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Straker meets Platon
...

Sie haben die Gestalt von Menschen, tragen aber andere Raumanzüge
und Helme, durch die man statt eines Gesichts nur eine dunkelgrüne Flüssigkeit
erkennen kann. Sie sprechen nicht, sie lachen nicht, sie geben keine Geräusche von
sich, und sie sind kaum zu erwischen: Aliens aus der britischen Fernsehserie "UFO".
Angeführt vom staubtrockenen Commander Ed Straker verteidigt sich die Erde darin gegen
eine angreifende Flotte außerirdischer Raumschiffe. Die 26 Episoden der Serie haben auf
der Insel inzwischen ähnlichen Kultstatus erlangt hat wie das deutsche Pendant
"Raumpatrouille Orion". Bemerkenswert ist die in Deutschland nicht gezeigte
letzte Folge: Eine Halluzination des Commanders, die Anlass gibt zum
Nachdenken über den Status unserer Realität.

Von Egyd Gstättner
(07. 04. 2008)

...




(c) Johannes Puch

Egyd Gstättner
,
geb. 1962, lebt als freier
Schriftsteller und Publizist
in seiner Heimatstadt
Klagenfurt.

 

 
 

 

 Die britische Science-
Fiction-Fernsehserie "UFO"
wurde zwischen 1969 und
1970 gedreht. Von den 26 produzierten Folgen wurden
nur 17 in Deutschland
gesendet.


 

 

Plötzlich surrende
Silberkaspseln aus
dem Nichts, die sich den
Berechnungen, Messungen
und Radarschirmen der
Menschen mühelos
entziehen können. Lange
ist nichts von ihnen zu
sehen, plötzlich sind sie
da, plötzlich senden
sie tödliche Blitze
vom Himmel.

 


 

Cmdr. Ed Straker
(Ed Bishop)

 

 


Im Lauf der tolldreisten
Münchhauseniade wird das
Fremde zwar zu Wasser,
Erde und Luft, innerhalb
und außerhalb der
Atmosphäre beschossen,
gesprengt, bombardiert
und reduziert, aber
nicht entmystifiziert.

 

 

Webtipp

www.ufoseries.com

 



Alien-Angriff auf die Erde

 

 


Ed Straker erlebt sich in
einem Filmstudio, wo
gerade eine Folge der
englischen Science-Fiction-
Serie UFO gedreht wird. Er
befiehlt seinem Lieutenant,
Alarmstufe rot zu geben,
und dieser meint knapp,
jetzt sei Drehpause.

 



 

Lt. Gay Ellis
(Gabrielle Drake)

 


 

Die nackte Realität
breitet sich ganz banal
vor uns aus. Ein seltsamer
Schachzug des Skripts.

 

 

 

Mondbasis

 

 

Der Rettungsanker
inmitten akuter
Desillusionierungs-
gefahr: Straker.

 

 

 

Flügeltür-Fahrzeug
(1969)
 


 

Am Ende der Science-
Fiction-Serie UFO wird
sich die Science-Fiction-
Serie UFO als Halluzination
herausstellen.

 

 


 


 

Warum ausgerechnet
SHADO als Name der
Organisation? In der
Serie selbst fehlt
jeglicher Hinweis.


 

 

 

 

 

 

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   Die in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts gedrehte englische Science-Fiction-Serie "UFO" kokettiert wie jede andere auch mit der Faszination des Außerirdischen, mit dem wohligen Schauer, den das Unbekannte, das Unerforschte, das unerklärliche Andere auslöst. Die futuristische Technik, das blitzende Chrom, die Ästhetik aus Glas und Stahl, die gigantischen unterirdischen Computer, die schnittigen Sportwagen, deren Türen nicht seitlich, sondern nach oben zu öffnen sind – all diese eye-catcher biedern sich uns an. Wir gewöhnen unseren Hausverstand daran und finden uns allmählich immer bequemer in die Gesetzlichkeiten dieser Welt ein, die wir zwar freilich (gar nicht nur wegen der Überholtheit der Phantasie, die nur kurz Pointen bietet) niemals für bare Münze nehmen, aber mit der Zeit, mit der Akkommodierung doch nicht bloß als schönen Schein, sondern als quasi legitimes autonomes Konstrukt erfahren. Wir sehen nach jeder Folge die Namen der Schauspieler, merken uns aber nur die Namen der Charaktere, die sie verkörpern und fühlen uns zurecht nicht naiv, nicht wirklichkeitsträge dabei. Ob es sich um eine Chimäre handelt, verliert mit den Folgen an Relevanz.

Diese Einfriedung des Fern-Sehers, dieser Science-Fiction-Sozialisationsmechanismus funktioniert vor allem durch den permanenten Reiz des Fremden: die Maskerade jenseits der Milchstraße, das Unbekannte, das Unerklärte, das Ungeheuerliche, der Mythos, das außerhalb unserer Empirie Fliegende, in einem: das Andere. Die attraktive Verpackung: Plötzlich surrende Silberkaspseln aus dem Nichts (noch besser: aus dem Nachthimmel), die sich den Berechnungen, Messungen und Radarschirmen der Menschen mühelos entziehen können. Lange ist nichts von ihnen zu sehen, plötzlich sind sie da, plötzlich senden sie tödliche Blitze vom Himmel. Auch die Wesen in den UFOS werden dramaturgisch geschickt nur ganz sparsam zum Einsatz gebracht. Sie haben die Gestalt von Menschen, tragen aber andere Raumfahranzüge und andere Raumfahrhelme, durch die man statt eines Gesichts nur eine dunkelgrüne Flüssigkeit erkennen kann. Sie sprechen nicht, sie lachen nicht, sie geben keine Geräusche von sich, und sie sind kaum zu erwischen. Fängt man doch einmal einen und befreit ihn aus seiner Uniform, rinnt die grüne Flüssigkeit aus und er stirbt sofort. Dass die unbekannten Wesen den Status gefährlicher Feinde haben: Umso verlockender.

   Der Held der Serie aus Sicht der bedrohten Menschheit: Commander Ed Straker, ein Macho mit weißen Haaren, der in seinem steifen, eng geschnittenen Marineanzug steckt wie Ulrich von Liechtenstein in seiner Rüstung gesteckt haben mag. Ed Straker ist der Chef der geheimen Abwehrorganisation SHADO, die zehn Stockwerke unter der Erdoberfläche untergebracht ist – so geheim ist sie. Die Menschen dieses Planeten sollen weder etwas von der immensen Bedrohung bemerken, der sie durch die Außerirdischen ausgesetzt sind, noch von den ausgeklügelten Mechanismen zu ihrer Abwehr. Sonst bräche global Panik aus. Der ebenerdige Eingang ist zur Tarnung ausgerechnet der eines Filmstudios, als dessen Eigentümer Straker sich ausgibt, bevor er den Lift betritt und zu seiner eigentlichen Mission ins Erdinnere fährt. Im Durchschnitt retten er und sein Team – allen voran sein bester Mann Paul Foster – alle vierundzwanzig Stunden diesen Planeten vor der vollkommenen Unterjochung oder gar Auslöschung. Straker besitzt die Selbstironie einer Betonmischmaschine und geht vollkommen in seinem Beruf auf: der Mischung aus Erforschung und Vernichtung der Fremden.

So tobt gut zwanzig Folgen lang dieser wilde Existenzkampf zwischen Gut und Unbekannt. Im Lauf der tolldreisten Münchhauseniade wird das Fremde zwar zu Wasser, Erde und Luft, innerhalb und außerhalb der Atmosphäre beschossen, gesprengt, bombardiert und reduziert, aber nicht entmystifiziert, und da nicht zuletzt die Quantität der Fremden im Dunkeln des Weltalls bleibt, kann auch deren Reduktion unserem wohligen Schauer nicht viel anhaben. Anfangs in Pestalozzihäuten, stöbern wir, um uns unserer Abgebrühtheit zu vergewissern, nach Regiefehlern und logischen Brüchen, vollführen also letzten Endes Aktionen zur Drosselung des Einfühltempos. Wir erklären uns, warum etwas, was unseren Augen dargeboten wird, gar nicht sein kann, um zu indizieren, dass es auch nicht ist, und sind natürlich längst an die Apparate galaktischer Phantasie angeschlossen, bis unser einberechneter Widerstand mit den Abenteuern allmählich erlischt und wir uns nach und nach dem Inszenarium überlassen.

   Mit den Etappen stetig intensiver integrieren wir uns in List und Gegenlist, wechseln das Wohnzimmer, verlieren uns in Defensivmaßnahmen des Commanders, dann und wann an die stimulierende Adjustierung seiner Mondbasissekretärinnen (die Haare der Pagenköpfe schon vor einem halben Jahrhundert bläulich-métallisée, Minirock oder Hotpants, enge schwarze Stiefel – die aber auffälligerweise nur uns zu stimulieren wissen: wieder so eine lächerliche Rationalisierung) und bemerken kaum noch, dass Glaubwürdigkeit nach zwanzig Folgen kein Kriterium und kein Thema mehr ist. Wir sitzen zur Rechten Eds in der Kommandozentrale wie in der Küche, in der Mondbasis wie in einem Terrassencafé, im Skydiver wie in einem Gummiboot, im Abfangjäger wie im Opel Ascona. Das Unvorstellbare ist unter der Hand zur Selbstverständlichkeit geworden: Wir sind im Film.

Der Mechanismus ist althergebracht und populär. Und nun, in der allerletzten Folge, passiert eine irritierende Raffinesse, eine unerwartete Erschütterung. Incipit comedia: Die Fremden hinterlassen bei einem Scheinangriff einen Stein, von dem sich (für die Serienangeschlossenen im Gegensatz zu den agierenden Serienhelden) bald herausstellt, dass er in dem, der ihn berührt, Halluzinationen hervorruft (uralter Topos: Gral). Gerade in paramilitärischen Organisationen globalen Aufgabenbereichs stören Halluzinationen, vor allem, wenn der Commander selbst halluziniert. Wie das Leben so spielt: Über den Hintersinn des Scheinangriffs meditierend, jongliert Commander Straker im nichtsahnenden Kreis seines Generalstabs mit dem halluzinogenen Stein, und allmählich lüftet sich sein Blick für eine neue Wahrnehmung, deren Inventar sich über sein Umfeld stülpt: Ed Straker erlebt sich in einem Filmstudio, wo gerade eine Folge der englischen Science-Fiction-Serie UFO gedreht wird. Er befiehlt seinem Lieutenant, Alarmstufe rot zu geben, und dieser meint knapp, jetzt sei Drehpause. Überhaupt nennen sich die Schauspieler nicht bei ihren Charakternamen, sondern bei ihren Schauspielernamen, sitzen leger in der "Mondbasis" wie in der Küche, haben die Beine am Tisch hochgelagert, rauchen, trinken Bier, lachen und spielen Karten. "Gut, der Tonfall", ruft ihm einer zu, der gerade aus einem Regiesessel aufsteht, ihn aber nicht Ed, sondern bei einem Namen ruft, den er nicht kennt, "mach das am Nachmittag genauso!" Er, Ed Straker, der tausendmal von der Zentrale den Befehl zum Abschuss eines UFOs gegeben hat, sieht nach oben und erblickt die "Zentrale" als Kulisse aus Faserholzplatten und Pappkarton. Überall verzweigen sich Drähte und Kabel am Boden. Überall stehen Kameras, die momentan nicht bedient werden. Am Plafond stecken auf Schienen Scheinwerfer in verschiedenen Einfärbungen.

   Dann blickt Ed hinter die Kulissen, die nur notdürftig mit Brettern gestützt werden, dort steht ein anderer Mann mit schneeweißer Pagenfrisur: sein Double für gefährliche Szenen. Commander Straker kommt in den Schneideraum, sieht sich selbst auf der Leinwand. Sieht das Entsetzen in seinen Augen beim Generalangriff der Fremden am Vormittag. Ein paar Leute sitzen davor im Dunkeln, geben Kommentare, lassen das Entsetzen in seinen Augen immer wieder vor und zurücklaufen. Dann Vergangenes: Begegnung mit einem Außerirdischen in einem Mondkrater, Bewährungsproben, Extremsituationen seiner Biographie. Seine Frau, seine Kinder, sein Doppelleben. Er steht dabei, wie sein Leben geschnitten wird. Straker schreit auf. Einer der Leute bietet ihm Aspirin an.

Was denken wir? Zunächst vermutlich: Überraschung. Dann: Desillusionierung. Die Erwartungshaltung des Phantastischen, in zwanzig Lektionen kreiert, geschult und perfektioniert, stets befriedigt, wird plötzlich boykottiert. Wir steigen – zumindest für einen Moment – aus der Erzählwirklichkeit aus: Die nackte Realität breitet sich ganz banal vor uns aus. Ein seltsamer Schachzug des Skripts: Was wir allmählich nicht mehr in unsere Wahrnehmung miteinbezogen haben, wird uns als das präsentiert, was wir von der Präsentation nicht erwartet und am Ende auch gar nicht mehr erbeten haben: als Kulisse. So wird das also gemacht. In diesem Hangar. Die fliegenden Untertassen, die nicht fliegend, nicht glitzernd, nicht surrend hinten im Eck liegen und nicht größer als ein Apfel sind, verlieren augenblicklich ihren Schrecken. Die gesamten technischen Wunder: aus Pappe. Die Abfangjäger: Spielzeug, nicht größer als ein Kochtopf. Eigentlich recht billig. Aber jetzt sind wir an den Dingen.

   Es ist wahrscheinlich, dass wir es bei diesem Gedanken, mit der Kontrolle des Ebenenbruchs nicht bewenden lassen. Wir sind zu lange, zu konsequent, zu gut in die Irre geführt worden, um diese Irre als primitive Irre zu akzeptieren. Diese anheimelnde, unterhaltsame, attraktive Irre muss rehabilitiert werden. Einmal mit voller Wucht in die Kulissenfalle getappt, wird man rasch vorsichtig. Wir haben doch nicht zwanzig Folgen lang immer krampfhafter rationalisiert, bloß um Recht zu bekommen. 's ist wohl nur Chimäre, aber mich unterhalt's. Jetzt keine Enttäuschung. Der Rettungsanker inmitten akuter Desillusionierungsgefahr: Straker. Straker beharrt ja nach wie vor auf seiner Strakerexistenz, torkelt den "Film-Entlarvungen" zum Trotz halb wahnsinnig durch seine zur Fassade verkommene Wahrnehmung und "erwacht" nicht wie wir bei der ersten Kulissenerkenntnis "erwacht" sind und unseren Helden verleugnet haben.

Straker ist Held, nichts als Held. Der Held erweist sich als solcher in der automatischen Aufbietung des sechsten Sinns, des sogenannten Heldensinns, im radikalen Misstrauen gegenüber dem Wahrscheinlichen in der Krisensituation. Dank dieser Beschaffenheit hat er auch im Moment, wo alles gegen Straker spricht, wo er endlich seine weiße Perücke, seine schwarzen Sonnenbrillen abnehmen, sein Kostüm ausziehen, zum Abschminken gehen, einen Kaffee trinken und dann heim zu Frau und Kind fahren könnte, zumindest bedingt Einsicht in seine Lage: Er verteidigt die Utopie gegen die Realität, gegen seine Wahrnehmung. Das heißt, er sagt sich: Das ist die Halluzination. Ich unterliege einer geheimnisvollen Kraft, sagt sich Straker, die Halluzinationen in mir hervorruft. Die Untertassenattrappen sind die Halluzination, nicht die Untertassen. Die Abfangjägerspielzeuge sind die Halluzination, nicht die Abfangjäger. Die SHADOhauptquartierkulisse ist die Halluzination, nicht das SHADOhauptquartier. Das Mondbasisgipsmodell ist die Halluzination, nicht die Mondbasis. Die Drähte, Spotlights, Kabel, Kameras sind die Halluzination, nicht die Welt, die diese Kameras einfangen. Die Schauspieler sind die Halluzination, nicht deren Rollen. Die Fiktion der Außerirdischen zur Faszinierung irdischen Publikums ist die Halluzination, nicht die Außerirdischen, die die Irdischen bedrohen.

   Wir bekennen reumütig unseren vorschnellen Kleinmut. Längst haben wir uns wieder mit unserem Helden solidarisiert. Wir sind wieder in der Filmwirklichkeit. Straker wird übrigens recht behalten in seiner Eigenschaft als Held. Seine Halluzinationshypothese wird sich als stimmig erweisen, er sich als Utopiedefensivgenie. Straker wird am Folgenende über die englische Science-Fiction-Serie UFO, die ihn darstellt, triumphieren. Am Ende der Science-Fiction-Serie UFO wird sich die Science-Fiction-Serie UFO als Halluzination herausstellen, als eine überwundene Krankheit Strakers. Nicht zuletzt hat Straker uns bekehrt, nicht so kleingläubig zu sein. Jetzt stecken wir mitten in den perspektivischen Spiegelungen.

Versetzen wir uns in Gedanken noch einmal zurück zu dem Augenblick der Kulissenoffenbarung, der Attrappen- und Schauspieler- und Schminkraum- und Hangar- und Kamera- und Filmstudioentpuppung, in den Moment der Ent-täuschung, wie wir diesen Moment naiv einschätzten. Wir könnten – mit oder ohne Straker – auf die Idee kommen, dass die Existenz der Kamera Indiz für das Trugbild ist: Stellt man die Kamera ins Panorama dessen, was sie filmt, ist der Film als Film, das Trugbild als Trugbild entlarvt. In dem Moment, als wir die Filmkamera in der Mondbasis sahen, bekam die Mondbasis in unserer Betrachtung eine neue Qualität: Neuer Winkel, neuer Glaube. Neue Sicht, neue Einschätzung. Neue Perspektive. Wir sehen also die SHADOzentrale, perspektivisch ungewiss, was wir sehen: Die SHADOzentrale als bühnenbildnerisches Arrangement gewisser Requisiten oder die SHADOzentrale als Halluzination einer Halluzination, auf jeden Fall mit Kameras. Kulisse als Kulisse, Kamera als Kamera, Filmstudio als Filmstudio: Eben dachten wir, nun seien wir an den Dingen. Doch durch die sichtbaren Kameras aufgescheucht denken wir, dass es eine unsichtbare Kamera geben muss, die das filmt, was wir jetzt sehen. Ebenso wie die nun sichtbaren Kameras zwanzig Folgen lang unsichtbar geblieben sind, könnte die nun unsichtbare – Kameras zeigende – Kamera unvermittelt sichtbar werden, gezeigt von einer neuen – dann unsichtbaren – Kamera. Hierin zeigt sich ein altes Gedankenspiel: die Endlosschleife.

   Aber was haben wir jetzt: Die Kamera selbst als Kulisse. Eine Wirklichkeit stiftende Unwirklichkeit. Wir können jenen Primärkameras unmöglich zutrauen, die SHADOzentrale als Kulisse zu zeigen, zumal sie durch die Sekundärkameras selbst zum Requisit degradiert wurden. Wir notieren vorläufig: Eine Falsifizierung oder Verifizierung der SHADOzentrale ist durch die Tendenz zur Perspektivierung unmöglich geworden.

Die Sekundärkamera (nennen wir sie zumindest so. Die wievielte Kamera es tatsächlich ist, die ihr Licht auf Kameras wirft, können wir ja unmöglich entscheiden) präsentiert uns neben dem unbelebten Spiegelkabinettsinventar: einen Schauspieler, der einen Regisseur mimt. Einige Schauspieler, die Schauspieler spielen, die SHADOpersonal spielen, das Schauspieler als Halluzinationsprodukt spielt, das wieder SHADOpersonal spielt und so fort. Schließlich: Einen Schauspieler, der einen SHADOcommander spielt, der nicht weiß, ob er ein SHADOcommander ist oder ein Schauspieler, der einen SHADOcommander spielt. Wir sind nicht an den Dingen. Wir kommen nicht an die Dinge heran. Wir kommen nicht einmal an die Perspektive der Dinge. Das Unbekannte, das Fremde, das Andere, zu dem wir uns zum Unterhaltungszweck gesetzt haben, hat sich in uns verlagert.

   Die Endlosschleife bekommt eine dritte Dimension: Wir können uns als Kamera vorstellen, die das Fernsehgerät zeigt, dessen Bildschirm uns eine Kamera vorenthält, die uns eine Sekundärkamera preisgibt, die uns die Qualität eines Gegenstands preisgeben will, realiter aber sogar den Gegenstand selbst in einer Art Wirklichkeitsschwebe belässt. Wir als Kamera, selbstverständlich. Über uns oder in uns aber eine weitere Kamera, die uns beim Fernsehfilmen filmt, also unsere Assoziationen und Reflexionen, unsere Wahrnehmungen betreffend. Und so fort.

Aus der Beobachtungsstrafgefangenschaft, aus der Perspektivenmultiplizierungs-Maschinerie retten wir uns in Gedanken: Warum ausgerechnet SHADO als Name der Organisation? In der Serie selbst fehlt jeglicher Hinweis. Im siebenten Buch seines Staat schildert Platon, wie die Menschen gleichsam gefesselt in einer Höhle sitzen, in die nur Schattenbilder der wirklichen Dinge hineinfallen können. Diese Schatten sehen sie für die Wirklichkeit an und halten es für die Aufgabe der Wissenschaft, diese Schatten zu erkennen und zu erforschen. So stehen den in der bloßen Sinnerkenntnis gegebenen Abbildern oder Erscheinungen der Urbilder Ideen gegenüber. Platons Höhle als SHADOzentrale? Wer weiß ...

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