Unlängst berichtete mir ein
Freund über einen Fragesteller aus dem 19. Jahrhundert, einen Mann, der
allen Ernstes von einer älteren Dame um die 75 wissen wollte, wann denn nun
eigentlich die Lust der Frau ihren Zenit erreiche und wann es damit
endgültig vorbei sei. Der trocken-süffisante Kommentar der Dame: "Mein
junger Herr, so alt bin ich noch nicht, um darauf eine Antwort zu wissen!"
Sexualität ist für die
allermeisten Menschen wichtig, für viele bis ins hohe Alter. Dem trug die
Weltgesundheitsorganisation WHO 2002 Rechnung, indem sie Sexualität – und
das umfasst: Geschlechtsverkehr und geschlechtliche Identität, Erotik,
Genuss, Intimität und Reproduktion – als zentralen Bestandteil des gesamten
Lebens definierte. Sexualität wird als zentral für das menschlichen Leben
anerkannt und als altersunabhängiger Faktor dargestellt. Und will man
bisweilen auch nicht wahrhaben und anerkennen, dass die eigenen Eltern
sexuelle Wesen sind, so weiß man doch – und ist selbst der lebende Beweis –,
dass dies der Wahrheit entspricht.
Sex im Alter schafft es
mittlerweile in Talkshows und Gesundheitsmagazine. Flächendeckend entzündet
hat sich die Diskussion darum freilich noch nicht – weil Alter, nicht aber
Sexualität, tabuisiert ist. Oder ist im TV schon einmal
"Big Brother" in einer Senioren-WG gelaufen?
Zum
Glück bin ich eine Frau und sind wir Frauen zumindest in der zweiten
Lebenshälfte privilegiert. Denn bei den meisten von uns bleibt die sexuelle
Erregbarkeit auch nach der Menopause bis ins hohe Alter erhalten. Männer
dagegen müssen im Seniorenalter mit größeren Veränderungen rechnen. Ihre
Erregung läuft mit zunehmenden Lebensjahren zumeist langsamer ab. Insgesamt,
sagen Statistiker und Therapeuten, nimmt die Häufigkeit sexueller Kontakte
im Alter ab, nicht jedoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität.
Ein Blick auf
demografische Tabellen bestätigt den Eindruck, den man im Alltag gewinnt,
nämlich dass vor allem alte Frauen häufig keinen Partner mehr haben, mit dem
sie eventuelle Intimität erleben können. Ab einem gewissen Alter herrscht
eklatanter Männermangel: Das Frauen-Männer-Verhältnis beträgt bei den
60jährigen noch 1:1, bei den 70jährigen 3:2. Bei den 80jährigen kommt auf
zwei Frauen nur noch ein Mann.
Wie
ist diesem Gesellschaftsphänomen zu begegnen? Harald Martenstein hat sich am
Höhepunkt der Fertilitätsdebatte in seinen "Zeit"-Kolumnen
dazu Gedanken gemacht. Dabei hatte er endlich einmal auch den Vorteil der
Frau im Blick.
So
schlägt er vor, dass künftig Rentner über 65 die Kinder zeugen, denn:
"Sie sind fit, sie brauchen eine Aufgabe." Wenn die
alten Männer massenhaft Kinder zeugten, wären drei gesellschaftliche
Probleme mit einem Schlage gelöst oder gemildert:
"Erstens
gibt es mehr Kinder. Zweitens können die Frauen Beruf und Familie
miteinander vereinbaren, weil zu Hause der alte Herr herumtüttelt,
Breichen für sich und das Baby kocht und aus der Nibelungensage
vorliest. Alte Männer sind bessere Väter, das sieht man auf jedem
Spielplatz. Die jungen Väter wedeln auf dem Spielplatz mit ihrem
Brusthaar und fassen am Klettergerüst die Au-pair-Mädchen an. Die alten
Väter bauen mit ihren altersfleckigen Händen Sandburgen im Stile des
Architekten Behnisch. Alte Männer basteln gerne, sie sind gelassener,
sie brauchen weniger Schlaf, aber auch weniger Sex. Sie haben also
nachts, wenn das Baby schreit, eine Menge Freizeit. Ein bisschen
gesunken ist der Testosteronspiegel halt doch, dies ist eine große
Gnade, die unserem Geschlecht von der Natur gewährt wird. Drittens
bekommen die alten Väter Kindergeld, denn ihre jungen Frauen haben das
Kindergeld nicht nötig. Auf diese Weise sind die Senioren gegen
Altersarmut gefeit."
Der Vorteil der Frauen bei
diesem Modell liegt auf der Hand:
"Ein
65-jähriger Vater kann heutzutage, im Gegensatz zu früher, seine
Kinder sehr wahrscheinlich aufwachsen sehen. Wenn er stirbt, ist
seine Frau 50, hat einen Topjob plus erwachsene Kinder und kann sich
einen jungen Liebhaber nehmen. Statt im Alter von 25 mit einem
jungen Mann ins Bett zu gehen, tut sie es eben mit 50, da hat sie
doch sowieso mehr davon."
Leider hat dieses Modell,
wie so oft, einen Haken. Martenstein räumt ein, dass sich junge Frauen...
"...sexuell
nur von erfolgreichen alten Männern angezogen fühlen. Ohne eine gewisse
erotische Anziehung funktioniert diese Reform ja nicht. Wenn aber die
jungen Frauen Karriere und Kinder mühelos miteinander vereinbaren
können, dank ihrer alten Männer, werden sehr viel mehr Frauen in
Führungspositionen gelangen, das heißt, es gibt schon bald deutlich
weniger erfolgreiche Männer, die, wenn sie erst einmal alt sind, mit den
dann jung seienden Frauen Kinder zeugen könnten, mit anderen Worten,
mein Modell der Gesellschaftsreform funktioniert nur eine einzige
Generation hindurch. Aber das ist immer noch mehr, als die Große
Koalition mit ihren Reformvorschlägen zu bieten hat."
Der
Buggy als Gehbehelf, als der er bei Martenstein Verwendung fände, wird nicht
zum Regelfall werden. Dem Kolumnisten ist aber Recht zu geben, wenn er
bemerkt, dass sich junge Frauen sexuell von erfolgreichen alten Männern
angezogen fühlen. Das liegt nicht nur an deren voller Brieftasche, nein,
vielmehr ist es gesellschaftlich vollkommen akzeptiert, sich an der Seite
eines (vorgeblich) potenten Silberfuchses zu präsentieren. Das Bild des
greisen Dandys oder Professors, wo jede Gesichtsfalte mutmaßlich einer
zusätzlichen Hirnwindung entspricht, hat sich tief in unser Unbewusstes
eingegraben. Der Mann ist weise, die Frau hat schön zu sein.
Warum eigentlich? Warum
akzeptieren wir das so bereitwillig? Warum fehlt es uns an reifen weiblichen
Identifikationsfiguren, an Frauen jenseits der Zerrbilder von Strickomi mit
Haardutt und Haushaltsschürze bzw. kurzes graues Haar tragender Powerfrau à
la Barbara Rütting? Ein Hauptübel ist sicher, dass so wenige Frauen oberste
(politische) Ämter bekleiden. Die "Kinder statt
Partys"-Ministerin, die realitätsferne Frauenministerin und die
Innenministerin mit dem "Die Frauen gehören in die
Kuchl, sollen die Kinder erziehen und aus"-Gatten sind so jenseitig, dass
wir sie als Leitfiguren vergessen können.
Warum auch empfinden wir
es als so lächerlich, wenn einmal die Rollen vertauscht sind und sich eine
ältere Frau einen jungen Liebhaber nimmt? Man könnte hier einwenden, die
Männerwelt sei eh großzügig geworden, die Alte tauche ja als geistreiche
Kommentatorin, als lebenskluge Gesprächspartnerin auf, von der der Junge
noch viel lernen kann. Etwa in Hans Magnus Enzensbergers jüngster Erzählung
"Josefine und ich", wo dieser die Begegnung zweier völlig
unterschiedlicher Menschen schildert: einer 75-jährigen Sängerin
und eines
halb so alten Ökonomen. Ein Dreivierteljahr lang treffen sich die beiden
einmal in der Woche zum
Tee und führen Streitgespräche. Dabei muss sich Josefine, die Alte, die
Frau, natürlich bewähren: durch Witz, durch Klugheit, durch unkonventionelle
Dreistigkeit. Sie existiert in einer entsexualisierten Sphäre, während
Männern – man denke nur an Picasso – das Sexuelle auch im Alter bereitwillig
zugebilligt und zugeschrieben wird. Martin Walsers jüngster Roman
"Angstblüte", wo ein von Alter, Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid
enthemmter Investmentbanker namens Karl von Kahn (Generation "70plus")
tiefer und tiefer in seine sexuelle Begierde rutscht, ist ein gutes Beispiel
dafür.
Wie
wohltuend liest sich da der Text des Liedes
"Omaboy" von der deutschen Punkrockband
"Die Ärzte"! Da muss die Frau nichts darstellen,
sondern darf sein, was sie ist: Leib, Fleisch, alt, schön – zumindest für
ihren Liebhaber. Denn sie ist schön auch im Alter, selbst und gerade wenn
sie keine klassische Susanna im Bade mehr ist. Wie singt ihr Verehrer?:
Ich hab mich dem Bund
verweigert, Zivildienst war angesagt
ins Altenheim für anderthalb Jahr ohoho
alles lief voll nach Planung, nie hätt ich mich beklagt
endlich wurden all meine Träume wahr oh ho hoo
denn seh ich schneeweißes Haar, ja dann lauf ich Gefahr
mich vor Liebe und Sehnsucht fast zu vergessen
denn in dieser unseren Welt, wo Schönheit und Jugend nur zählt
bin ich auf die Liebe greiser Frauen versessen ...
je älter, je besser!
wenn ich ihre Krampfadern zähle an formlos geschwollenen Beinen
Oberweite am Bauch, das nenn ich gut gebaut ohoho
Stargetrübte Augen, schlechter Atem von den Gallensteinen
starkes Make-up über hängender Haut ohoho
Models in Strapsen sind schick, doch ich krieg meinen Kick
von welkenden Schenkeln die sich in Stützstrumpfhosen pressen
denn seh ich schneeweißes Haar ...
sie sind so unendlich viel mehr erfahren in Liebesdingen
wisst ihr welche Gefühle sich in ihnen regen?
ich werde in neue Regionen der Liebe eindringen
denn heut werd ich eine flachlegen
denn seh ich schneeweißes Haar ...
...
Vor
13 Jahren bereits wurde in dieser raren Hymne auf die alte Frau das Tabu
gebrochen und Alter und Sex zusammengedacht. Einen rühmlichen Beitrag
leisteten 2003 auch jene Frauen jenseits der 70, die für einen
"Get Naked for Charity"-Kalender posierten: nackt am Motorrad oder
mit Teetassen vor den Brüsten; stilsicher, respektvoll und witzig.
Das letzte Wort in
"Omaboy" hat, wie es sich gehört, die Frau:
"Musst'
ich so alt werden, um dieses erleben zu dürfen ...
... dass ein junger Mann mir so die Lust aus dem Körper saugt ...
... ah ... ich muss erst mal 'ne Zigarette rauchen ...
... ja, steck' Dir eine an, mein Schatz. 's tut Dir gut."
Solch eine selbstbewusste
und muntere Oma möchte ich in einigen Jahrzehnten sein! Von wegen:
"Das Alter ist kein Kampf; es ist ein Massaker", wie
Philip Roth seinen Protagonisten in "Everyman" sagen
lässt. Wenn die Männer mitspielen – in der Küche wie im Schlafzimmer –, kann
das Alter wohl auch sehr genussvoll sein. Die alte Lady in "Omaboy"
ist ein gutes Vorbild.