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Mihail Sebastian.
Buchtipp
Mihail
Sebastian. Klappentext: Bukarest 1935. Ein harmloser Unfall, eine Zufallsbegegnung, bringt sie zusammen: Nora und Paul, zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Nora ist mit ihrem Leben zufrieden, auch wenn sie davon träumt, eines Tages dem Mann zu begegnen, der die Leere in ihrem Innern vertreibt. Paul ist Anwalt und ein "verletzter, ein gefallener Mann". Er ist dem Sog von Anna erlegen, einer Malerin, die er einfach nicht vergessen kann, obwohl sie ihn längst verlassen hat. Doch wie ist einem Menschen zu helfen, der eigentlich nicht weiß, was Liebe ist? |
So wie es nicht einerlei war, ob man in Ost- oder Westeuropa lebte, war es auch nicht egal, wo man starb. Als Künstler erst recht nicht. Nicht einmal der Tod macht uns gleich. Nachdem zuerst die Nazis vorgeführt hatten, wie wenig der Mensch sich auf das Gute in ihm verlassen kann, erledigten im Osten die Kommunisten das Übrige. So viele Denunzianten, Kollaborateure, Täter, dazu die Wendehälse und die schweigende Mehrheit. Während Anne Franks erstmals 1947 publizierte Tagebücher im "freien" Westen weltberühmt wurden, musste ein reiferes und ebenso dramatisches Zeugnis der Barbarei bis in die Neunzigerjahre warten, um entdeckt zu werden. Dann aber schlugen Mihail Sebastians Tagebücher aus den Jahren 1935 bis 1944 in Rumänien ein und wurden bald auch in Frankreich und Amerika gelesen. Das muss erwähnt werden, sind rumänische Künstler im Ausland doch meist unbekannt. Zu oft weiß man nur über Kriminelle, Armut und Dracula Bescheid. Sebastian wurde die Bekanntheit 50 Jahre nach seinem mysteriösen Unfalltod in dem von den Russen besetzten Bukarest vergönnt. Er hatte gerade die perfideste Zeit überlebt, in der weite Teile der rumänischen Gesellschaft offen antisemitisch wurden und der "Eisernen Garde" huldigten – der rumänischen, mystisch angehauchten Variante deutscher Schlächterkunst. Das fällt mir schwer zu sagen, denn mein Herz schlägt durch meine Geburt und Kindheit für dieses Land. Ich entdeckte durch Sebastian – so sehr man bei Tagebüchern achten muss, nicht in den Sog des Weltgefühls des Autors zu geraten – die verborgenste Seite meiner ersten Heimat: die Täterseite. In der Schule wurde mir nur der glorreiche Kampf der Kommunisten beigebracht. Auf die rechte Gehirnwäsche folgte die linke. Mihail Sebastian ist ein bekannter Autor, als er Tagebuch zu schreiben beginnt. Er kennt sie alle, die Reichen und die Künstler, er verkehrt in den besten Kreisen. Man weiß um seine jüdische Abstammung. Er weiß, wie sehr er als Vorzeigejude dient. Sebastians Luzidität, seine Fähigkeit, sich nichts vorzumachen, sind bemerkenswert. Es gibt im Vorkriegsrumänien eine Stimmung, welche eine gewisse deutsche Überlegenheit und antijüdische Ressentiments gutheißt. Journalisten und Schriftsteller werden zu geistigen Brandstiftern. Wie sanft geht der feine Beobachter Sebastian mit denen um, die nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz und das Rückgrat verlieren. Wir tauchen mit ihm ein in jene Atmosphäre, die uns zeigt, wie wenig es braucht, bis die dünne Zivilisationsschicht zerbröckelt. Für ihn hingegen bedeutet diese Entwicklung den Verlust seiner engsten Freunde. Einer davon ist der Religionswissenschaftler Mircea Eliade. Mit unendlicher Geduld und Traurigkeit beobachtet Sebastian seine eigene Vereinsamung. Immer in Sorge um die Freundschaft mit Eliade, hält er ihn höchstens für naiv und verblendet. Er hat fast schmerzhaft Anstand. Eliade hingegen begibt sich bedrohlich nah zum Schreibtischtätertum, als er seine dummen Visionen vom großen, von Verjudung bedrohten rumänischen Volk veröffentlicht. Man kann diese Tagebücher wie ein Zeitdokument lesen, man wird viel Stimmungsvolles über eine untergegangene Welt erfahren, mit den Theaterbesuchen, den Kaffeehäusern, den Liebesaffären. Sebastian ist Teil davon, aber sein wesentliches Lebensgefühl ist jenes eines Versagers. Diese Thematik wiederholt sich bis zum Überdruss: "Wenn ich nur ein Haus, eine Frau, eine gesicherte Existenz hätte", so ähnlich klingt es an vielen Stellen. Er ist wie viele Künstler von Selbstzweifeln geplagt und niemals seiner selbst und seiner Fähigkeiten sicher. Nach 200 Seiten wird der Text atemberaubend dicht und von großer erzählerischer Qualität. Wir erleben den Ausbruch des Krieges, die fiebrige Beschäftigung der ganzen Stadt mit Gerüchten über dessen Verlauf, wir erfahren, wie die antijüdischen Gesetze das Leben erschweren, es gibt Pogrome und Deportationen. Bukarest wird von den Alliierten zerbombt, Rauch steigt aus den Trümmern, Feuer lodert in den Vierteln. Mittendrin steht ein Mensch, verarmt, gealtert und müde, dessen Stücke niemand aufführen will. Einer aber, der den Kopf, das Herz und das Rückgrat nicht verliert. Das ist die größte Leistung dieses Autors. Er setzt dem Wahnsinn seine Person entgegen. Er hört klassische Musik sogar am deutschen Radio, notiert alles ganz genau, er liest Balzac und Shakespeare, wenn er abends erschöpft von der Zwangsarbeit nach Hause kommt. Er schreibt Theaterstücke und Romane. Das alles hat für ihn Sinn und Wert, während draußen die Hölle auf Erden herrscht. Mihail Sebastian befindet sich im Widerstand nicht dank der Waffen, sondern dank des Wortes. Er bleibt sich nah, lässt sich nicht entmenschlichen. Der Raum seiner Empfindungen und Erlebnisse ist der Raum, in dem die Welt gerettet wird. Als die Welt gerettet wurde, starb Sebastian, ohne sich darüber freuen zu können. Jetzt wird er auch für deutschsprachige Leser entdeckt. Einer aber hätte noch größeren Grund zur Freude. Francis Ford Coppola will eine Erzählung von Eliade verfilmen. Sebastian hätte das seinem Freund bestimmt gegönnt. |
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