Veronika Bennholdt-Thomsen
itps@tgkm.uni-bielefeld.de
Ethnologin und Soziologin,
hat lange Jahre in Mexiko
gelebt und geforscht. Sie ist
Leiterin des außeruniversitären
"Instituts für Theorie und Praxis
der Subsistenz, e.V.", Bielefeld
und Honorarprofessorin an der
Universität für Bodenkultur,
Wien.
Publikationen
There is an Alternative:
Subsistence and Worldwide Resistence to Corporate
Globalization, hrsg. Zusammen mit Nicholas Faraclas u. Claudia von Werlhof,
Zed Books, London/New York 2001;
FrauenWirtschaft.
Juchitán – Mexikos Stadt der Frauen, zusammen mit Mechtild Müser und
Cornelia Suhan, Frederking und Thaler Verlag, München 2000;
Das
Subsistenzhandbuch.
Widerstandskulturen in Europa, Asien und
Lateinamerkika, hrsg. zusammen mit Brigitte Holzer und Christa Müller,
promedia Verlag, Wien 1999;
Eine Kuh für
Hillary.
Die Subsistenzperspektive, zusammen mit Maria Mies,
Verlag Frauenoffensive, München 1997.
...

"Wir wollen weder
wachsen noch weichen"
Der Betrieb von Birgit und Franz Conze ist ein mittlerer Mischbetrieb, 60 ha
groß, mit "nur" 25 Milchkühen und 150 Schweinen. Ginge es nach der
Landwirtschaftskammer, würde es einen solchen Betrieb wie den ihren längst nicht
mehr geben. Als Franz Conze 1988 dem Berater der Landwirtschaftskammer ihren
Plan unterbreitet, einen Boxenlaufstall für "nur" 25 Kühe zu bauen, meint
dieser, er solle entweder "richtig" investieren - sprich Kontingent für
mindestens 60 Tiere kaufen - oder den Hof im Nebenerwerb bewirtschaften.
Dreizehn Jahre nach dieser düsteren Prognose sind sie "immer noch da", wie
Birgit Conze triumphierend feststellt.
Wieso ihr Hofkonzept funktioniert?
Darauf haben Conzes verschiedene Antworten:
- Sie sind "ein Clan": Es gibt Brüder,
Cousins, Tanten und die Schwiegermutter, die mitmachen und aushelfen.
- Es ist eine Frage der
Lebenseinstellung: "Wenn sie mit dem Einkommen zufrieden wären", sagt Franz
Conze, könnten auch andere so wirtschaften. Birgit Conze meint, es komme
auch auf die jeweiligen Voraussetzungen an: Immerhin hätten sie einen
schuldenfreien Betrieb übernommen, und dann hätten sie die Handwerker in der
Familie.
- Sie haben sich immer dagegen
entschieden, ihr Milchkontingent weiter aufzustocken. Das erhöht nur unnötig
die Produktionskosten, sind sie überzeugt, und dann arbeitet man zuviel für
zu wenig Geld. Ihre Kosten sind viel geringer als die Kosten derjenigen, die
hohe Zinsbelastungen haben, weil sie Kontingent zugekauft haben.
- Sie haben nicht nur die Kühe, sondern
auch noch andere Standbeine, erklärt Franz Conze. Sie haben Getreide,
Zuckerrüben und Schweine.
- "Wir leben aus unserem Garten, wir
brauchen nicht viel Geld", sagt die Schwiegermutter. Conzes ist wichtig,
sich mit möglichst vielen Sachen selbst versorgen zu können. Was Milch, Eier
und Fleisch angeht, sind sie komplett unabhängig, Butter und Käse, Obst und
Gemüse, Marmelade und Saft kommen dazu. An Lebensmitteln kaufen sie nur
wenig zu.
Daß ihre Art zu wirtschaften der
Gemeinschaftlichkeit nützt, der familiären wie der dörflichen, ist
offensichtlich: Wäre ihr Hof anders organisiert, hätten die Verwandten
weniger Grund vorbeizuschauen. Würden sie, um ein höheres Einkommen zu
erzielen, zusätzliches Milchkontingent kaufen, müßten sie unverhältnismäßig
mehr arbeiten und hätten nicht mehr so viel Zeit, sich für die
Dorfgemeinschaft zu engagieren, wie sie es jetzt beide tun. (Interview:
Andrea Baier)

"Die wollten mich umsetzen
in der Firma: Mehr Bezahlung und öfter mal Überstunden. Aber was soll ich damit?
Ich brauche die Zeit für meine Tiere, ja, und zuallererst für die Familie und
dann den Musikverein, den Angelverein ..."
Reiner Dohmann, genannt "Thomes" stammt aus
einer alten Borgentreicher Familie. Seine Eltern führten den letzten
Lebensmittelladen des Ortes. Ein paar Morgen Land gehörten natürlich auch dazu.
Die sind seit langem verpachtet.
Reiner Dohmann arbeitet bei einem
Zulieferer der Autoindustrie im nahegelegenen Warburg im Lager. Als man ihm
eine höher dotierte Stelle anbot, winkte er dankend ab, obwohl er als Vater
von inzwischen drei Kindern das Geld gut hätte brauchen können. Die
Überlegung war so einfach wie unüblich im heutigen Deutschland. Wieso sollte
er sich noch stärkerer Belastung am Arbeitsplatz aussetzen, wenn er seine
Kraft und Zeit anderweitig "gewinnbringender" einsetzen kann.
Damit ist kein monetärer Gewinn
gemeint, sondern die Befriedigung durch die Feierabendbeschäftigung mit den
eigenen Gänsen, Hühnern, Enten und Puten, an der sein Herz hängt. Und die
ihm, dem Feinschmecker und seiner Familie eine Tafel erlaubt, die sie sich
sonst bestimmt nicht leisten würden. Die Freunde, Nachbarn, Kollegen nicht
zu vergessen, deren Gaumen auch davon profitiert.
Denn die Tiere haben natürlich viel
Auslauf und werden mit Biokörnern gefüttert, versteht sich. "Und das
schmeckt man!"
Für sein Sozialprestige braucht Reiner
Dohmann die Beförderung und das Geld auch nicht. Im Gegenteil, sie würden
ihm nicht mehr erlauben, mit demselben Einsatz im Anglerverein, im
Musikverein (als Klarinettist) mit all seinen kirchlichen und gemeindlichen
Aktivitäten dabei zu sein, genauso wenig wie in der Parteipolitik. "Thomes"
Reiner tut nicht nur viel für die Gemeinschaft, er wird dafür auch
entsprechend geachtet und geliebt. Dieses Ansehen kann ihm kein noch so gut
bezahlter Job verschaffen. (Interview: Veronika Bennholdt-Thomsen).

"So viel wie andere Frauen mit
einer Halbtagsstelle, erwirtschafte ich auch."
Heike Schäfer-Jacobi kam, wie sie sagt,
relativ unbedarft zur Landwirtschaft. Sie hatte einen Beruf gesucht, in dem man
körperlich arbeitet und an der frischen Luft. Weil sie keinen bäuerlichen
Familienhintergrund hat, will sie zunächst die praktische landwirtschaftliche
Ausbildung absolvieren.
Auf einem Betrieb in Körbecke,
der gerade in der Umstellung begriffen ist, trifft sie das Richtige und bald
auch "den Richtigen". Sie hängt ihre Studienpläne an den Nagel und heiratet den
Bauern auf dem Hof.
Heike Schäfer-Jacobi verliert keine
Zeit, sich ihren eigenen Bereich auf dem Betrieb zu schaffen.
In bezug auf ihren Käse kann sie
schalten und walten, wie sie will. Da redet ihr niemand rein, das ist
komplett ihre Sache. Sie verarbeitet in der Woche so viel Milch, daß sie
damit Hofladen und Verkaufswagen bestücken kann. Sie hat das mal
ausgerechnet, sagt sie, so viel wie andere Frauen mit einer Halbtagsstelle,
erwirtschaftet sie auch. Sie könnte noch mehr Käse verkaufen, aber dann
müßten sie jemanden einstellen, und das will sie eigentlich nicht.
Eigentlich möchte sie es lieber selber machen, als darauf achten zu müssen,
daß es eine andere so macht, wie sie es haben will.
Sie vermarktet den Käse auch selbst.
Den eigens dafür angeschafften Verkaufswagen mit Fleisch- und Wurstwaren und
einem reichhaltigen Käseangebot betreiben sie in Erzeugergemeinschaft mit
einem anderen Biobetrieb. Einmal in der Woche fährt sie auf den Markt,
dreimal ihre Kollegin. Außerdem hat sie Donnerstag- und Freitagnachmittag
ihren Hofladen geöffnet, wo es Brot, Käse und Fleisch gibt, zusätzlich zum
üblichen Bioladen Sortiment. Für das hofeigene Fleisch hat sie mittlerweile
einen festen Kundenstamm aufgebaut. All das neben drei Kindern, Mahlzeiten
für mindestens acht Personen und einem großen Gemüsegarten.
Die erweiterte Hauswirtschaft, wie sie
für die klassische Bäuerin typisch war, also die Verarbeitung und
Vermarktung der hofeigenen Produkte, kann Frauen offenbar auch heute noch
die Chance bieten, sich ein eigenes Einkommen zu schaffen; und vor allen
Dingen einen eigenständigen Platz, den Bäuerinnenplatz eben.
(Interview: Andrea Baier)
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Essen
ist mehr, als die Aufnahme von Nahrung, von Brot und Fleisch und Gemüse, von
Kalorien und Vitaminen. Essen hat etwas mit Kultur zu tun, mit Geselligkeit
–
"Eigenbrötler" ist einer, der alleine isst. Essen hat mit der Kunst des
Kochens zu tun, wie des Genießens. Das wissen wir alle.
Weit weniger bewußt ist
uns, daß auch Landwirtschaft mehr ist als der Anbau von Getreide, von
Ackerfrüchten insgesamt und mehr als Viehaltung. Landwirtschaft ist
mindestens ein so soziales und kulturelles Phänomen wie Essen auch. Daher
ist es eben auch zutreffender von "Agrikultur" zu sprechen, statt von
Land-Wirtschaft, noch dazu bei dem so sehr verengten Wirtschaftsbegriff, der
bei uns vorherrscht, – verengt auf Gewinnmaximierung. Bei "Agrikultur" ist
es einleuchtender, daß dazu mehr gehört als die pure, monokulturelle
Landwirtschaft. Dazu gehört auch die Verarbeitung, zumal das
Lebensmittelhandwerk, zur Milch eben die Butter und der Käse, zum Obst der
Most, zum Getreide die Mühle und das Brot; dazu gehört die
Erwerbskombination auf dem Hof genauso wie der Wochenmarkt, und zur
Agrikultur gehört das Dorf.
Entschieden
noch viel weniger bewußt ist uns, daß die Kultur des Essens und die Kultur
der Landbewirtschaftung zusammenhängen, - ganz eng sogar. Die Verarmung
der Esskultur hat die Verarmung der Agrikultur zur Folge und umgekehrt.
Folgerichtig macht José Bové, der französische Bauer und Aktivist gegen die
Globalisierung und für den Erhalt der Höfe, der Dörfer, der bäuerlichen
Landwirtschaft und für eine naturverträgliche Bewirtschaftung vor allem
gegen den "mal bouffe" mobil, das "schlechte Essen", den "Fraß". Erinnern
wir uns: Seine Aktion, die ihn schlagartig bekannt gemacht hat, bestand
darin, daß er mit dem Traktor eine McDonalds-Bude demoliert hat. So etwas
würde einem deutschen Bauern kaum einfallen, und ich vermute einem
österreichischen auch nicht. Warum eigentlich nicht?
Die Zerstörung der bäuerlichen
Landwirtschaft und das Essen
Wenn
es um den Zusammenhang zwischen der Zerstörung bäuerlicher Landwirtschaft
und Essen geht, dann fällt den meisten Bauern und Bäuerinnen bei uns immer
nur "der Verbraucher" ein. Der nämlich würde immer nur das Billigste
einkaufen, die Produkte der Fließbandherstellung des agroindustriellen
Anbaus, der Agrarfabriken eben. Die Qualität, folglich auch des Essens, sei
sekundär. Dagegen sei die Landwirtschaft machtlos, sie müsse dann eben
möglichst hohe Stückzahlen produzieren also industrialisieren, nämlich
mechanisieren, rationalisieren, monokulturisieren, chemisieren, Massenställe
finanzieren usw. Gute, nahrhafte, schmackhafte Lebensmittel kommen dabei
nicht heraus. Das wissen die Schweinemäster auch und halten sich deshalb ein
Schwein in einem Extrastall. Nichtsdestotrotz halten sie an dem allgemeinen
Glaubenssatz fest: Wir Bauern sind nicht schuld, es sind die anderen, wir
können nichts dagegen tun.
Ich kann diese Rede von
dem Verbraucher und der bäuerlichen Unschuld ehrlich gesagt nicht mehr
hören. Ganz abgesehen davon, daß "der Verbraucher" in der Regel „die
Verbraucherin" ist - das, wenn zur Kenntnis genommen, schon eine ganze Menge
ändert; aber davon später – , hat die Schuldzuweisung an den Verbraucher in
erster Linie die Funktion, vom eigenen Anteil an der Zerstörung der eigenen
wie unser aller Lebensgrundlagen abzulenken.
These:
Der Zusammenhang zwischen Agrikultur und Essenskultur liegt auf dem Land und
bei Landwirten und Bäuerinnen mindestens so sehr im Argen wie in der Stadt.
Und darin ist ein wesentlicher Grund für die ökologische Zerstörung zu
suchen, genauso wie für die soziale und schließlich auch die ökonomische,
die die Mehrheit der Bauern schon längst getroffen hat. Wir rennen wie die
Lemminge alle zusammen in den Abgrund und die Leute vom Land rennen
vorneweg.
Bevor ich mit dieser
Publikumsbeschimpfung fortfahre, will ich ein paar Geschichten erzählen,
Beispiele aus meiner empirischen Forschung, die uns vielleicht verstehen
helfen, warum sich die Leute auf dem Land so verhalten. Wobei es so sein
wird wie immer. Diejenigen, die zusammenkommen, sind gerade die, die sich
anders verhalten. Überhaupt finde ich, daß in Österreich die Verarmung der
Agrikultur und der Esskultur bei weitem nicht so gravierend ist wie in
Deutschland. Allerdings braucht es eine wesentlich klarere Einsicht darin,
daß es hier in Österreich etwas zu verteidigen gilt. Es GIBT etwas, das
verteidigt werden kann! Mehr noch als in Deutschland. Aber auch in
Deutschland gibt es etwas zu verteidigen und ich frage mich, warum die
Bauern es so wenig tun, oder nur so wenige Bauern etwas tun.
Denkwürdige Begebenheiten
Am
5.11.2000 sprach der Präsident der Westfälisch-Lippischen
Landwirtschaftskammer Karl Meise beim traditionellen Frühschoppen des
örtlichen Bauernverbandes von Borgentreich vor ungefähr 200 Bauern in der
Schützenhalle. Der Präsident wird, wie viele andere Positionen der
Landwirtschaftskammer, zur Interessenvertretung aus dem Bauernverband heraus
durch Wahl bestimmt. Er ist also eigentlich einer der ihren.
Der Präsident Karl Meise
zeichnete auf besagter Veranstaltung den zuhörenden Landwirten ein Szenario
auf, wie die Landwirtschaft in Ostwestfalen-Lippe (OWL) im Jahre 2010
aussehen würde. Er tat dies, indem er die Zahlen der Entwicklung der letzten
Jahre einfach fortschrieb. Das Ergebnis war niederschmetternd. Es würden im
Durchschnitt maximal noch ein Drittel der Betriebe übrig bleiben, die
sogenannten "Zukunftsbetriebe", nämlich spezialisierte, hohe Kapazitäten
nutzende Weltmarktbetriebe. Alle anderen würden weichen müssen. Auch das
Ausweichen auf Dienstleistungen, wie auf Pferdepensionen oder den
Landfrauenservice (z.B. Partyservice) oder auf ökologischen Landbau,
Erzeugergemeinschaften oder Sonderkulturen, würde die Höfe nicht in
nennenswertem Umfang retten können. Für diese innovativen Lösungsversuche,
denen im Rahmen der Agrarwende-Politik viel Beachtung geschenkt und auch
Unterstützung gegeben wird, hatte der Präsident der Landwirtschaftskammer
nicht viel übrig. Er vertrat deutlich den reinen Wachstumsweg als einzige
Chance, und zwar für alle. Andere Wege wurden von ihm als unbedeutende
Nischenlösungen abgetan. Folgerichtig hörte man von ihm auch kein Wort über
den womöglichen Widerstand von Seiten des Verbandes und der Kammer gegen
diese Entwicklung des massiven Höfesterbens, und noch viel weniger bekamen
die Anwesenden einen positiven Politikvorschlag zu einer womöglichen
Gegenstrategie zu hören.
Ich,
die zuhörende Sozialwissenschaftlerin, war perplex angesichts dieses
Begräbnisses bei lebendigem Leibe. Jetzt würde der Saal gleich zu brodeln
beginnen. Aber da saßen sie und sagten kein Wort. Unbegreiflich, wie die
anwesenden Bauern die ignorante Haltung ihres Verbandsvertreters mit
Schweigen quittieren konnten. Vielleicht fühlten sie sich ja getröstet,
dass, wie Meise wiederholt betonte, neben der Beratung der
Zukunftsbetriebe
der sozialpsychologische Dienst ausgebaut werden würde. Schon jetzt
werden die Wirtschaftsberater bei Insolvenzfällen gerne von Psychologen
begleitet. Welcher Zynismus!
Insbesondere ältere
Landwirte erleben die Hofaufgabe oft als persönliches Versagen und quälen
sich mit Schuldgefühlen. Gänzlich niederschmetternd stellt sich die
Situation derjenigen dar, die unbemerkt längere Zeit rote Zahlen schrieben
oder die sich mit der Wachstumsschiene übernahmen und nun in Gefahr sind,
Haus und Hof an die Bank zu verlieren. Mittlerweile - je geläufiger die
Hofaufgabe wird - lässt sich in der Börde allerdings auch so etwas wie ein
"geordneter Rückzug" beobachten. Viele Hofaufgaben erfolgen im
Generationswechsel, und der Kommentar lautet dann: Verantwortundsbewußte
Entscheidung der Kinder. Ein bisschen schade findet man es natürlich, wenn
dann die Ställe leer stehen und fremde Schlepper auf den eigenen Äckern ihre
Gülle ausfahren, aber auch ein bisschen erleichternd, dass man die nächste
Investitionsentscheidung nicht mehr treffen muss. Die jetzige
Elterngeneration der jungen Erwachsenen hat engagiert dafür gesorgt, dass
ihre Kinder eine gute Berufsausbildung erhalten, dass sie studieren, dass
sie nicht "als Hilfsarbeiter dastehen, wenn der Hof doch aufgegeben
werden muss", wie der Vorsitzende des landwirtschaftlichen Ortsvereins
von Bühne es ausdrückt. Gerne aber gibt niemand auf.
Eine
andere Begebenheit machte mir deutlich, dass sich diese Bauern in
Ostwestfalen deshalb nicht gegen den Untergang der Mehrzahl der Höfe wehren,
weil sie selbst gläubige Vertreter der Wachstumspolitik – wachsen oder
weichen – sind. Sie sind davon überzeugt (worden?), dass es nur diesen
einzigen Weg geben könne. Ein paar Monate später trat Wolfgang Reimer,
Abteilungsleiter in der Abteilung "Ländliche Entwicklung" des deutschen
"Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft" vor
einem noch größeren Auditorium von Landwirten und Landfrauen der Region auf.
In einem Podiumsgespräch mit Vertretern des Bauernverbandes (DBV) und
Journalisten der Zeitschrift des DBV "Landwirtschaftliches Wochenblatt"
musste er die Leitlinien der Agrarpolitik seines Ministeriums, das von der
Grünen Politikerin Renate Künast geführt wird, zu verteidigen.
Besonders angefeindet
wurde die Förderung des Bioanbaus und ferner das Bemühen des Ministeriums,
einen Teil der bisherigen Mittel zur Preisstützung von Agrarprodukten nun
für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung allgemein, z.B. von
Erzeugergemeinschaften und für Vermarktungshilfen, einzusetzen (die sog.
Modulation). Diese Hilfen sind im Zuge der positiveren Haltung des jetzigen
Ministeriums gegenüber landwirtschaftlichen Kleinbetrieben zu verstehen, -
positiver im Vergleich zu den vorherigen Ministern. Diese Haltung drückt
sich auch in der Debatte über die Schaffung von Obergrenzen der Förderung
aus, damit nicht denen, die sowieso viel haben auch noch mehr gegeben wird.
Wolfgang Reimer erntete wütende Proteste von allen Seiten: Das Ministerium
würde eine Politik nur für Nischen betreiben, darin läge keine Zukunft,
dieser Weg könne nicht von allen beschritten werden; die deutsche
Landwirtschaft müsse vielmehr auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben.
Der Hinweis von Wolfgang Reimer, dass es eben genau darum ginge, dass nicht
alle dasselbe täten, dass diese Vorgabe vielmehr für die Mehrheit bereits
den Ruin bedeutet hätte, dieser Hinweis verhallte ungehört. Genauso wenig
vermochten die Zuhörer zur Kenntnis zu nehmen, dass es nach Studien des
Ministeriums in Deutschland für sogenannte Premiumprodukte, die viel
geschmähten Nischen also, einen Marktanteil von 30 – 40% am Gesamtmarkt für
landwirtschaftliche Produkte gäbe.
Und
noch eine Erfahrung! Wie mächtig die Hirnwäsche von Seiten der
Landwirtschaftskammer sowie der Agrarindustriellen des DBV und ihrer
Propagandaschrift "Landwirtschaftliches Wochenblatt" ist, erfährt eine
Doktorandin der agrarsoziologisch orientierten Politikwissenschaft bei einem
Besuch österreichischer Höfe im Salzburgischen zusammen mit einer Gruppe von
Landwirten und Landfrauen aus der Warburger Börde. Sie berichtet, wie die
deutsche Gruppe bereits zahlreiche, gut funktionierende, schmucke Biohöfe
besucht hatte, als sie angesichts der Preise, die für deren Produkte in
einem Hofladen erhoben wurden, in Empörung ausbrachen: "Wer soll so was
bezahlen? Das kann doch nicht gut gehen mit solchen Höfen!". Dabei hatten
sie gerade mit eigenen Augen sehen können, dass es gut geht.
Kolonisierung des Landes (nicht nur in
der Dritten Welt)
Wieso
verteidigen diese Bauern nicht ihr Eigenes? Wieso reden sie sogar noch einer
industrialisierten Landwirtschaft für den Weltmarkt das Wort, die ihnen –
wörtlich – den Boden unter den Füßen wegzieht?
Klaus Seitz, ein Kenner
der mitteleuropäischen Landwirtschaft wie derjenigen in den Ländern des
Südens meint, dass den Landleuten durch die Modernisierungs-, Entwicklungs-
und Globalisierungspolitik in der Tendenz überall das Eigene, hier als
regionale Eigenart beschrieben, ausgetrieben wurde oder werden soll, im
Süden wie im Norden.
"Die Vielfalt regionaler
Eigenart liegt quer zum universellen Geltungsanspruch neuzeitlichen
Denkens und moderner Modernitätskriterien. Daher ist auch die moderne
Agrar- und Entwicklungstheorie zuallererst von dem Interesse geleitet,
herauszubekommen, welche Elemente einer ländlichen Kultur dem
Modernisierungsprozeß hemmend entgegenstehen. Ich möchte die
Fragestellung umkehren und stattdessen fragen, warum diese vielen
agrarischen Lebensformen dieser einen städtischen nicht widerstehen
konnten. ...Der Kolonisierung des Landes korrespondiert die
Kolonisierung des ländlichen Bewußtseins. .... Nirgendwo zeigt sich das
deutlicher als in der tiefen Verachtung, die viele Landbewohner
gegenüber ihrer ländlichen Herkunft hegen.... Was hat es mit dieser
eigentümlichen Freiheit der Wahl der Möglichkeiten auf sich, wenn diese
gleichzeitig so kanalisiert ist, daß überall auf der Welt, wo diese
Zivilisation der unbegrenzten Möglichkeiten angetreten ist, den
scheinbar traditionsverhafteten, unbeweglichen, alternativlosen
Agrarkulturen die Befreiung zu weisen, derselbe Baustil und dieselben
Autos, dieselben Krawatten und dieselben Umgangsformen, dieselben
Produktionsweisen und dieselben Lebensstile erwählt werden, von
Reutlingen bis hin zur kleinen Hafenstadt Papuas?"
Diesen
Prozeß des regionalen Identitätsverlustes, den wir auch als Verlust von
Stolz und als Ergebnis der Entwürdigung begreifen können, hat Frantz Fanon,
der französische Arzt aus der Karibik (der Französischen Kolonie
Martinique), der für die algerische Befreiung vom Kolonialismus kämpfte, in
"Schwarze Haut, weiße Masken" analysiert. Er nennt das Buch eine "klinische
Studie", die seinem Bruder, sei er "schwarz oder weiß" helfen soll, sich vom
kolonialistischen Denken und Fühlen zu befreien.
Was hat nun das Essen mit
all dem zu tun? Mehr als wir glauben! Ein Beispiel aus Afrika: Dort ist in
weiten Bereichen die einheimische Hirse, angepasst an Boden und Klima, woran
wiederum die Gerichte angepasst waren, durch den Weizen ersetzt worden. Zum
einen war der Weizen die Nahrung der Kolonialherren, sodaß es für viele
Kolonisierte als Errungenschaft galt, dasselbe zu essen. Dies ist die
"Kommunion" mit den Herrschenden, die wir überall kennen, verbunden mit dem
Glauben, damit auf gleichsam magische Weise, der (er) niedrig(t)en Stellung
zu entkommen und so zu werden wie diese.
Die Folge aber war, dass
damit zur Ausbreitung des Hungers beigetragen wurde.
Und
die sogenannte Hungerhilfe, seit 1955 zuerst von Seiten der USA als "food
for peace" aufgelegtes Programm, das in Wirklichkeit der Förderung des
US-Weizenexports galt, führte dazu, dass die Länder des Südens den Weizen
erst als Nothilfe, dann billig geliefert bekamen und sich dann schließlich
gezwungen sahen – z.B. weil sich die Ernährungsgewohnheiten geändert hatten,
oder der Boden im Land nicht für Weizenanbau geeignet war – zu
Weltmarktpreisen zu importieren. Auf diese Weise wurden Hirse, Mais und
Maniok gezielt verdrängt und mit ihnen die einheimischen Bauern vom Markt
gedrängt. Kaum überraschendes Detail ist die Tatsache, dass das "food for
peace" -Programm nicht dem Landwirtschafts- oder Wirtschaftsministerium,
sondern dem Außenministerium und damit direkt dem Präsidenten untersteht,
der mit dem „Weizen als Waffe" außenpolitisch Abhängigkeit betreiben konnte.
Ronald Reagan erklärte entsprechend 1981: "Wir werden die Welt erobern –
nicht mit Kernwaffen, sondern mit unserem Getreide". Das erinnert mich an
einen anderen Spruch: "Wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing".
Doch "wo die Gefahr am
größten ist, wächst das Rettende auch". So wie die Kolonisierung mit dem
Essen zu tun hat – hat auch die Entkolonisierung des ländlich-bäuerlichen
Denkens erheblich mit dem Essen zu tun. Die rettenden Anknüpfungspunkte sind
schließlich vorhanden. Das wurde mir anhand einer anderen Begebenheit in der
ostwestfälischen Börde klar. Mettwurst und Musikverein gehören hier eng
zusammen. Die Mettwurst ist eine besonders edle, luftgetrocknete Wurst, am
besten nach Hausschlachtermanier im Haus hergestellt. Es gehört zum
richtigen Umgang miteinander, dass eben diese Wurst als Gegenleistung für
die Ständchen des Musikvereins gereicht wird. Beides sind eigenständige,
kulturelle Elemente der Region.
Ganz
im Gegensatz zu der Rede, dass es auf dem deutschen Land nur noch der
Wachstumsideologie unterworfene, vornehmlich auf den Weltmarkt orientierte
Produktionsstätten gäbe, haben und konnten wir in dem erwähnten
Forschungsprojekt bestehende bäuerlich-handwerkliche Strukturen aufzeigen.
Und im Gegensatz zur verbreiteten Sicht, sowohl in der Wissenschaft wie im
ländlichen Denken, bäuerlich-handwerkliche Elemente als noch
existierend, aber dem Untergang geweiht, zu betrachten, haben wir die
dynamische Kraft derselben beschrieben: Die Haus-Hof-Wirtschaft auf den
Betrieben; die landwirtschaftliche Kreislaufwirtschaft, die vielfach
anzutreffen ist; Mischbetriebe; formelle und informelle, nicht
stromlinienförmig maximierungswirtschaftliche Arbeits- und
Tauschverhältnisse; handwerklich orientierte Fleischereien, Polstereien,
Schreinereien; Gemeinschaftlichkeit im Dorf anstelle des vorgeblich
grassierenden egoistischen Individualismus; gegenseitige Hilfeleistungen;
usw. Die Ergebnisse dieser Untersuchung haben wir vor Ort in einer
Ausstellung vorgestellt. Die zahlreichen Besucher und Besucherinnen haben
sich und ihre Gesellschaft in diesem Spiegel neu wahrgenommen. Vieles von
dem, was sie normaler Weise als provinziell, rückständig und letztlich schon
verschwunden dargestellt bekommen oder selbst ansehen, ist ihnen in
Wirklichkeit und in ihrem Innersten lieb und wert. Die Bestätigung dieser
Wertschätzung durch die Ausstellung hat wohltuend den Stolz auf das Eigene
wieder gestärkt.
Widerständige Anpassung an die
Moderne: Juchitán,die Stadt der Frauen im Süden Mexikos
Vergleichen
wir die Ergebnisse aus Ostwestfalen mit einer empirischen Untersuchung,
ebenso zum regionalen Wirtschaften im Süden Mexikos, dann können wir in
Juchitán eine gesellschaftlich und kulturell wesentlich besser
konsolidierte, regional wesentlich unabhängigere Wirtschaftsweise
feststellen. Sie ist nicht etwa durch Bewahren von Tradition unabhängiger,
sondern durch ihre Dynamik, die Modernisierung den eigenen Bedingungen und
Strukturen anzupassen.
Juchitán liegt in der
pazifischen Küstenebene des Isthmus von Tehuantepec. Es ist ein großes Dorf
von 80.000 Einwohnern und Marktstadt zugleich. Obwohl die Region, der des
Panamakanals ähnlich, schon geografisch gesehen dem Welthandel offen steht,
folgt sie nicht seinem Diktat. Auch wurde hier ab 1960 durch einen
Staudammbau Bewässerungsland geschaffen und entsprechend zahlreiche, auf
Produktionssteigerung und Export zielende landwirtschaftliche
Entwicklungsprojekte durchgeführt. Dennoch wird bis heute in der Umgebung
von Juchitán vor allem der "zapalote chico", die traditionelle, einheimische
Maissorte ausgesät.
Die
entscheidende Stütze für den "zapalote chico" ist die Sozialstruktur mit
ihrer spezifischen geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Frauen von Juchitán
sind Händlerinnen, es gibt keine Hausfrauen; und auch keine Bäuerinnen
sondern nur Bauern. Für die ist es wesentlich lohnender, den Mais an die
Frauen in der eigenen Stadt zu liefern, als an eine Aufkauforganisation, die
ihn exportieren würde. Die Juchitecas verarbeiten den Mais zu den
verschiedenen einheimischen Maisgerichten und zwar für den Verkauf auf dem
Markt. Dafür eignet sich ihrer Meinung nach bislang nur der "zapalote
chico", besonders weiß, mit viel Kleber und sehr eigenem Geschmack. Das gilt
zumal für den "totopo", eine haltbare Zwiebacktortilla, die von den
juchitekischen Fernhändlerinnen bis in den Süden der USA und bis nach
Guatemala hinein gehandelt wird. Diese "Veredelung" des Rohstoffes Mais vor
Ort, durch die Frauen meist der eigenen Familie, bringt dem Bauern, trotz
der vergleichsweise niedrigen Ertragsmenge der traditionellen Sorte, mehr
ein, als Hochertragsanbau und Verkauf an den 'broker’. Ferner bestätigt und
verfestigt er auf diese Weise seine sozialen Beziehungen, sowohl in seiner
Lebenspartnerschaft, als auch in der Stadt. Denn die städtische Gesellschaft
mit ihren großen gesellschaftlichen Ereignissen wird von den Frauen und
Händlerinnen getragen. Der Bauer bindet sich vermittelt über seine
Austauschbeziehungen ein. Zuguterletzt schützt auch das Klima den "zapalote
chico". Der besonders niedrige Wuchs, deshalb "chico" genannt, lässt ihn die
orkanartigen Böen des "norte" überstehen, die von September bis Februar
auftreten können. Und auch gegen die üblichen Plagen ist "der Kleine"
relativ resistent.
Nach allen Kriterien der
Entwicklungsökonomie müsste eine solchermaßen vorgeblich rückständige
Landwirtschaft mit Armut einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die
geschlechtsegalitäre, eben nicht geschlechtshierarchische Arbeitsteilung
konsolidiert die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Die wiederum sind der
Grund dafür, daß die Zapoteken von Juchitán nachgerade wohlsituiert leben.
Denn bei ihnen steht das Essen und insgesamt die Subsistenzversorgung im
Mittelpunkt der Ökonomie. So konnte eine eigenständige und dennoch flexible,
moderne regionale Marktwirtschaft entstehen, die nicht durch die
Entwicklungspolitik kolonisiert werden konnte.
Wie
ist dieses Phänomen zu verstehen? Im Zentrum der Gesellschaftsstruktur wirkt
eine andere Geschlechterbeziehung. Männer wie Frauen, Söhne wie Töchter sind
stolz auf ihre Herkunft, auf das Indianische, auf ihre Kultur, ihre Kunst,
ihr Essen, weil sie stolz sind auf ihre Abkunft, stolz auf ihre Mütter, die
die Wirtschaft in Schwung halten. Deshalb nennen wir Juchitán auch ein
zeitgenössisches Matriarchat.
Bei uns fehlt dieser Stolz
auf die Herkunft, oder zumindest ist er sehr viel schwächer. In unserer
patriarchalen Kultur überwiegt die Geringschätzung derjenigen, von denen die
Nahrung kommt: Frauen und Bauern. Kein Wunder, wenn auch diesen der
Eigensinn fehlt, der Stolz. "Bäuerliche Haut, städtische Masken" könnten wir
den Zustand bei uns in Anlehnung an Fanon und Seitz nennen. Statt einer
regionalen Identität folgen die meisten einer Ideologie der Produktion und
Kommerzialisierung, die vergessen machen soll, dass das Leben aus den Frauen
kommt und die Nahrung aus dem Land.
Insofern
diejenigen, die für die Nahrung zuständig sind, die Bauern und Bäuerinnen,
das offenbar genauso vergessen wollen, wie die Biotechnologie uns das alle
zusammen vergessen machen will, deshalb behaupte ich, daß die Bauern
vorneweg in den Abgrund rennen. Sie haben nun einmal eine andere, besondere
Verantwortung. Unglücklicherweise scheint das Patriarchat auf dem Land in
Österreich und Deutschland tief verankert. Der Patriarchalismus der Bauern
wurde gerade in der Moderne dadurch besonders deutlich, daß sie sich
lostrennen wollten von dieser weiblichen Versorgungsproduktion. Die
integrierte Haus-Hofwirtschaft wurde zunehmend aufgetrennt in die
Außenwirtschaft, die Geld einbringt und zur fast reinen Männerdomäne wurde.
Die Innenwirtschaft / Versorgungswirtschaft wurde auf eine reine
Frauenangelegenheit reduziert, wirtschaftlich unsichtbar. Die Bäuerin mit
ihrer Milch, ihren Hühnern, ihren Produkten und ihrem Markt wurde
abgeschafft. Der landwirtschaftliche Unternehmer entstand auf den Schultern
der Hausfrau.
Was können wir
tun?
Das
Essen wieder in den Mittelpunkt stellen - auf dem Land! Auf den
Spezialitäten beharren, die uns die jeweils besondere Geografie und Kultur
vererbt haben. Regionales Essen genießen, auch auf dem Land, gerade auf dem
Land! Wenn diejenigen, die die Lebensmittel anbauen, sie noch nicht mal
selbst wertschätzen, wie sollen sie denn die anderen wertschätzen können?
Bei mehr Stolz und Eigensinn kann es nicht passieren, dass z.B. von der
Vielfalt der Kulturpflanzen nur einige wenige Weltmarktpflanzen in der Hand
von Chemiemultis übrigbleiben.
Die private Hausfrau
abschaffen, die gute Versorgung mit leckerem Essen zu einer öffentlichen
Angelegenheit erheben, vielleicht auch die Hausfrau neu erschaffen (s.u.),
als wirtschaftende, fordernde, öffentlich agierende Erwerbstätige, womit sie
viel von der alten Bäuerin haben würde. Die hat z.B. ihre Erzeugnisse auch
verkauft, etwa auf dem regionalen Markt und das Geld dafür war ihres. Die
war kein sanftes Frauchen am Herd, das entsagungsvoll alle anderen versorgt.
Sie war Stolz auf ihre Produkte und ihr Wissen, von ihrem Tun hing der Hof
ab, mindestens genauso wie vom Tun des Bauern, wenn nicht mehr.
Den
regionalen Markt neu erschaffen. Regionales Essen genießen, - gemeinsam. Der
viel geschmähte Markt, gegen den man nichts tun könne, ist in Wirklichkeit
eine ausgezeichnete Weise, wie die Lebensmittel, die in einer Region
hergestellt werden, auch in der Region verteilt und verzehrt werden können.
Dann freilich funktioniert er auch anders. Er stiftet dann Gemeinsamkeit im
Gegensatz zum anonymen Weltmarkt, über den der Supermarkt beschickt wird.
Der trennt die Menschen voneinander, von ihrer Kulturlandschaft, von ihren
Bäuerinnen und Bauern. Er trennt Agrikultur und Esskultur voneinander.
Eigentlich müßten die
Bauern und Bäuerinnen mit ihrem Traktor nicht nur McDonalds-Buden, sondern
mindestens genauso die Supermarkt-Buden zusammenschieben. Na ja, sie sollten
wenigstens als Gemeinderatsherren nicht dafür stimmen, daß neben Rewe,
Allfrisch und Jibi auch noch ein Aldi eine neue Bude mit Pappkartons
eröffnen kann - so geschehen in Borgentreich, dem Ort in der Warburger Börde
in Ostwestfalen mit 2 300 Einwohnern und noch 60 wirtschaftenden Höfen. Und
dann gleichzeitig über den Verbraucher klagen...
Dabei
sind die rettenden Anknüpfungspunkte auch heute sehr wohl verhanden, wie ich
anhand eines anderen Beispieles aus der Warburger Börde zeigen kann, der
Bäuerin Heike Schäfer-Jacobi und ihrer Wirtschaftsweise.
Fazit
Das
größte Problem unserer Epoche besteht darin, dass wir über keinen
befreienden Diskurs jenseits des sozialistischen und des
bürgerlich-kapitalistischen verfügen. Beide sind städtisch, beide sind
technikgläubig, beide sehen Freiheit nur jenseits des Reiches der
Notwendigkeit, jenseits der Naturabhängigkeit. Deshalb stellen sie
mitnichten einen Gegensatz dar oder gar irgendeine Alternative in der Welt
des 21. Jh.. Wir verfügen über keinen Freiheitsdiskurs, der vermitteln
würde, dass Herrschaftslosigkeit, und das heißt Eigenmacht, durch die
Anerkennung der Abhängigkeit von der Natur, von der Erde, vom Klima, von der
Naturhaftigkeit des Menschen, von der menschlichen Geburt, von der
Verwandtschaft miteinander entstehen. Wer aber ist näher an der Erkenntnis
dieser Abhängigkeit, wer hat mehr Erfahrung mit ihr als die Menschen in der
bäuerlichen Wirtschaft? Sie sind es auch, die nach wie vor die Erfahrung
machen, wie viel Freiheit es bedeutet, sich selbst versorgen zu können, und
wie viel Eigenmacht, das eigene Brot zu essen und das eigene Lied zu singen.
Dennoch verfügen wir über keinen bäuerlichen Freiheitsdiskurs. Statt ihn zu
schaffen oder an ihm mit zu schaffen, folgen viele Bauern dem technischen
und finanziellen Machbarkeitswahn, der so viel Ohnmacht hervorruft.
Vielleicht ist dem so, weil im Zentrum eines Denkens, das unsere
Naturabhängigkeit anerkennt, die Anerkennung der Herkunft von der Mutter
steht, dass wir Menschen ebenbürtig miteinander sind, weil wir alle von
einer Mutter geboren wurden. Und, um abschließend zum Essen zurückzukehren:
Was ist Essen anderes als die Kommunion mit der Mutter?
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