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Von
Martin A. Hainz |
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Nimmt man Sciencefiction beim Wort, dann ist es überraschend, wie sehr die meisten Texte dieses Genres von der Zukunft reden, denn eigentlich geböte der Name nur eine Fiktion, die der Wissenschaft ihr Narrativ gibt. Ihr Narrativ, das heißt, daß diese selbst (oder die von ihr gezeitigte Technik) durch dieses erzählt oder visualisiert wird. Im Idealfall zeigt der Plot Folgen einer realen, zukünftigen oder imaginären Technologie an, die wiederum die Art des Erzählens beeinflußt. Also Technikkritik, die sich als Medienkritik aktualisiert, wobei Kritik natürlich ihrem eigentlichen Sinne gemäß Differenzierung meint. Sciencefiction wäre also etwa Dürrenmatts Stück Die Physiker. Darin wird das Scheitern der Verantwortung, die für eine gewisse Technologie zu übernehmen wäre, aber nicht übernommen werden kann, geschildert – und diese Unangemessenheit spiegelt elegant die Wahl der Komödie, worin nicht nur der Konflikt an dem Punkt "zu Ende gedacht"(1) ist, wo seine Fabel "ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat"(2), sondern eben ein Echo der Hilflosigkeit der Protagonisten in der Form hallt. Was damit gemeint ist, zeigt sich überdeutlich, wo das Problem mittelmäßig gelöst ist, so bei Konsaliks Agenten kennen kein Pardon, einem Roman, der kurz gesagt ungefähr so schlecht wie der Titel ist, der aber hier dialektisch die Qualitäten zeigen soll, die ihm fehlen. Hier nämlich wird die zweite Spiegelung sowieso nicht unternommen, aber auch schon die erste Frage kaum entwickelt: jene der Bedeutung der Technik, hier wiederum: der Waffentechnik. Was es heiße, wenn der Mensch einen bestimmten Grad an Macht erlangt, wenn er also sagt: "Es gibt keine Grenzen mehr, […] der Mensch ist Gott geworden." (3) Um diese Frage strickt Konsalik einen Plot, worin heroisch eben dieser Konflikt ausgetragen wird, Prometheus sich – ungeahnte Möglichkeiten entdeckend – als Epimetheus erkennen muß, der nun nicht mehr hinter das Wissen zurück gelangt, das man ihm freilich sofort abkaufen oder rauben will, qua militärischer Nutzung, die der Held nie im Sinne hatte:
Die Potentiale, um die es gehe, erschließt Konsalik, indem er dem Rausch der Zehnerpotenz erliegt und eben dies auch vom Leser erhofft, der mit dem Erzähler stammeln möge, beispielsweise: "100000000 … 150000000 … 200000000 … 225000000 Volt."(5) Die Faszination der Zahl macht, daß auch nicht von einem Meter mehr die Rede sein kann, sondern: "von 100 Zentimetern" (6), mit einer rührend kindlichen Freunde an all den Nullen, zu der sich eine Lust am Superlativ ("vollsten")(7) gesellt. Diesen Mächten, ob nun mit oder ohne Null ausgedrückt, stellt sich jener, der sie entdeckte, und lebt nun Verantwortung vor, wobei als Folie ein Soldat dient:
Die Replik lautet: "Nein! Ich bin Soldat."(9) Verkneifen wir uns die Frage, inwiefern sich etwas änderte, wenn besagte Mütter doch Gelegenheit hätten, einen einzigen Laut des Entsetzens auszustoßen – ob dieses Schweigen nicht nur für die Täter eine Differenz bedeutet, denen es hülfe, zu wissen, daß die Opfer sie doch "zu verfluchen"(10) in der Lage waren. An die Opfer denkend müßte man hier mit Lyotard noch von einem derartigen Fluch ("Körper der schreienden Gestalt": "bloße[n] Hülle um den leeren Mund")(11) wie von einem Schweigen handeln und eingestehen: "'Wir' sind recht weit davon entfernt, dieses Schweigen im Satz eines Resultats zu bedeuten, und halten es für gefährlicher, es zum Sprechen zu bringen, als es zu respektieren." (12) Und würdigen wir kurz, daß die pax romana mit der Insignie der Atombombe (die also sagt: "Wer die Gemeinschaft stört, der muß fallen … im Interesse der Völker, die den Frieden wollen!")(13), von Konsalik als totalitär gebrandmarkt wird: "Das gleiche hat einmal Hitler gesagt"(14), so heißt es bei ihm – ähnlich Serres' angesichts der Waffenarsenale und ihres Implikats eines Zerstörungswillens gefallener Bemerkung, "daß wir unter dem geistigen Erbe Hitlers gelebt haben und immer noch leben"(15) … Jedenfalls kommt dann die Verantwortung, die ergriffen wird, im Narrativ zum Tragen. Günstig ist hierbei, daß der Held zwar mit unglaublichem Aufwand werkte und experimentierte, aber bei ihm "die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen"(16) liegen – logisch, daß sich der wahre Held schließlich tötet und das Werk vernichtet, dramaturgisch logisch, daß er dazu seine Erfindung gleich nutzt. Abschiedsbrief ("weint nicht, sondern lebt")(17) und Gebet, er ist nun auch – wieder – "klar mit seinem Gott"(18), dann: "eine riesenhafte Explosion": "Eine ungeheure Feuersäule schoß zwischen den Felsen hervor in den Nachthimmel, ein langer Strahl weißen Qualms stieß in das Dunkel und verbreiterte sich oben zu einem weiten Pilz."(19) Damit ist der Konflikt völlig ausgeräumt, zu einem hohen Preis zwar, aber: immerhin. Prometheus hat seine Ehre und die Welt gerettet, freundlicherweise sogar ohne Strahlungsrückstände: "Die Geigerzähler schwiegen."(20) Das offensichtlich Verlogene der Geschichte ist das, worin sie – unfreiwillig – gelingt. Denn die Banalität des Konflikts, der dann doch nur bedingt einer ist, weil sich alles zurücknehmen läßt, ist unrealistisch, und dies so sehr, daß damit schon wieder etwas berührt wird. Jedenfalls in der Lektüre, denn für sich ist das "Banale […] nicht banal genug, um die Banalität dessen, was auszusagen ist, auch auszusagen."(21) Hier aber zeigt sich dem Leser, und das mag die intentio operis sein:
Zuletzt ist der Mensch nicht Gott und nicht einmal Mensch, und das zeigt sich, wo Konsalik dagegen eine forcierte Humanität setzt. Er ist nicht in der Lage, dem eine Form zu geben, was einmal eingesetzt unfaßbar ist … und beläßt es bei einer Andeutung der Gewalt, die – selbst zum deus ex machina werdend – sich und ihren Entdecker aus dem Spiel nimmt. Eine Utopie, die darüber hinausginge, erläge dem, was bei Anders der Dinge "negative Protzerei"(23) geheißen wird. Nein, richtiger: Konsalik erliegt ihr, weil die Möglichkeit des schon Gedachten scheinbar zurückgenommen wird, aus dem ausgestiegen wird, was konstruiert ward. Die Souveränität, die hier aufschimmern will, ist verzweifelt und lächerlich, wenn zuvor der finanzielle und wissenschaftliche Aufwand doch deutlich gemacht ist: "'Zwei Milliarden Dollar!'"(24), und die sind noch inflationsbereinigt zu denken. Ohne Mittäter agierte der Mensch Konsaliks, dessen Roman ignoriert, was Anders präzise auf den Punkt bringt: "Die Mittel heiligen die Zwecke"(25) – und der "Zweck von Zwecken besteht heute darin, Mittel für Mittel zu sein."(26) Aber vielleicht ist die unfreiwillige Fast-Komik Konsaliks, die an einem Abschluß scheitert, darin düsterer, als es das andeutungsvolle Offene ist, das Dürrenmatt gestaltet, der intelligentere Dichter, der darum auch intelligenter kaschiert, daß natürlich auch bei ihm alles Euphemismus und Behübschung ist. "Nobody was prepared when it came" (27), dieser Satz ist – und zwar noch unter Anwendung auf sich selbst – der letzte, der von beiden Büchern und ihrem Problem vielleicht zu formulieren ist. Wir sind hier jenseits der Technik, die den Rahmen der Kunstfertigkeit und des Werkzeugs sprengt; und wir sind nicht nur post technics, sondern geradezu post science – und gewiß, wie der Titel verhieß: post fiction.
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