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Westöstliche Spaziergänge
...

Eine kulturhistorische Touristik an den Rändern Europas

Bukarest und Wien: Zwei Städte, die sich gleichen und doch wieder ganz verschieden
sind. Marcel Vosicky und Madalina Diaconu geben in ihrem Buch einen Überblick
über die
Geschichte der beiden Städte, ihre Kultur, ihre Eigenheiten. Sie zeigen aber auch, wie verbunden
die beiden Orte sind, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und voneinander lernen.

Von Martha Schlickenrieder
(07. 05. 2010)

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Martha Schlickenrieder
dirulihu [at] web.de

geb. 1988 in Aichach,
verbrachte ihre Kindheit in
Bayern und machte dort auch
ihr Abitur. Seit Oktober 2008
studiert sie Kultur- und Sozial-
anthropologie in Wien und
engagiert sich in NGOs für
Entwicklungs- und
Schwellenländer.


 

 

Madalina Diaconu,
Lukas Marcel Vosicky.
Bukarest – Wien.
Eine kulturhistorische
Touristik an Europas
Rändern.
Lit Verlag, 2006, 114 S.
ISBN: 3-8258-0130-4

 

 

 

Mehr über Rumänien

"Mit anderen Augen"

"Dracula war gestern"

"Spiel mit dem Leben"

 

   Eine "paradoxe Intention" untertiteln die Autoren bewusst ironisch ihr Buch. Da der moderne Mensch in der Fremde immer versucht, Bilder zu bestätigen, die er längst vor Augen hat, kann Touristik als Massenphänomen mit kulturhistorischer Betrachtung nicht einhergehen. Betrachtung sollte frei sein, ohne Vorannahmen, ohne Urteil. Doch welcher Reisende der heutigen Zeit ist dazu noch fähig?

Lucas Vosicky und Madalina Diaconu haben ein Buch geschrieben, das zwei Städte verbindet, indem es Verknüpfungen aufzeigt und Unterschiede beleuchtet. Sie lassen dabei vor allem Reiseberichte und Tagebücher sprechen, die ganz persönliche Eindrücke des "Fremden" schildern. Ob Adelige, Künstler, Händler oder Studenten – oft sind die Wahrnehmungen auf Stereotype fixiert und voreingenommen, manchmal aber auch wunderbar selbstreflexiv und hinterfragend.

   Die Exotik zieht den Menschen an. Lässt er sich auf das Fremde ein und versucht es zu verstehen, kann er das Eigene klarer definieren. So ist der Reisende oft auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Manch einer berichtet, er habe sich während seiner isolierten Jahre in Wien stärker als Rumäne gefühlt als zu Hause in der Gemeinschaft. Titu Maiorescu, Schriftsteller und späterer rumänischer Ministerpräsident, beschreibt in seinen Tagebüchern sehr lebendig kleinste Details und Schwierigkeiten des Alltags. Auch bei ihm war das Interesse für die Fremde eine Möglichkeit, die eigene nationale Identität besser zu verstehen.

"Der Eine reist, weil er sich sucht und der Andere
weil er sich verlieren möchte." (Friedrich Nietzsche)

Manche waren nur auf Durchreise, manche zu Besuch, andere ließen sich für immer nieder, verzaubert vom orientalischen Charme Bukarests oder der Freundlichkeit Wiens. Das Buch gibt einen Überblick über die Geschichte der beiden Städte, ihre Kultur, ihre Eigenheiten. Es zeigt aber auch, wie verbunden die beiden Orte sind, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und voneinander lernen. Die Kollision zweier Horizonte wird zur Verschmelzung. Interkulturalität ist gefragt. Heute, im Zuge der Globalisierung und des vereinten Europas, mehr denn je.

   Interesse zeigen für das Andere ist mittlerweile Standard. So ist Rumänien zu einem variablen Begriff geworden: jenseits der Grenze zum Westen, aber doch ein Teil Europas. Jeder sieht, was er sehen will. So wird es zum Land der Armut, "wirtschaftlich und kulturell rückständig", oder aber zum Land des Brancovenesc-Baustils, das seine byzantinische Vergangenheit an vielen Ecken huldigt, das in jeder Hinsicht vielseitig ist, gerade weil ihm niemand den "Fortschritt in Richtung Westen" aufgezwungen hat.

Doch wann wird Interkulturalität das, was sie eigentlich sein will? Nicht nur Interesse, Begegnung und Austausch wären dann gefordert, sondern vollkommene Gleichstellung zweier Kulturen, egal ob nebeneinander stehend oder überlappend. Nicht ein Pressen in fertige, wenn auch akzeptierte Bilder, sondern ein Offenlassen der Pforten für jede freie und unerwartete Entwicklung der "fremden" und auch der "eigenen" Kultur. Das Ziel der Autoren ist es jedenfalls, "Vorurteile aufklärerisch in Vorteile zu verwandeln". Ein erster Schritt ist getan.

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