme Hälfte der Menschheit insgesamt, immerhin mehr als drei Milliarden Menschen. Eine Milliarde Menschen starteten als Analphabeten ins 21. Jahrhundert. Weniger als ein Prozent der globalen Rüstungsausgaben reichten aus, um jedem Kind der Welt Schulbildung zukommen zu lassen. Von den 100 Prozent der reichsten Einheiten der Welt sind nun 51 Prozent Unternehmen, Staaten nur mehr 49 Prozent. Die reichste Nation der Erde, die USA, haben nun auch den größten Unterschied zwischen arm und reich von allen Industrienationen. 20 Prozent der Weltbevölkerung in den Industriestaaten konsumieren 86 Prozent aller Güter. 12 Prozent der Menschheit verbrauchen 85 Prozent des Trinkwassers, und diese Liste ließe sich noch lange weiter führen.(3) Der Herausgeber der Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, liegt daher wohl nicht ganz falsch, wenn er die Globalisierung als Politik des Hungers kennzeichnet.(4) Allen am Phänomen der Globalisierung Interessierten sei das Buch Vanishing Borders zur Lektüre empfohlen.(5) Die Autorin Hilary French, die am Worldwatch Institute in Washington das Global Governance Project leitet, legt mit dieser hervorragend recherchierten und gut lesbaren Studie eine der besten Einführungen zum Themenkomplex Globalisierung und Umwelt vor.(6) Unbehagen an der Globalisierung Für alle, die sich immer wieder fragen, was es mit den ständigen Demonstrationen bei den Treffen der Welthandelsorganisation und mit dem wachsenden Unbehagen an der Globalisierung auf sich habe, bietet Frenchs Studie einen ausgezeichneten Einstieg. Sie stellt akribisch dar, wie die rasante Zunahme des internationalen Handels, Waren- und Dienstleistungsaustausches auch alle Umweltfragen internationalisierte, mit massiven Eingriffen in die Bereiche der Öko- und Biosphäre. Schon ein kurzer Blick auf die von Hilary French eindrucksvoll zusammengestellten ökonomischen Basisindikatoren gibt eine bemerkenswerte Übersicht über einige der wichtigsten zeitgeschichtlichen Veränderungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Indikatoren Welthandel Zwischen 1950 und 1998 stieg der Güterexport 17fach, von 311 Milliarden auf 5.400 Milliarden Dollar, während sich die Wirtschaft global nur versechsfachte. Besonders bemerkenswert: auch der Export von Dienstleistungen stieg ständig, von 467 Milliarden Dollar 1980 auf 1.300 Milliarden 1997. Diese Ausfuhr von Dienstleistungen macht daher bereits ein Fünftel des totalen Welthandels aus. Private Investitionen und Kapitalströme Zwischen 1970 und 1998 stiegen weltweit direkte Auslandsinvestitionen von 44 Milliarden auf 644 Milliarden Dollar. Der Kapitalstrom in die Entwicklungsländer alleine ver-11-fachte sich zwischen 1970 und 1998 von 21 auf 227 Milliarden Dollar. Ein Trend ist dabei besonders aufschlussreich: der Anteil des Privat-Kapitals, das in dieser Zeit in die "Entwicklungsländer" floss, verdoppelte sich und beträgt nun bereits 88 Prozent am Gesamtvolumen. Transnationale Konzerne Von 1970 bis 1998 wuchs global die Anzahl transnationaler Konzerne von ca. 7.000 auf geschätzte 53.600, mit ungefähr 449.000 ausländischen Tochterfirmen. Das Verkaufsvolumen der transnationalen Konzerne außerhalb ihrer Ursprungsländer wächst um 20 bis 30% schneller als ihre Exporte, und die Verkaufszahlen und Dienstleistungen der ausländischen Tochterfirmen, die 1997 auf 9.500 Milliarden Dollar geschätzt wurden, übertreffen die Gesamtsumme der weltweiten Exporte bereits um fast 50%. Schiffsverkehr Zwischen 1955 und 1998 erhöhte sich die Tonnage von per Schiff transportierten Gütern um das sechsfache auf 5.100 Milliarden Tonnen. Außerdem sanken die Schiffstransportkosten pro Einheit zwischen 1920 und 1990 um 70% (in 1990 Dollar). Luftverkehr Zwischen 1950 und 1998 nahmen die internationalen Passagier-Kilometer um fast das 100fache, von 28 Millionen auf 2.600 Milliarden, zu. Auch die Luftfracht wies in diesem Zeitraum mit einem Anwachsen von 730 Millionen auf 99 Milliarden Kilometer-Tonnen eine ähnlich expansive Entwicklung auf. Dagegen fielen die durchschnittlichen Profite pro Meile Lufttransport zwischen 1930 und 1990 von 65 auf 11 Cent. Tourismus Zwischen 1950 und 1998 stieg der internationale Tourismus um das 25fache, von 25 auf 635 Millionen. Ca. zwei Millionen Menschen überqueren heute (legal) internationale Grenzen, während es dazu im Vergleich 1950 nur 69.000 Menschen gewesen waren. Flüchtlinge Zwischen 1961 und 1998 wuchs die internationale Zahl der von der UNO anerkannten Flüchtlinge um das 16fache, von 1,4 auf 22,4 Millionen Menschen. Heute beträgt die totale Zahl der Flüchtlinge, inklusive aller versetzter Personen, Asylwerber und flüchtlingsähnlicher Personen, weit über 56 Millionen Menschen (die Dunkelziffer mag weit höher liegen). Telefone Zwischen 1960 und 1998 stieg die Zahl der Telefonanschlüsse im globalen Netzwerk (ohne mobile Telefone) um das achtfache, von 89 auf 838 Millionen. In den Entwicklungsländern nahm die Zahl der Anschlüsse pro 100 Einwohnern von einem im Jahre 1975 und zwei im Jahre 1985 auf sechs im Jahre 1998 zu. Dagegen sanken die durchschnittlichen Kosten eines dreiminütigen Telefonates zwischen New York und London von 244,65 Dollar im Jahre 1930 auf 3.32 Dollar im Jahre 1990 (in 1990 Dollar). Internet/Computer Seit 1995 wuchs das Internet ungefähr um 50% pro Jahr, nachdem es sich bereits in den 15 Pionierjahren vorher jedes Jahr mehr als verdoppelt hatte. Waren 1996 30 Millionen Menschen online, so sind es Ende 2002 mehr als 665 Millionen. (Siehe dazu auch unten stehende Tabelle!) Allerdings sind das noch immer erst zehn Prozent der Weltbevölkerung.(7) Und die riesigen regionalen Missverhältnisse bei den unterschiedlichen Online-Dichten dokumentieren zwar, dass das World Wide Web tatsächlich ein weltweites Netz darstellt. Dieses Netz, in dem sich einerseits manche fangen lassen, hat andererseits aber bislang die große Mehrheit der Weltbevölkerung ausgeschlossen. Und dieser Zustand wird sich auch, trotz rasanten Wachstums in China und Brasilien, nicht so rasch ändern. Ein Beispiel möge genügen: in ganz Afrika südlich der Sahara existieren weniger Telefonanschlüsse als in Manhattan. Nongovernmental Organizations (NGOs) Den von der Globalisierung produzierten Missständen nehmen sich immer mehr regierungsfreie Organisationen an. Denn auch die Zahl der NGOs (die zumindest in drei Ländern operieren) wuchs zwischen 1956 and 1998 23fach, von nur 985 auf geschätzte 23.000. Mittlerweile hat der Non-Profit-Sektor in zahlreichen Staaten immerhin einen Anteil von durchschnittlich 5-6% der nationalen Wirtschaft und beschäftigt 5% aller Beschäftigten. Der Zustand der Welt 2002 Das Worldwatch Institute zählt selbstverständlich selbst zu den führenden NGOs. Sein soeben publizierter Zustandsbericht der Welt 2002 dokumentiert nicht nur wie der wirtschaftliche Boom der letzten Dekade immer mehr Ökosysteme gefährdet. Er zeigt auch, dass die sichtbare Verschlechterung der Umweltsituation nur die Spitze des Eisberges noch viel gefährlicher Probleme darstellt: nämlich der rapide wachsenden Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des Wohlstandes und der Einkommen zwischen verschiedenen Regionen und innerhalb einzelner Staaten ebenso, wie des dadurch entstehenden massiven Druckes in Richtung gewaltsamer Veränderungen (bzw. deren ebenso brutaler Verhinderung).(8) Der "Krieg gegen den Terror" wird jedenfalls die Ursachen der Gewalt nicht beseitigen. Ganz im Gegenteil: er wird den Boden für eine tatsächlich noch rasantere Globalisierung von weit mehr Hass, Armut, Gewalt und Leid vorbereiten. Last, but not least, sei hier noch auf die globalen Veränderungen im Rüstungsbereich hingewiesen. Stieg doch der Marktanteil der USA am Gesamtvolumen des weltweiten Waffenhandels von 25 Prozent im Jahre 1984 auf über 30 Prozent 1989, um sich schließlich am Beginn des 21. Jahrhunderts zwischen 50 und 60 Prozent einzupendeln. So verkaufte bzw. verschenkte die US-Regierung alleine zwischen 1993 bis 1997 Waffen im Werte von 190 Milliarden Dollar. Pikantes Detail am Rande: nicht nur wurden dabei häufig gegnerische Parteien bis an die Zähne bewaffnet, sondern auch die große Mehrheit jener Staaten, in denen Terroristen leicht an diese Ausrüstung heran kommen können. Es ist ja kein Geheimnis, dass sowohl die Gruppe um Osama bin Laden, als auch Saddam Hussein in erheblichem Ausmaß Geschöpfe der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika sind.(9) Die Globalisierung des Welthandels bedeutet also auch eine Intensivierung des globalen Waffenhandels und der globalen Konflikte.(10)
Virtuelle Globalisierung im World Wide Web Wenn wir uns fragen, warum uns die freien Medien der freien Welt nicht genauer über diese Praktiken informieren, dann sollten wir zunächst einmal bedenken, dass diese Infotainment-Konzerne die Sprachrohre exakt jener Firmen sind, die am meisten von der Globalisierung profitieren. So lange die Hauptaufgabe unserer Medien-Firmen in der Anhäufung von Geld besteht, um mit Matthew Priestley zu sprechen, "sollte es eigentlich Niemanden überraschen, dass das Trachten nach wahrer Information vom Streben nach Geld ersetzt wird."(11) Und die Kulturen sind von der Globalisierung der Medien besonders stark betroffen. Handelte es sich bei der US-Medienindustrie schon in der jüngsten Vergangenheit um die tatsächlich globale Schwerindustrie (und bei Hollywood um die wichtigste Bildungseinrichtung) des 20. Jahrhunderts, so werden in Zukunft vorwiegend der intelligente und kreative Umgang mit dem Internet für alle Staaten und Kulturen darüber entscheiden, ob dem zu Ende gehenden amerikanischen Jahrhundert sogleich noch ein zweites folgen wird. Schließlich hatte Wernher von Braun schon in den 1950er Jahren darauf hingewiesen, dass sich in Zukunft die Fantasie ziemlich beeilen müsse, wenn sie die Realität einholen wolle. Globalisierung der Kommunikation In den letzten zwei Dekaden waren wir Zeugen dramatischer Veränderungen am Kommunikationssektor. Bei allen Erfolgen der US-Medienkonzerne, war das Kommunikationswesen bis zum Ende der 1980er Jahre weltweit noch vorwiegend national geregelt. Zweifellos haben einerseits die jüngsten technologischen Entwicklungen ebenso zu dieser Dramatik beigetragen. Andererseits waren auch bei den inneren Strukturen des Infotainment Business riesige Veränderungen zu beobachten. Der Niedergang der Sowjetunion machte zum ersten Mal einen tatsächlich weltweiten Kommunikationsmarkt erst wirklich möglich. Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass zu diesen Entwicklungen die neo-liberale Politik – ursprünglich aus den USA und Großbritannien kommend – in den letzten zwei Dekaden den Trend der "Globalisierung" der Medienlandschaft entscheidend beeinflussten. Denn es bedarf ja keiner großen Beobachtungsgabe, um festzustellen, dass das demokratische Potential des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens in den 1990er Jahren, überall dort extrem beschnitten wurde, wo ihm das US-Modell des Privatfernsehens, also der institutionelle Rahmen des freien Marktes, übergestülpt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob das Internet auch diesem Trend folgen wird und seine Infrastruktur – in den ökonomisch entscheidenden Bereichen – auch unter die Kontrolle privater Konzerne kommen wird, deren Besitzrechte dann als quasi-natürlich und unveränderbar angesehen werden. Gerade im Bereich der Medienwelt hatten Reaganomics und Thatcherism einen ungeheuren Einfluss auf die Deregulierung, die dadurch zum globalen Standard der transnationalen multinationalen Konzernwirtschaft wurde.(12) Die 1990er Jahre repräsentieren daher den bedeutendsten Einschnitt im Bereich der globalen Kommunikation. Trotz der immensen Macht der US-Medien nach dem Zweiten Weltkrieg waren die meisten Mediensysteme bis in die 1980er Jahre vorwiegend national ausgelegt. Die Entwicklung eines tatsächlich globalen kommerziellen Medienmarktes muss daher unvorhersehbare Konsequenzen haben. Und diese Konsequenzen der Hegemonie der globalen kommerziellen Medienkonzerne werden durchaus nicht nur im Bereich der Wirtschaft spürbar werden, sondern natürlich auch im Bereich der Politik und Kultur.(13) Dieses System wird nun bereits von weniger als zehn transnationalen Konzernen kontrolliert, wodurch der traditionell oligopolistische Markt immer weiteren Konzentrationsprozessen unterliegt. Kampf um die Meinungsmacht Wir sind gerade Zeugen eines noch nie da gewesenen Kampfes um die Kontrolle des elektronischen Handels, des Televisions- und Kabelbereiches, der digitalen Telefon-Technologie und der Satelliten-Technologie. Multinationale Medien-, Software-, Telefon- und Elektrizitätskonzernen sind die globalen Spieler, und sie sorgen seit dem Beginn der 1990er Jahre für die größten Wirtschaftstransaktionen der neueren Geschichte überhaupt. Ob im Bereich des Fernsehens, bei Video und Kino, bei CD-ROMs, DVDs, oder beim Internet: hier wird tatsächlich kein Stein auf dem anderen bleiben, denn die Konzerne, die in Zukunft die Datennetzwerke kontrollieren werden, üben damit auch die Kontrolle über alle Datenflüsse des 21. Jahrhunderts aus – ob es sich dabei um politische Informationen, Geld, Waren oder Kulturgüter handeln wird. Neben der Attraktivität der US-Popkultur für die Jugend ist die Globalisierung des US-Modells auf die enorme ökonomische und militärische Macht der USA und der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs konsequent durchgezogenen globalen Medienpolitik zurückzuführen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion ließ alle Schranken fallen, und das US-Modell eines von Privatinteressen kontrollierten Medienbereichs wurde überall als exklusive archetypische Organisation der weltweiten Medienstrukturen angewandt. Über viele Jahre puschten die Regierungen der USA – in Zusammenarbeit mit einigen Verbündeten – einerseits eine globale Politik der Durchsetzung privat strukturierter, offener, neoliberaler Wirtschaften und nichtstaatlicher, marktgestützter Mediensysteme. Andererseits unternahmen sie größte Anstrengungen, um alle Systeme, die den freien Markt behinderten, auf globaler Basis zu destabilisieren. Die wichtigsten Pfeiler dieser Politik waren: die komfortable Hegemonie der US-Kulturindustrie, deren unbestrittene Wettbewerbsvorteile in allen Bereichen des Kommunikationswesens, sowie die Attraktivität der Produkte des US-Infotainment. Auf diesem sicheren Kissen ruhend, insistierten alle US-Regierungen seit 1945 immer wieder darauf, dass nicht nur alle Kommunikationsmärkte im weltweiten Rahmen geöffnet, sondern darüber hinaus auch privatisiert werden müssten – mit dem Resultat der globalen Erosion des öffentlichen Raumes.(14) Dies führte schließlich zu immensen Wettbewerbsvorteilen für die führenden Mediengiganten. Denn die ungeheueren Synergie-Effekte entstehen durch horizontale und vertikale Integration, in der alle Teilbereiche vernetzt sind: vom Filmstudio bis zum globalen Televisionsnetz, vom Internet-Betreiber bis zum Nachrichtensatelliten, von der Kontrolle über Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlage bis hin zu Public-Relations-Firmen, Meinungsumfrageinstituten und Reklamebüros, von Theme Parks bis zu Trend-Sport-Veranstaltungen, vom Kinderspielzeug bis zum Geschenksartikel. Diese Synergie ist tatsächlich global, und sie bedeutet nicht weniger als dass die Dominanz in der Politik die Hegemonie im Bereich der politischen Information unterstützt. Diese resultiert wiederum in der Dominanz im Bereich der populären Kultur, die ihrerseits wieder die Hegemonie im Bereich der Technologie verstärkt. Dies untermauert dann wiederum die Hegemonie im Bereich des Journalismus – vom Inhalt zum Stil –, wodurch die Dominanz der englischen Sprache weiter gefördert wird.(15) Und so weiter, oder ist es doch andersrum? Jedenfalls geht im Empire of the Fun die Sonne nie unter. Das Internet als (gar nicht so) virtuelles Schlachtfeld der Weltwirtschaft Das Internet hat sich also zu dem entscheidenden (Cyber-)Raum entwickelt, in dem die ökonomische, kulturelle, politische und militärische Konkurrenz im globalen Maßstab Statt findet. Dadurch wurde der Spieleinsatz für die Zukunft der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten, ihren Gegnern sowie ihren Alliierten enorm erhöht. Schließlich bezeichnete selbst Präsident Bill Clinton das Internet in selten praktizierter Offenheit nicht umsonst als das "Schlachtfeld für den ökonomischen Weltkrieg", den Amerika zu gewinnen gedenke.(16) In diesem Konflikt, der von den meisten Europäern noch nicht einmal registriert wurde, haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Vereinigten Staaten noch einen großen Vorsprung, der sich auf Grund der immensen Aufrüstung seit Amtsantritt der Administration George W. Bush, insbesondere nach den Terrorattacken vom 11. September 2001, auch auf dem Gebiet der Führung eines Cyberwar noch bedeutend vergrößerte. Das Internet und seine Beherrschung - in jedem Sinne des Wortes - wird bei der zukünftigen Interpretation der Welt eine herausragende Rolle spielen. Das Internet wird nicht nur Informationen in Sekundenschnelle global verbreiten, es wird auch Geschichte machen. Wir müssen bereits jetzt davon ausgehen, dass das Internet von ähnlich säkularer Bedeutung ist wie die Erfindung des Buchdrucks. Dabei muss außerdem beachtet werden, dass es sich beim Internet nicht nur um die größte Maschine, sondern auch um die größte militärische Maschine, die je von Menschen gebaut wurde, handelt. Dabei spielt natürlich neben der Information die Desinformation eine sicher nicht weniger wichtige Rolle. Außerdem wird das Internet zur nationalen, internationalen, ja globalen Überwachung eingesetzt.(17) Die kombinierten totalen Überwachungsmaßnahmen, die sich aus der Verabschiedung des U.S. Patriot Act, dem Homeland Security Department und der Information Awareness Agency für die nationale und internationale Überwachung aller elektronisch gespeicherter bzw. vermittelter Informationen ergeben, lassen wohl nicht nur Big Brother vor Neid erblassen.(18) Der Kampf um die Bildung Bereits im Juli 1999 warnten die Vereinten Nationen vor einer weiteren rasenden Verschärfung der Ungleichheiten im Rennen um die wichtigste Ressource des 21. Jahrhunderts - Bildung und Wissen. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, Software und die Entschlüsselung genetischer Codes haben am Anfang des 21. Jahrhunderts längst jenen Platz eingenommen, der früher der Suche nach Gold, der Eroberung von Ländern und der Herrschaft über Maschinen als sicherer Weg zur wirtschaftlichen Macht reserviert war.(19) Die großen Wirtschaftskonflikte des 21. Jahrhundert werden sich besonders auf einen völlig neuen Markt konzentrieren: auf Bildung und Wissen. Die großen Infotainment-Konzerne erwarten auf diesem Markt – Stichworte: Distance Learning und Digital Education - bereits in den nächsten zehn Jahren Zuwächse des Gesamtgewinns im Ausmaß von 30 bis 40 Prozent. Um diesen riesigen Markt finden in der gegenwärtigen Runde der GATS-Verhandlungen Machtkämpfe zwischen den US-Giganten und den europäischen Zwerg-Produzenten statt, die alles bisher da gewesene in den Schatten stellen.(20) Dass die World Trade Organisation diese Gespräche exakt zu Beginn des neuen Jahrtausends einberief hat mehr als symbolische Bedeutung für den entscheidenden wirtschaftlichen Kampf um die wichtigste Ressource der Menschheit: die Bildung. Mit Ausnahme von Rüstungsexporten (und Rauschgift) lässt sich auf keinem anderen Gebiet der Weltwirtschaft so viel Geld verdienen. Eine entscheidende Rolle in dieser Auseinandersetzung wird das Internet spielen. Es ist das am schnellsten wachsende Kommunikationsmittel in der gesamten Geschichte der Menschheit. Zweifellos handelt es sich beim Internet einerseits um den größten Hype der Menschheitsgeschichte. Es steht andererseits allerdings auch außer Zweifel, dass Informations- und Kommunikations-Technologie an sich hervorragende Mittel sind, um auch in bisher ökonomisch weniger entwickelten Regionen ökologisch verträgliches Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Indiens Produktion von Software, Irlands Computer Dienste und die karibischen Datenverarbeitungsnetze führen dies gerade deutlich vor. Und solche Chancen bestehen für jede Region. Die Habenden und die Habenichtse – diese Kluft ist nicht virtuell Trotzdem: gerade die große Mehrheit derjenigen, die den Anschluss am meisten benötigen, bleibt weiter vollkommen ausgeschlossen. Das World Wide Web verbindet eben nicht nur, es trennt auch noch mehr als andere Parameter der Abhängigkeiten. Eine weitere unsichtbare Kluft ist im Entstehen, die tatsächlich durch ein weltweites Netz dargestellt wird, und zwar durch ein Netz, das auf der einen Seite noch mehr verbindet und die Habenden noch weiter zusammenfügt und hochzieht, während es andererseits still und leise die anderen, die draußen Gebliebenen, noch tiefer absinken lässt. Das Bild hat aber auch noch eine andere Seite. Denn: Ob die im Netz gefangenen tatsächlich frei sind, das ist eine andere Frage. Der Unterschied zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen nimmt jedenfalls in beängstigender Geschwindigkeit zu. Außerhalb der OECD-Staaten haben überhaupt nur Bruchteile von einem Prozent der Menschen Zugang zum Internet. Die OECD steht für 19 Prozent der Weltbevölkerung (Europa, Nordamerika, Japan, Australien, Neuseeland, Finnland, Mexiko, die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Südkorea). Man kann daher auch feststellen, dass das World Wide Web für die überwältigende Mehrheit der Menschheit überhaupt nicht existiert, dass also die Welt überhaupt nur für eine ganz spezielle Klasse von Menschen global ist: für eine Art globaler Mittelschicht. Der "Rest" taucht überhaupt nur als Opfer von Kriegen, Revolutionen und Naturkatastrophen in unserem Bewusstsein auf.(21) Wenn kaum ein Promille der Afrikaner Zugang zum Internet hat muss sich die Frage ja geradezu aufdrängen, für wen denn das World Wide Web weltweit ist. Die hohen Wachstumsraten sind daher im tatsächlichen weltweiten Denken kaum mehr als Reklame-Hype der Medien-Industrie, wenn ein Drittel der Weltbevölkerung keinen Stromanschluss und die Hälfte der Menschheit noch nie telefoniert hat. Zudem ist äußerst fraglich, ob und wie das Web den vier Milliarden politisch und wirtschaftlich Ausgeschlossenen dieser Welt helfen kann. Was nützt denn die schönste Homepage, wenn die Hälfte der Menschheit kein sauberes Wasser hat und täglich mehr als 40.000 Kinder verhungern? (22) Und was tun, wenn ein Modem mehr kostet als eine Kuh?(23)Und was, wenn man sich beides nicht leisten kann? Das World Wide Web erspart jedenfalls eines nicht: wirklich global zu denken – und lokal zu handeln. Vom Verschwinden der Grenzen ... Vanishing Borders: Protecting the Planet in the Age of Globalization so lautet der Titel des explosiven Buches von Hilary French. Also: Das Verschwinden der Grenzen: Die Beschützung des Planeten im Zeitalter der Globalisierung. ... zum Aufzeigen der Grenzen. Vanishing Borders: Die Grenzen zwischen den Staaten mögen immer mehr an Bedeutung verlieren und verschwinden. Eine solche Entwicklung hätte, intelligent geplant, demokratisch durchgeführt, auf Nachhaltigkeit und Ausgleich bedacht, die Vielfalt der Kulturen und Arten berücksichtigend, das menschliche Maß beachtend, selbstverständlich auch mannigfache Vorteile. Uns Menschen, der Flora und Fauna der Erde werden aber durch die wachsende, selbstverschuldete Ohnmacht und Hilflosigkeit der Politik bei gleichzeitig steigender Einflussnahme und Gewalt der Ökonomie durch das rücksichtslose Niederreißen der den Profiten der Großkonzerne noch entgegenstehenden sozialen und ökologischen Hürden immer rascher und brutaler unsere eigenen Grenzen aufgezeigt. Der Salzburger Philosoph und Nationalökonom Leopold Kohr hat mit seinen Studien zum Ende der Großen und seinem Beharren auf dem menschlichen Maß eine Alternative aufgezeigt, für die er 1983 mit dem alternative Nobelpreis (Right Livelihood Award) ausgezeichnet wurde.(24) Das Worldwatch Institute bietet allen am Problem der Globalisierung Interessierten eine große Zahl von Studien, Statistiken und anderer Informationen. Viele der von diesem weltweit führenden Umweltinstitut in den letzten Jahren produzierten Untersuchungen können gratis online gelesen werden.(25) Es liegt an jedem einzelnen Menschen selbst, sich zu informieren und von einem grundlegenden Menschenrecht, dem Recht auf Widerstand Gebrauch zu machen.
(http://www.etforecasts.com/pr/pr1202.htm) |