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Das Brot vom Polzegg Toni

Am Anfang war es selbstverständlich für jemanden wie den Polzegg Toni, Brotgetreide
anzubauen, es zu mahlen und sich sein Brot selbst zu backen. Heute kommt
"sein Brot" aus den Brotfabriken von Billa und Anker.

Von Roswitha Huber
(01. 07. 2005)

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Roswitha Huber

roswitha.huber@rauris.net

ist Lehrerin und Bäurin in Rauris. Sie ist die Leiterin der "Schule am Berg", die Kindern und Erwachsenen mit verschiedenen Projekten ("Ich mache mir ein Butterbrot", "Schnitzel wachsen nicht auf Bäumen", "Faszination Milch") zum Verstehen und "Begreifen" bäuerlicher Tätigkeiten verhelfen will.

 

   Anton Groder, vulgo Polzegg Toni, wurde am 23. Mai 1916 am Hof des Polzeggbauern im Seidlwinkltal der Gemeinde Rauris geboren. In seiner Kindheit war der Anbau von Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, Kartoffeln und "Runggln" (=Futterrüben) selbstverständlich. Auch für einen Hof am Steilhang auf 1100 m Seehöhe. Zwei Tagbau Roggen und zwei Tagbau Weizen für den Eigenbedarf. Das reichte jedoch nicht. Weizen und Roggen wurden auch zugekauft. Hafer und Gerste baute man als Futtergetreide für Schweine und Pferde an. Wenn er Getreide mit dem Pferdefuhrwerk vom Taxenbacher Bahnhof holte, fuhr er bis zu einem Zwischenlager, einer Hütte im Seidlwinkltal (bei der ehemaligen Mühle). Jede Fuhre war 800 kg schwer. Um vier Uhr früh ging die Fahrt los, um fünf Uhr Nachmittag war er wieder zuhause.

Bis zum Jahr 1947 wurde die gesamte Getreideernte hinunter zur hofeigenen Wassermühle am Schütterbach gebracht. Die Beförderung von Lebensmitteln und anderen Gütern auf den Hof war schwierig. Es gab keinen Weg. Im Winter konnte man Lasten mit einem Pferdeschlitten befördern. Lag kein Schnee, wurde ausnahmslos alles auf dem eigenen Rücken getragen. Man trug das Getreide hinunter zur Mühle und das Mehl in Mühlkübeln hinauf zum Hof. Toni mahlte das eigene Getreide und auch das der Nachbarn (Gratschberg, Hochberg). Gemahlen wurde im Sommer und Herbst auf Vorrat. Das Mahlen war nur möglich, wenn genug Wasser im Bach vorhanden war. Das gemahlene Getreide musste für den ganzen Winter reichen. Um die Zeit zu nutzen, mahlte Toni oft Tag und Nacht.

    Damals hießen die drei Qualitätsstufen für das Weizenmehl "Muasmehl" (das schönste, feinste und weißeste Mehl; das "Muas" ist eine einfache Speise aus feinem weißen Mehl, Wasser, Salz und Butter), "Knödlmehl" und "Brotmehl". Nach einem verregneten Sommer konnte das Getreide nicht trocken eingebracht werden. Es musste das ganze Jahr mit dem nachlässigen Mehl, d.h einem Mehl mit zu hohem Feuchtigkeitsgehalt, gekocht und gebacken werden. Um die Qualität zu heben, wurde es mit zugekauftem Mehl, das aus einer trockeneren Gegend stammt, vermischt. 1947 wurde diese Mühle von einer Lawine weggerissen. Danach baute Toni eine Mühle nicht weit vom Haus entfernt auf und betrieb sie mit Seilzug. Das brachte aber kein zufriedenstellendes Ergebnis. Von 1950 an konnte beim Polzegger elektrisch gemahlen werden. Die Mühle befand sich jetzt direkt im Bauernhaus. Aufwändige Vorbereitungen waren für die Stromzuleitung notwendig gewesen. Toni hatte schon in den Jahren 1943/44 angefangen, auf seiner Alm Lärchen zu hacken und stellte diese als Strommasten auf. Alle seine Kriegsurlaube verbrachte er mit dieser Arbeit. Ende 1943 brannte auf dem Hof das erste Licht. Eine Lampe in der Küche, eine in der Stube, eine im Stall und eine auf der Bruckn (=Tenne). Schon die Materialbeschaffung alleine erforderte allen Einfallsreichtum. Als der Kohlschnaitbauern in Taxenbach seine Stromkabel aus fingerdicken Eisendrähten durch feinere Aluminiumdrähte ersetzte, erwarb Toni die alten Drähte für seinen Hof. Kleines Zubehör wie Draht und Schalter kaufte er von Frau Röck. Zwanzig Stück Isolatoren erhielt er von der SAFE in Bruck. Elf Jahre lang blieb diese elektrische Anlage unverändert.

Gelernt, bzw. abgeschaut hat Toni sich diese Fertigkeiten von seinem Vater Anton Groder (1878 geboren, 1947 gestorben). Dieser war ein gefragter Mann, wenn es darum ging, Uhren wieder zum Gehen zu bringen, Nähmaschinen zu reparieren. Einer der guten Ratschläge, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, lautete: "Du muasst stöhn, was dastühst, aber an jeden seins lossn. Du kannst nia gnuag schaun. Nur donn kimmbst zu ebbas, wannst d’Augn offen hoitst." Im Zuge der allgemeinen landwirtschaftlichen Entwicklung wurde auch auf dem Polzegggut 1953/54 mit dem Anbau von jeglichem Getreide aufgehört (der letzte Bauer, der noch bis 1975 in Rauris Getreide anbaute, war der Mosenschuster).

     Es folgte ein Jahr, wo der gesamte Getreidebedarf zugekauft, mit dem Fuhrwerk in Taxenbach geholt und selbst vermahlen wurde. Toni sah, dass die Kosten für den Strom und der große Aufwand für die Lieferung sich nicht mehr lohnte. So endete die Zeit des Selbermahlens 1953. Fortan wurde auch auf dem Polzegghof Mehl in 50 kg Säcken beim Lagerhaus gekauft. Bis zu 80 kg konnte Toni auf dem Rücken tragen. Erst 1962 wurde eine Straße gebaut.

Sein ganzes Leben lang hat Toni beim Brotbacken geholfen. Zuerst seiner Mutter, später seiner Frau Hilda, die er 1952 heiratete. Das Heizen des Ofens zählte immer zu seinen Aufgaben. Aber auch das Kneten des Brotteiges. Toni sagt von sich: "Jede Arbeit mach ich mit Freude." Einmal im Monat haben die beiden gebacken. 25 große Laibe.

1975 übergab Toni den Hof an seinen Sohn Gregor und dessen Frau Elisabeth. Der große Holzofen wurde von da an nicht mehr beheizt und ein elektrischer Backofen angeschafft. Nach langer Krankheit starb Elisabeth Groder mit nur 42 Jahren. Mit dem Backen auf Vorrat hörte man damals ganz auf. Tonis Frau Hilda bäckt auch heute noch ab und zu ein Brot im Rohr ihres Küchenherdes. Das meiste Brot wird gekauft. Wo? In Rauris. Aber das Brot, das heute in Rauris verkauft wird, wird nicht mehr in Rauris gemacht. Es kommt aus Bäckerein in Gastein, Taxenbach, Zell am See, aus Brotfabriken von Billa und Anker. Im Geschäft wird es aufgebacken, was Ofenfrische vortäuscht. Die letzte Bäckerei in Rauris schloss 1990.

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