Aurora-Magazin:
Herr Gurgiser, Sie gelten als einer der wichtigsten Widerständler des
alpinen Transits. Was nervt bzw. beunruhigt Sie bei Ihrer Arbeit am
meisten?
Gurgiser:
Ich sehe mich gar nicht als Widerständler, sondern weit eher als
Bürgerrechtler. Deshalb habe ich auch beim Transitforum die Ergänzung "Ihre
alpine Bürgerrechtsorganisation" eingefügt. Weil ich mit vielen anderen seit
Jahren um die Grundrechte der Menschen auf ihre Gesundheit, ihren intakten
Lebens- und Wirtschaftsraum und damit um ihr Grundrecht auf Überleben in
unseren Gebirgsregionen kämpfe. De facto ist das also kein Widerstand,
sondern ein Engagement für etwas ganz Normales. Als Widerständler sollte man
eigentlich die bezeichnen, die seit vielen Jahren Widerstand gegen das
Umsetzen längst notwendiger Rahmenbedingungen leisten. Daher nerven und
beunruhigen mich die Untätigkeit der hochdotierten politischen
Entscheidungsträger, die über das Ankündigen und Versprechen von allen
möglichen Dingen nicht hinauskommen;.die Trägheit, die Lethargie und auch
der Stillstand in den eigenen Reihen, wo sich eine Reihe sogenannter
Plattformen, Vereine, Initiativen etc. in ihrem ganzen Gehabe schon den
verkrusteten Parteistrukturen angeglichen haben; und die Europäische
Gemeinschaft, die keine Gelegenheit auslässt, Bürgerrechte zu verletzen und
zu missachten – wie bspw. die Vertragsziele des Beitrittsvertrages
Aurora-Magazin:
Wer sich mit Ihrer Arbeit auseinandersetzt, der wird bald bemerken, dass
diese immer auch ein Beharren auf rechtliche Vereinbarungen - so etwa
den Transitvertrag oder die Alpenkonvention - gewesen ist. Nun gibt es
aber auch die europäischen Grundfreiheiten, so den freien Warenverkehr.
Haben nicht auch die Recht, die dessen Umsetzung und also freie Fahrt
über die Alpen fordern?
Gurgiser:
Es gibt in der Europäischen Gemeinschaft kein Recht auf Vergiftung, kein
Recht auf Verlärmung und damit kein Recht auf Zerstörung bestimmter Lebens-
und Wirtschaftsräume. Damit will ich sagen, dass vor der freien Fahrt immer
das Grundrecht auf Gesundheit unverrückbar steht. Daher ist das nächste
Ziel, diesem Grundrecht auf Gesundheit so zum Durchbruch zu verhelfen, wie
wir auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor dem EuGH durchgesetzt
haben. Denn jede "freie Fahrt" hat punktgenau dort ihre Grenze, wo die
Freiheit anderer beschnitten wird. Das ist ein unumstößlicher Grundsatz – er
muss in der Realität allerdings schwer erkämpft werden.
Aurora-Magazin:
Die EU hat sich entschieden gegen die bisherigen Transitvereinbarungen
(Ökopunktesystem, Deckelung der Transitfahrten) ausgesprochen. Wie geht
das Transitforum mit dieser neuen Situation um?
Gurgiser:
Die EU hat sich damit starken demokratiepolitischen Schaden zugefügt. Denn
wer eigene Verträge und Vereinbarungen nicht hält, braucht sich nicht zu
wundern, dass bspw. die Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger ständig
sinkt. Dass wir uns jetzt neue Strategien überlegen müssen, liegt auf der
Hand. Eines aber kann niemand von uns verlagen, nämlich dass wir uns über
Jahre auf Basis bestehender Primärrechte für die Menschen einsetzen und dann
diejenigen, die diese Primärrechte im Namen der Bevölkerung abgeschlossen
und vereinbart haben, sich dann sang- und klanglos von diesen Vereinbarungen
verabschieden. - Aber Rechts(un)ordnungen, die den Transit, aber nicht die
Gesundheit schützen, schreien ja direkt danach, wieder korrigiert zu werden.
Aurora-Magazin:
Spielt der 1991 geschlossene Transitvertrag in Ihrer Arbeit noch eine
Rolle oder hat er mit seinem Auslaufen 2003 seine Bezugsfunktion
verloren?
Gurgiser:
Der im Zeitraum 1.1.1993 bis 31.12.1994 gültige "Transitvertrag" wurde mit
wichtigen inhaltlichen Veränderungen zu Lasten der österreichischen
Bevölkerung als Protokoll Nr. 9 in den EU-Beitrittsvertrag übernommen.
Dieses Protokoll Nr. 9 steht im EG-Primärrecht, das entspricht dem
Verfassungsrang, und wurde mit dem Ziel geschlossen, die N0x-Emissionen der
Transit-Lkw bis zum Jahr 2003 um – 60 % zu reduzieren. Nachdem dieses Ziel
bisher kilometerweit verfehlt wurde – tatsächlich ist bisher eine Zunahme
dieser N0x-Emissionen um + 18 % festzustellen, das wird auch von der
Europäischen Umweltagentur aktuell bestätigt – bleibt das Vertragsziel
selbstverständlich rechtlich bindend und es muss, solange es nicht
"dauerhaft und nachhaltig" erreicht ist, am Vertragsziel weiter gearbeitet
werden . Aus meiner Sicht mit zusätzlichen Maßnahmen,
d.h.verschärften Nachtfahrverboten, sektoralen Fahrverboten für bestimmte
Güter, wie z. B. Müll, Schrott, Fahrzeuge, Gefahrgut etc. Maßnahmen, die
diesen hochsubventionierten Straßengüterverkehr endgültig auf ein
wirtschaftlich notwendiges Maß begrenzen. Übrigens empfiehlt auch die
Europäische Umweltagentur diese zusätzlichen Schritte in ihrem Bericht.
[EEA, Technical Report 48, Dez. 2001].
Aurora-Magazin: Was
sind die Veränderungen zu Lasten der österreichischen Bevölkerung, von
denen Sie sprechen?
Gurgiser:
Die Verkürzung der Laufzeit, der Wegfall des Straßenverkehrsbeitrages, der
Wegfall der bilateralen Kontingente, der Wegfall der Grenzkontrollen sowie
eines großen Teiles der Aufzeichnungen über den Transitverkehr. Außerdem
gibt es bei der Eisenbahn bzw. beim kombinierten Verkehr nur mehr allgemeine
Zielsetzungen anstelle konkreter Maßnahmenpakete. Und das ist noch lange
nicht alles. Im Detail steht alles in unserer Homepage unter Fakten.
Aurora-Magazin: Wie
sind die Nachfolgeregelungen des Transitvertrages aus Ihrer Sicht zu
beurteilen?
Gurgiser:
Derzeit gibt es als "Nachfolgeregelung" die Verordnung (EG) 2327/2003 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Dezember 2003. Sie wird von
der österreichsichen Bundesregierung nicht vollzogen, weil sie real durch
eine Reihe von Sonderregelungen in der Praxis nicht umsetzbar ist. Das ist
der Stand – und es ist äußerst bedauerlich, dass sich die Mitgliedsstaaten
sowie das Europäische Parlament nicht auf eine Regelung einigen konnte, die
das Vertragsziel der Reduktion sicherstellen kann. Dass die österreichischen
Politiker in dieser Frage auf eine Reihe von demokratischen Möglichkeiten
verzichtet und dadurch dieser de facto Freigabe des LKW-Transitverkehrs
Vorschub geleistet haben, ist im Band 5 von Tatort Brenner aufgearbeitet und
nachzulesen.
Aurora-Magazin:
Warum will man eine Deckelung (108% vom Wert des Jahres 1991) bei den
Transitfahrten und begnügt sich nicht mit einer Begrenzung beim
Schadstoffausstoß und mit festgesetzten Lärmgrenzen?
Gurgiser:
Aus unserer Sicht muss es eine Begrenzung der Lkw-Transitfahrten geben, da
technische Verbesserungen der Fahrzeuge bei gleichzeitigem unbegrenzten
Wachstum zu keinen Entlastungen führen. Die technischen Verbesserungen der
letzten Jahre, die im Fahrzeugbereich gesetzt wurden, sind alle durch den
Anstieg der Lkw-Transitfahrten um über 50 %, im Zeitraum 1991-2003,
egalisiert worden. Außerdem muss die alpine Grundregel Nr. 1 – "Begrenzte
Täler vertragen keinen unbegrenzten Verkehr" – durchgesetzt werden, sonst
laufen wir von einem Schadstoff- und Lärmtal ins das nächste. Und die
Verursacher halten an ihrer völlig falschen Wirtschafts- und Verkehrspolitik
zu Lasten von Mensch und Natur fest.
Aurora-Magazin: Was wäre für
Sie eine "dauerhafte und nachhaltige Lösung des Transitproblems"?
Gurgiser:
Da kann ich nur auf unsere
"Alpenschutz-Transiterklärung" verweisen, die ein breites Bündel an
Maßnahmen vorsieht, um das Transitproblem "dauerhaft und nachhaltig" zu
lösen: Z.B. die Umsetzung der Kostenwahrheit, die Nutzung der vorhandenen
Eisenbahnkapazitäten, den Ausbaustopp weiterer Alpentransitstraßen, das
Nachtfahrverbot für Lkw auf Alpentransitrouten oder die Stärkung der
Produkte mit kurzen Transportwegen. [siehe dazu die
Alpenschutz-Transiterklärung] Die wichtigste Maßnahme zur Lösung des
Lkw-Transitverkehrs bleibt aber sicher eine verursachergerechte Anlastung
aller Kosten, die der Lkw verursacht. Erst dann kann man sehen, ob es noch
zusätzliche Maßnahmen braucht, um die Zielsetzung – die Reduktion der
Belastungen auf ein für Mensch, Natur und Wirtschaft erträgliches Maß – zu
erreichen.
Aurora-Magazin:
Was heißt für Sie Kostenwahrheit? Oder anders gefragt: Wie müsste für
Sie eine verursachergerechte Wegekostenberechnung aussehen?
Gurgiser:
Verursachergerecht bedeutet, dass jeder seine Kosten, die er verursacht,
auch selbst bezahlt: Von der Instandhaltung der Infrastruktur bis hin zu den
externen Kosten wie Gesundheits- und Umweltschäden. So wie jeder Haushalt
und Betrieb, der viel Müll verursacht, eben auch mehr bezahlt als andere,
die Müll vermeiden. Es ist uns zwar gelungen, diese volkswirtschaftlich
richtigen Ansätze auf europäischer Ebene zu verankern, Grün- und Weißbücher
strotzen davon, an der Umsetzung scheitert es allerdings noch. Es führt aber
kein Weg an dieser verursachergerechten Belastung vorbei; außer man will das
ohnehin kranke Straßentransportsystem noch weiter künstlich und hoch
subventioniert am Leben halten und den Menschen und Betrieben wertvolles
Kapital entziehen.
Aurora-Magazin:
Was halten Sie vom Roadpricing?
Gurgiser:
Das Roadpricing in der jetzigen Form entspricht nicht dem Prinzip der
"Kostenwahrheit", sondern eher einer neuen Lkw-Steuer oder Bau-Steuer mit
dem Ziel, mit den Geldern neue Straßen, Tunnels, Umfahrungen etc. zu bauen.
D. h. die bestehenden Probleme noch ganz wesentlich zu verschärfen anstatt
die Ursachen zu lösen. Denn die Umsetzung der Kostenwahrheit würde bedeuten,
dass die Einnahmen einer verursachergerechten Abgabe der Allgemeinheit
zugute kommen, die heute rund 85 % der vom Lkw verursachten Kosten über ihre
Steuern subventioniert. Soll ein Roadpricing also der Kostenwahrheit
entsprechen, müsste man mit den Einnahmen steuerliche Entlastungen für die
Allgemeinheit finanzieren. Das jetzige Roadpricing ist punktgenau betrachtet
nur eine versteckte Subvention zur Aufrechterhaltung der schon "klinisch
toten Bauwirtschaft". Und so wie es sich seit 1. Jänner 2004
herauskristallisiert, hat es auch noch dazu geführt, dass zahlreiche
40-Tonner wegen dieses Roadpricing sogar auf Bundes- und Landesstraßen
ausweichen. Wie vor 40 Jahren rollen nun schwere Laster durch Kreisverkehre,
über Zebrastreifen, vorbei an Schul- und Kindergartenwegen – nur um sich ein
paar lächerliche Cent zu sparen.
Aurora-Magazin:
Wie sinnvoll ist es, gegen den Transit mobil zu machen, wenn es sich
z.B. auf der Tauernautobahn, laut Wirtschaftskammer, bei 85% der Fahrten
um innerösterreichische Fahrten handelt?
Gurgiser:
Wer sich genau mit meiner Arbeit befasst, sieht ganz genau, dass das
Forderungsprogramm ganz klare Schwerpunkte setzt und in den wichtigsten
Bereichen keine Unterschiede zwischen Transit und Lokalverkehr macht. Denn
Kostenanlastung nach dem Verursacherprinzip trifft jeden und ist damit eine
gerechte Angelegenheit. Und in dem Moment, wo sich Kostenstrukturen
tatsächlich verändern, reagieren wir natürlich auch in den Betrieben. Wenn
es sich nicht mehr rechnet, Halb- und Fertigprodukte über Tausende Kilometer
herumzukarren, reduzieren wir sowohl den Transit- als auch den Lokalverkehr.
Und sorgen damit für Arbeitsplätze, die heute über Tausende Kilometer
ausgelagert werden. Man braucht sich ja nur das langsame Sterben der kleinen
Strukturen in den Dörfern anschauen, dann weiß man, dass längst Feuer am
Dach ist und gegengesteuert werden muss. Oder wollen wir in Zukunft auf
unsere Bäcker, Schlosser, Tischler, Metzger, Dorfwirte und viele andere
verzichten und für Menschen, die kein Auto haben, "Einkaufen auf Rädern"
organisieren? Ich kenne keinen Ökonomen, der unsere Ansätze für unrichtig
hält. Diesbezüglich haben sich alle unsere Argumente, die wir bereits 1996
in unserer Untersuchung "Kostenwahrheit – Verkehrsinfrastruktur und
wirtschaftliche Entwicklung" aufgearbeitet haben, leider bewahrheitet; wir
wurden von der Realität sogar weit übertroffen.
Aurora-Magazin:
Häufig wird das "Schweizer Transitmodell" mit hohen Mauten bzw.
Wegebenützungsgebühren für LKWs und dem massiven Ausbau der
Eisenbahnentrassen als Ideal hingestellt. Ist die Schweiz für Sie in
ihrer Transitpolitik vorbildlich?
Gurgiser:
Die Schweiz ist nie ein Vorbild für mich
gewesen. Zum einen vergessen sie bei der Erwähnung ihrer "hohen Mauten" zu
sagen, dass sie vorher praktisch nichts verlangt haben. Eine Erhöhung von 0
auf 100 schaut natürlich gut aus. Und wer die Lösung des europäischen
Lkw-Transitproblems im Bau von immer neuen Strukturen - ob Straße oder
Schiene bleibt unerheblich - sieht, arbeitet dem von uns kritisierten
"kranken, künstlich erzeugten und hoch subventionierten Transportsystem"
blindlings in die Hände. Ist ein Korridor nach Jahren fertig, fehlen schon
wieder zwei andere. Deshalb stehen wir konkret auf der Seite der
Ursachenbekämpfer, da neue Strukturen nur neue Probleme schaffen und die
öffentlichen Gelder viel intelligenter in den Regionen eingesetzt werden
können. Dazu lautet einer meiner Kernsätze: Kein Dorf, keine alpines Tal und
keine alpine Region sichert die Arbeitsplätze in den nächsten 10, 20 oder 30
Jahren durch den Bau von Umfahrungen, Tunnels oder sonstigen Strukturen. Für
das wirtschaftliche Überleben unserer Betriebe ist es völlig unerheblich,
wie viele Pkw, Busse, Lkw oder Eisenbahnwaggons vorbei oder unten durch oder
oben drüber fahren. Entscheidend ist die Qualität der wirtschaftlichen
Strukturen in der Region.
Aurora-Magazin:
Wenn’s nach den Gegnern der so genannten Transitgegner ginge: Wie könnte
man sich das Szenario im Alpenraum dann vorstellen?
Gurgiser:
Wir haben keine Gegner, sondern nur rücksichtslose Schmarotzer. D. h., die
Ziele, die von den Lobbyisten verfolgt werden, liegen klar auf dem Tisch:
Auf den wichtigsten europäischen Straßentransitrouten – eben auch durch die
Alpen – freier Warenverkehr. Ohne Rücksicht auf die Menschen, ihren Lebens-
und Wirtschaftsraum und ihre jahrhundertealte Kultur. Ohne Rücksicht aber
auch auf die Alpen als das ökologische Herz Europas. Dieses Szenario wird
nicht eintreten, daher sage ich nicht mehr dazu.
Aurora-Magazin:
Für die Ökonomen ist es mittlerweile ein Gemeinplatz, dass der
internationale Handel den einzelnen Ländern in jedem Falle Vorteile
bringt. Der Freihandelstheoretiker David Ricardo spricht diesbezüglich
vom "Prinzip des komparativen Vorteils". Nun ist aber der Freihandel
untrennbar mit dem Transport über weite Strecken und damit dem Transit
verbunden. Wird man damit als Transitgegner nicht automatisch zum Feind
der Wirtschaft und des Wohlstands?
Gurgiser:
Diese These wird von Ökonomen der Gegenwart,
die in die Zukunft blicken, nicht geteilt – sie ist überholt und nicht mehr
der Rede wert. Nicht umsonst ist Ricardo ein "Theoretiker". Wir schauen uns
das immer wieder in der Praxis an und die schaut ganz anders aus. Einige
wenige werden immer größer, spielen Regionen und Länder gegeneinander aus
und schauen, dass sie durch undurchschaubare Firmengeflechte jeder Kontrolle
entzogen werden. Die Folgen liegen klar auf der Hand: Immer mehr Pleiten,
immer mehr Verlust an Perspektiven und immer weniger klein strukturierte
Betriebe, in denen der Mensch noch etwas zählt. Das heißt, und wir haben das
ja bereits in einer Untersuchung, die übrigens seit 1991 aufgearbeitet und
aktualisiert wird, klar aufgezeigt: Mit der steigenden Transportleistung auf
der Straße steigt die Arbeitslosigkeit und sinkt das Realeinkommen, steigen
die Pleiten und Konkurse. Alles Faktoren, die nicht als positiv zu bewerten
sind.
Aurora-Magazin:
Nach der "Abstimmungsschlappe" im EU-Parlament (480 gegen 79 Stimmen
sprachen sich für die Abschaffung des bisherigen Ökopunktesystems aus)
hat Ronald Barazon, der Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, in
einem Editorial gefordert, "den Verkehr endlich als Tatsache" zu
akzeptieren. Er meinte, dass der Verkehr "in gewissen Zonen dominieren
müsse und dort folglich das Wohnen nicht möglich sei". Hat er in
Wahrheit nicht recht und ist das Bestreben, den "Lebens- und
Wirtschaftsraum" entlang der europäischen Verkehrsachsen zu erhalten,
ein zukunftsloser Akt?
Gurgiser:
Es wird immer Menschen geben, denen die Profitgier wichtig ist, denen der
Aktienkurs wichtiger als der eigene Herzschlag ist. Erst dann, wenn sie auf
dem Totenbett liegen und merken, dass sie nichts mitnehmen können, weil auch
ihr letztes Hemd keine Taschen hat, kommt die Reue. Sie kommt halt zu spät.
Es ist noch viel bemerkenswerter, dass auch äußerst intelligente Menschen
wie Ronald Barazon letztlich den Verkehr als "Naturgesetz" empfinden, gegen
das man nichts tun könne. Dabei ist der heutige Verkehr das beste Beispiel
dafür, wohin die technische Entwicklung führen kann, wenn sie nicht
gesteuert wird. Verkehr wird von Menschen künstlich erzeugt und er ist daher
auch von Menschen wieder auf ein normales Maß zurückzuführen.
Ich glaube, dass weniger Verkehr heute mehr Regionalität und damit mehr
Qualität bedeutet – sowohl wirtschaftlich als auch menschlich. Das Prinzip
der Nähe ist für das Wohlbefinden in der Familie ausschlaggebend – das
Prinzip der Nähe ist auch die Antwort gegen den unkontrollierten
Globalisierungs- und Liberalisierungswahnsinn.
Aurora-Magazin:
Gegen Mauten und das Roadpricing gibt es häufig auch inneralpinen
Widerstand: Mauten und Roadpricing, heißt es, würden die alpinen
Regionen der Konkurrenzfähigkeit berauben.
Gurgiser:
Das Argument ist meines Erachtens völlig unsinnig und würde bedeuten, dass
die z.B. alpine Bauernschaft nur Produkte mit niederer Qualität erzeugt,
deren Vermarktung von niederen Transportpreisen abhängt. Denkt man dieses
Argument richtig durch, dann haben diese Bauern ohnehin nie eine Chance auf
dem Markt. Denn sie sind zu klein strukturiert, um mit den hoch
subventionierten Massenproduktionen jemals mithalten zu können. Punkten
können die Alpenbauern meines Erachtens nur im hochqualitativen
Nischenbereich und vor allem in der Nahversorgung.
Aurora-Magazin:
Und was die Gewerbebetriebe anbelangt?
Gurgiser:
Das gilt für alle unsere kleinen Strukturen – ob in Landwirtschaft,
Tourismus, Gewerbe, Handel oder Industrie. Wir werden nie mit
Massenproduktionen mithalten können, weil es immer einen Billigeren geben
wird. Gestern in den Sonderwirtschaftszonen in Polen oder Tschechien, heute
in Südostasien und schon morgen vielleicht in Usbekistan oder sonst
irgendwo. Entscheidend ist auf Grund unserer "natürlichen Grenzen" das
Besinnen auf Qualität und nicht auf Quantität. Das ist meine lange Erfahrung
und ich werde darin von immer mehr Kennern der Wirtschaft bestätigt. Meist
halt nur unter vorgehaltener Hand. Man wird ja als "Wirtschafter" nicht dem
Gurgiser womöglich öffentlich Recht geben, wo kämen wir da hin! Das macht
aber nichts, denn gerade diese "alpine Verschämtheit" ist ein hohes
kulturelles Gut, meine ich.
Aurora-Magazin:
Ist die Erreichbarkeit der Alpen und damit der Bau bzw. Ausbau
hochrangiger Straßen- und Schienennetze in den Alpen nicht die
Vorbedingung für die touristische und wirtschaftliche Entwicklung dieser
Regionen? Sie kennen dieses Argument mit Sicherheit: Über die Autobahn
kommen auch die Busse mit den Gästen.
Gurgiser:
Natürlich ist dieses Argument richtig. Aber auch in diesem Fall gilt das
richtige Maß: Weil begrenzte Täler keinen unbegrenzten Verkehr vertragen
[vgl. dazu: Tatort Brenner Band 3, Transitforum, 2002], muss man sich jetzt
der Situation stellen, dass die Periode des weiteren Straßenbaus zu Ende
ist. Jetzt geht es bereits um intelligente Modelle der Mobilität, da auf
Dauer bei diesen Verkehrsbelastungen der "Qualitätstourismus", und der
sichert der Region das wirtschaftliche Überleben, auf der Strecke bleibt.
Die Stärke des Alpenraumes sind die Erholungswerte: Ruhe, gute Luft, gutes
Wasser etc.. Niemand kommt zu uns, um hinter Lärmschutzwänden oder –fenstern
Autos zu zählen – das kann er zu Hause auch.
Aurora-Magazin:
Im 5. Band von "Tatort Brenner" legen Sie und Ihre Mitstreiter demnach
auch "ein starkes Bekenntnis zur Regionalwirtschaft" ab. Können Sie hier
grob skizzieren, worin für Sie die Vorteile von regionalen
Wirtschaftskreisläufen gegenüber dem internationalen Handel liegen?
Gurgiser:
Wir erleben heute – und die Erweiterung der Europäischen Union mit 1. Mai
2004 spielt da auch eine sehr große Rolle – dass immer mehr Produktionen
ausgelagert werden. In diesem Zusammenhang sollte man sich aber
überlegen, ob es nicht wirtschafts- und lebensraumschonender ist, für
das Regionalprodukt einen Cent oder Euro mehr auszugeben. Es mag das
„Kilometerfresserprodukt" auf den ersten Blick günstiger sein. Der zweite
Blick zeigt, dass das günstige Produkt über Tausende Kilometer herangekarrt
werden muss. Der Verlust der Lebensqualität durch das hochsubventionierte
Hin- und Hergekarre ist die eine; der Verlust des Lehrlings- oder
Arbeitsplatzes die zweite Folge. Mit dem Engagement für die
Regionalwirtschaft muss aufgezeigt werden, dass es auch andere Möglichkeiten
gibt, als bloß zuzuschauen, wie Region um Region durch internationale
Konzerne gegeneinander ausgespielt werden. Wie in Regionen zuerst die
Bodenschätze und später die Arbeitskraft geplündert werden. Natürlich unter
dem Titel "Fortschritt für die armen Länder" oder dem Programm "Heranführen
an den westlichen Standard". In der Realität schaut das dann meist so aus,
dass in diesen Ländern Produkte veredelt werden, die die Menschen dort gar
nicht kaufen können, weil sie zu teuer sind. Daher müssen diese Produkte
wieder zu uns zurückgekarrt werden. Auch ein Kreislauf, aber kein besonders
intelligenter und kein besonders menschlicher. Weil aber wenig Sozialkosten
und sonstige Steuern anfallen, weil den Betrieben keine Umweltauflagen
erteilt werden, ist es lukrativ, dort zu produzieren und die
Kilometerdistanzen zu steigern. Denken wir also nach, wohin alpine Regionen
driften, wenn wir selbst zwar laut nach dem Wirt, dem Metzger, dem
Nahversorger, dem Handwerker, dem Bauern etc. im Dorf rufen, unser Geld aber
nicht bei ihnen lassen. Mit dem Euro in der Hand liegt eine der letzten
freien Entscheidungen noch bei uns: Stärken oder schwächen wir die Region
mit unserem Kaufverhalten? Die Formel lautet also:
Der Griff zum Regionalprodukt stärkt die Region, der Griff zum
Kilometerfresserprodukt schwächt die Region. Das gleiche gilt wie gesagt
auch für außeralpine Regionen. Wer Frieden will, muss den Mut haben,
weltweit Regionen wirtschaftlich zu stärken, sie nicht zu plündern und sie
langfristig in einen fairen und gerechten Warenaustausch einzubinden.
Aurora-Magazin:
Ein Vertragswerk, auf das sich die Transitgegner immer wieder beziehen,
ist die 1991 von den Staaten mit Alpenanteil ratifizierte
Alpenkonvention. Was macht sie so bedeutend und was wären Ansätze, sie
umzusetzen?
Gurgiser:
Die Alpenkonvention stellt den gesamten Alpenraum zum ersten Mal als
besonderen Raum dar, der eben Bedingungen aufweist, z.B. enge Gebirgstäler,
die mit Bedingungen in Flachländern nicht vergleichbar sind. Deshalb müssen
hier andere Regelungen gelten, die in den verschiedenen Protokollen der
Alpenkonvention festgelegt sind. An der Umsetzung wird sich zeigen, ob die
Entscheidungsträger genug Weitblick haben, diesem sensiblen Raum mit dem
notwendigen Respekt zu behandeln. Oder ob sie sich unter dem Druck der nur
profitorientierten Lobbyisten von der Umsetzung drücken wollen.
Aurora-Magazin:
Täuscht es oder stimmt der Eindruck, dass die Alpenkonvention innerhalb
der Bevölkerung kaum wahrgenommen wird?
Gurgiser:
Das ist durchaus auch mein Eindruck und hängt ganz einfach damit zusammen,
dass in den letzten Jahren äußerst schwierige Verhandlungen um die
verschiedenen Protokolle geführt wurden. Es wäre aber nicht zielführend
gewesen, die Bevölkerung dauernd mit nicht ausverhandelten Protokollen zu
konfrontieren. Jetzt aber muss es diese Offensiven geben, um
Missverständnisse und Fehlmeinungen abzubauen und die positiven Aspekte bei
den Menschen zu verankern.
Aurora-Magazin:
Für manche Gruppierungen und Staaten stellt die Alpenkonvention nichts
anderes dar als eine wirtschaftshemmende Umweltschutzmaßnahme. Wie
beurteilen Sie diese Sichtweise?
Gurgiser:
Das ist eher eine ganz falsche Sichtweise, die halt von Systembewahrern
gerne eingenommen wird. Nur ja nichts verändern und immer gleich weiter tun
– und nur von einem auf den nächsten Tag zu denken. Denn die Ziele der
Alpenkonvention stellen ja genau auf den sensiblen Lebens- und
Wirtschaftsraum ab und stellen die regionale Bewirtschaftung und die
Qualität in den Vordergrund. Gehen wir diesen Weg nicht, bleibt von den
Alpen langfristig nicht viel übrig: Ein paar Transitschneisen, ein paar
"Über-Drüber-Tourismus-Gemeinden" und vielleicht noch das eine oder andere
High-Tech-Zentrum auf der einen Seite und eine ganze Reihe ausgesiedelter
Gemeinden genauso wie noch ein paar Schlafgemeinden auf der anderen Seite.
Hinten in den Tälern noch die Gletscherlifte mit ein paar "Abzocker-Almen"
und sonst wird nicht viel bleiben. Das ist keine Perspektive, der man als
alpiner Mensch mit Verantwortungsbewusstsein näher treten kann.
Aurora-Magazin:
Das Transitforum Austria-Tirol versucht den Widerstand gegen den alpinen
Transit zu bündeln. Gelingt dieser Übergang vom lokalen bzw. regionalen
zum überregionalen bzw. alpinen im gewünschten Ausmaß?
Gurgiser:
Das ist aus vielen Gründen ein sehr schwieriger Teil unserer Arbeit. Geht es
doch darum, die kritischen Geister halbwegs unter einen Hut zu bringen, die
sich in zahlreichen Vereinen, Bürgerinitiativen und anderen Organisationen
sammeln. In der offiziellen Politik fehlen diese Menschen ja zusehends;
leider sind das großteils nur mehr Sesselkleber und Marionetten. Zudem sind
ja die Belastungen in jedem Gebirgstal anders und brauchen lokal abgestimmte
Maßnahmen. Ein allgemeines Arbeitspapier für unser Arbeitsgebiet, das
Rahmengebiet der Alpenkonvention, haben wir aber mit der der
Alpenschutz-Transiterklärung ausformuliert. Das steht allen Interessierten
zur Verfügung. Was sie damit tun, ist grundsätzlich ihre Sache, in die wir
uns nicht einmischen. Wir werden dort aktiv, wo unsere Hilfe gesucht wird
und wo wir unsere Stärken haben. Unter dem Strich bin ich persönlich nicht
zufrieden, wie das in verschiedenen Tälern läuft, muss es aber zur Kenntnis
nehmen. Deshalb arbeiten wir im Transitforum mit Hochdruck am Projekt "Am
Brenner für die Alpen". Denn alles, was wir am "Brenner" durchsetzen, kommt
ja auch den anderen zu Gute. Was aber immer wieder verbessert werden muss,
sind die Strategien und die Professionalität der einzelnen Gruppen, die
leider oft noch so arbeiten, wie vor 10 Jahren. Da ist heute in unserer
schnelllebigen Zeit – wo mir die Minister bereits im Monatsrhythmus abhanden
kommen – nichts mehr zu gewinnen. Dem muss man sich stellen, sonst geht man
unter.
Aurora-Magazin:
Sind Sie mit der Arbeit der Salzburger zufrieden?
Gurgiser:
Wenn ich ehrlich bin, bin ich nie zufrieden. Am wenigsten mit mir selbst,
weil mir alles viel zu langsam geht und ich oft von anderen viel zu viel
verlange. So geht es mir halt auch in Salzburg – ich würde mir mehr starkes
Auftreten im gemeinsamen Anliegen wünschen. Allerdings muss ich zur Kenntnis
nehmen, dass die Menschen sich meist erst dann zu wehren beginnen, wenn es
fast zu spät ist. Ein sehr interessantes Phänomen – zuerst schaut man zu,
wie der Wirbelsturm entsteht und beginnt zu laufen, wenn man schon fast im
Zentrum ist. Da kann es leicht passieren, dass man zu spät dran ist. "Wer zu
spät kommt, den bestraft der Transit", kann man da nur sagen
Aurora-Magazin:
Als zu Ostern 2003 von den Transitgegnern die Autobahnen blockiert
worden sind, war da von einem "billigen Showeffekt" (Herbert Spreitzer,
Wirtschaftsbund) die Rede. Den Demonstranten, die das Südportal des
Tauerntunnels blockierten, hat man nachgesagt, "einer Splittergruppe" (=
dem Transitforum Austria-Tirol) anzugehören, d.h. nicht die
tatsächlichen Bürgerinteressen zu vertreten. Wie gehen Sie mit solchen
Aussagen um?
Gurgiser:
Natürlich steht das Recht auf freie Meinungsäußerung auch jenen zu, die
meinen, sich mit ihren Aussagen öffentlich als Apparatschiks outen zu
müssen. Wer Menschen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit - welches wir
sogar am EuGH durchgesetzt haben abstreiten will, ist zu ignorieren. Denn
den Menschen, die bspw. in der Karwoche 2004 am Tauern- und Katschbergportal
für ihre Gesundheits- und Wirtschaftsinteressen legitim demonstriert haben,
gebührt Dank und Anerkennung dafür, dass sie eben bereit waren und sind,
ihre ureigensten Interessen auch dort zu vertreten, wo es Lobbyisten nicht
recht ist – nämlich auf der Straße.
Aurora-Magazin:
Was sind eigentlich die ärgsten Grobheiten, die Leuten, die sich in der
Transitfrage engagieren, passiert sind?
Gurgiser:
Die Transitfrage geht direkt hinein in das derzeitige europäische
Schmarotzertum, zu einem großen Teil auch noch in die organisierte
Kriminalität, wie ich schon jahrelang anprangere. Und wie im November 2003
auch im "Schwarzbuch Straße" publiziert wurde. Daher muss man damit rechnen,
dass man am Telefon beschimpft wird, dass mit den Anzünden des Hauses
gedroht wird - selbstverständlich in der "mutigen Anonymität" -, dass man
als wirtschaftsfeindlich abgestempelt und sogar für Arbeitsplatzverlust
verantwortlich gemacht wird. Wenn große Produktionen wegen der billigen
Straße ihre Standorte verlagern, sind dann plötzlich diejenigen schuldig,
die sich gegen diese Verlagerungen stemmen und eben deshalb notwendige
Rahmenbedingungen (wie bspw. Kostenwahrheit) einfordern. Damit muss man
leben und es aushalten – schon Albert Einstein hat ja gemeint: "Das Weltall
ist endlich, die Dummheit des Menschen unendlich".
Aurora-Magazin:
Was denken Sie sich, wenn sich, wie jetzt in Salzburg, Politiker so
demonstrativ des Transitproblems und damit der Sorgen der
Autobahnanrainer annehmen?
Gurgiser:
Öffentlichkeitswirksam haben sich Salzburger Politiker zwar des
Transitproblems angenommen, arbeiten aber realpolitisch denen in die Hände,
die mehr Verkehr, mehr Lärm und mehr Schadstoffe in Kauf nehmen – siehe
Ausbau Salzburg-Rosenheim, Walserberg, Tauern- und Katschbergtunnel. Deshalb
ist es mir wichtig, die lokalen Gruppen so gut wie möglich zu unterstützen
und zu stärken.
Aurora-Magazin:
Den Anrainern der Tauernautobahn wurden - mit der Zustimmung zu den 2.
Tunnelröhren durch Katschberg und Tauern - 300 Millionen Euro für
"Umweltschutzmaßnahmen" zugesichert. Ist dieses Zugeständnis nicht als
Erfolg zu verbuchen?
Gurgiser:
Über diesen Unfug möchte ich gar nichts sagen, sondern nur darauf verweisen,
dass die Grundlage dieser "Umweltschutzmaßnahmen" ja ohnehin gegeben ist.
Das ganze war nur ein klassisches Vorwahlgeplänkel. So musste mir ja
beispielsweise der Vertreter der ÖSAG bei einer öffentlichen Veranstaltung
in Rennweg/Kärnten im Herbst 2003 zugeben, dass Lärmschutzmaßnahmen ohnehin
nur gesetzt werden, wenn vorher die Lärmgrenzwerte überschritten werden. Das
habe ich beispielsweise den "Kämpfern von der Bürgermeisterpartie" schon vor
drei Jahren gesagt und auf die bestehende Dienstanweisung des
Wirtschaftsministeriums verwiesen. Die Salzburger Politiker leisten sich den
unumkehrbaren Fehler, keine Vorsorgepolitik zu machen, sondern sehenden
Auges die Transitrouten auszubauen. Hinterher tritt für die Bevölkerung
folgender Zustand ein: Die Menschen an den Tranitrouten bleiben mit ihren
Sorgen und den nie eingelösten Versprechen. Die Politiker kommen und gehen
oder flüchten bis nach Argentinien, in eine nicht zu knappe Politpension
oder in eine hochdotierte Magna-Endversorgung.
Aurora-Magazin:
Würden Sie die 2. Tunnelröhren, d.h. Tauern- und Katschbergtunnel, auf
der Tauernstrecke bauen?
Gurgiser:
Nein. Die Probleme werden damit nur verschärft und in die nächste
Polit-Generation geschoben. Und die in diesem Zusammenhang gegebenen
Versprechen werden nie gehalten. Da können die Zederhauser ein Lied davon
singen, was ihnen schon vor vielen Jahren alles versprochen wurde. So geht
das einfach nicht – immer nur mit österreichischem Geld Strecken ausbauen,
die anderen nützen und der Bevölkerung schaden. Für die eigene Bevölkerung
hat man dann kein Geld für die einfachsten Sachen. Angefangen von der
Kindergärtnerin bis hin zum Gehsteig usw. Wenn es um die eigenen Menschen
geht, muss man sparen, wenn es um noch mehr Transit geht, muss man
verschleudern.
Aurora-Magazin:
Das Transitforum Austria-Tirol hat immer wieder auf die brutalen
Bedingungen der Berufskraftfahrer hingewiesen. Hat der so genannte
"Frächterskandal" daran etwas geändert?
Gurgiser:
Es ist kein Frächterskandal, sondern ein
deutlicher Hinweis auf die "organisierte Kriminalität" – das sind kriminelle
Machenschaften von Politik, Beamtenschaft und Wirtschaft. Und zeigt
deutlich, wie recht wir immer mit unserer Meinung hatten, in dem wir diesen
"hochsubventionierten Straßengüterverkehr" als "krankes System" bezeichnet
haben. Heute ist man bereits soweit, dass man dieses System nur mehr
aufrecht halten kann, indem man die Berufskraftfahrer ausbeutet, wie Sklaven
hält und jede menschliche und soziale Komponente außer Acht lässt. Aber Else
Rieger und Andreas Reisiger haben das im "Schwarzbuch Straße"
[Reisiger/Rieger, Schwarzbuch Straße. Die subventionierte Transportlawine,
Wien: Deuticke 2003.] in aller Ausführlichkeit aufgezeigt.
Aurora-Magazin:
Wenn Sie zurückblicken: Was hat Ihre Arbeit bzw. die Arbeit des
Transitforums bewirkt?
Gurgiser:
Die Arbeit des Transitforums gliedert sich in drei Phasen.
Phase 1 war die Zeit der Analyse des Transitproblems.
Phase 2 war die Zeit des Erarbeitens von Lösungsvorschlägen und die
europaweite Thematisierung. Diese beiden Phasen sind grundsätzlich
erfolgreich abgeschlossen – es ist bemerkenswert, dass es der Politik nicht
gelungen ist, dieses Problem "auszusitzen".
Phase 3 ist die Umsetzungsphase und sie ist unzweifelhaft die
schwierigste Phase. Denn jetzt sieht man einerseits, dass es gelungen ist,
die Lösungsansätze [vgl. Alpenschutz-Transiterklärung] auf europäischer
Entscheidungsebene zu verankern. Allerdings sieht man jetzt auch, dass uns
viele der "politischen Unterstützer" plötzlich wieder allein lassen. Das
heißt, die Politik ist Wegbegleiter von Bürgerbewegungen, solange sie nur
ankündigen und ihre mediale Show abliefern kann. Wenn es um die Umsetzung
geht, stehen die politischen Entscheidungsträger dann plötzlich wieder
schnell "auf der falschen Seite". In der Sache selbst haben wir trotz vieler
Rückschläge sehr viel für die Menschen erreicht, um ihre Belastungen
zumindest zu mildern:
Man denke an die Lärmschutzmaßnahmen an Autobahnen und
Eisenbahnstrecken oder die technischen Verbesserungen der Fahrzeuge. Es gibt
heute zahlreiche Fahrverbote zum Schutz von Mensch und Natur, z.B. das
Nachtfahrverbot, sektorale Verbote in Kundl und auf der Loferer Strecke, das
LKW-Überholverbot etc. Wir haben das Versammlungsrecht auf viel befahrenen
Straßen und die Beibehaltung der Sonn- und Feiertagsfahrverbote
durchgesetzt. Wir haben, hier ist noch viel zu tun, den Aufbau von
Kontrollstellen in Tirol und Salzburg forciert. Und noch viel, viel mehr:
Ohne uns hätten sie beispielsweise die Eisenbahn längst zugesperrt. Und dass
alle unsere Forderungen, die wir in den letzten 10, 15 Jahren erarbeitet
haben, mittlerweile national und international festgeschrieben und anerkannt
sind, ist nicht zu vergessen.
Aurora-Magazin:
Woher nehmen Sie die Motivation für Ihren
Einsatz?
Gurgiser:
Die Motivation ist ganz einfach. Ich arbeite und lebe im Inntal praktisch
mitten im Herz der Alpen. Und meine Kinder auch. Damit das auch in Zukunft
so bleiben kann, muss man angesichts der Rücksichtslosigkeit derer, die
unser Land als "Transitschleuder" missbrauchen und täglich terrorisieren,
eben selbst etwas tun und nicht warten. Ich meine also, dass das Einmischen
als Bürgerpflicht gesehen und aktiv betrieben werden muss. Die Politik muss
jedem von uns ohnehin dankbar sein, denn wenn wir uns nicht einmischen,
bleiben die anderen Einmischer übrig: Die Lobbyisten und
Interessensvertreter, die nur ihren Aktienkursen verpflichtet sind; der
Mensch mit seinem Lebens- und Wirtschaftsraum, mit seiner Kultur, seinen
Stärken und Schwächen kommt nicht mehr vor. Regionen werden zum Spielball
von Spekulanten. Da tue ich halt nicht mit – ich liebe meine Heimat in den
Bergen und bin auch bereit, für diese Heimat persönlich einzustehen. Mit
allem, was ich einbringen kann. Denn diese Heimat haben wir nur einmal.
Die wohl wichtigste Motivation lese ich aber täglich aus den Augen der
Kinder. Das ist mir erst in den letzten Jahren aufgefallen, dass mir die
Kinder – nicht nur die eigenen – sehr viel bedeuten. Sie vertrauen uns, dass
wir das "Erbe unserer Eltern", unseren intakten Lebens- und Wirtschaftsraum,
an sie so weitergeben, dass er auch ihnen Heimat sein kann. Dieses
Vertrauen, das unsere Kinder in uns setzen, darf nicht missbraucht werden.
Ich möchte mich nie fragen lassen, warum ich "weggeschaut" habe – ich schaue
hin und ich kämpfe.
Aurora-Magazin:
Wann hört Fritz Gurgiser auf zu kämpfen?
Gurgiser:
Wenn das Herz den letzten Schlag macht.
Aurora-Magazin:
Herr Gurgiser, vielen Dank für das Gespräch.
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