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"Begrenzte Täler vertragen keinen unbegrenzten Verkehr"

Interview mit Fritz Gurgiser, dem Obmann des Transitforums Austria-Tirol

Die Periode des weiteren Infrastrukturbaus und der weiteren Liberalisierung des
Transitverkehrs muss beendet werden, meint Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol,
denn sie zerstört den regionalen Lebens- und Wirtschaftsraum. Jetzt muss endlich
entgegengesteuert werden, "oder wollen wir in Zukunft auf unsere Bäcker, Schlosser, Tischler,
Metzger, Dorfwirte und viele andere verzichten und für Menschen, die kein Auto haben,
'Einkaufen auf Rädern’ organisieren?" Die Gemeinden, Regionen und Länder müssen
eine klare Entscheidung treffen: "Will man mit den knapper werdenden Geldern weiterhin
teure Infrastrukturen (Straße/Schiene) bauen oder will man die Wirtschaft fördern?
Darum geht es, will man zukunftsorientiert arbeiten, und da
leisten wir einen sehr hohen Beitrag."

Von Hermann Maier
(01. 07. 2005)

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(c) privat

Fritz Gurgiser

geboren am 10. August 1952
in Innsbruck.
Gurgiser ist
Obmann des Transitforum
Austria-Tirol. Er lebt mit seiner
Familie zwischen Autobahn
und Eisenbahn im Tiroler
Inntal. Gurgiser hat den Bau
der Brennerautobahn als Kind
miterlebt und setzt sich seit
über 15 Jahren aktiv für Gesund-
heit sowie den Lebens- und
Wirtschaftsraum in der
Alpenregion ein.
 

Homepage
www.transitforum.at

 

 

 

Aurora-Magazin: Herr Gurgiser, Sie gelten als einer der wichtigsten Widerständler des alpinen Transits. Was nervt bzw. beunruhigt Sie bei Ihrer Arbeit am meisten?

Gurgiser: Ich sehe mich gar nicht als Widerständler, sondern weit eher als Bürgerrechtler. Deshalb habe ich auch beim Transitforum die Ergänzung "Ihre alpine Bürgerrechtsorganisation" eingefügt. Weil ich mit vielen anderen seit Jahren um die Grundrechte der Menschen auf ihre Gesundheit, ihren intakten Lebens- und Wirtschaftsraum und damit um ihr Grundrecht auf Überleben in unseren Gebirgsregionen kämpfe. De facto ist das also kein Widerstand, sondern ein Engagement für etwas ganz Normales. Als Widerständler sollte man eigentlich die bezeichnen, die seit vielen Jahren Widerstand gegen das Umsetzen längst notwendiger Rahmenbedingungen leisten. Daher nerven und beunruhigen mich die Untätigkeit der hochdotierten politischen Entscheidungsträger, die über das Ankündigen und Versprechen von allen möglichen Dingen nicht hinauskommen;.die Trägheit, die Lethargie und auch der Stillstand in den eigenen Reihen, wo sich eine Reihe sogenannter Plattformen, Vereine, Initiativen etc. in ihrem ganzen Gehabe schon den verkrusteten Parteistrukturen angeglichen haben; und die Europäische Gemeinschaft, die keine Gelegenheit auslässt, Bürgerrechte zu verletzen und zu missachten – wie bspw. die Vertragsziele des Beitrittsvertrages

Aurora-Magazin: Wer sich mit Ihrer Arbeit auseinandersetzt, der wird bald bemerken, dass diese immer auch ein Beharren auf rechtliche Vereinbarungen - so etwa den Transitvertrag oder die Alpenkonvention - gewesen ist. Nun gibt es aber auch die europäischen Grundfreiheiten, so den freien Warenverkehr. Haben nicht auch die Recht, die dessen Umsetzung und also freie Fahrt über die Alpen fordern?

Gurgiser: Es gibt in der Europäischen Gemeinschaft kein Recht auf Vergiftung, kein Recht auf Verlärmung und damit kein Recht auf Zerstörung bestimmter Lebens- und Wirtschaftsräume. Damit will ich sagen, dass vor der freien Fahrt immer das Grundrecht auf Gesundheit unverrückbar steht. Daher ist das nächste Ziel, diesem Grundrecht auf Gesundheit so zum Durchbruch zu verhelfen, wie wir auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor dem EuGH durchgesetzt haben. Denn jede "freie Fahrt" hat punktgenau dort ihre Grenze, wo die Freiheit anderer beschnitten wird. Das ist ein unumstößlicher Grundsatz – er muss in der Realität allerdings schwer erkämpft werden.

Aurora-Magazin: Die EU hat sich entschieden gegen die bisherigen Transitvereinbarungen (Ökopunktesystem, Deckelung der Transitfahrten) ausgesprochen. Wie geht das Transitforum mit dieser neuen Situation um?

Gurgiser: Die EU hat sich damit starken demokratiepolitischen Schaden zugefügt. Denn wer eigene Verträge und Vereinbarungen nicht hält, braucht sich nicht zu wundern, dass bspw. die Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger ständig sinkt. Dass wir uns jetzt neue Strategien überlegen müssen, liegt auf der Hand. Eines aber kann niemand von uns verlagen, nämlich dass wir uns über Jahre auf Basis bestehender Primärrechte für die Menschen einsetzen und dann diejenigen, die diese Primärrechte im Namen der Bevölkerung abgeschlossen und vereinbart haben, sich dann sang- und klanglos von diesen Vereinbarungen verabschieden. - Aber Rechts(un)ordnungen, die den Transit, aber nicht die Gesundheit schützen, schreien ja direkt danach, wieder korrigiert zu werden.

Aurora-Magazin: Spielt der 1991 geschlossene Transitvertrag in Ihrer Arbeit noch eine Rolle oder hat er mit seinem Auslaufen 2003 seine Bezugsfunktion verloren?

Gurgiser: Der im Zeitraum 1.1.1993 bis 31.12.1994 gültige "Transitvertrag" wurde mit wichtigen inhaltlichen Veränderungen zu Lasten der österreichischen Bevölkerung als Protokoll Nr. 9 in den EU-Beitrittsvertrag übernommen. Dieses Protokoll Nr. 9 steht im EG-Primärrecht, das entspricht dem Verfassungsrang, und wurde mit dem Ziel geschlossen, die N0x-Emissionen der Transit-Lkw bis zum Jahr 2003 um – 60 % zu reduzieren. Nachdem dieses Ziel bisher kilometerweit verfehlt wurde – tatsächlich ist bisher eine Zunahme dieser N0x-Emissionen um + 18 % festzustellen, das wird auch von der Europäischen Umweltagentur aktuell bestätigt – bleibt das Vertragsziel selbstverständlich rechtlich bindend und es muss, solange es nicht "dauerhaft und nachhaltig" erreicht ist, am Vertragsziel weiter gearbeitet werden . Aus meiner Sicht mit zusätzlichen Maßnahmen, d.h.verschärften Nachtfahrverboten, sektoralen Fahrverboten für bestimmte Güter, wie z. B. Müll, Schrott, Fahrzeuge, Gefahrgut etc. Maßnahmen, die diesen hochsubventionierten Straßengüterverkehr endgültig auf ein wirtschaftlich notwendiges Maß begrenzen. Übrigens empfiehlt auch die Europäische Umweltagentur diese zusätzlichen Schritte in ihrem Bericht. [EEA, Technical Report 48, Dez. 2001].

Aurora-Magazin: Was sind die Veränderungen zu Lasten der österreichischen Bevölkerung, von denen Sie sprechen?

Gurgiser: Die Verkürzung der Laufzeit, der Wegfall des Straßenverkehrsbeitrages, der Wegfall der bilateralen Kontingente, der Wegfall der Grenzkontrollen sowie eines großen Teiles der Aufzeichnungen über den Transitverkehr. Außerdem gibt es bei der Eisenbahn bzw. beim kombinierten Verkehr nur mehr allgemeine Zielsetzungen anstelle konkreter Maßnahmenpakete. Und das ist noch lange nicht alles. Im Detail steht alles in unserer Homepage unter Fakten.

Aurora-Magazin: Wie sind die Nachfolgeregelungen des Transitvertrages aus Ihrer Sicht zu beurteilen?

Gurgiser: Derzeit gibt es als "Nachfolgeregelung" die Verordnung (EG) 2327/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Dezember 2003. Sie wird von der österreichsichen Bundesregierung nicht vollzogen, weil sie real durch eine Reihe von Sonderregelungen in der Praxis nicht umsetzbar ist. Das ist der Stand – und es ist äußerst bedauerlich, dass sich die Mitgliedsstaaten sowie das Europäische Parlament nicht auf eine Regelung einigen konnte, die das Vertragsziel der Reduktion sicherstellen kann. Dass die österreichischen Politiker in dieser Frage auf eine Reihe von demokratischen Möglichkeiten verzichtet und dadurch dieser de facto Freigabe des LKW-Transitverkehrs Vorschub geleistet haben, ist im Band 5 von Tatort Brenner aufgearbeitet und nachzulesen.

Aurora-Magazin: Warum will man eine Deckelung (108% vom Wert des Jahres 1991) bei den Transitfahrten und begnügt sich nicht mit einer Begrenzung beim Schadstoffausstoß und mit festgesetzten Lärmgrenzen?

Gurgiser: Aus unserer Sicht muss es eine Begrenzung der Lkw-Transitfahrten geben, da technische Verbesserungen der Fahrzeuge bei gleichzeitigem unbegrenzten Wachstum zu keinen Entlastungen führen. Die technischen Verbesserungen der letzten Jahre, die im Fahrzeugbereich gesetzt wurden, sind alle durch den Anstieg der Lkw-Transitfahrten um über 50 %, im Zeitraum 1991-2003, egalisiert worden. Außerdem muss die alpine Grundregel Nr. 1 – "Begrenzte Täler vertragen keinen unbegrenzten Verkehr" – durchgesetzt werden, sonst laufen wir von einem Schadstoff- und Lärmtal ins das nächste. Und die Verursacher halten an ihrer völlig falschen Wirtschafts- und Verkehrspolitik zu Lasten von Mensch und Natur fest.

Aurora-Magazin: Was wäre für Sie eine "dauerhafte und nachhaltige Lösung des Transitproblems"?

Gurgiser: Da kann ich nur auf unsere "Alpenschutz-Transiterklärung" verweisen, die ein breites Bündel an Maßnahmen vorsieht, um das Transitproblem "dauerhaft und nachhaltig" zu lösen: Z.B. die Umsetzung der Kostenwahrheit, die Nutzung der vorhandenen Eisenbahnkapazitäten, den Ausbaustopp weiterer Alpentransitstraßen, das Nachtfahrverbot für Lkw auf Alpentransitrouten oder die Stärkung der Produkte mit kurzen Transportwegen. [siehe dazu die Alpenschutz-Transiterklärung] Die wichtigste Maßnahme zur Lösung des Lkw-Transitverkehrs bleibt aber sicher eine verursachergerechte Anlastung aller Kosten, die der Lkw verursacht. Erst dann kann man sehen, ob es noch zusätzliche Maßnahmen braucht, um die Zielsetzung – die Reduktion der Belastungen auf ein für Mensch, Natur und Wirtschaft erträgliches Maß – zu erreichen.

Aurora-Magazin: Was heißt für Sie Kostenwahrheit? Oder anders gefragt: Wie müsste für Sie eine verursachergerechte Wegekostenberechnung aussehen?

Gurgiser: Verursachergerecht bedeutet, dass jeder seine Kosten, die er verursacht, auch selbst bezahlt: Von der Instandhaltung der Infrastruktur bis hin zu den externen Kosten wie Gesundheits- und Umweltschäden. So wie jeder Haushalt und Betrieb, der viel Müll verursacht, eben auch mehr bezahlt als andere, die Müll vermeiden. Es ist uns zwar gelungen, diese volkswirtschaftlich richtigen Ansätze auf europäischer Ebene zu verankern, Grün- und Weißbücher strotzen davon, an der Umsetzung scheitert es allerdings noch. Es führt aber kein Weg an dieser verursachergerechten Belastung vorbei; außer man will das ohnehin kranke Straßentransportsystem noch weiter künstlich und hoch subventioniert am Leben halten und den Menschen und Betrieben wertvolles Kapital entziehen.

Aurora-Magazin: Was halten Sie vom Roadpricing?

Gurgiser: Das Roadpricing in der jetzigen Form entspricht nicht dem Prinzip der "Kostenwahrheit", sondern eher einer neuen Lkw-Steuer oder Bau-Steuer mit dem Ziel, mit den Geldern neue Straßen, Tunnels, Umfahrungen etc. zu bauen. D. h. die bestehenden Probleme noch ganz wesentlich zu verschärfen anstatt die Ursachen zu lösen. Denn die Umsetzung der Kostenwahrheit würde bedeuten, dass die Einnahmen einer verursachergerechten Abgabe der Allgemeinheit zugute kommen, die heute rund 85 % der vom Lkw verursachten Kosten über ihre Steuern subventioniert. Soll ein Roadpricing also der Kostenwahrheit entsprechen, müsste man mit den Einnahmen steuerliche Entlastungen für die Allgemeinheit finanzieren. Das jetzige Roadpricing ist punktgenau betrachtet nur eine versteckte Subvention zur Aufrechterhaltung der schon "klinisch toten Bauwirtschaft". Und so wie es sich seit 1. Jänner 2004 herauskristallisiert, hat es auch noch dazu geführt, dass zahlreiche 40-Tonner wegen dieses Roadpricing sogar auf Bundes- und Landesstraßen ausweichen. Wie vor 40 Jahren rollen nun schwere Laster durch Kreisverkehre, über Zebrastreifen, vorbei an Schul- und Kindergartenwegen – nur um sich ein paar lächerliche Cent zu sparen.

Aurora-Magazin: Wie sinnvoll ist es, gegen den Transit mobil zu machen, wenn es sich z.B. auf der Tauernautobahn, laut Wirtschaftskammer, bei 85% der Fahrten um innerösterreichische Fahrten handelt?

Gurgiser: Wer sich genau mit meiner Arbeit befasst, sieht ganz genau, dass das Forderungsprogramm ganz klare Schwerpunkte setzt und in den wichtigsten Bereichen keine Unterschiede zwischen Transit und Lokalverkehr macht. Denn Kostenanlastung nach dem Verursacherprinzip trifft jeden und ist damit eine gerechte Angelegenheit. Und in dem Moment, wo sich Kostenstrukturen tatsächlich verändern, reagieren wir natürlich auch in den Betrieben. Wenn es sich nicht mehr rechnet, Halb- und Fertigprodukte über Tausende Kilometer herumzukarren, reduzieren wir sowohl den Transit- als auch den Lokalverkehr. Und sorgen damit für Arbeitsplätze, die heute über Tausende Kilometer ausgelagert werden. Man braucht sich ja nur das langsame Sterben der kleinen Strukturen in den Dörfern anschauen, dann weiß man, dass längst Feuer am Dach ist und gegengesteuert werden muss. Oder wollen wir in Zukunft auf unsere Bäcker, Schlosser, Tischler, Metzger, Dorfwirte und viele andere verzichten und für Menschen, die kein Auto haben, "Einkaufen auf Rädern" organisieren? Ich kenne keinen Ökonomen, der unsere Ansätze für unrichtig hält. Diesbezüglich haben sich alle unsere Argumente, die wir bereits 1996 in unserer Untersuchung "Kostenwahrheit – Verkehrsinfrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung" aufgearbeitet haben, leider bewahrheitet; wir wurden von der Realität sogar weit übertroffen.

Aurora-Magazin: Häufig wird das "Schweizer Transitmodell" mit hohen Mauten bzw. Wegebenützungsgebühren für LKWs und dem massiven Ausbau der Eisenbahnentrassen als Ideal hingestellt. Ist die Schweiz für Sie in ihrer Transitpolitik vorbildlich?

Gurgiser: Die Schweiz ist nie ein Vorbild für mich gewesen. Zum einen vergessen sie bei der Erwähnung ihrer "hohen Mauten" zu sagen, dass sie vorher praktisch nichts verlangt haben. Eine Erhöhung von 0 auf 100 schaut natürlich gut aus. Und wer die Lösung des europäischen Lkw-Transitproblems im Bau von immer neuen Strukturen - ob Straße oder Schiene bleibt unerheblich - sieht, arbeitet dem von uns kritisierten "kranken, künstlich erzeugten und hoch subventionierten Transportsystem" blindlings in die Hände. Ist ein Korridor nach Jahren fertig, fehlen schon wieder zwei andere. Deshalb stehen wir konkret auf der Seite der Ursachenbekämpfer, da neue Strukturen nur neue Probleme schaffen und die öffentlichen Gelder viel intelligenter in den Regionen eingesetzt werden können. Dazu lautet einer meiner Kernsätze: Kein Dorf, keine alpines Tal und keine alpine Region sichert die Arbeitsplätze in den nächsten 10, 20 oder 30 Jahren durch den Bau von Umfahrungen, Tunnels oder sonstigen Strukturen. Für das wirtschaftliche Überleben unserer Betriebe ist es völlig unerheblich, wie viele Pkw, Busse, Lkw oder Eisenbahnwaggons vorbei oder unten durch oder oben drüber fahren. Entscheidend ist die Qualität der wirtschaftlichen Strukturen in der Region.

Aurora-Magazin: Wenn’s nach den Gegnern der so genannten Transitgegner ginge: Wie könnte man sich das Szenario im Alpenraum dann vorstellen?

Gurgiser: Wir haben keine Gegner, sondern nur rücksichtslose Schmarotzer. D. h., die Ziele, die von den Lobbyisten verfolgt werden, liegen klar auf dem Tisch: Auf den wichtigsten europäischen Straßentransitrouten – eben auch durch die Alpen – freier Warenverkehr. Ohne Rücksicht auf die Menschen, ihren Lebens- und Wirtschaftsraum und ihre jahrhundertealte Kultur. Ohne Rücksicht aber auch auf die Alpen als das ökologische Herz Europas. Dieses Szenario wird nicht eintreten, daher sage ich nicht mehr dazu.

Aurora-Magazin: Für die Ökonomen ist es mittlerweile ein Gemeinplatz, dass der internationale Handel den einzelnen Ländern in jedem Falle Vorteile bringt. Der Freihandelstheoretiker David Ricardo spricht diesbezüglich vom "Prinzip des komparativen Vorteils". Nun ist aber der Freihandel untrennbar mit dem Transport über weite Strecken und damit dem Transit verbunden. Wird man damit als Transitgegner nicht automatisch zum Feind der Wirtschaft und des Wohlstands?

Gurgiser: Diese These wird von Ökonomen der Gegenwart, die in die Zukunft blicken, nicht geteilt – sie ist überholt und nicht mehr der Rede wert. Nicht umsonst ist Ricardo ein "Theoretiker". Wir schauen uns das immer wieder in der Praxis an und die schaut ganz anders aus. Einige wenige werden immer größer, spielen Regionen und Länder gegeneinander aus und schauen, dass sie durch undurchschaubare Firmengeflechte jeder Kontrolle entzogen werden. Die Folgen liegen klar auf der Hand: Immer mehr Pleiten, immer mehr Verlust an Perspektiven und immer weniger klein strukturierte Betriebe, in denen der Mensch noch etwas zählt. Das heißt, und wir haben das ja bereits in einer Untersuchung, die übrigens seit 1991 aufgearbeitet und aktualisiert wird, klar aufgezeigt: Mit der steigenden Transportleistung auf der Straße steigt die Arbeitslosigkeit und sinkt das Realeinkommen, steigen die Pleiten und Konkurse. Alles Faktoren, die nicht als positiv zu bewerten sind.

Aurora-Magazin: Nach der "Abstimmungsschlappe" im EU-Parlament (480 gegen 79 Stimmen sprachen sich für die Abschaffung des bisherigen Ökopunktesystems aus) hat Ronald Barazon, der Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, in einem Editorial gefordert, "den Verkehr endlich als Tatsache" zu akzeptieren. Er meinte, dass der Verkehr "in gewissen Zonen dominieren müsse und dort folglich das Wohnen nicht möglich sei". Hat er in Wahrheit nicht recht und ist das Bestreben, den "Lebens- und Wirtschaftsraum" entlang der europäischen Verkehrsachsen zu erhalten, ein zukunftsloser Akt?

Gurgiser: Es wird immer Menschen geben, denen die Profitgier wichtig ist, denen der Aktienkurs wichtiger als der eigene Herzschlag ist. Erst dann, wenn sie auf dem Totenbett liegen und merken, dass sie nichts mitnehmen können, weil auch ihr letztes Hemd keine Taschen hat, kommt die Reue. Sie kommt halt zu spät. Es ist noch viel bemerkenswerter, dass auch äußerst intelligente Menschen wie Ronald Barazon letztlich den Verkehr als "Naturgesetz" empfinden, gegen das man nichts tun könne. Dabei ist der heutige Verkehr das beste Beispiel dafür, wohin die technische Entwicklung führen kann, wenn sie nicht gesteuert wird. Verkehr wird von Menschen künstlich erzeugt und er ist daher auch von Menschen wieder auf ein normales Maß zurückzuführen. Ich glaube, dass weniger Verkehr heute mehr Regionalität und damit mehr Qualität bedeutet – sowohl wirtschaftlich als auch menschlich. Das Prinzip der Nähe ist für das Wohlbefinden in der Familie ausschlaggebend – das Prinzip der Nähe ist auch die Antwort gegen den unkontrollierten Globalisierungs- und Liberalisierungswahnsinn.

Aurora-Magazin: Gegen Mauten und das Roadpricing gibt es häufig auch inneralpinen Widerstand: Mauten und Roadpricing, heißt es, würden die alpinen Regionen der Konkurrenzfähigkeit berauben.

Gurgiser: Das Argument ist meines Erachtens völlig unsinnig und würde bedeuten, dass die z.B. alpine Bauernschaft nur Produkte mit niederer Qualität erzeugt, deren Vermarktung von niederen Transportpreisen abhängt. Denkt man dieses Argument richtig durch, dann haben diese Bauern ohnehin nie eine Chance auf dem Markt. Denn sie sind zu klein strukturiert, um mit den hoch subventionierten Massenproduktionen jemals mithalten zu können. Punkten können die Alpenbauern meines Erachtens nur im hochqualitativen Nischenbereich und vor allem in der Nahversorgung.

Aurora-Magazin: Und was die Gewerbebetriebe anbelangt?

Gurgiser: Das gilt für alle unsere kleinen Strukturen – ob in Landwirtschaft, Tourismus, Gewerbe, Handel oder Industrie. Wir werden nie mit Massenproduktionen mithalten können, weil es immer einen Billigeren geben wird. Gestern in den Sonderwirtschaftszonen in Polen oder Tschechien, heute in Südostasien und schon morgen vielleicht in Usbekistan oder sonst irgendwo. Entscheidend ist auf Grund unserer "natürlichen Grenzen" das Besinnen auf Qualität und nicht auf Quantität. Das ist meine lange Erfahrung und ich werde darin von immer mehr Kennern der Wirtschaft bestätigt. Meist halt nur unter vorgehaltener Hand. Man wird ja als "Wirtschafter" nicht dem Gurgiser womöglich öffentlich Recht geben, wo kämen wir da hin! Das macht aber nichts, denn gerade diese "alpine Verschämtheit" ist ein hohes kulturelles Gut, meine ich.

Aurora-Magazin: Ist die Erreichbarkeit der Alpen und damit der Bau bzw. Ausbau hochrangiger Straßen- und Schienennetze in den Alpen nicht die Vorbedingung für die touristische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen? Sie kennen dieses Argument mit Sicherheit: Über die Autobahn kommen auch die Busse mit den Gästen.

Gurgiser: Natürlich ist dieses Argument richtig. Aber auch in diesem Fall gilt das richtige Maß: Weil begrenzte Täler keinen unbegrenzten Verkehr vertragen [vgl. dazu: Tatort Brenner Band 3, Transitforum, 2002], muss man sich jetzt der Situation stellen, dass die Periode des weiteren Straßenbaus zu Ende ist. Jetzt geht es bereits um intelligente Modelle der Mobilität, da auf Dauer bei diesen Verkehrsbelastungen der "Qualitätstourismus", und der sichert der Region das wirtschaftliche Überleben, auf der Strecke bleibt. Die Stärke des Alpenraumes sind die Erholungswerte: Ruhe, gute Luft, gutes Wasser etc.. Niemand kommt zu uns, um hinter Lärmschutzwänden oder –fenstern Autos zu zählen – das kann er zu Hause auch.

Aurora-Magazin: Im 5. Band von "Tatort Brenner" legen Sie und Ihre Mitstreiter demnach auch "ein starkes Bekenntnis zur Regionalwirtschaft" ab. Können Sie hier grob skizzieren, worin für Sie die Vorteile von regionalen Wirtschaftskreisläufen gegenüber dem internationalen Handel liegen?

Gurgiser: Wir erleben heute – und die Erweiterung der Europäischen Union mit 1. Mai 2004 spielt da auch eine sehr große Rolle – dass immer mehr Produktionen ausgelagert werden. In diesem Zusammenhang sollte man sich aber überlegen, ob es nicht wirtschafts- und lebensraumschonender ist, für das Regionalprodukt einen Cent oder Euro mehr auszugeben. Es mag das „Kilometerfresserprodukt" auf den ersten Blick günstiger sein. Der zweite Blick zeigt, dass das günstige Produkt über Tausende Kilometer herangekarrt werden muss. Der Verlust der Lebensqualität durch das hochsubventionierte Hin- und Hergekarre ist die eine; der Verlust des Lehrlings- oder Arbeitsplatzes die zweite Folge. Mit dem Engagement für die Regionalwirtschaft muss aufgezeigt werden, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, als bloß zuzuschauen, wie Region um Region durch internationale Konzerne gegeneinander ausgespielt werden. Wie in Regionen zuerst die Bodenschätze und später die Arbeitskraft geplündert werden. Natürlich unter dem Titel "Fortschritt für die armen Länder" oder dem Programm "Heranführen an den westlichen Standard". In der Realität schaut das dann meist so aus, dass in diesen Ländern Produkte veredelt werden, die die Menschen dort gar nicht kaufen können, weil sie zu teuer sind. Daher müssen diese Produkte wieder zu uns zurückgekarrt werden. Auch ein Kreislauf, aber kein besonders intelligenter und kein besonders menschlicher. Weil aber wenig Sozialkosten und sonstige Steuern anfallen, weil den Betrieben keine Umweltauflagen erteilt werden, ist es lukrativ, dort zu produzieren und die Kilometerdistanzen zu steigern. Denken wir also nach, wohin alpine Regionen driften, wenn wir selbst zwar laut nach dem Wirt, dem Metzger, dem Nahversorger, dem Handwerker, dem Bauern etc. im Dorf rufen, unser Geld aber nicht bei ihnen lassen. Mit dem Euro in der Hand liegt eine der letzten freien Entscheidungen noch bei uns: Stärken oder schwächen wir die Region mit unserem Kaufverhalten? Die Formel lautet also: Der Griff zum Regionalprodukt stärkt die Region, der Griff zum Kilometerfresserprodukt schwächt die Region. Das gleiche gilt wie gesagt auch für außeralpine Regionen. Wer Frieden will, muss den Mut haben, weltweit Regionen wirtschaftlich zu stärken, sie nicht zu plündern und sie langfristig in einen fairen und gerechten Warenaustausch einzubinden.

Aurora-Magazin: Ein Vertragswerk, auf das sich die Transitgegner immer wieder beziehen, ist die 1991 von den Staaten mit Alpenanteil ratifizierte Alpenkonvention. Was macht sie so bedeutend und was wären Ansätze, sie umzusetzen?

Gurgiser: Die Alpenkonvention stellt den gesamten Alpenraum zum ersten Mal als besonderen Raum dar, der eben Bedingungen aufweist, z.B. enge Gebirgstäler, die mit Bedingungen in Flachländern nicht vergleichbar sind. Deshalb müssen hier andere Regelungen gelten, die in den verschiedenen Protokollen der Alpenkonvention festgelegt sind. An der Umsetzung wird sich zeigen, ob die Entscheidungsträger genug Weitblick haben, diesem sensiblen Raum mit dem notwendigen Respekt zu behandeln. Oder ob sie sich unter dem Druck der nur profitorientierten Lobbyisten von der Umsetzung drücken wollen.

Aurora-Magazin: Täuscht es oder stimmt der Eindruck, dass die Alpenkonvention innerhalb der Bevölkerung kaum wahrgenommen wird?

Gurgiser: Das ist durchaus auch mein Eindruck und hängt ganz einfach damit zusammen, dass in den letzten Jahren äußerst schwierige Verhandlungen um die verschiedenen Protokolle geführt wurden. Es wäre aber nicht zielführend gewesen, die Bevölkerung dauernd mit nicht ausverhandelten Protokollen zu konfrontieren. Jetzt aber muss es diese Offensiven geben, um Missverständnisse und Fehlmeinungen abzubauen und die positiven Aspekte bei den Menschen zu verankern.

Aurora-Magazin: Für manche Gruppierungen und Staaten stellt die Alpenkonvention nichts anderes dar als eine wirtschaftshemmende Umweltschutzmaßnahme. Wie beurteilen Sie diese Sichtweise?

Gurgiser: Das ist eher eine ganz falsche Sichtweise, die halt von Systembewahrern gerne eingenommen wird. Nur ja nichts verändern und immer gleich weiter tun – und nur von einem auf den nächsten Tag zu denken. Denn die Ziele der Alpenkonvention stellen ja genau auf den sensiblen Lebens- und Wirtschaftsraum ab und stellen die regionale Bewirtschaftung und die Qualität in den Vordergrund. Gehen wir diesen Weg nicht, bleibt von den Alpen langfristig nicht viel übrig: Ein paar Transitschneisen, ein paar "Über-Drüber-Tourismus-Gemeinden" und vielleicht noch das eine oder andere High-Tech-Zentrum auf der einen Seite und eine ganze Reihe ausgesiedelter Gemeinden genauso wie noch ein paar Schlafgemeinden auf der anderen Seite. Hinten in den Tälern noch die Gletscherlifte mit ein paar "Abzocker-Almen" und sonst wird nicht viel bleiben. Das ist keine Perspektive, der man als alpiner Mensch mit Verantwortungsbewusstsein näher treten kann.

Aurora-Magazin: Das Transitforum Austria-Tirol versucht den Widerstand gegen den alpinen Transit zu bündeln. Gelingt dieser Übergang vom lokalen bzw. regionalen zum überregionalen bzw. alpinen im gewünschten Ausmaß?

Gurgiser: Das ist aus vielen Gründen ein sehr schwieriger Teil unserer Arbeit. Geht es doch darum, die kritischen Geister halbwegs unter einen Hut zu bringen, die sich in zahlreichen Vereinen, Bürgerinitiativen und anderen Organisationen sammeln. In der offiziellen Politik fehlen diese Menschen ja zusehends; leider sind das großteils nur mehr Sesselkleber und Marionetten. Zudem sind ja die Belastungen in jedem Gebirgstal anders und brauchen lokal abgestimmte Maßnahmen. Ein allgemeines Arbeitspapier für unser Arbeitsgebiet, das Rahmengebiet der Alpenkonvention, haben wir aber mit der der Alpenschutz-Transiterklärung ausformuliert. Das steht allen Interessierten zur Verfügung. Was sie damit tun, ist grundsätzlich ihre Sache, in die wir uns nicht einmischen. Wir werden dort aktiv, wo unsere Hilfe gesucht wird und wo wir unsere Stärken haben. Unter dem Strich bin ich persönlich nicht zufrieden, wie das in verschiedenen Tälern läuft, muss es aber zur Kenntnis nehmen. Deshalb arbeiten wir im Transitforum mit Hochdruck am Projekt "Am Brenner für die Alpen". Denn alles, was wir am "Brenner" durchsetzen, kommt ja auch den anderen zu Gute. Was aber immer wieder verbessert werden muss, sind die Strategien und die Professionalität der einzelnen Gruppen, die leider oft noch so arbeiten, wie vor 10 Jahren. Da ist heute in unserer schnelllebigen Zeit – wo mir die Minister bereits im Monatsrhythmus abhanden kommen – nichts mehr zu gewinnen. Dem muss man sich stellen, sonst geht man unter.

Aurora-Magazin: Sind Sie mit der Arbeit der Salzburger zufrieden?

Gurgiser: Wenn ich ehrlich bin, bin ich nie zufrieden. Am wenigsten mit mir selbst, weil mir alles viel zu langsam geht und ich oft von anderen viel zu viel verlange. So geht es mir halt auch in Salzburg – ich würde mir mehr starkes Auftreten im gemeinsamen Anliegen wünschen. Allerdings muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen sich meist erst dann zu wehren beginnen, wenn es fast zu spät ist. Ein sehr interessantes Phänomen – zuerst schaut man zu, wie der Wirbelsturm entsteht und beginnt zu laufen, wenn man schon fast im Zentrum ist. Da kann es leicht passieren, dass man zu spät dran ist. "Wer zu spät kommt, den bestraft der Transit", kann man da nur sagen

Aurora-Magazin: Als zu Ostern 2003 von den Transitgegnern die Autobahnen blockiert worden sind, war da von einem "billigen Showeffekt" (Herbert Spreitzer, Wirtschaftsbund) die Rede. Den Demonstranten, die das Südportal des Tauerntunnels blockierten, hat man nachgesagt, "einer Splittergruppe" (= dem Transitforum Austria-Tirol) anzugehören, d.h. nicht die tatsächlichen Bürgerinteressen zu vertreten. Wie gehen Sie mit solchen Aussagen um?

Gurgiser: Natürlich steht das Recht auf freie Meinungsäußerung auch jenen zu, die meinen, sich mit ihren Aussagen öffentlich als Apparatschiks outen zu müssen. Wer Menschen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit - welches wir sogar am EuGH durchgesetzt haben abstreiten will, ist zu ignorieren. Denn den Menschen, die bspw. in der Karwoche 2004 am Tauern- und Katschbergportal für ihre Gesundheits- und Wirtschaftsinteressen legitim demonstriert haben, gebührt Dank und Anerkennung dafür, dass sie eben bereit waren und sind, ihre ureigensten Interessen auch dort zu vertreten, wo es Lobbyisten nicht recht ist – nämlich auf der Straße.

Aurora-Magazin: Was sind eigentlich die ärgsten Grobheiten, die Leuten, die sich in der Transitfrage engagieren, passiert sind?

Gurgiser: Die Transitfrage geht direkt hinein in das derzeitige europäische Schmarotzertum, zu einem großen Teil auch noch in die organisierte Kriminalität, wie ich schon jahrelang anprangere. Und wie im November 2003 auch im "Schwarzbuch Straße" publiziert wurde. Daher muss man damit rechnen, dass man am Telefon beschimpft wird, dass mit den Anzünden des Hauses gedroht wird - selbstverständlich in der "mutigen Anonymität" -, dass man als wirtschaftsfeindlich abgestempelt und sogar für Arbeitsplatzverlust verantwortlich gemacht wird. Wenn große Produktionen wegen der billigen Straße ihre Standorte verlagern, sind dann plötzlich diejenigen schuldig, die sich gegen diese Verlagerungen stemmen und eben deshalb notwendige Rahmenbedingungen (wie bspw. Kostenwahrheit) einfordern. Damit muss man leben und es aushalten – schon Albert Einstein hat ja gemeint: "Das Weltall ist endlich, die Dummheit des Menschen unendlich".

Aurora-Magazin: Was denken Sie sich, wenn sich, wie jetzt in Salzburg, Politiker so demonstrativ des Transitproblems und damit der Sorgen der Autobahnanrainer annehmen?

Gurgiser: Öffentlichkeitswirksam haben sich Salzburger Politiker zwar des Transitproblems angenommen, arbeiten aber realpolitisch denen in die Hände, die mehr Verkehr, mehr Lärm und mehr Schadstoffe in Kauf nehmen – siehe Ausbau Salzburg-Rosenheim, Walserberg, Tauern- und Katschbergtunnel. Deshalb ist es mir wichtig, die lokalen Gruppen so gut wie möglich zu unterstützen und zu stärken.

Aurora-Magazin: Den Anrainern der Tauernautobahn wurden - mit der Zustimmung zu den 2. Tunnelröhren durch Katschberg und Tauern - 300 Millionen Euro für "Umweltschutzmaßnahmen" zugesichert. Ist dieses Zugeständnis nicht als Erfolg zu verbuchen?

Gurgiser: Über diesen Unfug möchte ich gar nichts sagen, sondern nur darauf verweisen, dass die Grundlage dieser "Umweltschutzmaßnahmen" ja ohnehin gegeben ist. Das ganze war nur ein klassisches Vorwahlgeplänkel. So musste mir ja beispielsweise der Vertreter der ÖSAG bei einer öffentlichen Veranstaltung in Rennweg/Kärnten im Herbst 2003 zugeben, dass Lärmschutzmaßnahmen ohnehin nur gesetzt werden, wenn vorher die Lärmgrenzwerte überschritten werden. Das habe ich beispielsweise den "Kämpfern von der Bürgermeisterpartie" schon vor drei Jahren gesagt und auf die bestehende Dienstanweisung des Wirtschaftsministeriums verwiesen. Die Salzburger Politiker leisten sich den unumkehrbaren Fehler, keine Vorsorgepolitik zu machen, sondern sehenden Auges die Transitrouten auszubauen. Hinterher tritt für die Bevölkerung folgender Zustand ein: Die Menschen an den Tranitrouten bleiben mit ihren Sorgen und den nie eingelösten Versprechen. Die Politiker kommen und gehen oder flüchten bis nach Argentinien, in eine nicht zu knappe Politpension oder in eine hochdotierte Magna-Endversorgung.

Aurora-Magazin: Würden Sie die 2. Tunnelröhren, d.h. Tauern- und Katschbergtunnel, auf der Tauernstrecke bauen?

Gurgiser: Nein. Die Probleme werden damit nur verschärft und in die nächste Polit-Generation geschoben. Und die in diesem Zusammenhang gegebenen Versprechen werden nie gehalten. Da können die Zederhauser ein Lied davon singen, was ihnen schon vor vielen Jahren alles versprochen wurde. So geht das einfach nicht – immer nur mit österreichischem Geld Strecken ausbauen, die anderen nützen und der Bevölkerung schaden. Für die eigene Bevölkerung hat man dann kein Geld für die einfachsten Sachen. Angefangen von der Kindergärtnerin bis hin zum Gehsteig usw. Wenn es um die eigenen Menschen geht, muss man sparen, wenn es um noch mehr Transit geht, muss man verschleudern.

Aurora-Magazin: Das Transitforum Austria-Tirol hat immer wieder auf die brutalen Bedingungen der Berufskraftfahrer hingewiesen. Hat der so genannte "Frächterskandal" daran etwas geändert?

Gurgiser: Es ist kein Frächterskandal, sondern ein deutlicher Hinweis auf die "organisierte Kriminalität" – das sind kriminelle Machenschaften von Politik, Beamtenschaft und Wirtschaft. Und zeigt deutlich, wie recht wir immer mit unserer Meinung hatten, in dem wir diesen "hochsubventionierten Straßengüterverkehr" als "krankes System" bezeichnet haben. Heute ist man bereits soweit, dass man dieses System nur mehr aufrecht halten kann, indem man die Berufskraftfahrer ausbeutet, wie Sklaven hält und jede menschliche und soziale Komponente außer Acht lässt. Aber Else Rieger und Andreas Reisiger haben das im "Schwarzbuch Straße" [Reisiger/Rieger, Schwarzbuch Straße. Die subventionierte Transportlawine, Wien: Deuticke 2003.] in aller Ausführlichkeit aufgezeigt.

Aurora-Magazin: Wenn Sie zurückblicken: Was hat Ihre Arbeit bzw. die Arbeit des Transitforums bewirkt?

Gurgiser: Die Arbeit des Transitforums gliedert sich in drei Phasen. Phase 1 war die Zeit der Analyse des Transitproblems. Phase 2 war die Zeit des Erarbeitens von Lösungsvorschlägen und die europaweite Thematisierung. Diese beiden Phasen sind grundsätzlich erfolgreich abgeschlossen – es ist bemerkenswert, dass es der Politik nicht gelungen ist, dieses Problem "auszusitzen". Phase 3 ist die Umsetzungsphase und sie ist unzweifelhaft die schwierigste Phase. Denn jetzt sieht man einerseits, dass es gelungen ist, die Lösungsansätze [vgl. Alpenschutz-Transiterklärung] auf europäischer Entscheidungsebene zu verankern. Allerdings sieht man jetzt auch, dass uns viele der "politischen Unterstützer" plötzlich wieder allein lassen. Das heißt, die Politik ist Wegbegleiter von Bürgerbewegungen, solange sie nur ankündigen und ihre mediale Show abliefern kann. Wenn es um die Umsetzung geht, stehen die politischen Entscheidungsträger dann plötzlich wieder schnell "auf der falschen Seite". In der Sache selbst haben wir trotz vieler Rückschläge sehr viel für die Menschen erreicht, um ihre Belastungen zumindest zu mildern: Man denke an die Lärmschutzmaßnahmen an Autobahnen und Eisenbahnstrecken oder die technischen Verbesserungen der Fahrzeuge. Es gibt heute zahlreiche Fahrverbote zum Schutz von Mensch und Natur, z.B. das Nachtfahrverbot, sektorale Verbote in Kundl und auf der Loferer Strecke, das LKW-Überholverbot etc. Wir haben das Versammlungsrecht auf viel befahrenen Straßen und die Beibehaltung der Sonn- und Feiertagsfahrverbote durchgesetzt. Wir haben, hier ist noch viel zu tun, den Aufbau von Kontrollstellen in Tirol und Salzburg forciert. Und noch viel, viel mehr: Ohne uns hätten sie beispielsweise die Eisenbahn längst zugesperrt. Und dass alle unsere Forderungen, die wir in den letzten 10, 15 Jahren erarbeitet haben, mittlerweile national und international festgeschrieben und anerkannt sind, ist nicht zu vergessen.

Aurora-Magazin: Woher nehmen Sie die Motivation für Ihren Einsatz?

Gurgiser: Die Motivation ist ganz einfach. Ich arbeite und lebe im Inntal praktisch mitten im Herz der Alpen. Und meine Kinder auch. Damit das auch in Zukunft so bleiben kann, muss man angesichts der Rücksichtslosigkeit derer, die unser Land als "Transitschleuder" missbrauchen und täglich terrorisieren, eben selbst etwas tun und nicht warten. Ich meine also, dass das Einmischen als Bürgerpflicht gesehen und aktiv betrieben werden muss. Die Politik muss jedem von uns ohnehin dankbar sein, denn wenn wir uns nicht einmischen, bleiben die anderen Einmischer übrig: Die Lobbyisten und Interessensvertreter, die nur ihren Aktienkursen verpflichtet sind; der Mensch mit seinem Lebens- und Wirtschaftsraum, mit seiner Kultur, seinen Stärken und Schwächen kommt nicht mehr vor. Regionen werden zum Spielball von Spekulanten. Da tue ich halt nicht mit – ich liebe meine Heimat in den Bergen und bin auch bereit, für diese Heimat persönlich einzustehen. Mit allem, was ich einbringen kann. Denn diese Heimat haben wir nur einmal. Die wohl wichtigste Motivation lese ich aber täglich aus den Augen der Kinder. Das ist mir erst in den letzten Jahren aufgefallen, dass mir die Kinder – nicht nur die eigenen – sehr viel bedeuten. Sie vertrauen uns, dass wir das "Erbe unserer Eltern", unseren intakten Lebens- und Wirtschaftsraum, an sie so weitergeben, dass er auch ihnen Heimat sein kann. Dieses Vertrauen, das unsere Kinder in uns setzen, darf nicht missbraucht werden. Ich möchte mich nie fragen lassen, warum ich "weggeschaut" habe – ich schaue hin und ich kämpfe.

Aurora-Magazin: Wann hört Fritz Gurgiser auf zu kämpfen?

Gurgiser: Wenn das Herz den letzten Schlag macht.

Aurora-Magazin: Herr Gurgiser, vielen Dank für das Gespräch.

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