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Zur rumäniendeutschen Gegenwartsliteratur
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Viele rumänische Schriftsteller waren in den 80er Jahren Ziel von Verhaftungen
und Verfolgungen, was die meisten zu einer Auswanderung bewegte.
Ihre damaligen traumatischen Erfahrungen spiegeln sich teilweise
noch in ihren heute erscheinenden Werken.


Von Tanja Becker
(01. 01. 2007)

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Tanja Becker
tanja_ursula_becker
@yahoo.de

studierte Deutsch und Französich für das Lehramt an Gymnasien in Erlangen und Augsburg, DEA in Lettres Modernes an der Sorbonne (Paris IV), zweijährige Tätigkeit als Deutschassistentin in Frankreich, 1997-2003 DAAD-Lektorin an der Politehnica-Universität Temeswar, ab 2003 Privatdozentin, Übersetzerin. Forschungen im Bereich Komparatistik, Aufsätze zur germanistischen Forschung und Lehre.




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Herta Müller

(c) www.daad.de

 


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Herztier.
Rowohlt Tb, 1996.
ISBN:
3499137097


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Heute wär ich mir
lieber nicht begegnet.

Rowohlt Tb, 1999, 239 S.
ISBN:
3499224844


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Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt.

Rotbuch Verlag, 2006, 110 S.
ISBN:
3434545344

 


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Richard Wagner
(c) www.aufbau-verlag.de




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Der leere Himmel.
Aufbau Verlag, 2005, 320 S
ISBN:
3351025483


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Habseligkeiten.

Aufbau Verlag, 2004, 281 S.
ISBN:
3351030274

    Wer Rumänien von seiner literarischen Seite kennen lernen möchte, hat keine andere Wahl als sich hauptsächlich an die rumäniendeutschen Schriftsteller zu halten, weil immer noch sehr wenig rumänische Gegenwartsliteratur ins Deutsche übersetzt ist. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der rumäniendeutschen Autoren lebt mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland, beschäftigt sich aber immer noch mit der alten Heimat. Der Sprachduktus dieser Werke ist häufig von der in Rumänien gelebten Vielsprachigkeit und dem etwas altertümlich anmutenden Deutsch der dortigen Minderheit geprägt.

Relativ bekannt sind die Mitglieder der sogenannten Aktionsgruppe Banat, jenes 1972 in Temeswar entstandenen Literaturkreises junger deutschsprachiger Autoren, die gegen die Einengung ihres freien Schaffens durch den Provinzialismus in der eigenen Kulturtradition wie auch durch die Verbote eines sozialistischen Staates ankämpften. Sie gehörten der deutschen Minderheit aus dem Banat in der Grenzregion zu Ungarn und Serbien an, die vor etwa 250 Jahren unter Maria Theresia dorthin ausgewandert sind, um das Land urbar zu machen. Durch ihre zunächst reformkommunistischen politischen Ansichten und ihre Ablehnung des häufig noch vom Nationalsozialismus überschatteten Schwabentums wurden sie rasch zur Minderheit innerhalb der Minderheit. In den 80er Jahren, als sich die wirtschaftliche und politische Situation in Rumänien immer mehr zuspitzte, waren auch sie Verhaftungen und Verfolgungen ausgesetzt, was die meisten zu einer Auswanderung bewegte. Ihre damaligen traumatischen Erfahrungen spiegeln sich teilweise noch in ihren heute entstehenden Werken.

Erwähnt sei zunächst Herta Müller, die 1953 in Nitzkydorf, einem von Banater Schwaben bewohnten deutschsprachigen Dorf in Rumänien, geboren wurde. Sie studierte Germanistik und Rumänistik in Temeswar und arbeitete zunächst als Deutschlehrerin und Übersetzerin, verlor jedoch ihren Arbeitsplatz, weil sie nicht mit dem rumänischen Geheimdienst zusammenarbeiten wollte. Danach war sie Kindergärtnerin. 1987 durfte sie ausreisen und lebt heute in Berlin. Sie erhielt zahlreiche Preise, darunter den Kleistpreis.

Lektüreempfehlungen:

"Herztier" (1994)

Lola kam aus dem armen Süden Rumäniens, wollte dem Elend mit Hilfe des erfolgreichen Mannes entfliehen und hing eines Tages am Strick. Die Freunde glauben nicht an Selbstmord und versuchen Widerstand zu leisten. Sie zerbrechen daran. "Herztier" erzählt von Bestechungs- und Anpassungsversuchen, den Gesten des Widerstands und den Verstößen gegen die Norm, vom Nicht-leben-Können und davon, wie "Menschen sich selbst zu einem Fehler werden".

"Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" (1999)

Dieses Buch erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die regelmäßig zum Verhör beim Geheimdienst bestellt wird. Auf dem Weg dorthin, während der Fahrt mit der Straßenbahn, lässt sie ihr Leben an sich vorüberziehen. Sie denkt zurück an ihre Kindheit auf dem Dorf, an ihre Beziehung zum Vater und an die Ehe mit dem Sohn jenes Mannes, der für die Deportation ihrer Großeltern verantwortlich war. An diesem Tag hält der Fahrer an der Haltestelle, an der sie aussteigen muss nicht an. Und so geht sie zum ersten Mal nicht zum Verhör.

"Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt" (l995)

So lautet ein rumänisches Sprichwort, das die Unbeholfenheit des flügellahmen Wildvogels auf menschliches Ungeschick und Unheil überträgt. Das Buch ist die Ballade der Auswanderung. Die Nähe zerbröckelt, aus Freunden werden misstrauische Feinde. Es geht nicht mit rechten Dingen zu, sondern alles auf krummen Wegen. Was hier, von der Oberfläche der Zeit in mythische Tiefen reichend, mitgeteilt wird, ist ein in seiner dichterischen Knappheit großer Beitrag zum Thema der Emigration.

Weiter sei hingewiesen auf den ebenfalls relativ bekannten Richard Wagner, der 1952 in Lovrin, im rumänischen Teil des Banats, geboren wurde. Er arbeitete als Deutschlehrer und Journalist und veröffentlichte Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Nach einem Arbeits- und Publikationsverbot verließ er Rumänien gemeinsam mit seiner damaligen Frau Herta Müller im Jahre 1987. Seitdem lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Er erhielt zahlreiche Preise und Stipendien.

Lektüreempfehlungen:

"Der leere Himmel" (2003)

Der Balkan liegt weit hinten, wo Europas Wirklichkeit sich krümmt. Schon Goethes Faust sah staunend auf das Gebiet, wo "die Völker aufeinanderschlagen", und Bismark war das Land zwischen Ägäis und Donau, Bosporus und Adria nicht die gesunden Knochen eines pommerschen Musketiers wert. Gerne hat Europa weggesehen, doch das sprichwörtliche "Pulverfass" hat immer wieder Feuer gefangen, und seine Flammen schlugen dem Kontinent entgegen. Ein Bindeglied zwischen Okzident und Orient könnte der Balkan sein, doch die jahrhundertealten Brücken liegen heute in den Flüssen Donau, Drina oder Nereta – zertrümmert von Serben, Kroaten, Moslems, von der Nato. Hinter einem Schleier aus Mythen und Folklore sucht Richard Wagner nach Gründen für die jugoslawische Katastrophe und geht dabei immer wieder auf sein Geburtsland Rumänien ein.

"Miss Bukarest" (2001)

Dinu Schullerus, der aus Rumänien stammende Detektiv hieß früher Matache. Vor zehn Jahren ist er mit seiner Frau Lotte, einer Siebenbürger Sächsin, nach West-Berlin ausgereist, weil beide Dinus Arbeit bei der Securitate nicht mehr ertragen konnten. Als Geheimdienstoffizier hat Dinu Dissidenten bespitzelt, Künstler und Akademiker. Unter anderem auch die attraktive Erika Binder, die ehemals beste Freundin seiner Frau, mit der er überdies noch ein Verhältnis hatte. Genau diese Erika Binder wird nun in Berlin tot aufgefunden und Dinu macht sich auf, die Mörder seiner Ex-Geliebten zu finden.

"Habseligkeiten" (2004)

Die Beerdigung des Vaters ist der Anlass für Werner Zillich, sich die Geschichte seiner Familie, einer schwäbischen Handwerkerfamilie im Banat, vor Augen zu führen. Die Müller, Pferdehändler oder Näherinnen hatten keinerlei Einfluss auf das Weltgeschehen, dennoch hat es ihr Leben beeinflusst. So berichtet Zillich vom Abenteuer einer Amerika-Auswanderung im 19. Jahrhundert und von einer heimlichen Liebe im Arbeitslager der Nachkriegszeit, ebenso von der käuflichen Liebe junger ungarischer Prostituierter unserer Tage. Sein eigenes Leben spiegelt die Krisen und Absurditäten der europäischen Epoche wider, und bevor das Rad der Geschichte für immer stehen bleibt, nimmt es eine letzte, wunderbare Wendung.

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