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Boy sucht Oma
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Ein gerontophiler, nicht ganz ernster Kommentar zur Altersdebatte

Warum empfinden wir es als so lächerlich, wenn einmal die Rollen vertauscht
sind und sich eine ältere Frau einen jungen Liebhaber nimmt?

Von Kristina Werndl
(02. 12. 2006)

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Kristina Werndl
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kristina.werndl [at] gmail.com

ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.


 

 

Web-Tipp

Senior Nudie Calendar
 

 

 

 

 

Insgesamt nimmt die Häufigkeit sexueller Kontakte im Alter ab, nicht jedoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was, wenn die alten Männer massenhaft Kinder zeugten?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bild des greisen
Dandys oder Professors,
wo jede Gesichtsfalte mutma-
ßlich einer zusätzlichen
Hirnwindung entspricht, hat
sich tief in unser Unbewus-
stes eingegraben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Warum fehlt es uns an
reifen weiblichen
Identifikationsfiguren?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die alt gewordene Frau existiert in einer entsexualisierten Sphäre, während Männern das Sexuelle auch im Alter bereitwillig zugebilligt und zugeschrieben wird.

 

 

   Unlängst berichtete mir ein Freund über einen Fragesteller aus dem 19. Jahrhundert, einen Mann, der allen Ernstes von einer älteren Dame um die 75 wissen wollte, wann denn nun eigentlich die Lust der Frau ihren Zenit erreiche und wann es damit endgültig vorbei sei. Der trocken-süffisante Kommentar der Dame: "Mein junger Herr, so alt bin ich noch nicht, um darauf eine Antwort zu wissen!"

Sexualität ist für die allermeisten Menschen wichtig, für viele bis ins hohe Alter. Dem trug die Weltgesundheitsorganisation WHO 2002 Rechnung, indem sie Sexualität – und das umfasst: Geschlechtsverkehr und geschlechtliche Identität, Erotik, Genuss, Intimität und Reproduktion – als zentralen Bestandteil des gesamten Lebens definierte. Sexualität wird als zentral für das menschlichen Leben anerkannt und als altersunabhängiger Faktor dargestellt. Und will man bisweilen auch nicht wahrhaben und anerkennen, dass die eigenen Eltern sexuelle Wesen sind, so weiß man doch – und ist selbst der lebende Beweis –, dass dies der Wahrheit entspricht.

Sex im Alter schafft es mittlerweile in Talkshows und Gesundheitsmagazine. Flächendeckend entzündet hat sich die Diskussion darum freilich noch nicht – weil Alter, nicht aber Sexualität, tabuisiert ist. Oder ist im TV schon einmal "Big Brother" in einer Senioren-WG gelaufen?

    Zum Glück bin ich eine Frau und sind wir Frauen zumindest in der zweiten Lebenshälfte privilegiert. Denn bei den meisten von uns bleibt die sexuelle Erregbarkeit auch nach der Menopause bis ins hohe Alter erhalten. Männer dagegen müssen im Seniorenalter mit größeren Veränderungen rechnen. Ihre Erregung läuft mit zunehmenden Lebensjahren zumeist langsamer ab. Insgesamt, sagen Statistiker und Therapeuten, nimmt die Häufigkeit sexueller Kontakte im Alter ab, nicht jedoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität.

Ein Blick auf demografische Tabellen bestätigt den Eindruck, den man im Alltag gewinnt, nämlich dass vor allem alte Frauen häufig keinen Partner mehr haben, mit dem sie eventuelle Intimität erleben können. Ab einem gewissen Alter herrscht eklatanter Männermangel: Das Frauen-Männer-Verhältnis beträgt bei den 60jährigen noch 1:1, bei den 70jährigen 3:2. Bei den 80jährigen kommt auf zwei Frauen nur noch ein Mann.

   Wie ist diesem Gesellschaftsphänomen zu begegnen? Harald Martenstein hat sich am Höhepunkt der Fertilitätsdebatte in seinen "Zeit"-Kolumnen dazu Gedanken gemacht. Dabei hatte er endlich einmal auch den Vorteil der Frau im Blick.

So schlägt er vor, dass künftig Rentner über 65 die Kinder zeugen, denn: "Sie sind fit, sie brauchen eine Aufgabe." Wenn die alten Männer massenhaft Kinder zeugten, wären drei gesellschaftliche Probleme mit einem Schlage gelöst oder gemildert:

"Erstens gibt es mehr Kinder. Zweitens können die Frauen Beruf und Familie miteinander vereinbaren, weil zu Hause der alte Herr herumtüttelt, Breichen für sich und das Baby kocht und aus der Nibelungensage vorliest. Alte Männer sind bessere Väter, das sieht man auf jedem Spielplatz. Die jungen Väter wedeln auf dem Spielplatz mit ihrem Brusthaar und fassen am Klettergerüst die Au-pair-Mädchen an. Die alten Väter bauen mit ihren altersfleckigen Händen Sandburgen im Stile des Architekten Behnisch. Alte Männer basteln gerne, sie sind gelassener, sie brauchen weniger Schlaf, aber auch weniger Sex. Sie haben also nachts, wenn das Baby schreit, eine Menge Freizeit. Ein bisschen gesunken ist der Testosteronspiegel halt doch, dies ist eine große Gnade, die unserem Geschlecht von der Natur gewährt wird. Drittens bekommen die alten Väter Kindergeld, denn ihre jungen Frauen haben das Kindergeld nicht nötig. Auf diese Weise sind die Senioren gegen Altersarmut gefeit."

Der Vorteil der Frauen bei diesem Modell liegt auf der Hand:

"Ein 65-jähriger Vater kann heutzutage, im Gegensatz zu früher, seine Kinder sehr wahrscheinlich aufwachsen sehen. Wenn er stirbt, ist seine Frau 50, hat einen Topjob plus erwachsene Kinder und kann sich einen jungen Liebhaber nehmen. Statt im Alter von 25 mit einem jungen Mann ins Bett zu gehen, tut sie es eben mit 50, da hat sie doch sowieso mehr davon."

Leider hat dieses Modell, wie so oft, einen Haken. Martenstein räumt ein, dass sich junge Frauen...

"...sexuell nur von erfolgreichen alten Männern angezogen fühlen. Ohne eine gewisse erotische Anziehung funktioniert diese Reform ja nicht. Wenn aber die jungen Frauen Karriere und Kinder mühelos miteinander vereinbaren können, dank ihrer alten Männer, werden sehr viel mehr Frauen in Führungspositionen gelangen, das heißt, es gibt schon bald deutlich weniger erfolgreiche Männer, die, wenn sie erst einmal alt sind, mit den dann jung seienden Frauen Kinder zeugen könnten, mit anderen Worten, mein Modell der Gesellschaftsreform funktioniert nur eine einzige Generation hindurch. Aber das ist immer noch mehr, als die Große Koalition mit ihren Reformvorschlägen zu bieten hat."

    Der Buggy als Gehbehelf, als der er bei Martenstein Verwendung fände, wird nicht zum Regelfall werden. Dem Kolumnisten ist aber Recht zu geben, wenn er bemerkt, dass sich junge Frauen sexuell von erfolgreichen alten Männern angezogen fühlen. Das liegt nicht nur an deren voller Brieftasche, nein, vielmehr ist es gesellschaftlich vollkommen akzeptiert, sich an der Seite eines (vorgeblich) potenten Silberfuchses zu präsentieren. Das Bild des greisen Dandys oder Professors, wo jede Gesichtsfalte mutmaßlich einer zusätzlichen Hirnwindung entspricht, hat sich tief in unser Unbewusstes eingegraben. Der Mann ist weise, die Frau hat schön zu sein.

Warum eigentlich? Warum akzeptieren wir das so bereitwillig? Warum fehlt es uns an reifen weiblichen Identifikationsfiguren, an Frauen jenseits der Zerrbilder von Strickomi mit Haardutt und Haushaltsschürze bzw. kurzes graues Haar tragender Powerfrau à la Barbara Rütting? Ein Hauptübel ist sicher, dass so wenige Frauen oberste (politische) Ämter bekleiden. Die "Kinder statt Partys"-Ministerin, die realitätsferne Frauenministerin und die Innenministerin mit dem "Die Frauen gehören in die Kuchl, sollen die Kinder erziehen und aus"-Gatten sind so jenseitig, dass wir sie als Leitfiguren vergessen können.

Warum auch empfinden wir es als so lächerlich, wenn einmal die Rollen vertauscht sind und sich eine ältere Frau einen jungen Liebhaber nimmt? Man könnte hier einwenden, die Männerwelt sei eh großzügig geworden, die Alte tauche ja als geistreiche Kommentatorin, als lebenskluge Gesprächspartnerin auf, von der der Junge noch viel lernen kann. Etwa in Hans Magnus Enzensbergers jüngster Erzählung "Josefine und ich", wo dieser die Begegnung zweier völlig unterschiedlicher Menschen schildert: einer 75-jährigen Sängerin und eines halb so alten Ökonomen. Ein Dreivierteljahr lang treffen sich die beiden einmal in der Woche zum Tee und führen Streitgespräche. Dabei muss sich Josefine, die Alte, die Frau, natürlich bewähren: durch Witz, durch Klugheit, durch unkonventionelle Dreistigkeit. Sie existiert in einer entsexualisierten Sphäre, während Männern – man denke nur an Picasso – das Sexuelle auch im Alter bereitwillig zugebilligt und zugeschrieben wird. Martin Walsers jüngster Roman "Angstblüte", wo ein von Alter, Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid enthemmter Investmentbanker namens Karl von Kahn (Generation "70plus") tiefer und tiefer in seine sexuelle Begierde rutscht, ist ein gutes Beispiel dafür.

    Wie wohltuend liest sich da der Text des Liedes "Omaboy" von der deutschen Punkrockband "Die Ärzte"! Da muss die Frau nichts darstellen, sondern darf sein, was sie ist: Leib, Fleisch, alt, schön – zumindest für ihren Liebhaber. Denn sie ist schön auch im Alter, selbst und gerade wenn sie keine klassische Susanna im Bade mehr ist. Wie singt ihr Verehrer?:

Ich hab mich dem Bund verweigert, Zivildienst war angesagt
ins Altenheim für anderthalb Jahr ohoho
alles lief voll nach Planung, nie hätt ich mich beklagt
endlich wurden all meine Träume wahr oh ho hoo
denn seh ich schneeweißes Haar, ja dann lauf ich Gefahr
mich vor Liebe und Sehnsucht fast zu vergessen
denn in dieser unseren Welt, wo Schönheit und Jugend nur zählt
bin ich auf die Liebe greiser Frauen versessen ...
je älter, je besser!

wenn ich ihre Krampfadern zähle an formlos geschwollenen Beinen
Oberweite am Bauch, das nenn ich gut gebaut ohoho
Stargetrübte Augen, schlechter Atem von den Gallensteinen
starkes Make-up über hängender Haut ohoho

Models in Strapsen sind schick, doch ich krieg meinen Kick
von welkenden Schenkeln die sich in Stützstrumpfhosen pressen
denn seh ich schneeweißes Haar ...

sie sind so unendlich viel mehr erfahren in Liebesdingen
wisst ihr welche Gefühle sich in ihnen regen?
ich werde in neue Regionen der Liebe eindringen
denn heut werd ich eine flachlegen

denn seh ich schneeweißes Haar ...

...

    Vor 13 Jahren bereits wurde in dieser raren Hymne auf die alte Frau das Tabu gebrochen und Alter und Sex zusammengedacht. Einen rühmlichen Beitrag leisteten 2003 auch jene Frauen jenseits der 70, die für einen "Get Naked for Charity"-Kalender posierten: nackt am Motorrad oder mit Teetassen vor den Brüsten; stilsicher, respektvoll und witzig.

Das letzte Wort in "Omaboy" hat, wie es sich gehört, die Frau:

"Musst' ich so alt werden, um dieses erleben zu dürfen ...
... dass ein junger Mann mir so die Lust aus dem Körper saugt ...

... ah ... ich muss erst mal 'ne Zigarette rauchen ...

... ja, steck' Dir eine an, mein Schatz. 's tut Dir gut."

Solch eine selbstbewusste und muntere Oma möchte ich in einigen Jahrzehnten sein! Von wegen: "Das Alter ist kein Kampf; es ist ein Massaker", wie Philip Roth seinen Protagonisten in "Everyman" sagen lässt. Wenn die Männer mitspielen – in der Küche wie im Schlafzimmer –, kann das Alter wohl auch sehr genussvoll sein. Die alte Lady in "Omaboy" ist ein gutes Vorbild.

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