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Von
Ingrid Cella |
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Robert Prutz, ein zu seiner Zeit bekannter Autor, Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler, beklagt in einem 1847 erschienenen Aufsatz den damaligen Zustand der literarischen Szene:
Kein Wunder, so fährt Prutz dann fort, wenn der anspruchsvolle Leser in dieser Situation nach Werken ausländischer Autoren greift (Dumas, Dickens, Sue), findet er doch dort das, was in der deutschen Literatur von Rang so selten ist: Unterhaltung, Spannung, interessante Ereignisse, interessante Handlungen, interessante Charaktere – kurz: neben geistiger Anregung auch Lesevergnügen.(2) An diesem Zustand der deutschen Literatur hat sich inzwischen einiges geändert – es gibt schon seit einiger Zeit spannende Werke mit Niveau, die Einstellung der Ästhetik (sprich: Literaturwissenschaft, Literaturkritik) freilich ist im Wesentlichen gleich geblieben. Ich bin nun der Meinung, dass viele der Schwierigkeiten, die die Germanistik mit der SF hat, auf eben dieses Dilemma zurückzuführen sind. Bezeichnend in diesem Zusammenhang die Reaktion von Studenten auf die Ankündigung meines Seminars über die Science Fiction. "Kann man so etwas überhaupt an der Universität machen?" bin ich gefragt worden. Und bezeichnend auch die anfängliche Hilflosigkeit der Seminarteilnehmer beim Herangehen an die Texte: Da gab es zum Beispiel das Referat: "Der Mars in der Literatur". Was hat der Referent gemacht? Er hat viel Mühe und Scharfsinn darauf verwendet, die Theorie von der Existenz der Marskanäle zu widerlegen! Bei den Raumschiffen interessierte vor allem die Frage der Realisierbarkeit der jeweiligen Konstruktion, und bei der Zeitmaschine geriet das Gespräch dann vollends ins Spekulative – kein Wunder, versuchten hier doch Germanisten komplizierteste technische und physikalische Probleme zu lösen. Die Diskussion ging also zunächst vollkommen an dem vorbei, was normalerweise für den Germanisten primär ist: an der Textgestalt, an der Art und Weise der Darbietung, an der Organisierung des Stoffes usw. Was also blockiert den sonst selbstverständlichen interpretatorischen Zugriff auf die Texte, wenn es sich um SF handelt? Es treffen hier mehrere Komponenten zusammen. Zunächst ist diese Haltung zurückzuführen auf die typisch deutsche Ausformung der werkimmanenten Interpretationsweise (Deutsch meint natürlich immer den gesamten deutschen Sprachraum). Die werkimmanente Methode an sich widerspricht natürlich in keiner Weise einer Auseinandersetzung mit den verschiedensten Texten; die deutschen Vertreter dieser Methode aber, und sie prägten den Umgang mit Literatur an den Universitäten im deutschen Sprachraum, stellten einen Kanon sogenannter Hoch- und Höchstliteratur auf und schreckten dabei vor allem zurück, was nach Spannung und Unterhaltung aussah. Diese Methode dominierte von 1945 bis etwa in die späten sechziger Jahre und konzentrierte sich vor allem auf Dichtung und Sprachkunstwerke bestimmter Art, die besonders interpretationswürdig erschienen. Als Randerscheinung – ausdrücklich als Randerscheinung – wird in einer Poetik dieser Zeit, neben Kitsch und Schund auch die Unterhaltungsliteratur erwähnt, weil sie "für das allgemeine Lesepublikum"(3) von Interesse sei. Die Aufmerksamkeit galt bereits kanonisierten Texten, der sogenannten Hochliteratur oder Höhenkammliteratur; Neuem gegenüber war man wenig aufgeschlossen. Für die SF war in den Poetiken dieser Zeit kein Platz. Die Werkinterpretation aber konnte nur so lange dominieren, weil diese Trennung in Hochliteratur und andere Literatur auf eben jene Grundhaltung traf, die schon Prutz kritisierte und die, wie er ganz richtig sagt, natürlich Auswirkungen auf die Produktion hat: Es gibt, so Prutz, in allen anderen europäischen Literaturen (der englischen, französischen, spanischen, italienischen) Werke mit Niveau, die von vielen gelesen werden. Anders in Deutschland: Hier fühlen sich die Dichter keineswegs ermutigt, anspruchsvolle Literatur für viele zu schreiben, weil Unterhaltung und Spannung und Breitenwirkung a priori mit Minderwertigkeit gleichgesetzt werden. Überblickt man die Literatur und Literaturwissenschaft in der Zeit nach Prutz, so kann man Epochen feststellen, die einer Überwindung solch starrer Wertungskriterien günstig waren. So zum Beispiel die Blütezeit der positivistischen Methode (für die Positivisten waren Wertungsfragen sekundär) und die Zwischenkriegszeit, hier vor allem die sogenannte Neue Sachlichkeit: Einige Schriftsteller nahmen bereits die Entwicklung der Technik zur Kenntnis, einige standen den neuen Massenmedilen aufgeschlossen gegenüber, schrieben Exposés und Drehbücher oder arbeiteten zumindest daran mit. All das war aber offensichtlich nicht tiefgreifend genug, die alten Ressentiments lebten weiter, so dass die werkimmanente Methode ohne viel Schwierigkeiten an schon bestehende Einstellungen anknüpfen konnte. Die größte Chance zur Aufweichung der verkrusteten Wertungsstrukturen bestand im Jahre 1968. Die Studentenbewegung hatte umfassende Reformen zur Folge, und tatsächlich ist, wie man oft gesagt hat, seit damals alles anders geworden: Die werkimmanente Methode verlor ihre dominierende Stellung, andere Methoden reüssierten (z. B. die Psychoanalyse, diverse soziologische Methoden, der Strukturalismus usw.). Der so enge Literaturbegriff wurde entscheidend erweitert: Man forderte die Einbeziehung der verschiedenen Formen der sog. Gebrauchsliteratur (4), aber auch der bisher stiefmütterlich behandelten Gattungen: des Kriminalromans, des Abenteuerromans, des Frauenromans, der SF – also alles dessen, was bisher als Randphänomen, weil angeblich bloß unterhaltend, rubriziert worden war. Hier hätte die Germanistik die Chance gehabt, die bisher so vernachlässigte Gattung der SF aufzuarbeiten, einmal unvoreingenommen an die Texte heranzugehen und sie mit dem zur Verfügung stehenden Analyseinstrumentarium zu untersuchen. Diese Chance wurde leider vertan, und zwar aus folgenden Gründen (ich muss jetzt stark vereinfachen): Die eher selektive, ganz spezifische Rezeption der marxistisch-materialistischen Literaturtheorie und der absolute Vorrang der Gesellschaftsveränderung führten dazu, dass einerseits alle Literaturformen, die unmittelbare, eingreifende Wirkung versprachen, aufgewertet und propagiert wurden (sog. Operative Literatur), also gesellschaftskritische Lyrik in Form von Protestsongs und Agitprop, dann die Reportage, das Straßentheater, die Literatur der Arbeitswelt und dergleichen, und dass zum Zweiten die von der werkimmanenten Methode so in den Mittelpunkt gestellte Dichtung abgewertet wurde – und allmählich fiktionale Literatur überhaupt, soweit sie nicht direkt gesellschaftskritisch war, in Verdacht geriet, bloß der Flucht aus der Gesellschaft, der Flucht vor gesellschaftlichen Problemen zu dienen. Vergnügen an der Lektüre, Spannung, Unterhaltung wurden also wieder denunziert – diesmal von der anderen Seite und mit anderen Gründen – aber das Resultat blieb gleich. (Nebenbei bemerkt: Diese Literaturauffassung widerspricht durchaus jener von Marx und Engels, Lukács und Bloch, die wesentlich differenzierter gewertet haben. Ganz besonders wichtig Engels, der sich dezidiert gegen plakative Tendenz wendet: "[...] die Tendenz muß aus der Situation und Handlung selbst hervorspringen, ohne daß ausdrücklich darauf hingewiesen wird"(5) – was nichts anderes heißt, als dass die Gesellschaftskritik gestaltet werden, also im narrativen Kontext erscheinen muss und nicht bloß plakativ verkündet werden soll). Offensichtlich vergaßen aber die 68er im Übereifer der Umwertungen die differenzierteren Anschauungen ihrer Vorbilder. Viele Arbeiten aus dieser Zeit über negierte oder bisher verachtete Gattungen bringen kaum konkrete Ergebnisse, sondern wiederholen in ermüdender Gleichförmigkeit immer wieder dieselben Vorwürfe des Eskapismus, der Affirmation des Bestehenden, des Konservativismus, des Reaktionären, des Faschistoiden. Diese ideologiekritischen Interpreten wollten Ideologie aufdecken und entlarven, erkannten aber ihre eigene – ebenfalls ideologische – Position nicht. Ein Beweis dafür, wie ratlos die offizielle Literaturwissenschaft der SF gegenüber steht, ist das Buch von Hans-Joachim Schulz: Science Fiction, erschienen 1986 in der Sammlung Metzler. Die sogenannten Metzler-Bändchen sind für eine breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit gedacht, sollen eine Einführung in die Materie geben, einen Überblick über die Geschichte des Gegenstandes und über den Stand der Forschung. Die meisten Bände werden auch diesen Anforderungen gerecht, bis auf einige (wenige) Ausnahmen. Die Ausnahme aller Ausnahmen ist aber das Buch von Schulz. Es ist nicht zu glauben, aber schon am Anfang heißt es:
Diese Behauptung ist (a) ein Klischee, (b) falsch und (c) offensichtlich ein Vorwand für den Autor, sich gar nicht auf den Gegenstand, über den er eigentlich berichten und kritisch referieren müsste, einzulassen. Der Leser staunt: Wieder wird (zum wievielten Mal eigentlich?) zwischen "SF und hochliterarischen Produkten"(7) unterschieden. Hochliterarische SF gibt es also gar nicht, die Gattung ist per definitionem "paraliterarisch", was wohl als pseudoliterarisch, irgendwo neben der Literatur stehend zu verstehen ist. Ausschlaggebend für Schulz sind dabei nicht textinterne Befunde (damit gibt er sich gar nicht ab), sondern lediglich die Produktions- und Vertriebsverhältnisse. Dabei geht er von der naiven Annahme aus, dass Hochliteratur irgendwie freischwebend entsteht ohne Publikum, Verlag und Bezahlung. Nur kommerzielle SF ist für Schulz SF – das hätte man schon im Titel anführen und nicht gutgläubige Leser täuschen sollen –, und als solche für ihn ein notwendiges Übel. Dass man SF durchaus mit traditionellen Beschreibungskriterien erfassen kann (warum auch nicht) und dass das schon einige Male getan wurde (Suerbaum, Hienger, Gutsch), nimmt Schulz nicht zur Kenntnis. Was er zur Kommerzialisierung der SF zu sagen weiß, haben vor ihm schon andere, zum Beispiel Stanislaw Lem, wesentlich konzentrierter (und schärfer) dargelegt, und was er darüber hinaus zu erzählen hat, ist in jedem Lexikon der SF nachzulesen. Alles in allem: Schulz wärmt alte Klischees auf, transportiert alte Vorurteile weiter und verpackt das alles in eine üppig wuchernde Phraseologie. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, die SF irgendwo neben/außerhalb der Literatur zu situieren. Die Kommerzialisierung ist kein ausschließliches Kennzeichen der Gattung; und dass es SF auch im Film, im Hörspiel (Dürrenmatts "Unternehmen der Wega"), in der bildenden Kunst usw. gibt, hat sie zum Beispiel mit der Fantastik und der Kunst der Arbeitswelt/Proletarischen Kunst gemein. Meines Wissens hat aber noch niemand die lyrischen, dramatischen und erzählerischen Formen dieser Genres paraliterarisch genannt. Möglicherweise sind die Probleme bei der SF komplexer, man braucht deshalb aber dieses Genre nicht mystifizieren und in einen geheimnisvollen Para-Raum zu stellen. Ich möchte im Folgenden zeigen, dass man sie wie jede andere Gattung auch untersuchen kann, konzentriere mich dabei primär auf SF im deutschsprachigen Raum und hier vor allem auf die narrativen Formen, besonders auf Roman und Kurzgeschichte, da sie weitaus häufiger sind als dramatische und lyrische Gestaltungen. 1.) Das Problem der Gattungsgeschichte Bei der SF handelt es sich um eine in der deutschen Literatur ausgesprochen unterrepräsentierte Gattung; wir haben eine relativ schmale Basis von Texten, die außerdem – um eine Formulierung Hans Mayers zu gebrauchen, wenig ins Europäische, Weltliterarische vorgedrungen ist. An sich ist das kein neues Phänomen, ganz ähnlich verhält es sich mit der Utopie, dem deutschen Gesellschaftsroman irn 19. Jahrhundert, mit der Satire. Irn Fall der deutschsprachigen SF kommt dazu, dass die Traditionslinie so schmal und vielfach gebrochen ist, dass manche Autoren (8) die Gattung erst nach 1945 (genauer in den frühen fünfziger Jahren) beginnen lassen. Aber wenn auch die Gattungsbezeichnungen andere waren (Zukunftsroman, technisch-naturwissenschaftlicher Roman, utopischer Roman) und noch später vielfach schwankten, so wäre doch zu untersuchen, ob nicht auch hier die Sache im deutschsprachigen Raum früher da war als die uns heute geläufige Bezeichnung. Vielleicht kann man doch Kurd Laßwitz zurecht den "Vater der deutschen SF" nennen? Von den drei Werken jedenfalls, die fast gleichzeitig im Jahr 1897 erschienen, Vernes Eissphinx, Wells Krieg der Welten und Laßwitz' Auf zwei Planeten, ist sicher das Letztere das interessanteste, originellste und aktuellste. Die Konfrontation zwischen Martianern und Terranern wird nicht, wie bei Wells, so gelöst, dass die bösen Eindringlinge Bakterien zum Opfer fallen, denen gegenüber ihr Immunsystem versagt, sondern wesentlich komplexer. Laßwitz gestaltet das Zusammentreffen zweier Kulturen, die Verführung der Überlegenen durch die Macht, die Möglichkeiten der Unterlegenen zum solidarischen Widerstand und die schließlich doch zustande gekommene friedliche Koexistenz. Ganz zentral steht das Problem der naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung und was die Menschen damit machen können. Der Überblick, den Rudi Schweikert über die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte gibt (9), zeigt, daß Laßwitz nicht mit Hilfe der offiziellen Literaturwissenschaft, sondern praktisch gegen sie doch traditionsbildend gewirkt hat; Motive, Themen, Topoi, ja ganze Handlungszüge seiner Werke finden sich nicht nur bei Kellermann, sondern auch bei Dominik, ganz besonders bei Arno Schmidt, aber auch bei Hugo Gernsback und anderen SF-Autoren Eine Gattungsgeschichte müsste bei den Arbeiten Schweikerts und auch Rottensteiners über Laßwitz anknüpfen und sollte vor allem auf die erstaunlich intensive Wirkung dieses Autors achten. 2.) Die Definition Beim Versuch einer Definition der Gattung sieht man sich einem Definitionswirrwarr gegenüber, und besonders über die Beziehungen Utopie-SF-Fantastische Literatur bestehen Unklarheiten. Für zusätzliche Probleme sorgen Fantasy und Futurologie. Aber solche Definitionsschwierigkeiten tauchen auch bei vielen anderen Gattungen auf. Immerhin gibt es schon brauchbare Abgrenzungsvorschläge; besonders der von Reimer Jehmlich(10), an den ich mich im Folgenden halte, ist wegen seiner Exaktheit hervorzuheben: Möglichst genaue Abgrenzungen sind notwendig, weil bei extremer Ausweitung eines Begriffes dieser Terminus als Arbeitsbegriff unbrauchbar wird, was man sehr gut an einem auf alle Literatur (oder auch nur auf alle moderne Literatur) ausgeweiteten Utopie-Begriff sieht.(11) Sicher sind die drei Phänomene, SF, Utopie, Fantastische Literatur, 'irgendwie' benachbart: Alle drei überschreiten die sogenannte 'realistisch' dargestellte Ebene in der Fiktion auf die eine oder andere Weise. Zur Unterscheidung dient im Folgenden nicht die Motivik, sondern der Darstellungsmodus der erzählten Welt. Fantastik erzeugt durchgehende Unschlüssigkeit, die den impliziten Leser daran zweifeln lassen, ob die Ereignisse einer natürlichen oder übernatürlichen Erklärung bedürfen. Diese ambivalente Sichtweise liegt zum Beispiel – ganz ein Idealfall im Sinne Todorovs – in E.T.A. Hoffmanns Novelle "Der Sandmann" vor. Wer der Sandmann wirklich war, bleibt offen, und der Protagonist geht letztlich an dieser Ungewissheit zugrunde. Ganz anders bei Laßwitz: Die Martier lösen zwar Schrecken und Staunen aus, aber ihre Herkunft und ihre Absichten werden bald 'wissenschaftlich' erklärt. So sensationell die Polstation ist – der Leser bleibt nicht im Ungewissen, wie das alles (rational!) zu verstehen ist. In der Fantastischen Literatur geht es um das Schicksal eines Menschen oder einiger Menschen, und das Geschehen vollzieht sich in einem relativ kleinen Erzählraum. Ganz anders die SF: Sie bezieht die Zukunft mit ein und hat eine ausgesprochen irdisch-globale oder sogar kosmische Dimension. Es geht um das Schicksal eines Landes, einer Gesellschaft oder der Erde überhaupt. Um die Gesellschaft geht es auch in der Utopie. Hier wird das Wunschbild einer besseren Gesellschaftsordnung der bestehenden schlechten gegenübergestellt, und zwar in ausgesprochen didaktischer Absicht. Die Darstellung dieser besseren Ordnung erfolgt primär deskriptiv und diskursiv, die narrative Ebene ist restringiert. Die SF bietet kaum je solch systematische und ausführliche Konkretisierungen einer Staats- und Gesellschaftsordnung, obwohl sie durchaus alternative Gesellschaften voraussetzt. Um es überspitzt zu formulieren: Die Utopie erzählt, um ein ausführliches Bild der Gegengesellschaft geben zu können, Erzählen ist Mittel zum Zweck; in der SF ist eine bestimmte alternative Gesellschaft Voraussetzung, um erzählen zu können und dabei spielt das Naturwissenschaftlich-Technische eine besondere Rolle. Damit hat wieder die Fantasy, die im deutschsprachigen Raum eher schwach vertreten ist, wenig im Sinn. Kennzeichen der Fantasy ist ein Weltbild, das dem der heroischen Götter- und Heldensage entnommen ist. Märchen- und Mythenthemen werden in einer feudalen, meist pseudo-mittelalterlichen Welt paraphrasiert. Im Gegensatz zum Märchen hat die Fantasy einen – wenn auch selten relevanten – numinosen Hintergrund. Und Futurologie beschreibt wohl eine in der Zukunft mögliche Welt, geht dabei von den wissenschaftlichen Voraussetzungen der Gegenwart aus und ist eindeutig nicht narrativ. (12 und 13) 3.) Das Problem der
naturwissenschaftlich-technischen Dieses Problem sorgt bei Interpreten immer für große Verwirrung. Soll man diese naturwissenschaftlich-technischen Phänomene auf ihre "Richtigkeit", ihre Realisierungsmöglichkeiten hin überprüfen? Und wie können das Laien je leisten? Für den Germanisten ist die naturwissenschaftlich-technische Komponente in zweifacher Weise wichtig: Einmal wegen der Debatten, die unter Theoretikern und Praktikern über die Bedeutung dieser Komponente geführt wurden: Technik in der Literatur ist Ausgangspunkt der SF. Zuerst (wenn auch nicht ausschließlich) lag das Schwergewicht auf der Frage: "Wie wird die Technik der Zukunft aussehen?" und verschob sich dann auf die Frage: "Was wird der Mensch aus der Technik und sie aus ihm machen?" Zuerst ging es um Extrapolation, im strengen Sinn um Technik, die im Rahmen des jeweils aktuellen Wissensstandes möglich sein würde, später um Extrapolation im weiteren Sinn: Technik muss nicht mehr auf das nach heutigem Ermessen Mögliche beschränkt sein. Und schließlich kamen noch Extrapolationen auf dem Gebiet der Sozial- und Geisteswissenschaften dazu (zum Beispiel soziologische und linguistische). Zum Zweiten ist die naturwissenschaftlich-technische Komponente wichtig wegen ihres Stellenwerts im Rahmen der Interpretation, denn gleichgültig, um welche Art der Extrapolation es sich handelt, der Interpret steht vor der Frage: Sollen die hier vorausgesetzten und dargestellten wissenschaftlichen Phänomene (vor allem naturwissenschaftlich-technische) auf ihre 'Richtigkeit' hin überprüft werden? Es ist klar: Ein Laie kann das natürlich nicht tun. Aber auch dieses Problem ist kein Grund, um die SF irgendwo "neben" oder außerhalb der Literatur zu situieren. Man kann ganz gut die Rezeptionssituation beim Lesen einer Autobiographie zum Vergleich heranziehen. Keinem Leser – und nur in extremen Ausnahmefällen einem Interpreten – wird es einfallen, beim Lesen von Selbstbiographien, Lebenserinnerungen, Memoiren und dergleichen die dort gemachten Angaben im Hinblick auf ihre Richtigkeit mit Hilfe von Dokumenten, Urkunden etc. überprüfen zu wollen, ganz abgesehen davon, dass dies in vielen Fällen auch gar nicht mehr möglich ist. Die Bezüge zur Außenwelt – die biographisch-chronologische Schicht der autobiographischen Darstellung – sind, neben der autobiographischen Intention, Signale für den Leser, die das Erzählte als "tatsächlich gesehen" erscheinen lassen und beglaubigen. Man kann daher, mit Roy Pascal, zurecht sagen, dass die Wahrheit der Autobiographie aus dieser selbst hervorgeht. (13) Umgelegt auf die SF: Die wissenschaftliche (in den meisten Fällen doch: naturwissenschaftlich-technische) Dimension ist vom Grenzwissen der Zeit auf diesen Gebieten bestimmt und spekuliert mit verschiedenen Entwicklungen. Dass sich bestimmte Voraussagen dann nicht oder noch nicht oder nicht so erfüllt haben, entwertet letztlich nicht die Spekulation darüber (SF ist daher nicht per definitionem prophetische Dichtung, sie kann es ein, muss es aber nicht sein). Das heißt, der Fragetyp, für den die SF kompetent ist, heißt nicht: Was wird?, sondern: Was würde sein, wenn ... Dieses Durchspielen von Möglichkeiten freilich muss in sich stimmig und logisch sein und plausibel erscheinen. Es geht also um Plausibilität der Spekulation, nicht um exakt nachprüfbare "Richtigkeit". Wesentliches zu dieser Pllausibilität trägt natürlich die künstlerische Gestaltung bei. 4.) Zur Gestaltungsweise SF wird von Motiven geprägt wie kaum eine andere Gattung. In einem Großteil der Texte finden sich alte, längst bekannte Motive, Topoi und Themen wieder: Reisen und Wandern als Erfahrungs- und Erkenntnisweg, der Übermensch, Unsterblichkeit, der Doppelgänger, der alte Weise und natürlich alle Motive im Zusammenhang mit Liebeskonflikten. Man hat der SF diesen Konservativismus der motivisch-thematischen Ebene oft und oft zum Vorwurf gemacht. Dazu ist zu sagen: Es gibt auch durchaus neue Themen, vor allem natürlich solche, die mit technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang stehen, also Kybernetik, Genmanipulation, Raumfahrt, Parallelwelten. Wichtiger aber: Es gibt einen Grundbestand von "Motiven der Weltliteratur", die – auch in der sog. Hochliteratur immer und immer verwendet werden, ohne dass man dies deren Vertretern zum Vorwurf macht. Es kommt bei der Beurteilung nicht darauf an, ob ein altes Motiv verwendet wird, sondern wie es verwendet wird: also auf Variation und Kontext. Insofern schließt die Neigung der SF zur Verwendung bekannter Motive durchaus nicht Innovation, geistige Neuerung und intellektuelles Niveau aus, wie ja auch etliche Texte zeigen. Außerdem hält sich, ein weiterer beliebter Vorwurf, die SF in Aufbau, Charakterisierung, Handlungsmotivation, Erzähltechnik, -haltung, -perspektive an bewährte Konventionen. Das trifft wieder für einen Großteil der Texte zu, durchaus aber nicht für alle. Man braucht gar nicht das – meiner Meinung nach misslungene – Experiment der New Wave heranzuziehen. Und man braucht auch nicht an eine Spitzenleistung deutscher SF, Arno Schmidts Gelehrtenrepublik, zu erinnern, um den pauschalen Vorwurf planen, linearen Erzählens zu widerlegen. Die Analyse von Romanen Herbert Frankes in meinem Seminar hat gezeigt, dass einige eine durchaus komplexe narrative Struktur aufweisen. Freilich – bei aller Komlexität: Es wird – auch bei Arno Schmidt! – eine Geschichte erzählt. Aber wer Erzählen für obsolet hält, dem muss man selbst den Vorwurf des Altmodischen machen. Denn inzwischen hat sich auch in der sogenannten Hochliteratur die "Wiederkehr des Erzählens" vollzogen. Ich erinnere nur an Autoren wie Ekkehard Henscheid, Klaus Modick, Hans Pleschinski, Robert Gernhardt (ins breitere Bewusstsein ist dieser Durchbruch durch Umberto Ecos Der Name der Rose gedrungen). Natürlich ist dieses Erzählen ein sehr artifizielles und hochreflektiertes Erzählen, vielfach auch ironisch-satirisch gebrochen. Ein Blick auf die Literatur der ehemaligen DDR zeigt, dass hier in neuerer Zeit die Affinität zwischen sogenannter Hochliteratur und SF viel stärker war als im Westen – und dies trotz der anfangs sehr starken ideologischen Vorbelastung der SF. Anfang der achtziger Jahre stellte Horst Heidtmann fest:
Das liegt erstens daran, dass die Parteispitze in der Phase einer gewissen Liberalisierung (Anfang der siebziger Jahre) die Existenzberechtigung der unterhaltenden Literatur anerkannte, und zweitens, dass meines Erachtens in der DDR – im Zusammenhang mit dem lange dominierenden Sozialistischen Realismus – Erzählen nie in dieser Weise wie im Westen diskriminiert war. Diese extrem experimentelle Phase, in der Erzählen und gar spannendes Erzählen als primitiv galt, dürfte nun doch schon vorbei sein. Die Chance für eine Aufnahme der SF in die Literatur ist also gut. 5.) SF als Spiel Es hat in der Sekundärliteratur heftige Debatten um Sinn und Aufgabe der SF gegeben. Und auch in diesem Zusammenhang haben viele Autoren die SF abqualifiziert, weil sie weder didaktisch noch pädagogisch, weder aufklärerisch noch bewusstseinsverändernd wirke. Der unleugbare Spielcharakter der SF ist ihnen offensichtlich ein Dorn im Auge. Spiel ist für diese Autoren anscheinend nur als "frivole Verspieltheit", als unverbindliche und verantwortungslose Beschäftigung denkbar. Hinter solchen Urteilen steht wieder ein sehr enges Verständnis von Literatur, die in diesem Sinn nur eine Daseinsberechtigung hat, wenn sie klare, um nicht zu sagen: plakative Handlungsanleitungen gibt. Ein solches Literaturverständnis führt sich in der Konsequenz selbst ad absurdum. Heute, im Zeitalter der Postmoderne, besteht einigermaßen Hoffnung, dass der Spielcharakter der Kunst und auch der Wissenschaft wieder gesehen und das Vergnügen am Spiel – als einer zutiefst humanen Tätigkeit – rehabilitiert wird. In diesem Sinne bezeichnet Umberto Eco die SF als Ort der Begegnung von Wissenschaft und Fantasie. 6.) Die literarische Wertung Wenn auch die Anerkennung der SF als literarische Gattung nur mehr eine Frage der Zeit sein dürfte – von der SF als einem paraliterarischen Phänomen wird man heute wohl nicht mehr sprechen –, so bleibt doch das Problem der Wertung innerhalb dieses Genres offen. Eine Kanonbildung der SF ist erst in Ansätzen erkennbar. Stanislaw Lem und Ray Bradbury dürften die – über die SF-Leserschaft hinaus – anerkanntesten Autoren sein, im deutschsprachigen Raum gewiss Carl Amery und Herbert W. Franke, Johanna und Günter Braun. Weitere Differenzierungen können nur mit Vorbehalten vorgenommen werden: Zum einen, weil die Gattung in einer raschen und dynamischen Entwicklung begriffen ist, zum anderen, weil die Probleme der Wertung in der deutschen Literaturwissenschaft nicht befriedigend gelöst sind. Auch in neueren Arbeiten (Hans Dieter Zimmermann, 15) sind noch immer gewisse Ressentiments in Bezug auf Unterhaltung vorhanden. An der Multivalenz bzw. Komplexität eines Textes als einem primären Wertungskriterium muss man wohl festhalten müssen, desgleichen an den damit zusammenhängenden Kriterien der Variation und Innovation. Aber bei der Beurteilung eines literarischen Werkes wird man wohl endlich einsehen müssen, dass Lesen ein Vorgang ist, der mit Entspannung zu tun hat, mit intellektueller Neugier, mit der Faszination durch Neues ebenso wie mit der Freude am Wiederfinden alter Wunschträume. (16)
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