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Wieso verteidigen die Bauern nicht ihr Eigenes?

Es gibt auf dem Land etwas zu verteidigen! "Und im Gegensatz zur verbreiteten
Sicht, sowohl in der Wissenschaft wie im ländlichen Denken, bäuerlich-handwerkliche
Elemente als noch existierend, aber dem Untergang geweiht, zu betrachten, glaube ich an
die dynamische Kraft derselben: die Haus-Hof-Wirtschaft auf den Betrieben; die
landwirtschaftliche Kreislaufwirtschaft, die vielfach anzutreffen ist; die bäuerlichen
Mischbetriebe; das Lebensmittelhandwerk des Landes; die handwerklich orientierten
Fleischereien, Polstereien, Schreinereien; die gegenseitigen Hilfeleistungen; usw.,
alles das sind Elemente, deren Verschwinden man nicht einfach hinnehmen,
sondern gegen deren Verschwinden man sich wehren sollte!

Von Veronika Bennholdt-Thomsen
(01. 07. 2005)

...



Veronika Bennholdt-Thomsen
itps@tgkm.uni-bielefeld.de

Ethnologin und Soziologin,
hat lange Jahre in Mexiko
gelebt und geforscht. Sie ist
Leiterin des außeruniversitären
"Instituts für Theorie und Praxis
der Subsistenz, e.V.", Bielefeld
und Honorarprofessorin an der
Universität für Bodenkultur,
Wien.

 Publikationen

There is an Alternative:
Subsistence and Worldwide Resistence to Corporate Globalization, hrsg. Zusammen mit Nicholas Faraclas u. Claudia von Werlhof, Zed Books, London/New York 2001;

FrauenWirtschaft. Juchitán – Mexikos Stadt der Frauen, zusammen mit Mechtild Müser und Cornelia Suhan, Frederking und Thaler Verlag, München 2000;

Das Subsistenzhandbuch.
Widerstandskulturen in Europa, Asien und Lateinamerkika, hrsg. zusammen mit Brigitte Holzer und Christa Müller, promedia Verlag, Wien 1999;

Eine Kuh für Hillary.
Die Subsistenzperspektive, zusammen mit Maria Mies, Verlag Frauenoffensive, München 1997.
...

 

(c) Cornelia Suhan

"Wir wollen weder
wachsen noch weichen
"

Der Betrieb von Birgit und Franz Conze ist ein mittlerer Mischbetrieb, 60 ha groß, mit "nur" 25 Milchkühen und 150 Schweinen. Ginge es nach der Landwirtschaftskammer, würde es einen solchen Betrieb wie den ihren längst nicht mehr geben. Als Franz Conze 1988 dem Berater der Landwirtschaftskammer ihren Plan unterbreitet, einen Boxenlaufstall für "nur" 25 Kühe zu bauen, meint dieser, er solle entweder "richtig" investieren - sprich Kontingent für mindestens 60 Tiere kaufen - oder den Hof im Nebenerwerb bewirtschaften. Dreizehn Jahre nach dieser düsteren Prognose sind sie "immer noch da", wie Birgit Conze triumphierend feststellt.

Wieso ihr Hofkonzept funktioniert? Darauf haben Conzes verschiedene Antworten:

- Sie sind "ein Clan": Es gibt Brüder, Cousins, Tanten und die Schwiegermutter, die mitmachen und aushelfen.

- Es ist eine Frage der Lebenseinstellung: "Wenn sie mit dem Einkommen zufrieden wären", sagt Franz Conze, könnten auch andere so wirtschaften. Birgit Conze meint, es komme auch auf die jeweiligen Voraussetzungen an: Immerhin hätten sie einen schuldenfreien Betrieb übernommen, und dann hätten sie die Handwerker in der Familie.

- Sie haben sich immer dagegen entschieden, ihr Milchkontingent weiter aufzustocken. Das erhöht nur unnötig die Produktionskosten, sind sie überzeugt, und dann arbeitet man zuviel für zu wenig Geld. Ihre Kosten sind viel geringer als die Kosten derjenigen, die hohe Zinsbelastungen haben, weil sie Kontingent zugekauft haben.

- Sie haben nicht nur die Kühe, sondern auch noch andere Standbeine, erklärt Franz Conze. Sie haben Getreide, Zuckerrüben und Schweine.

- "Wir leben aus unserem Garten, wir brauchen nicht viel Geld", sagt die Schwiegermutter. Conzes ist wichtig, sich mit möglichst vielen Sachen selbst versorgen zu können. Was Milch, Eier und Fleisch angeht, sind sie komplett unabhängig, Butter und Käse, Obst und Gemüse, Marmelade und Saft kommen dazu. An Lebensmitteln kaufen sie nur wenig zu.

Daß ihre Art zu wirtschaften der Gemeinschaftlichkeit nützt, der familiären wie der dörflichen, ist offensichtlich: Wäre ihr Hof anders organisiert, hätten die Verwandten weniger Grund vorbeizuschauen. Würden sie, um ein höheres Einkommen zu erzielen, zusätzliches Milchkontingent kaufen, müßten sie unverhältnismäßig mehr arbeiten und hätten nicht mehr so viel Zeit, sich für die Dorfgemeinschaft zu engagieren, wie sie es jetzt beide tun. (Interview: Andrea Baier)

 

(c) Cornelia Suhan

"Die wollten mich umsetzen in der Firma: Mehr Bezahlung und öfter mal Überstunden. Aber was soll ich damit? Ich brauche die Zeit für meine Tiere, ja, und zuallererst für die Familie und dann den Musikverein, den Angelverein ..."

Reiner Dohmann, genannt "Thomes" stammt aus einer alten Borgentreicher Familie. Seine Eltern führten den letzten Lebensmittelladen des Ortes. Ein paar Morgen Land gehörten natürlich auch dazu. Die sind seit langem verpachtet.

Reiner Dohmann arbeitet bei einem Zulieferer der Autoindustrie im nahegelegenen Warburg im Lager. Als man ihm eine höher dotierte Stelle anbot, winkte er dankend ab, obwohl er als Vater von inzwischen drei Kindern das Geld gut hätte brauchen können. Die Überlegung war so einfach wie unüblich im heutigen Deutschland. Wieso sollte er sich noch stärkerer Belastung am Arbeitsplatz aussetzen, wenn er seine Kraft und Zeit anderweitig "gewinnbringender" einsetzen kann.

Damit ist kein monetärer Gewinn gemeint, sondern die Befriedigung durch die Feierabendbeschäftigung mit den eigenen Gänsen, Hühnern, Enten und Puten, an der sein Herz hängt. Und die ihm, dem Feinschmecker und seiner Familie eine Tafel erlaubt, die sie sich sonst bestimmt nicht leisten würden. Die Freunde, Nachbarn, Kollegen nicht zu vergessen, deren Gaumen auch davon profitiert.

Denn die Tiere haben natürlich viel Auslauf und werden mit Biokörnern gefüttert, versteht sich. "Und das schmeckt man!"

Für sein Sozialprestige braucht Reiner Dohmann die Beförderung und das Geld auch nicht. Im Gegenteil, sie würden ihm nicht mehr erlauben, mit demselben Einsatz im Anglerverein, im Musikverein (als Klarinettist) mit all seinen kirchlichen und gemeindlichen Aktivitäten dabei zu sein, genauso wenig wie in der Parteipolitik. "Thomes" Reiner tut nicht nur viel für die Gemeinschaft, er wird dafür auch entsprechend geachtet und geliebt. Dieses Ansehen kann ihm kein noch so gut bezahlter Job verschaffen. (Interview: Veronika Bennholdt-Thomsen).

 

 

(c) Cornelia Suhan

"So viel wie andere Frauen mit einer Halbtagsstelle, erwirtschafte ich auch."

Heike Schäfer-Jacobi kam, wie sie sagt, relativ unbedarft zur Landwirtschaft. Sie hatte einen Beruf gesucht, in dem man körperlich arbeitet und an der frischen Luft. Weil sie keinen bäuerlichen Familienhintergrund hat, will sie zunächst die praktische landwirtschaftliche Ausbildung absolvieren.

Auf einem Betrieb in Körbecke, der gerade in der Umstellung begriffen ist, trifft sie das Richtige und bald auch "den Richtigen". Sie hängt ihre Studienpläne an den Nagel und heiratet den Bauern auf dem Hof.

Heike Schäfer-Jacobi verliert keine Zeit, sich ihren eigenen Bereich auf dem Betrieb zu schaffen.

In bezug auf ihren Käse kann sie schalten und walten, wie sie will. Da redet ihr niemand rein, das ist komplett ihre Sache. Sie verarbeitet in der Woche so viel Milch, daß sie damit Hofladen und Verkaufswagen bestücken kann. Sie hat das mal ausgerechnet, sagt sie, so viel wie andere Frauen mit einer Halbtagsstelle, erwirtschaftet sie auch. Sie könnte noch mehr Käse verkaufen, aber dann müßten sie jemanden einstellen, und das will sie eigentlich nicht. Eigentlich möchte sie es lieber selber machen, als darauf achten zu müssen, daß es eine andere so macht, wie sie es haben will.

Sie vermarktet den Käse auch selbst. Den eigens dafür angeschafften Verkaufswagen mit Fleisch- und Wurstwaren und einem reichhaltigen Käseangebot betreiben sie in Erzeugergemeinschaft mit einem anderen Biobetrieb. Einmal in der Woche fährt sie auf den Markt, dreimal ihre Kollegin. Außerdem hat sie Donnerstag- und Freitagnachmittag ihren Hofladen geöffnet, wo es Brot, Käse und Fleisch gibt, zusätzlich zum üblichen Bioladen Sortiment. Für das hofeigene Fleisch hat sie mittlerweile einen festen Kundenstamm aufgebaut. All das neben drei Kindern, Mahlzeiten für mindestens acht Personen und einem großen Gemüsegarten.

Die erweiterte Hauswirtschaft, wie sie für die klassische Bäuerin typisch war, also die Verarbeitung und Vermarktung der hofeigenen Produkte, kann Frauen offenbar auch heute noch die Chance bieten, sich ein eigenes Einkommen zu schaffen; und vor allen Dingen einen eigenständigen Platz, den Bäuerinnenplatz eben.
(Interview: Andrea Baier)

 

 

   Essen ist mehr, als die Aufnahme von Nahrung, von Brot und Fleisch und Gemüse, von Kalorien und Vitaminen. Essen hat etwas mit Kultur zu tun, mit Geselligkeit "Eigenbrötler" ist einer, der alleine isst. Essen hat mit der Kunst des Kochens zu tun, wie des Genießens. Das wissen wir alle.

Weit weniger bewußt ist uns, daß auch Landwirtschaft mehr ist als der Anbau von Getreide, von Ackerfrüchten insgesamt und mehr als Viehaltung. Landwirtschaft ist mindestens ein so soziales und kulturelles Phänomen wie Essen auch. Daher ist es eben auch zutreffender von "Agrikultur" zu sprechen, statt von Land-Wirtschaft, noch dazu bei dem so sehr verengten Wirtschaftsbegriff, der bei uns vorherrscht, – verengt auf Gewinnmaximierung. Bei "Agrikultur" ist es einleuchtender, daß dazu mehr gehört als die pure, monokulturelle Landwirtschaft. Dazu gehört auch die Verarbeitung, zumal das Lebensmittelhandwerk, zur Milch eben die Butter und der Käse, zum Obst der Most, zum Getreide die Mühle und das Brot; dazu gehört die Erwerbskombination auf dem Hof genauso wie der Wochenmarkt, und zur Agrikultur gehört das Dorf.

    Entschieden noch viel weniger bewußt ist uns, daß die Kultur des Essens und die Kultur der Landbewirtschaftung zusammenhängen, - ganz eng sogar. Die Verarmung der Esskultur hat die Verarmung der Agrikultur zur Folge und umgekehrt. Folgerichtig macht José Bové, der französische Bauer und Aktivist gegen die Globalisierung und für den Erhalt der Höfe, der Dörfer, der bäuerlichen Landwirtschaft und für eine naturverträgliche Bewirtschaftung vor allem gegen den "mal bouffe" mobil, das "schlechte Essen", den "Fraß". Erinnern wir uns: Seine Aktion, die ihn schlagartig bekannt gemacht hat, bestand darin, daß er mit dem Traktor eine McDonalds-Bude demoliert hat. So etwas würde einem deutschen Bauern kaum einfallen, und ich vermute einem österreichischen auch nicht. Warum eigentlich nicht?

Die Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft und das Essen

   Wenn es um den Zusammenhang zwischen der Zerstörung bäuerlicher Landwirtschaft und Essen geht, dann fällt den meisten Bauern und Bäuerinnen bei uns immer nur "der Verbraucher" ein. Der nämlich würde immer nur das Billigste einkaufen, die Produkte der Fließbandherstellung des agroindustriellen Anbaus, der Agrarfabriken eben. Die Qualität, folglich auch des Essens, sei sekundär. Dagegen sei die Landwirtschaft machtlos, sie müsse dann eben möglichst hohe Stückzahlen produzieren also industrialisieren, nämlich mechanisieren, rationalisieren, monokulturisieren, chemisieren, Massenställe finanzieren usw. Gute, nahrhafte, schmackhafte Lebensmittel kommen dabei nicht heraus. Das wissen die Schweinemäster auch und halten sich deshalb ein Schwein in einem Extrastall. Nichtsdestotrotz halten sie an dem allgemeinen Glaubenssatz fest: Wir Bauern sind nicht schuld, es sind die anderen, wir können nichts dagegen tun.

Ich kann diese Rede von dem Verbraucher und der bäuerlichen Unschuld ehrlich gesagt nicht mehr hören. Ganz abgesehen davon, daß "der Verbraucher" in der Regel „die Verbraucherin" ist - das, wenn zur Kenntnis genommen, schon eine ganze Menge ändert; aber davon später – , hat die Schuldzuweisung an den Verbraucher in erster Linie die Funktion, vom eigenen Anteil an der Zerstörung der eigenen wie unser aller Lebensgrundlagen abzulenken.

These: Der Zusammenhang zwischen Agrikultur und Essenskultur liegt auf dem Land und bei Landwirten und Bäuerinnen mindestens so sehr im Argen wie in der Stadt. Und darin ist ein wesentlicher Grund für die ökologische Zerstörung zu suchen, genauso wie für die soziale und schließlich auch die ökonomische, die die Mehrheit der Bauern schon längst getroffen hat. Wir rennen wie die Lemminge alle zusammen in den Abgrund und die Leute vom Land rennen vorneweg.

Bevor ich mit dieser Publikumsbeschimpfung fortfahre, will ich ein paar Geschichten erzählen, Beispiele aus meiner empirischen Forschung, die uns vielleicht verstehen helfen, warum sich die Leute auf dem Land so verhalten. Wobei es so sein wird wie immer. Diejenigen, die zusammenkommen, sind gerade die, die sich anders verhalten. Überhaupt finde ich, daß in Österreich die Verarmung der Agrikultur und der Esskultur bei weitem nicht so gravierend ist wie in Deutschland. Allerdings braucht es eine wesentlich klarere Einsicht darin, daß es hier in Österreich etwas zu verteidigen gilt. Es GIBT etwas, das verteidigt werden kann! Mehr noch als in Deutschland. Aber auch in Deutschland gibt es etwas zu verteidigen und ich frage mich, warum die Bauern es so wenig tun, oder nur so wenige Bauern etwas tun.

Denkwürdige Begebenheiten

    Am 5.11.2000 sprach der Präsident der Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftskammer Karl Meise beim traditionellen Frühschoppen des örtlichen Bauernverbandes von Borgentreich vor ungefähr 200 Bauern in der Schützenhalle. Der Präsident wird, wie viele andere Positionen der Landwirtschaftskammer, zur Interessenvertretung aus dem Bauernverband heraus durch Wahl bestimmt. Er ist also eigentlich einer der ihren.

Der Präsident Karl Meise zeichnete auf besagter Veranstaltung den zuhörenden Landwirten ein Szenario auf, wie die Landwirtschaft in Ostwestfalen-Lippe (OWL) im Jahre 2010 aussehen würde. Er tat dies, indem er die Zahlen der Entwicklung der letzten Jahre einfach fortschrieb. Das Ergebnis war niederschmetternd. Es würden im Durchschnitt maximal noch ein Drittel der Betriebe übrig bleiben, die sogenannten "Zukunftsbetriebe", nämlich spezialisierte, hohe Kapazitäten nutzende Weltmarktbetriebe. Alle anderen würden weichen müssen. Auch das Ausweichen auf Dienstleistungen, wie auf Pferdepensionen oder den Landfrauenservice (z.B. Partyservice) oder auf ökologischen Landbau, Erzeugergemeinschaften oder Sonderkulturen, würde die Höfe nicht in nennenswertem Umfang retten können. Für diese innovativen Lösungsversuche, denen im Rahmen der Agrarwende-Politik viel Beachtung geschenkt und auch Unterstützung gegeben wird, hatte der Präsident der Landwirtschaftskammer nicht viel übrig. Er vertrat deutlich den reinen Wachstumsweg als einzige Chance, und zwar für alle. Andere Wege wurden von ihm als unbedeutende Nischenlösungen abgetan. Folgerichtig hörte man von ihm auch kein Wort über den womöglichen Widerstand von Seiten des Verbandes und der Kammer gegen diese Entwicklung des massiven Höfesterbens, und noch viel weniger bekamen die Anwesenden einen positiven Politikvorschlag zu einer womöglichen Gegenstrategie zu hören.

   Ich, die zuhörende Sozialwissenschaftlerin, war perplex angesichts dieses Begräbnisses bei lebendigem Leibe. Jetzt würde der Saal gleich zu brodeln beginnen. Aber da saßen sie und sagten kein Wort. Unbegreiflich, wie die anwesenden Bauern die ignorante Haltung ihres Verbandsvertreters mit Schweigen quittieren konnten. Vielleicht fühlten sie sich ja getröstet, dass, wie Meise wiederholt betonte, neben der Beratung der Zukunftsbetriebe der sozialpsychologische Dienst ausgebaut werden würde. Schon jetzt werden die Wirtschaftsberater bei Insolvenzfällen gerne von Psychologen begleitet. Welcher Zynismus!

Insbesondere ältere Landwirte erleben die Hofaufgabe oft als persönliches Versagen und quälen sich mit Schuldgefühlen. Gänzlich niederschmetternd stellt sich die Situation derjenigen dar, die unbemerkt längere Zeit rote Zahlen schrieben oder die sich mit der Wachstumsschiene übernahmen und nun in Gefahr sind, Haus und Hof an die Bank zu verlieren. Mittlerweile - je geläufiger die Hofaufgabe wird - lässt sich in der Börde allerdings auch so etwas wie ein "geordneter Rückzug" beobachten. Viele Hofaufgaben erfolgen im Generationswechsel, und der Kommentar lautet dann: Verantwortundsbewußte Entscheidung der Kinder. Ein bisschen schade findet man es natürlich, wenn dann die Ställe leer stehen und fremde Schlepper auf den eigenen Äckern ihre Gülle ausfahren, aber auch ein bisschen erleichternd, dass man die nächste Investitionsentscheidung nicht mehr treffen muss. Die jetzige Elterngeneration der jungen Erwachsenen hat engagiert dafür gesorgt, dass ihre Kinder eine gute Berufsausbildung erhalten, dass sie studieren, dass sie nicht "als Hilfsarbeiter dastehen, wenn der Hof doch aufgegeben werden muss", wie der Vorsitzende des landwirtschaftlichen Ortsvereins von Bühne es ausdrückt. Gerne aber gibt niemand auf.

   Eine andere Begebenheit machte mir deutlich, dass sich diese Bauern in Ostwestfalen deshalb nicht gegen den Untergang der Mehrzahl der Höfe wehren, weil sie selbst gläubige Vertreter der Wachstumspolitik – wachsen oder weichen – sind. Sie sind davon überzeugt (worden?), dass es nur diesen einzigen Weg geben könne. Ein paar Monate später trat Wolfgang Reimer, Abteilungsleiter in der Abteilung "Ländliche Entwicklung" des deutschen "Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft" vor einem noch größeren Auditorium von Landwirten und Landfrauen der Region auf. In einem Podiumsgespräch mit Vertretern des Bauernverbandes (DBV) und Journalisten der Zeitschrift des DBV "Landwirtschaftliches Wochenblatt" musste er die Leitlinien der Agrarpolitik seines Ministeriums, das von der Grünen Politikerin Renate Künast geführt wird, zu verteidigen.

Besonders angefeindet wurde die Förderung des Bioanbaus und ferner das Bemühen des Ministeriums, einen Teil der bisherigen Mittel zur Preisstützung von Agrarprodukten nun für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung allgemein, z.B. von Erzeugergemeinschaften und für Vermarktungshilfen, einzusetzen (die sog. Modulation). Diese Hilfen sind im Zuge der positiveren Haltung des jetzigen Ministeriums gegenüber landwirtschaftlichen Kleinbetrieben zu verstehen, - positiver im Vergleich zu den vorherigen Ministern. Diese Haltung drückt sich auch in der Debatte über die Schaffung von Obergrenzen der Förderung aus, damit nicht denen, die sowieso viel haben auch noch mehr gegeben wird. Wolfgang Reimer erntete wütende Proteste von allen Seiten: Das Ministerium würde eine Politik nur für Nischen betreiben, darin läge keine Zukunft, dieser Weg könne nicht von allen beschritten werden; die deutsche Landwirtschaft müsse vielmehr auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben. Der Hinweis von Wolfgang Reimer, dass es eben genau darum ginge, dass nicht alle dasselbe täten, dass diese Vorgabe vielmehr für die Mehrheit bereits den Ruin bedeutet hätte, dieser Hinweis verhallte ungehört. Genauso wenig vermochten die Zuhörer zur Kenntnis zu nehmen, dass es nach Studien des Ministeriums in Deutschland für sogenannte Premiumprodukte, die viel geschmähten Nischen also, einen Marktanteil von 30 – 40% am Gesamtmarkt für landwirtschaftliche Produkte gäbe.

   Und noch eine Erfahrung! Wie mächtig die Hirnwäsche von Seiten der Landwirtschaftskammer sowie der Agrarindustriellen des DBV und ihrer Propagandaschrift "Landwirtschaftliches Wochenblatt" ist, erfährt eine Doktorandin der agrarsoziologisch orientierten Politikwissenschaft bei einem Besuch österreichischer Höfe im Salzburgischen zusammen mit einer Gruppe von Landwirten und Landfrauen aus der Warburger Börde. Sie berichtet, wie die deutsche Gruppe bereits zahlreiche, gut funktionierende, schmucke Biohöfe besucht hatte, als sie angesichts der Preise, die für deren Produkte in einem Hofladen erhoben wurden, in Empörung ausbrachen: "Wer soll so was bezahlen? Das kann doch nicht gut gehen mit solchen Höfen!". Dabei hatten sie gerade mit eigenen Augen sehen können, dass es gut geht.

Kolonisierung des Landes (nicht nur in der Dritten Welt)

   Wieso verteidigen diese Bauern nicht ihr Eigenes? Wieso reden sie sogar noch einer industrialisierten Landwirtschaft für den Weltmarkt das Wort, die ihnen – wörtlich – den Boden unter den Füßen wegzieht?

Klaus Seitz, ein Kenner der mitteleuropäischen Landwirtschaft wie derjenigen in den Ländern des Südens meint, dass den Landleuten durch die Modernisierungs-, Entwicklungs- und Globalisierungspolitik in der Tendenz überall das Eigene, hier als regionale Eigenart beschrieben, ausgetrieben wurde oder werden soll, im Süden wie im Norden.

"Die Vielfalt regionaler Eigenart liegt quer zum universellen Geltungsanspruch neuzeitlichen Denkens und moderner Modernitätskriterien. Daher ist auch die moderne Agrar- und Entwicklungstheorie zuallererst von dem Interesse geleitet, herauszubekommen, welche Elemente einer ländlichen Kultur dem Modernisierungsprozeß hemmend entgegenstehen. Ich möchte die Fragestellung umkehren und stattdessen fragen, warum diese vielen agrarischen Lebensformen dieser einen städtischen nicht widerstehen konnten. ...Der Kolonisierung des Landes korrespondiert die Kolonisierung des ländlichen Bewußtseins. .... Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in der tiefen Verachtung, die viele Landbewohner gegenüber ihrer ländlichen Herkunft hegen.... Was hat es mit dieser eigentümlichen Freiheit der Wahl der Möglichkeiten auf sich, wenn diese gleichzeitig so kanalisiert ist, daß überall auf der Welt, wo diese Zivilisation der unbegrenzten Möglichkeiten angetreten ist, den scheinbar traditionsverhafteten, unbeweglichen, alternativlosen Agrarkulturen die Befreiung zu weisen, derselbe Baustil und dieselben Autos, dieselben Krawatten und dieselben Umgangsformen, dieselben Produktionsweisen und dieselben Lebensstile erwählt werden, von Reutlingen bis hin zur kleinen Hafenstadt Papuas?"

   Diesen Prozeß des regionalen Identitätsverlustes, den wir auch als Verlust von Stolz und als Ergebnis der Entwürdigung begreifen können, hat Frantz Fanon, der französische Arzt aus der Karibik (der Französischen Kolonie Martinique), der für die algerische Befreiung vom Kolonialismus kämpfte, in "Schwarze Haut, weiße Masken" analysiert. Er nennt das Buch eine "klinische Studie", die seinem Bruder, sei er "schwarz oder weiß" helfen soll, sich vom kolonialistischen Denken und Fühlen zu befreien.

Was hat nun das Essen mit all dem zu tun? Mehr als wir glauben! Ein Beispiel aus Afrika: Dort ist in weiten Bereichen die einheimische Hirse, angepasst an Boden und Klima, woran wiederum die Gerichte angepasst waren, durch den Weizen ersetzt worden. Zum einen war der Weizen die Nahrung der Kolonialherren, sodaß es für viele Kolonisierte als Errungenschaft galt, dasselbe zu essen. Dies ist die "Kommunion" mit den Herrschenden, die wir überall kennen, verbunden mit dem Glauben, damit auf gleichsam magische Weise, der (er) niedrig(t)en Stellung zu entkommen und so zu werden wie diese.

Die Folge aber war, dass damit zur Ausbreitung des Hungers beigetragen wurde.

   Und die sogenannte Hungerhilfe, seit 1955 zuerst von Seiten der USA als "food for peace" aufgelegtes Programm, das in Wirklichkeit der Förderung des US-Weizenexports galt, führte dazu, dass die Länder des Südens den Weizen erst als Nothilfe, dann billig geliefert bekamen und sich dann schließlich gezwungen sahen – z.B. weil sich die Ernährungsgewohnheiten geändert hatten, oder der Boden im Land nicht für Weizenanbau geeignet war – zu Weltmarktpreisen zu importieren. Auf diese Weise wurden Hirse, Mais und Maniok gezielt verdrängt und mit ihnen die einheimischen Bauern vom Markt gedrängt. Kaum überraschendes Detail ist die Tatsache, dass das "food for peace" -Programm nicht dem Landwirtschafts- oder Wirtschaftsministerium, sondern dem Außenministerium und damit direkt dem Präsidenten untersteht, der mit dem „Weizen als Waffe" außenpolitisch Abhängigkeit betreiben konnte. Ronald Reagan erklärte entsprechend 1981: "Wir werden die Welt erobern – nicht mit Kernwaffen, sondern mit unserem Getreide". Das erinnert mich an einen anderen Spruch: "Wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing".

Doch "wo die Gefahr am größten ist, wächst das Rettende auch". So wie die Kolonisierung mit dem Essen zu tun hat – hat auch die Entkolonisierung des ländlich-bäuerlichen Denkens erheblich mit dem Essen zu tun. Die rettenden Anknüpfungspunkte sind schließlich vorhanden. Das wurde mir anhand einer anderen Begebenheit in der ostwestfälischen Börde klar. Mettwurst und Musikverein gehören hier eng zusammen. Die Mettwurst ist eine besonders edle, luftgetrocknete Wurst, am besten nach Hausschlachtermanier im Haus hergestellt. Es gehört zum richtigen Umgang miteinander, dass eben diese Wurst als Gegenleistung für die Ständchen des Musikvereins gereicht wird. Beides sind eigenständige, kulturelle Elemente der Region.

   Ganz im Gegensatz zu der Rede, dass es auf dem deutschen Land nur noch der Wachstumsideologie unterworfene, vornehmlich auf den Weltmarkt orientierte Produktionsstätten gäbe, haben und konnten wir in dem erwähnten Forschungsprojekt bestehende bäuerlich-handwerkliche Strukturen aufzeigen. Und im Gegensatz zur verbreiteten Sicht, sowohl in der Wissenschaft wie im ländlichen Denken, bäuerlich-handwerkliche Elemente als noch existierend, aber dem Untergang geweiht, zu betrachten, haben wir die dynamische Kraft derselben beschrieben: Die Haus-Hof-Wirtschaft auf den Betrieben; die landwirtschaftliche Kreislaufwirtschaft, die vielfach anzutreffen ist; Mischbetriebe; formelle und informelle, nicht stromlinienförmig maximierungswirtschaftliche Arbeits- und Tauschverhältnisse; handwerklich orientierte Fleischereien, Polstereien, Schreinereien; Gemeinschaftlichkeit im Dorf anstelle des vorgeblich grassierenden egoistischen Individualismus; gegenseitige Hilfeleistungen; usw. Die Ergebnisse dieser Untersuchung haben wir vor Ort in einer Ausstellung vorgestellt. Die zahlreichen Besucher und Besucherinnen haben sich und ihre Gesellschaft in diesem Spiegel neu wahrgenommen. Vieles von dem, was sie normaler Weise als provinziell, rückständig und letztlich schon verschwunden dargestellt bekommen oder selbst ansehen, ist ihnen in Wirklichkeit und in ihrem Innersten lieb und wert. Die Bestätigung dieser Wertschätzung durch die Ausstellung hat wohltuend den Stolz auf das Eigene wieder gestärkt.

Widerständige Anpassung an die Moderne:
Juchitán,die Stadt der Frauen im Süden Mexikos

  Vergleichen wir die Ergebnisse aus Ostwestfalen mit einer empirischen Untersuchung, ebenso zum regionalen Wirtschaften im Süden Mexikos, dann können wir in Juchitán eine gesellschaftlich und kulturell wesentlich besser konsolidierte, regional wesentlich unabhängigere Wirtschaftsweise feststellen. Sie ist nicht etwa durch Bewahren von Tradition unabhängiger, sondern durch ihre Dynamik, die Modernisierung den eigenen Bedingungen und Strukturen anzupassen.

Juchitán liegt in der pazifischen Küstenebene des Isthmus von Tehuantepec. Es ist ein großes Dorf von 80.000 Einwohnern und Marktstadt zugleich. Obwohl die Region, der des Panamakanals ähnlich, schon geografisch gesehen dem Welthandel offen steht, folgt sie nicht seinem Diktat. Auch wurde hier ab 1960 durch einen Staudammbau Bewässerungsland geschaffen und entsprechend zahlreiche, auf Produktionssteigerung und Export zielende landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte durchgeführt. Dennoch wird bis heute in der Umgebung von Juchitán vor allem der "zapalote chico", die traditionelle, einheimische Maissorte ausgesät.

   Die entscheidende Stütze für den "zapalote chico" ist die Sozialstruktur mit ihrer spezifischen geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Frauen von Juchitán sind Händlerinnen, es gibt keine Hausfrauen; und auch keine Bäuerinnen sondern nur Bauern. Für die ist es wesentlich lohnender, den Mais an die Frauen in der eigenen Stadt zu liefern, als an eine Aufkauforganisation, die ihn exportieren würde. Die Juchitecas verarbeiten den Mais zu den verschiedenen einheimischen Maisgerichten und zwar für den Verkauf auf dem Markt. Dafür eignet sich ihrer Meinung nach bislang nur der "zapalote chico", besonders weiß, mit viel Kleber und sehr eigenem Geschmack. Das gilt zumal für den "totopo", eine haltbare Zwiebacktortilla, die von den juchitekischen Fernhändlerinnen bis in den Süden der USA und bis nach Guatemala hinein gehandelt wird. Diese "Veredelung" des Rohstoffes Mais vor Ort, durch die Frauen meist der eigenen Familie, bringt dem Bauern, trotz der vergleichsweise niedrigen Ertragsmenge der traditionellen Sorte, mehr ein, als Hochertragsanbau und Verkauf an den 'broker’. Ferner bestätigt und verfestigt er auf diese Weise seine sozialen Beziehungen, sowohl in seiner Lebenspartnerschaft, als auch in der Stadt. Denn die städtische Gesellschaft mit ihren großen gesellschaftlichen Ereignissen wird von den Frauen und Händlerinnen getragen. Der Bauer bindet sich vermittelt über seine Austauschbeziehungen ein. Zuguterletzt schützt auch das Klima den "zapalote chico". Der besonders niedrige Wuchs, deshalb "chico" genannt, lässt ihn die orkanartigen Böen des "norte" überstehen, die von September bis Februar auftreten können. Und auch gegen die üblichen Plagen ist "der Kleine" relativ resistent.

Nach allen Kriterien der Entwicklungsökonomie müsste eine solchermaßen vorgeblich rückständige Landwirtschaft mit Armut einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die geschlechtsegalitäre, eben nicht geschlechtshierarchische Arbeitsteilung konsolidiert die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Die wiederum sind der Grund dafür, daß die Zapoteken von Juchitán nachgerade wohlsituiert leben. Denn bei ihnen steht das Essen und insgesamt die Subsistenzversorgung im Mittelpunkt der Ökonomie. So konnte eine eigenständige und dennoch flexible, moderne regionale Marktwirtschaft entstehen, die nicht durch die Entwicklungspolitik kolonisiert werden konnte.

   Wie ist dieses Phänomen zu verstehen? Im Zentrum der Gesellschaftsstruktur wirkt eine andere Geschlechterbeziehung. Männer wie Frauen, Söhne wie Töchter sind stolz auf ihre Herkunft, auf das Indianische, auf ihre Kultur, ihre Kunst, ihr Essen, weil sie stolz sind auf ihre Abkunft, stolz auf ihre Mütter, die die Wirtschaft in Schwung halten. Deshalb nennen wir Juchitán auch ein zeitgenössisches Matriarchat.

Bei uns fehlt dieser Stolz auf die Herkunft, oder zumindest ist er sehr viel schwächer. In unserer patriarchalen Kultur überwiegt die Geringschätzung derjenigen, von denen die Nahrung kommt: Frauen und Bauern. Kein Wunder, wenn auch diesen der Eigensinn fehlt, der Stolz. "Bäuerliche Haut, städtische Masken" könnten wir den Zustand bei uns in Anlehnung an Fanon und Seitz nennen. Statt einer regionalen Identität folgen die meisten einer Ideologie der Produktion und Kommerzialisierung, die vergessen machen soll, dass das Leben aus den Frauen kommt und die Nahrung aus dem Land.

    Insofern diejenigen, die für die Nahrung zuständig sind, die Bauern und Bäuerinnen, das offenbar genauso vergessen wollen, wie die Biotechnologie uns das alle zusammen vergessen machen will, deshalb behaupte ich, daß die Bauern vorneweg in den Abgrund rennen. Sie haben nun einmal eine andere, besondere Verantwortung. Unglücklicherweise scheint das Patriarchat auf dem Land in Österreich und Deutschland tief verankert. Der Patriarchalismus der Bauern wurde gerade in der Moderne dadurch besonders deutlich, daß sie sich lostrennen wollten von dieser weiblichen Versorgungsproduktion. Die integrierte Haus-Hofwirtschaft wurde zunehmend aufgetrennt in die Außenwirtschaft, die Geld einbringt und zur fast reinen Männerdomäne wurde. Die Innenwirtschaft / Versorgungswirtschaft wurde auf eine reine Frauenangelegenheit reduziert, wirtschaftlich unsichtbar. Die Bäuerin mit ihrer Milch, ihren Hühnern, ihren Produkten und ihrem Markt wurde abgeschafft. Der landwirtschaftliche Unternehmer entstand auf den Schultern der Hausfrau.

Was können wir tun?

   Das Essen wieder in den Mittelpunkt stellen - auf dem Land! Auf den Spezialitäten beharren, die uns die jeweils besondere Geografie und Kultur vererbt haben. Regionales Essen genießen, auch auf dem Land, gerade auf dem Land! Wenn diejenigen, die die Lebensmittel anbauen, sie noch nicht mal selbst wertschätzen, wie sollen sie denn die anderen wertschätzen können? Bei mehr Stolz und Eigensinn kann es nicht passieren, dass z.B. von der Vielfalt der Kulturpflanzen nur einige wenige Weltmarktpflanzen in der Hand von Chemiemultis übrigbleiben.

Die private Hausfrau abschaffen, die gute Versorgung mit leckerem Essen zu einer öffentlichen Angelegenheit erheben, vielleicht auch die Hausfrau neu erschaffen (s.u.), als wirtschaftende, fordernde, öffentlich agierende Erwerbstätige, womit sie viel von der alten Bäuerin haben würde. Die hat z.B. ihre Erzeugnisse auch verkauft, etwa auf dem regionalen Markt und das Geld dafür war ihres. Die war kein sanftes Frauchen am Herd, das entsagungsvoll alle anderen versorgt. Sie war Stolz auf ihre Produkte und ihr Wissen, von ihrem Tun hing der Hof ab, mindestens genauso wie vom Tun des Bauern, wenn nicht mehr.

   Den regionalen Markt neu erschaffen. Regionales Essen genießen, - gemeinsam. Der viel geschmähte Markt, gegen den man nichts tun könne, ist in Wirklichkeit eine ausgezeichnete Weise, wie die Lebensmittel, die in einer Region hergestellt werden, auch in der Region verteilt und verzehrt werden können. Dann freilich funktioniert er auch anders. Er stiftet dann Gemeinsamkeit im Gegensatz zum anonymen Weltmarkt, über den der Supermarkt beschickt wird. Der trennt die Menschen voneinander, von ihrer Kulturlandschaft, von ihren Bäuerinnen und Bauern. Er trennt Agrikultur und Esskultur voneinander.

Eigentlich müßten die Bauern und Bäuerinnen mit ihrem Traktor nicht nur McDonalds-Buden, sondern mindestens genauso die Supermarkt-Buden zusammenschieben. Na ja, sie sollten wenigstens als Gemeinderatsherren nicht dafür stimmen, daß neben Rewe, Allfrisch und Jibi auch noch ein Aldi eine neue Bude mit Pappkartons eröffnen kann - so geschehen in Borgentreich, dem Ort in der Warburger Börde in Ostwestfalen mit 2 300 Einwohnern und noch 60 wirtschaftenden Höfen. Und dann gleichzeitig über den Verbraucher klagen...

Dabei sind die rettenden Anknüpfungspunkte auch heute sehr wohl verhanden, wie ich anhand eines anderen Beispieles aus der Warburger Börde zeigen kann, der Bäuerin Heike Schäfer-Jacobi und ihrer Wirtschaftsweise.

Fazit

   Das größte Problem unserer Epoche besteht darin, dass wir über keinen befreienden Diskurs jenseits des sozialistischen und des bürgerlich-kapitalistischen verfügen. Beide sind städtisch, beide sind technikgläubig, beide sehen Freiheit nur jenseits des Reiches der Notwendigkeit, jenseits der Naturabhängigkeit. Deshalb stellen sie mitnichten einen Gegensatz dar oder gar irgendeine Alternative in der Welt des 21. Jh.. Wir verfügen über keinen Freiheitsdiskurs, der vermitteln würde, dass Herrschaftslosigkeit, und das heißt Eigenmacht, durch die Anerkennung der Abhängigkeit von der Natur, von der Erde, vom Klima, von der Naturhaftigkeit des Menschen, von der menschlichen Geburt, von der Verwandtschaft miteinander entstehen. Wer aber ist näher an der Erkenntnis dieser Abhängigkeit, wer hat mehr Erfahrung mit ihr als die Menschen in der bäuerlichen Wirtschaft? Sie sind es auch, die nach wie vor die Erfahrung machen, wie viel Freiheit es bedeutet, sich selbst versorgen zu können, und wie viel Eigenmacht, das eigene Brot zu essen und das eigene Lied zu singen. Dennoch verfügen wir über keinen bäuerlichen Freiheitsdiskurs. Statt ihn zu schaffen oder an ihm mit zu schaffen, folgen viele Bauern dem technischen und finanziellen Machbarkeitswahn, der so viel Ohnmacht hervorruft. Vielleicht ist dem so, weil im Zentrum eines Denkens, das unsere Naturabhängigkeit anerkennt, die Anerkennung der Herkunft von der Mutter steht, dass wir Menschen ebenbürtig miteinander sind, weil wir alle von einer Mutter geboren wurden. Und, um abschließend zum Essen zurückzukehren: Was ist Essen anderes als die Kommunion mit der Mutter?

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