Das ist die Geschichte des
Herrn Thoma aus dem vierten Stock. Sein Horizont hat sich erheblich
erweitert seit dem Tag, an dem er begann, die BBC-Sendungen in rumänischer
Sprache zu verfolgen. Auch bis dahin war seine Lage nicht besonders rosig.
Seine offene und direkte Art hatte ihm schon immer genügend Ärger bereitet.
Ganz zu schweigen von seiner etwas übertriebenen Neigung, an die Ehrlichkeit
anderer zu glauben, aus der allmählich, nach unzähligen Enttäuschungen, ein
großes Misstrauen in alles und jeden wurde. Jahrelang hatte er wie ein Idiot
in der Überzeugung ferngesehen, dass alles, was er dort sah, die nackte
Wahrheit sei (der gewählte Ausdruck könnte zu krass erscheinen, man muss
jedoch wissen, dass er Herrn Thoma selbst gehört und im Allgemeinen sehr
treffend seine Denkweise charakterisiert). Wenn Herr Thoma sich jetzt an
diese Zeiten erinnert, schüttelt er den Kopf mit einem skeptischen Lächeln
und ist fast gerührt. Man könnte nicht behaupten, dass er gar nicht mehr
fernsieht, ganz im Gegenteil, aber jetzt kann ihn niemand mehr hinters Licht
führen. Sein kritischer Geist ist erbarmungslos. Die berühmten Talk-Shows,
die andere nicht selten zu vehementen verbalen Äußerungen provozieren,
lassen ihn kalt. Wenn manche Minister oder Parlamentarier etwas
Erschütterndendes über die Verbreitung der Korruption oder über den mafiösen
Zigarettenhandel aufdecken, schnaubt Herr Thoma mit bitterer Miene. Erstens,
er selbst raucht nicht. Besser gesagt, zweitens. Denn erstens, sind ihm
diese sogenannten Neuigkeiten und sensationellen Aufdeckungen schon lange
durch die BBC bekannt.
Wenn die Leute verstehen würden, wie wichtig es ist, sich
nicht manipulieren zu lassen! Aber sie wollen es nicht verstehen, sie sagen
laut und mit Nachdruck, wie sie mit ihren eigenen Augen gesehen und mit ihren
eigenen Ohren gehört haben, dass beispielsweise die Renten erhöht werden
sollen. Großzügig wie er ist, würde Herr Thoma sie alle gern um sich
versammeln und ihnen sagen: Ihr Idioten, warum hört ihr nicht was die BBC
gemeldet hat, dass nämlich die Haushaltskasse leer ist? Wie sollen sie die
Renten erhöhen, wenn der Haushalt so winzig ist? Herr Thoma teilt die
Menschen in zwei Kategorien: die, die BBC hören und die, die keine BBC
hören. Für die, die nur danach gehen, was bei Actualitati gesagt
wird, hat er nur Verachtung übrig. Von einem intellektuellen Standpunkt aus
gesehen, hält er sie für völlig unbedeutend. Ihre Meinungen sind falsch,
denn sie basieren auf manipulierten Informationen. Um ihren Standpunkt zu
untermauern, können sie nur sagen: Ich habe es im Fernsehen gesehen. Aber
hast du auch BBC gehört? fragt sie Herr Thoma. Nein, aber es kam im Radio
Actualitati. Was soll man da noch sagen, wie kann man sie überzeugen,
wenn sie stur auf dem ihrigen bestehen? Später zeigt sich, dass er Recht
behalten hat, die Renten sind doch niedrig geblieben – aber was nützt das,
wenn beim nächsten Mal genau das Gleiche geschieht? Das Vertrauen des Volkes
in alle Lügen, die ihm durch die Medien eingeredet werden, ist schwer zu
erschüttern, weil das Volk seine Mentalität einfach nicht ändern will. Über
die Art und Weise wie man dieses Wort verstehen soll, war sich Herr Thoma
nicht ganz schlüssig, aber ein großer englischer Gelehrter hatte in einer
BBC-Sendung gezeigt, dass die Mentalitäten sich schwerer verändern als man
glaubt. Es ist also klar, mit solchen Menschen werden wir niemals das
Lichtlein am Ende des Tunnels sehen, weil ihre behagliche und
konformistische Denkweise sich in
traurigster Erinnerung
an die alten Mentalitäten aus der Zeit des
kommunistischen Regimes klammert.
In diesem Punkt findet
jedoch bei Herrn Thoma ein kleiner Konflikt zwischen Überzeugungen und
Gefühlen statt, denn er hat zahlreiche Erinnerungen aus der kommunistischen
Zeit, die keineswegs traurig sind, und obwohl er nicht möchte, kann er
manchmal nicht vermeiden, dass sie ihm immer wieder einfallen. Das ist nicht
die einzige Inkonsequenz in Herrn Thomas Denkweise. Oft stellt er selbst
fest, dass der für ihn typische Skeptizismus sich nicht so konsequent, wie
er es gerne hätte, manifestiert. In den Momenten, wenn er nicht aufmerksam
ist, wird er das Opfer seiner Hauptschwäche – der Gutmütigkeit. Da er ein
mildes Gemüt hat, muss er zugeben, dass seine moralisch-voluntative
Standfestigkeit gegenüber den Herausforderungen der Marktwirtschaft viel zu
wünschen übrig lässt.
An einem Nachmittag, als er allein zu Hause war,
klingelte jemand an der Tür. Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt oder das
Telefon läutet, erscheint irgenwo in Herrn Thomas Seele der Strahl einer
unbestimmten Hoffnung, und er zittert leicht vor Freude, als ob man ihm
einen Kuchen versprechen würde. Das ist natürlich nur ein Vergleich, denn
normalerweise vermeidet Herr Thoma Süßigkeiten wegen der Karies, aber, wenn
er wieder ein Kind wäre und seine Zähne noch intakt, würde er sich mit
Sicherheit genauso sehr, wie in der
Zeit des Verhassten,
freuen, als ihm
seine Eltern für gewöhnlich zwei Lei gaben, damit er sich einen Sahnekuchen
kaufen konnte. Psychologisch gesehen bedeutet dies, dass er über eine
soziale und kommunikative Natur verfügt. Und so ist es auch.
Er blickte also voller
Hoffnung durch den Türspion. Meistens sind seine Hoffnungen vergeblich, denn
es ist die Putzfrau, die klingelt und ihn darum bittet, ihr den Eimer mit
Wasser zu füllen, damit sie das Treppenhaus wischen kann. Oder, noch
schlimmer, Herr Ion-der-Hauswart mit irgendeiner Beitragsliste für die
Entrattung des Kellers oder um die Bewohner dafür zu mobilisieren, die
Umgebung des Wohnblocks zu pflegen. Aber dieses Mal konnte man im Halbdunkel
hinter der Tür das Profil einer jungen Person sehen, die, so weit man durch
das Loch sehen konnte, d.h. nur die obere Hälfte, recht gutwillig zu
sein schien. Sie war anständig gekleidet und auf ihrem Kopf hatte sie einen
kleinen lustigen roten Hut. Folglich gab Herr Thoma seine übliche
Zurückhaltung auf
– die in Übergangszeiten umso nötiger ist, wenn die
Menschen noch nicht die alten Angewohnheiten überwunden haben und versuchen,
sich gegenseitig übers Ohr zu hauen, sodass man immer das Schlimmste
erwarten kann – öffnete die Tür in ganzer Breite und lud sie ein. Aber das
Fräulein lehnte die Einladung mit einem höflichen, reizenden Lächeln ab und
wollte lieber vor der Tür im Treppenhaus bleiben. Sie hielt ein nicht allzu
großes Paket in der Hand, welches sie Herrn Thoma mit folgenden Worten
anbot:
Guten Tag. Heute ist wirklich ein glücklicher Tag für
Sie, denn Sie haben einen wichtigen Preis gewonnen. Diesen Kaffeefilter
im Wert von 350000 Lei, das heißt 20 Dollar, den unsere Firma Ihnen
kostenlos anbietet im Rahmen einer Werbekampagne, die auf die treuesten
ihrer Käufer zielt, und ich bitte Sie, ihn unverbindlich anzunehmen.
Schauen Sie fern? Haben Sie die Werbung für dieses kleine Massagegerät
gesehen? Das kostet nur 170000 Lei, das heißt 10 Dollar, es ist
aufladbar und man kann es zu Hause, auf der Arbeit, im Zug, überall
benutzen, um sich zu entspannen, insbesondere die Hals- und Kopfmuskeln,
deren Anspannung, wie man weiß, Stress und Migräne nach sich ziehen.
Unsere Firma bietet es Ihnen kostenlos an. Ich bitte Sie, es
unverbindlich anzunehmen. Ich sehe außerdem, dass sie einen respektablen
Bart tragen. Dieses ebenfalls aufladbare Gerät könnte Ihnen helfen, ihn
auf ideale Weise zu pflegen, außerdem kann man es als
einen effizienten Epilator einsetzen. Ihre Frau kann es auch benutzen, sie haben ja im
Fernsehen gesehen wie es funktioniert, durch einen einfachen Knopfdruck,
es kostet etwas mehr, 280000, das macht 15 Dollar, aber sie werden es
kostenlos bekommen, denn Sie sind ein privilegierter Kunde unserer
Firma, ich bestehe darauf, dass Sie es annehmen; und ich habe noch etwas
für Sie, diese wundervolle Schürze, zusammen mit diesen Handschuhen und
diesem kleinen Kissen, ich glaube Sie haben sie schon im Fernsehen
gesehen, Petrisor trägt sie in der Sendung Bună dimineaţa, die
kosten genau 150000, ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Tragen, und was
halten Sie von diesem Haarwickelset für Ihre Frau? Das sind besondere
Lockenwickler, aus Kanada importiert, die sogenannten unsichtbaren
Lockenwickler, mit Hilfe einer modernen Technik hergestellt, die den
Frauen ermöglicht, gleichzeitig den Haushalt und ihre Frisur zu machen,
man kann sie auch in der Stadt, auf der Straße oder auf der Arbeit
tragen, denn sie passen perfekt auf den Kopf und kosten nur 80000 Lei,
unsere Firma bietet Ihnen kostenlos und unverbindlich zwei Sets an. Das
macht 10 Dollar, ich bitte Sie die anzunehmen, jetzt bitte ich Sie, den
Wert ihrer Geschenke durchzurechnen, damit sie die Bemühungen, die
unsere Firma gemacht hat, um ihren Ansprüchen gerecht zu werden,
gebührend würdigen können.
Wie bitte? fragte Herr Thoma leicht verwirrt.
So lange die junge Person
sprach
– mit
dem sicheren Auftreten typisch in ihrem Alter
– und Herrn Thoma
dabei sehr aufdringlich anschaute, verstand er eigentlich kein Wort, denn sein
Blick blieb an ihrer kleinen zarten Brust hängen, die sich hoch und runter
in dem Rhythmus ihrer Sätze bewegte. Als sie "Diesen Kaffeefilter im Wert
von 350000 Lei, das heißt 20 Dollar, den unsere Firma Ihnen kostenlos
anbietet" sagte, streckte Herr Thoma mechanisch seine Arme, ohne überhaupt
an die Folgen seiner Geste zu denken, und tat ebenfalls das Gleiche nach dem
sie "Unsere Firma bietet es Ihnen kostenlos an. Ich bitte Sie, es
unverbindlich anzunehmen" oder "dass sie einen respektablen Bart tragen.
Dieses ebenfalls aufladbare Gerät könnte Ihnen helfen, ihn auf ideale Weise
zu pflegen" gesprochen hatte. Eigentlich trug Herr Thoma gar keinen Bart,
aber das entdeckte er erst viel später, nachdem er allein mit all den
Geschenken blieb und die nötige Provision bezahlt hatte. Denn als sie sah,
dass Herr Thoma zögerte, ihre Frage zu beantworten, begann sie wieder zu
sprechen:
2460000 Lei, das heißt 150 Dollar! Aber Sie haben
diese ganzen Produkte ja kostenlos bekommen und sie müssen nur die
Provision und die Transportkosten im Wert von 400000 Lei zahlen!
Duch einen wundervollen Zufall hatte die Person genau die
Summe Geldes erraten, die Herr Thoma in diesem Moment im Hause hatte. Für
eine Sekunde nur fand in seinem Inneren ein erbitterter Kampf statt.
Schließlich war das bis zum nächsten Lohn sein letztes Geld! Aber er konnte
diese feine Person doch auch nicht mit leeren Händen gehen lassen, nachdem
sie ihm so viele Geschenke, im Wert von über 2400000 Lei mitgebracht hatte,
ohne ihr zumindest dafür die Provision und die Transportkosten zu zahlen.
Eine völlig andere Meinung
dazu hatte Frau Filofteia. Als sie etwa anderthalb Stunden später
–
nach der
Arbeit in dem Laden, in dem sie als Verkäuferin angestellt war
– nach Hause
kam und ihren Mann in einem leichten Verwirrungszustand vorfand, inmitten
all dieser Plastikgegenstände, die er kostenlos bekommen hatte, und obwohl
sie sehr verschwitzt war, nahm sie sofort einen Kugelschreiber und fing an
zu rechnen. Das Ergebnis ihrer Berechnung, so unerwartet wie auch
unangenehm, könnte man in einem Wort ausdrücken. Sie benutzte jedoch viele.
Du Trottel, sie hat dich beschissen, sie hat dich an
der Nase herumgeführt! Blödmann! Dummkopf!
Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, dass man den
Kaffeefilter von den "Russen" für nur 50000 kaufen konnte – aber nicht mal
das ist er wert, denn der türkische Kaffee, im Ibrik gekocht, schmeckt viel
besser, wie Frau Filofteia versicherte. Herr Thoma protestierte leicht bei
diesem letzten Argument, aber nicht überzeugend genug. In der Zwischenzeit
hatte er einen Filterkaffee gemacht – als Experiment
– aber über das
Ergebnis seines Experiments wollte er in diesem Moment lieber nicht reden.
Das Gerät zur Heilung des Stresses und der Migräne ging während der
ersten ernsthaften Probe kaputt, aber das nur, weil Frau Filofteia es
ungeduldig und mit einer gewissen boshaften Agressivität bediente. Und was
den Epilator betraf, entdeckte Herr Thoma selbst
– mit gewisser Verspätung,
wie wir erwähnten –, dass er keinen Bart trug. Er hätte gerade in diesem
Moment entscheiden können, sich für den Rest seines Lebens einen wachsen zu
lassen, aber die Art, wie seine Frau auf eine solche Möglichkeit reagierte,
demütigte ihn und brachte ihn dazu, die Idee aufzugeben. Auch das Set von
Lockenwicklern, obwohl mit einer Sonderwidmung von Herrn Thoma, hatte keinen
großen Erfolg, aus dem Grund, dass es einige noch billigere, sogar in dem
Laden, in dem Frau Filofteia arbeitete, gab. Aber sie schätzte
überraschenderweise die Schürze mit den Handschuhen und dem kleinen Kissen,
und versprach, die letzten zwei zu benutzen, wenn sie den kleinen
Waschkessel ins Bad trägt oder für andere Bedürfnisse.
Wir haben versucht, die
wichtigsten Argumente und Gegenargumente aus dem Gespräch von Herrn Thoma
mit seiner Frau in einem ruhigen und zivilisierten Ton auszudrücken, aber
jetzt sehen wir uns gezwungen zu präzisieren, dass die erwähnte Diskussion
keineswegs einen freundlichen Charakter hatte, sondern, ganz im Gegenteil,
voller Schimpfwörter und Drohungen war, insbesondere von Frau Filofteia, die
sich auf heldenhafte Weise der Gewohnheit, die sie in letzter Zeit
entwickelt hatte, nämlich plötzlich ohnmächtig zu werden, ihrem Mann zum
Trotz widersetzte, denn sie war dafür viel zu wütend. Um sie zu beruhigen, entschied sich Herr Thoma, sie eine Weile allein zu
lassen. In ähnlichen Situationen konnte er feststellen, dass, wenn ihr
niemand widersprach, das Risiko, dass sie ohnmächtig wurde, erheblich sank,
und Frau Filofteia viel versöhnlicher zu werden pflegte, indem sie nur noch
ein bisschen allein vor sich hin murrte und dann schwieg. Infolgedessen
nutzte Herr Thoma die Chance zu einem Besuch seines alten Freundes, des
Biologielehrers vom siebten Stock, mit dem er zumindest die Angewohnheit,
dass sie beide BBC hörten, teilte.
Die Idee tröstete ihn ein wenig. In der ganzen Wohnung
des Herrn Lehrer Eftimie duftete es nach Kaffee und kaum war Herr Thoma vom
Korridor ins Gästezimmer getreten, da fragte ihn sein Freund schon:
Einen Kaffee?
Oh, nein, ich habe gerade eben einen getrunken.
Aber doch nicht so einen! Das ist Filterkaffee!
versicherte ihm der Lehrer.
Herr Thoma brauchte keine
weiteren Details, um die traurige Wahrheit zu entdecken: Herrn Eftimie war
dasselbe zugestoßen! Auch er hatte kostenlos und unverbindlich die gleichen
Geschenke bekommen. Im Unterschied zu ihm selbst aber trug der Lehrer einen
Bart und war zudem noch Junggeselle. Diese zwei Dinge hinderten ihn offenbar
daran zu begreifen, dass er das Opfer einer Infamie geworden war.
Diejenigen, die kein BBC hörten, sprachen es falsch aus.
Aber ich sehe, dass sie einige Einkäufe gemacht
haben, merkte Herr Thoma schmeichlerich an.
Ah, nein, eigentlich habe ich sie als Geschenk von
einer ausländischen Firma bekommen, antwortete Herr Eftimie mit einer
überlegenen Bescheidenheit in seiner Stimme, als ob es ein geheimes
Privileg gewesen wäre, solche Geschenke von ausländischen Firmen zu
bekommen. Die junge Frau, die sie brachte, verlangte von mir nur die
Transportkosten. Dieses Gerät ist extra für die Bartpflege konzipiert,
wechselte er schnell das Gesprächsthema. Es funktioniert mit Batterien.
Er nahm das Gerät vom Tisch und drückte einen Knopf,
sodass es anfing zu summen, dann hielt er es ganz nah an seine Nase, und
deutete damit an, wie er es bei Bedarf benutzen wird. Danach machte er es
aus und stellte es aufmerksam auf den Tisch. Er hatte offenbar Angst davor,
dass es kaputtgehen könnte. Plötzlich fing er zu erklären an, sprach und
gestikulierte etwas aufgeregt, als ob er dabei auch sich selbst übersetzen wollte:
Eins muss man sich klar
machen: Marktwirtschaft heißt nicht nur unbegründete Preissteigerung, wie es
bei uns geschieht. Sie bedeutet auch eine ganze Reihe von Vorteilen für die,
die ihre Mechanismen richtig verstehen. Wie ein angesehener Politologe
neulich in der BBC sagte, der Wirtschaftsboom in den westlichen Ländern Ende
der 60er Jahre wurde durch eine radikale Änderung der Management- und
Marketingmethoden hervorgerufen. Wir sollten daraus lernen, wenn wir in
Europa eintreten wollen. So lange wir die gleiche konservative und
altmodische Mentalität haben und wir uns allen Neuigkeiten und dem Initiativgeist
verweigern, werden wir bleiben, was wir dann auch verdienen zu bleiben ...
unterentwickelte Balkanier. Ich meine: die modernen Methoden müssen von uns
allen und von jedem Einzelnen gefördert und unterstützt werden!
Herr Thoma billigte in voller Überzeugung die Ideen
seines Freundes, weil er ihre Autorität anerkannte. Er war irgendwie stolz
darauf, dass er sie trotz ihres sehr abstrakten Charakters und ohne sich
besonders anstrengen zu müssen, verstehen konnte. Plötzlich tauchte aber ein
unerwartetes Element auf, das die Behaglichkeit seines Verstandes störte. Um
seine Ideen allgemeinen Charakters zu exemplifizieren, verwendete der Lehrer
ein neues Wort, oder sogar mehrere Wörter: MLM.
Ich gebe Ihnen ein einziges Beispiel: MLM hat eine
spektakuläre Steigerung der Verkaufszahlen in den Vereinigten Staaten
und in Westeuropa bewirkt, sie praktisch verdoppelt, teilte ihm der
Lehrer mit, während bei uns die ersten Versuche in diese Richtung
stattfinden.
MLM? fragte er leicht verwundert, versuchte aber
zugleich seine Überaschung zu verbergen.
MLM ist die Abkürzung von Multi-Level-Method,
erklärte Herr Eftimie, dieser englischer Ausdruck bedeutet ... Aber er
sagte ihm nicht mehr, was das bedeutet und fing gleich mit der Erklärung
der Vorteile an. Das ist ein sehr modernes und effizientes
Marketing-System, von den Amerikanern entdeckt, in dem der Käufer
gleichzeitig auch zum Verkäufer des jeweiligen Produktes wird.
Das ist etwas Dialektisches! versuchte Herr Thoma es
mit einer Formel zu ergänzen, die er jedes Mal benutzte, wenn die
Begriffe ihm nicht klar waren, er aber das Gespräch dennoch auf einem
hohen Niveau halten wollte. Er hätte gern gefragt, mit welchem Geld die
Käufer das bewerkstelligen, aber er gab es im letzten Moment auf, denn
die Frage kam ihm kleinlich vor.
Erst später begriff er den
tieferen Sinn der Sache. Letztendlich versuchte Herr Eftimie ihm zu erklären,
warum er sich hatte betrügen lassen, nämlich um der nationalen Wirtschaft
aus der Krise zu helfen. Dabei kam auf deutliche Weise heraus, dass der
Lehrer, als er diese Geschenke kostenlos angenommen und dafür nur die
Provision und die Transportkosten bezahlt hatte, bewusst als ein
Progressfaktor agierte, worüber Herr Thoma aber ernsthafte Zweifel hegte,
als er sich daran erinnerte, wie er selber in die Falle getappt war. Er
widersprach ihm jedoch nicht, denn prinzipiell gesehen hatte sein Freund
recht. Alle wollen von den Vorteilen der Marktwirtschaft profitieren, aber
keiner will dafür etwas opfern.
Die ersten positiven Wirkungen des MLMs waren am gleichen
Nachmittag zu spüren. Er war sicher, dass außer ihm und dem Lehrer kein
Bewohner des Blocks jemals von dieser Methode gehört hatte, und er beeilte
sich unter irgendeinem Vorwand nach Hause zu kommen, um sie als Argument in
den Gespächen mit Frau Filofteia zu verwenden. Jetzt hatte er sozusagen eine
Geheimkarte. Jetzt wollte er nur noch ihre Wirkungskraft testen, und das
nach einer gut durchdachten Strategie. Der alten Bemerkung, dass sie sich
nie bemühte, in der Zeitung mehr als das Horoskop oder manche Artikel über
irgendeinen Mord oder eine Vergewaltigung zu lesen, fügte er hinzu, dass sie
einer einzigen Zeitung, Desteptarea, die jeder Maßnahme der Regierung
zur Restrukturierung und Privatisierung mit Agressivität begegnete,
vollkommen vertraute. Wenn er ihr einfach gesagt hätte, dass er in der BBC
von der Multi-Level-Method gehört hatte, hätte Frau Filofteia gleichgültig
mit den Schultern gezuckt, denn sie befand sich ja in der großen Gruppe
derer, die lieber eine süd-amerikanische Seifenoper im Fernsehen verfolgen,
und das zu jenem Zeitpunkt, an dem die wichtigsten Tagesnachrichten in der
BBC laufen. Aber wenn er, während er so getan hätte, als ob er diese, der
Frau Thoma so vertraute Zeitung, lesen würde, plötzlich gesagt hätte: Du,
schau mal, was diese Amerikaner entdeckt haben, ein sehr modernes und
effektives Marketingsystem, in dem der Käufer gleichzeitig auch zum
Verkäufer des jeweiligen Produktes wird! Dann hätte sie ihm mit Sicherheit
zugestimmt, ohne selber die Glaubwürdigkeit der Information zu prüfen und
infolgedessen, ohne zu bemerken, dass sie in eine Falle gelockt wurde. Kurz
gesagt: sie hätte die Pille geschluckt! Zum Mangel an Neugier gegenüber
allem, was in den Zeitungen stand, mit den oben erwähnten Ausnahmen, kam
eine fast vollkommene Ignoranz gegenüber den Problemen der Marktwirtschaft
hinzu. Später, wenn er dieses Bündel von Faktoren intelligent genutzt hätte,
hätte es Herr Thoma geschafft, den Ausdruck Multi-Level-Method einzufügen
und dadurch einen moralischen Erfolg in der Auseinandersetzung über den Kauf
des Kaffefilters und der anderen Haushaltobjekte gewonnen.
Bis zu diesem Punkt lief
alles wie geplant. Er fand seine Frau viel ruhiger oder vielleicht auch nur
resignierter, als er sie verlassen hatte. Jedenfalls schien sie, in seiner
Abwesenheit, einen Teil des alltäglichen Frustes an der Wäsche,
die sie auf dem Balkon aufhing,
abreagiert zu haben. Während sie die Wäsche
bearbeitete, für gewöhnlich am Samstag Nachmittag, erfand Frau Thoma
Lösungen für all die Probleme, die unter der Woche auftauchten, in Form
heuristischer Dialoge zwischen Gut und Böse. Den tatsächlichen Inhalt dieser
Dialoge konnte niemand erfahren, denn sie sprach nur manche zusammenhanglose
Gedankenfetzen aus, sodass, hätte man ihr zugehört, man nur einige sinnlose
Worte mitbekommen hätte, unterbrochen von Seufzern und vom Stöhnen, wenn sie
die Waschschüssel hochheben, die Wäsche aus der Waschmaschine holen oder sie
über den Waschbecken auswringen musste. Auf Grund von systematischen
Beobachtungen kam Herr Thoma dennoch zu dem Schluss, dass, ihrer Meinung
nach, das Gute von Frau Filofteia selbst repräsentiert wurde, während die
Vertreter des Bösen waren: der Ladenbesitzer für den sie arbeitete; manche
Käufer mit übertriebenen Ansprüchen; Menschen, die ohne Fahrkarte mit dem
Bus fuhren; ein Pfarrer, der ihr die Kommunion nicht erteilt hatte; die
Nachbarn mit ihren frechen Kindern; der Hausverwalter u.s.w. – also alle
anderen. Diesmal trug sie die Schürze, die Herr Thoma im Rahmen einer
Werbekampagne von einer ausländischen Firma, die moderne Marketingstrategien
anwendete, kostenlos bekommen hatte (wie Herr Eftimie betonte) und, weil
sie die Tür, als er eintrat, nicht hörte, glaubte sie allein zu sein und
wiederholte mit Nachdruck eine Frage, für die sie offensichtlich noch keine
Antwort gefunden hatte:
Mensch, warum sollen wir, die kleinen Leute, immer
draufzahlen?
Er lief an der Badezimmertür vorbei, als ob er nichts
gehört hätte, ging ins Wohnzimmer, setzte sich auf einen Sessel und öffnete
zufällig eine Zeitung, auf deren erster Seite die letzten Maßnahmen der
Regierung zur Privatisierung verlustreicher staatlicher Unternehmen
vehement angegriffen wurden. Im Folgenden ging er mit einer hinterlistigen
Taktik vor, in dem er sie ein paar Mal mit der Wäscheschüssel hin und her an
ihm vorbei gehen ließ, als sie Wäsche auf den Balkon trug oder von dort
zurückkam, und so tat, als ob er sehr vertieft in die Lektüre eines Artikels
wäre. Wenn er nur noch ein paar Sekunden gewartet hätte, nachdem Frau
Filofteia mit dem Aufhängen der Wäsche fertig geworden und ins Wohnzimmer
zurückgekehrt war, wo sie sich mit den Makramees auf der Kommode
beschäftigte, die sie in unterschiedlichen Positionen arrangierte, hätte sie
ihn sicherlich selbst gefragt, was er denn so aufmerksam lese. Aber bevor es
dazu kam, brach er ab, schlug die Zeitung mit der oberen Handfläche und
drückte sich mit dem Rücken tief in den Sessel:
Mensch, diese Amerikaner
sind ja unglaublich, sagte er und schnalzte vor Lesevergnügen mit der Zunge.
Schau mal, was ihnen eingefallen ist! Multi-Level-Method! Ein sehr modernes
und effizientes Marketing-System, in dem der Käufer gleichzeitig auch zum
Verkäufer des jeweiligen Produktes wird!
Er sprach eigentlich mit sich selbst, aber Frau Filofteia
konnte sich nicht zurückhalten und die Promptheit, mit der sie antwortete,
zeigte, dass sie in der Zwischenzeit über das Gleiche nachgedacht hatte:
Recht hast du! Vielleicht bekommen wir etwas von dem
Geld wieder. Die Lockenwickler versuche ich bei mir im Laden zu
verkaufen, und die anderen bringen wir zum Flohmarkt!
Wir sollten noch präzisieren, dass Herrn Thomas’
Einweihung in die Geheimnisse der Multi-Level-Method am Samstag Nachmittag
des 3. Oktober stattgefunden hat.
Lektorat: Andreas Korpás |