In den 80ern gab es sie
noch, die eindeutig gute und richtige Entscheidung, personifiziert in der Gestalt
einer Science-Fiction-Figur: Captain Jean-Luc Picard.
Stabil und unverwüstlich, auf dem Fundament einer
unerschütterlichen Nichteinmischungs- und Friedensideologie, rauschte die
Enterprise durch das Weltall und hinterließ am Ende jeder Episode das
beruhigende
Gefühl, dass das Gute sich wieder einmal durchsetzen konnte.
Zu jener Zeit, als die
globale Friedensbewegung ihren Höhepunkt erreichte, als in allen
Hauptstädten der westlichen Welt Plakate mit Aufschriften wie "Petting statt
Pershing" von Demonstranten mit bunten Pace-Fahnen durch die Straßen
getragen wurden, bewiesen Picard und seine Crew, dass in der menschlichen
Zukunft sogar in den unendlichen Weiten des Weltraums Ethik und Moral
triumphieren konnten, wenn man nur unverbrüchlich an seinen Überzeugungen
und aufgeklärten Idealen festhielt. Die Menschheit bei Star Trek, die
Hunger, Armut, Krieg und Elend hinter sich gelassen hat, wo das Individuum
nicht mehr für Geld und persönliche Vorteile arbeitet, sondern "um sich
selbst und den Rest der Menschheit zu verbessern" (wie Picard es in einer
etwas befremdlichen Reminiszenz an den längst gedämpften Idealismus der Star-Trek-Vergangenheit formuliert), wurde immer wieder als
unrealistisch kritisiert. Blauäugig und naiv sei es, zu glauben, dass der
Mensch zu einer solchen Entwicklung fähig wäre.
Was
allerdings selten angesprochen wird, ist die Tatsache, dass es die
Geschichten Picard und seinen humanistischen Freunden auch recht einfach
machten, das Richtige zu tun. Zwar drehte sich fast jede Episode um einen
moralischen Konflikt, doch waren diese Konflikte zumeist so gestaltet, dass
es am Ende eben immer einen eindeutig richtigen Ausweg gab. Ein
anachronistischer Versuch, an diese Art der Geschichten anzuknüpfen, ist
Star Trek IX – Der Aufstand (1998). Wenn Picard dem graubärtigen Admiral
vorwirft, was er tue sei "unethisch; es ist amoralisch", dann wirkt diese
unnötige Dopplung wie ein verzweifelter Versuch, die "guten alten Zeiten"
wiederzubeleben (oder zumindest die alte idealistische Fangemeinde in die
Kinos zu locken), Zeiten, in denen richtig und falsch noch eindeutig getrennt waren.
Dabei hat Picard durchaus recht: Die Gegenseite handelt derart unmoralisch,
dass sich der Konflikt als Schein entpuppt, denn was zu tun ist, kann gar
nicht zur Debatte stehen. Konsequenterweise erkennt dies auch der Admiral,
kurz bevor er von dem körperlich wie seelisch hässlichen Erzbösewicht eine
letale Schönheitsoperation verpasst bekommt.
So einfach wie Star
Trek IX waren die Abenteuer der Neuen Enterprise (Star Trek:
The Next Generation –
TNG) allerdings normalerweise nicht gestrickt. Zumeist handelte es sich bei
den ethischen Konflikten, vor denen Picard und seine Gefährten standen, um
echte und nicht nur scheinbare Probleme. Dabei blieb die Serie ganz und gar
ethisch. Wikipedia definiert Ethik als eine "philosophische Disziplin [...],
deren Aufgabe es ist, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und die
Bewertung seiner Motive und Folgen aufzustellen". Dabei baue sie "allein auf
das Prinzip der Vernunft". Einen ähnlichen Satz hatten die Drehbuchautoren
von TNG vermutlich über ihren elektronischen Schreibmaschinen an die Wand
genagelt.
Im
Zentrum vieler Episoden steht die Frage von richtig und falsch, und über
diese Frage wird nicht selten offen diskutiert. Als Beispiel hierfür mag ein
Glanzstück der Serie, "Das Standgericht" (1991), stehen. Das stets aktuelle Thema
zeigt sich in Fragen wie: Wie weit darf man im Namen der Sicherheit gehen?
Wann wird die Priorität von Sicherheit zu einem Problem, weil sie nur noch
auf Kosten von Freiheit und grundlegenden Bürgerrechten zu haben ist? Diese
Fragen sind der Episode nicht subtil als Grundton unterlegt, sie stehen im
Mittelpunkt des Geschehens und werden in einer Folge von Gerichtsprozessen,
in denen schließlich Picard selbst unter Anklage steht, zum Gegenstand einer
öffentlichen Debatte. Am Ende steht die Rede des Captains, ein flammendes
Plädoyer für die Rechte des Bürgers und für den Schutz des Angeklagten vor
der Willkür des Staates. Im Angesicht der wortgewaltigen Eloquenz und der
ethisch unwiderstehlichen Argumentation erscheint ein Widerspruch undenkbar.
Die Öffentlichkeit im improvisierten Gerichtssaal ist überzeugt, die
fanatische Anklägerin düpiert, sie lässt sich zum Ausfall provozieren, der
ihr die Maske vom Gesicht reißt und die hässliche, machtgierige
Paranoikerfratze zum Vorschein bringt. Am Ende siegt die Vernunft.
Mit der Lösung des
ethischen Problems auf theoretischer Ebene ist auch die weitere Handlung
vorgegeben: Sämtliche Anklagen werden fallengelassen, der verdächtigte, aber
unschuldige Fähnrich wird freigesprochen. Ein Dilemma aus dem Wissen um das
richtige Handeln und die Unmöglichkeit, dies in die Tat umzusetzen, gibt es
selten. Der bewundernswerte ethische Grundsatz, dass die bürgerlichen Rechte
und Freiheiten wichtiger sind als die Sicherheit der Gesellschaft, wird
nicht mit der Möglichkeit konfrontiert, dass der Angeklagte eben doch
schuldig sein könnte und den Schutz, dem dieser Grundsatz ihm bietet, zum
Schaden der ihn schützenden Gesellschaft missbraucht.
Schutz des Ideals vor der Realität
Besonders
frappant wird dieses Ausklammern von echten Handlungsdilemmata bei
kriegerischen Auseinandersetzungen. Immerhin, das Thema Krieg wurde bei TNG
nicht einfach ausgeblendet. Das wäre selbst für die utopiebegeisterten 80er
zu unglaubwürdig gewesen. Doch begegnet es dem Zuschauer auf Seiten der
Sternenflotte lediglich in Form einer pazifistischen und damit vereinfachten
Version von Augustinus‘ bellum iustum: Er ist nicht nur gerecht, er
ist auch immer ein Verteidigungskrieg. Die Bedrohung kommt von außen, von
entmenschlichten Aliens wie den Borg, die nichts weniger als die
Menschlichkeit selbst gefährden. Der Krieg ist gleichzeitig Abwehr eines
unprovozierten Überfalls und Kampf für die eigenen Ideale und für eine
Galaxie, die im Großen und Ganzen von friedliebenden Spezies bewohnt wird.
Einen solchen Krieg können selbst Pazifisten mit gutem Gewissen führen. In
einer Zukunft ohne Konzentrationslager, ohne ethnische Säuberungen, ohne als
Freiheitskampf getarnten Terrorismus wird das Ideal der Nichteinmischung in
die Angelegenheiten fremder Völker nur selten herausgefordert, weil das
Recht auf Leben letztlich von niemandem in Frage gestellt wird, also auch
nicht mit Gewalt verteidigt werden muss.
Kurz angedeutet wird das
ansonsten ausgeblendete Spannungsverhältnis zwischen der Proklamation hehrer
Ideale und der Obersten Direktive in "Star Trek VI – Das unentdeckte Land"
(1991),
wenn die Tochter des klingonischen Kanzlers beim Diner verächtlich ausruft:
"Menschenrechte – schon das Wort ist rassistisch."
Natürlich ist es das.
Bezogen auf die heutigen Zustände auf der Erde würden manche dieses Wort
vielleicht sogar als imperialistisch bezeichnen. Denn was taugen solche
Ideale, wenn man sie nicht für allgemeingültig erklärt? Kann man an sie
glauben und gleichzeitig anderen zusichern, sie mit Füßen zu treten? The
Next Generation geht diesen Fragen letztlich aus dem Weg. Die Autoren
verschonen ihre Protagonisten vor Erfahrungen wie denen der Soldaten der
UN-Sternenflotte im Jahr 1994, als sie gemäß der Obersten Direktive dem
Völkermord an den Tutsi in Ruanda vor ihren Augen tatenlos zusehen mussten.
Bei Roméo Dallaire, dem zuständigen Befehlshaber der UN-Schutztruppen, hat
dies keineswegs zu einem picardesken Gefühl der moralischen Überlegenheit
geführt. Er wurde depressiv, versuchte mehrfach, sich das Leben zu nehmen
und konstatierte schließlich im Titel seines Buches ein Scheitern der
Menschlichkeit und damit eine "Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord
in Ruanda". Star Trek-Zuschauer werden vor einem derartigen
Realitätsschock, der den hochtrabenden Idealen entweder ihre eigene
Wirkungslosigkeit vorhält oder aber ihre Vertreter zwingt, zu Soldaten (und
somit potenziell, ganz im Sinne Tucholskys, auch zu Mördern) zu werden,
bewahrt – vorerst.
Kampf um das Ideal – Star Trek Deep
Space Nine (DS9)
Wenige
Jahre später zeigt sich Deep Space Nine da schon wesentlicher mutiger
und auch moderner. Während im Zentrum Europas Menschen erneut in
Konzentrationslagern zusammengepfercht werden, erfahren wir im Fernsehen von
der Vernichtung durch Arbeit auf dem besetzten Bajor. DS9 spricht Themen an,
die bei Star Trek bis dahin übersehen wurden – und das unbequemer und
weniger hochtrabend als noch bei TNG. So gelingt es Major Kira in der Folge
"Licht und Dunkelheit" zwar, eine Trennlinie zwischen Terrorismus und
Freiheitskampf zu ziehen, doch muss sie feststellen, dass diese Grenze
durchaus verschwimmen kann. Sie muss sich ihren moralischen Standpunkt hart
und schmerzhaft erarbeiten und am Ende einsehen, dass ihre ursprüngliche
Überzeugung aus der Zeit des Widerstands, dass jeder Cardassianer auf Bajor
schuldig und somit ein legitimes Ziel war, im Angesicht des Leids, das sie
selbst verursacht hat, nicht haltbar ist. Unbequem ist diese Erkenntnis,
weil ihr Widersacher – anders noch als in der beeindruckenden Episode "Der
undurchschaubare Marizza" (1993) – keine bewundernswerte, schamgepeinigte
Ausnahmepersönlichkeit darstellt, sondern durch seine Verwundung im
Nachhinein zum Fanatiker wurde. Er ist ein Verbrecher, ein Mörder – doch als
Opfer des bajoranischen Anschlags war er unschuldig.
Inter arma enim silent leges –
Ideale auf dem Prüfstand
Besonders
lohnenswert ist allerdings der Vergleich der beiden
Hauptverantwortungsträger der Serien. Ist dies mit Picard bei TNG ein
ruhiger und besonnener Diplomat, eine fast schon unfehlbare,
ehrfurchteinflößende Lichtgestalt, so stellt sich den wesentlich düstereren
und kriegerischeren Geschichten bei DS9 mit Captain Sisko ein
vergleichsweise impulsiver, leidenschaftlicher Kämpfer, ein Soldat in
Sternenflottenuniform (eine bisher äußerst seltene Spezies, wenn man
bedenkt, dass die Sternenflotte eigentlich eine Armee sein soll), entgegen.
Nur am Rande: Es spricht für die Qualität von Star Trek, dass diese sehr
unterschiedlichen Führungspersonen optimal in die jeweiligen Szenarien
passen.
Anders als Picard ist
Sisko ein Pragmatiker, ein Befehlshaber, der seine Entscheidungen zumindest
teilweise den Notwendigkeiten der konkreten Situation unterwirft. Oberste
Priorität hat bei ihm der Schutz seiner Mannschaft, und dafür ist er bereit,
notfalls auch festgefügte ethische Grundsätze zu opfern. Fast scheint es,
als folge Sisko im Laufe der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen
während der Serie zuweilen dem Motto Ciceros: Inter arma enim silent
leges – Unter Waffen schweigen die Gesetze, ein Motto, das nicht nur von
Admiral Ross zitiert wird, sondern auch den Titel einer Episode darstellt.
Wie
weit Sisko bereit ist zu gehen, wird bei der "Belagerung von AR 558"
(1999) deutlich. Als der kleine Außenposten der Föderation auf einem abgelegenen
Planeten immer wieder von Jem'Hadar, den herzlosen, gezüchteten
Kampfmaschinen des Dominion –
auch hier muss der Kampf noch mit der außergewöhnlichen Ruchlosigkeit des
Feindes legitimiert werden – angegriffen wird, ist Sisko jedes Mittel recht,
um das Überleben seiner schrumpfenden Kampfeinheit zu sichern. Nachdem es
Dax gemeinsam mit einem Ingenieur gelingt, die tückischen und von den
Soldaten der Sternenflotte verurteilten getarnten Landminen der Jem'Hadar zu
lokalisieren und zu entschärfen, entscheidet Sisko, die Minen gegen den
Feind einzusetzen. Das ist starker Tobak für eine Serie, die in einer
eindeutig idealistischen, ja pazifistischen Tradition steht. Und das im Jahr
1999, das gleiche Jahr,
in dem die "Ottawa-Konvention" der UNO zur Ächtung und zum Verbot von
Landminen in Kraft trat!
Ist Sisko ein Verbrecher,
DS9 durch den allgegenwärtigen Kriegsplot völlig aus dem Ruder gelaufen und
plötzlich auf den militaristischen Grundzug vieler Science Fiction-Produkte
aufgesprungen? Ein solches Urteil macht es sich zu leicht. Nicht nur, dass
Siskos Entscheidung auf heftige Gegenwehr unter seinen Offizieren
(insbesondere bei Dax) stößt, sie ist auch in gewisser Hinsicht moralisch.
Um in diesem Punkt den Unterschied zwischen TNG und DS9 auch begrifflich
festzuklopfen, habe ich mir erlaubt, unter den vielen Definitionen, die Wikipedia zu
"Moral" anbietet, relativ willkürlich die auszusuchen, die den Kernpunkt
meiner Analyse trifft. Demnach ist moralisches Verhalten vor allem durch die
Absichten bestimmt. Moralisch handelt, wer damit gute Absichten verfolgt.
Somit ist Sisko ein pragmatischer Moralist, der in der Absicht, das Leben
der ihm anvertrauten Soldaten in einem Krieg gegen einen gewissenlosen,
brutalen Feind zu schützen, auch vor extremen Maßnahmen nicht
zurückschreckt. Anders als noch bei TNG liegt hier die Einteilung von
richtig und falsch keineswegs auf der Hand. Wäre es richtig oder richtiger,
seine Soldaten einem ethischen Grundsatz zu opfern? Ist es auf der
anderen Seite richtig, ethische Grundsätze für das eigene Überleben (und das
seiner Untergebenen) zu opfern? Picard und seinen Offizieren blieben solche
Entscheidungen glücklicherweise erspart.
Die
Kunst ist der Spagat, den DS9 hier zu leisten im Stande ist. Das Ideal ist
hart umkämpft, droht in einigen Episoden wie der "Belagerung von AR 558" gar
zu kippen, doch kann es am Ende angeknackst, aber intakt erhalten bleiben. Denn
letztlich zieht die Serie noch immer klare Grenzen. Auch wenn Agent Sloan
von der geheimen Sektion 31 genau diese Argumentation bei Dr. Bashir
anbringt, nämlich dass zum Schutz der Idealisten alle Mittel erlaubt seien,
erntet er für seinen geplanten Völkermord an den Gründern, den Anführern des
Dominion, keinerlei Zustimmung – nicht vom Zuschauer und schon gar nicht
von den Offizieren der Sternenflotte. Erst einige Jahre später sollte sich
mit
Battlestar Galactica eine Science Fiction-Serie trauen, auch dieses Tabu
in Frage zu stellen.
Gewissensbisse statt öffentlicher
Verhandlung
Keine
DS9-Folge verdeutlicht den Unterschied zum Umgang mit Ethik und Moral bei
TNG so eindrucksvoll wie "In Fahlem Mondlicht" (1998), ein Glanzstück der
Science-Fiction-Unterhaltung. Im Zentrum der Episode steht wieder einmal die
uralte Frage nach der Rechtfertigung extremer Maßnahmen durch einen guten
Zweck. Sisko selbst benutzt das bekannte Bild vom Weg zur Hölle, der mit
guten Absichten gepflastert sei. Das Außergewöhnliche an dieser Episode ist
die Art, wie diese Hölle beschaffen ist.
Als Sisko mal wieder eine
Verlustliste vorgelegt bekommt und seine Freunde über den Tod von Bekannten
im Krieg gegen das Dominion trauern sieht, fasst er den Entschluss, dass die
Romulaner unbedingt für den Kampf gewonnen werden müssen. Denn ihre
wohlwollende Neutralität dem Dominion gegenüber kostet vielen Menschen und
Aliierten das Leben.
Da die Romulaner sich
jedoch nicht einfach überzeugen lassen, gerät Sisko unter Beeinflussung
durch den cardassianischen Spion Garak unter Druck, die Grenzen der
Legalität zu überschreiten. Er lügt und betrügt, besticht
Sternenflottenoffiziere und deckt die Straftaten eines Kriminellen.
Schließlich ist er sogar mitverantwortlich für den Mord an einem
romulanischen Botschafter. Ein klassischer Handlungsverlauf, doch mit einem
ungewöhnlichen Ende: Sisko hat Erfolg mit dem, was er tut. Die Romulaner
werden in den Krieg hineingezogen und ermöglichen der Allianz erstmals, in
die Offensive zu gehen. In gespielter Begeisterung hebt Sisko allein in
seinem Quartier sein Glas zum Toast und verkündet: "Dies ist ein großer Sieg
für die Guten. Womöglich ist dies sogar der Wendepunkt des gesamten
Krieges", um dann beschämt in sich zusammenzusinken. Denn anders als in
vielen anderen Bearbeitungen dieses klassischen Konflikts hat Sisko
keinerlei Konsequenzen für sein unethisches Verhalten zu tragen. Es gibt
kein Ermittlungsverfahren, keine Vorwürfe von Freunden, nicht einmal der
obligatorische Eintrag in die Personalakte, der bei Star Trek immer wieder
als eine Art Generalablass zum Tragen kommt. Der einzige, dem gegenüber
Sisko Rechenschaft ablegen muss, ist er selbst. Nachdem er in seiner
Selbstverachtung Garak verprügelt und wegen des Todes des romulanischen
Botschafters zur
Rede gestellt hat, führt dieser treffend und voller Sarkasmus aus: "Deswegen
sind sie doch zu mir gekommen, nicht wahr, Captain? Weil sie wussten, dass
ich die Dinge tun kann, die sie nicht tun können". Siskos Versuche, sich zu
verteidigen, sind halbherzig und unglaubwürdig. Garak hat für diese
Gewissensbisse kein Verständnis, weswegen er dem Captain zynisch entgegnet:
"Sie haben vielleicht den gesamten Alphaquadranten gerettet. Und alles, was
es kostete, war das Leben eines romulanischen Senators, eines Kriminellen
und die Selbstachtung eines Sternenflottenoffiziers. Ich weiß nicht, wie es
ihnen geht, aber ich nenne das: ein Sonderangebot".
So
wird in dem bekannten moralischen Konflikt eine neue und viel
schwerwiegendere Seite aufgezeigt. Wenn es keine sanktionierenden Instanzen
gibt, niemanden, der von außen ein Urteil auf der Grundlage fester ethischer
Normen spricht, dann ist das Individuum allein gelassen mit dem eigenen
Urteil. Damit wird mit einem zentralen Konzept von TNG gebrochen, das darin
bestand, dass die vielen innerhalb der Serie aufgeworfenen ethischen Fragen im
öffentlichen Raum und unter Berufung auf allgemein akzeptierte (und in Form
der Direktiven der Föderation sogar institutionalisierte) Normen
ausgehandelt wurden. Der Konflikt wird privatisiert und in den Einzelnen
verlegt, der weder auf Verdammung noch auf Vergebung hoffen kann, außer
durch sich selbst. Und so endet die Episode mit einem ratlosen Captain, der
versucht, sich selbst zu überzeugen: "Ich werde lernen, damit zu leben. Denn
ich kann leben damit. Ich kann leben damit."
Auf der Suche nach dem Ideal –
Enterprise
Jedes
kulturelle Erzeugnis reflektiert Ereignisse und Diskurse, die innerhalb der
Kultur, in der es entsteht, zum Zeitpunkt seines Entstehens von Bedeutung
sind. Bei
Enterprise ist diese zeitgenössische Referenz ohne Zweifel die
Anschlagserie in den USA am 11. September 2001. Eine aufgeklärte,
hochentwickelte, westliche Gesellschaft wurde schlagartig mit einer
Bedrohung konfrontiert, die die eigenen ethischen Überzeugungen auf die
Probe stellte, in einigen Fällen sogar ebenso zum Einsturz brachte wie die
Türme des World Trade Centers. Wie weit darf man gehen, um eine Gesellschaft
vor Terror zu schützen? Welche Maßnahmen sind moralisch noch zu
rechtfertigen, wenn das Leben von Tausenden oder gar Millionen in Gefahr
ist? Solche Fragen sind bei Enterprise von entscheidender Bedeutung.
Und dass der Bezug zur unmittelbaren Gegenwart der Entstehungszeit der Serie
auf der Hand liegt, wird nicht nur an der phonologischen Ähnlichkeit der
fiesen außerirdischen Spezies der Suliban zu den Taliban deutlich.
In der Episode "Die
Ausdehnung" (2003) wird die Menschheit mit der Ankündigung ihrer vollkommenen
Vernichtung konfrontiert. Eine Sonde einer unbekannten Spezies, der Xindi,
tritt in den Orbit ein und feuert einen Energiestrahl auf Florida, der
mehreren Millionen Menschen das Leben kostet. Mit Hilfe der Vulkanier
gelingt es der schockierten Menschheit, die Urheber des Terroranschlags
auszumachen, ein Reisender aus der Zukunft verrät das Motiv, das die Xindi
zu ihrem Tun bewegt: Sie wollen die Menschheit auslöschen, um damit ihrer
eigenen Vernichtung in einer ihnen bekannten nahenden Zukunft zu entgehen
(die genauen Umstände dieser Zukunft sind dem Zuschauer und der Besetzung
der Enterprise zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bekannt). Also wird
die Enterprise losgeschickt, um Bau und Abschuss einer Weltvernichtungswaffe
(denn die Sonde war nur ein Testlauf) zu verhindern – und das notfalls mit
allen Mitteln.
Zu
dieser eher abstrakten Motivation (Schutz vor einem vom Feind geplanten
Ereignis) gesellt sich jedoch noch ein individuelles, emotionales Motiv: Der
Chefingenieur der Enterprise, Charles Tucker, genannt Trip, ist nicht an
einer friedlichen Beilegung des Konflikts interessiert. Er sinnt auf Rache
für seine Schwester, die bei dem Anschlag ums Leben kam. Ein derart
irrationales Ansinnen ist für einen Sternenflottenoffizier zu Picards Zeiten
kaum denkbar. Zwar ließ Captain Sisko sich zu einer persönlichen Fehde mit
seinem verräterischen Sicherheitschef Eddington verleiten, doch schon dieser
Anflug von Stolz und mangelnder emotionaler Distanz ist in der rationalen
Star-Trek-Welt außergewöhnlich – und in diesem Fall stand auch nicht die
Existenz der Menschheit auf dem Spiel.
Hier zeigt sich das
ethisch-moralische Konzept von Enterprise. Die Menschen stehen gerade
erst am Anfang ihres Weges, an dessen Ende die ethische Unfehlbarkeit
Picards alles überstrahlt. Als Captain Archer und seine Besatzung sich
aufmachen, die Heimatwelt der Xindi zu finden, gibt es noch keine
Föderation, keine Oberste Direktive, keine Sternenflotte, die vielmehr
Wissenschaftler und Humanisten in Uniform als Soldaten ausbildet, und vor
allem keine Menschheit, die sich zum idealistischen Zustand des 24.
Jahrhunderts entwickeln konnte. Trips Reaktion ist zeitgenössisch, emotional
und vermutlich nah an den Empfindungen des Zuschauers, und nicht kühl und im
Abstrakten verbleibend wie man es von den Offizieren der Enterprise D
erwarten würde. Somit ist sie vor allem eins: nachvollziehbar.
Keine Ideale in Sicht
Nachvollziehbar
sind in gewissem Sinne auch die extremen Maßnahmen, zu denen Archer im Laufe
der dritten Staffel der Serie greift. Immerhin treibt ihn nichts Geringeres
als die ultimative Bedrohung, der Kampf um die Rettung der gesamten
Menschheit. Durch diese Bedrohung legitimiert, bricht die Serie fast alle
denkbaren Tabus: Archer foltert Gefangene, um an Informationen über die
Xindi zu kommen – nach den
Anschlägen vom 11. September wurde in der amerikanischen Öffentlichkeit
heftig über die Folterungen von Verdächtigen diskutiert. Dies führte im
Februar 2008 zu einem gesetzlichen Folterverbot durch den Senat, das vom
Präsidenten sogleich mit einem Veto beantwortet wurde –,
er plündert Schiffe unbeteiligter Spezies und schreckt sogar vor Mord nicht
zurück. Kurz: Archer und seine Mannen (denn es sind leider tatsächlich fast
nur Männer) machen sich die Hände schmutzig – etwas, das Picard nie getan
hat. All dies ist verständlich in Anbetracht der Gründe, die hinter Archers
Verhalten stehen. Doch gleichzeitig stellt sich irgendwann die Frage, wie
Enterprise und Enterprise D jemals zusammenkommen sollen. Denn mit Ausnahme
von Trip, der seinen persönlichen Groll am Ende überwindet, ist bei Archer
keinerlei idealistische Entwicklung festzustellen. Auch scheinen ihm seine
zweifelhaften Taten etwas zu leicht von der Hand zu gehen. Das Ziel ist die
Rettung der Menschheit. Die Mittel sind egal. Augen zu und durch. Zu selten
erfolgt eine Reflexion der eigenen Taten, zu selten sehen wir die
Gewissensbisse, die Sisko "Im Fahlen Mondlicht" in seinem Quartier
überwältigen.
Anders als Battlestar
Galactica steht Enterprise in einer Tradition, in der ethischer
Idealismus eine entscheidende Rolle gespielt hat. Mehr noch, die Serie endet
sogar mit der Gründung der Föderation, jener Föderation, auf derem Fundament
Picard 200 Jahre später thronen wird. Doch fragt man sich als Zuschauer am
Ende der letzten Episode, wann die Entwicklung zu diesem Ideal stattgefunden
hat. Dass TNG auch ethisch in Enterprise
wurzelt, ist nicht zu erkennen. Das hoffnungsvolle Versprechen von Star Trek
steht der Glaubwürdigkeit von Enterprise im Weg, von diesem
Startpunkt aus betrachtet, erscheint die Utopie unerreichbar.
Moral ohne Ideal – Ein Exkurs zu
Battlestar Galactica (BSG)
Die
Parallelen zur zwei Jahre zuvor erschienenen Star-Trek-Serie Enterprise
sind zunächst einmal auffällig. Auch BSG legitimiert den Umgang mit ethisch
brisanten Themen mit einer Bedrohung für die gesamte Menschheit, auch BSG
fußt somit auf den Erlebnissen vom 11. September 2001. Nur diesmal hat der
Anschlag schon stattgefunden. Die Menschheit ist so gut wie vernichtet,
gerade einmal 40.000 Menschen haben den Anschlag der Zylonen überstanden.
Dadurch bekommt die Agenda des Überlebens eine ganz andere Bedeutung als bei
Enterprise. Und in diesem Kampf um die nackte Existenz bricht BSG auch
noch die letzten Tabus, vor denen die schon alles andere als samtenen
Handschuhe der Enterprise-Autoren noch zurückschreckten. Folter von
Gefangenen wird nicht nur angedeutet und angedroht, sie wird auch
durchgeführt – und zwar dreckig und brutal. BSG ist vermutlich die erste
SciFi-Serie, in der eine Vergewaltigung gezeigt wird, die Vergewaltigung
einer Gefangenen durch Angehörige der Fraktion, die eigentlich die Guten
sein sollten. Immerhin werden die Verantwortlichen für diese Tat bestraft.
Jedoch nicht in Form eines Prozesses, in dem ein Urteil ausgesprochen und
somit öffentlich auf den Bruch eines ethischen Grundsatzes hingewiesen wird,
sondern durch Selbstjustiz: Der Geliebte der Verurteilten bringt den Täter
kurzerhand um.
Waren die ersten beiden
Staffeln der Serie schon hart, so setzt die dritte Staffel noch einen drauf:
Die Menschheit steht erneut vor der vollkommenen Vernichtung, nachdem sie
sich auf einem unwirtlichen Planeten niedergelassen hat, der kurz darauf von
den Zylonen besetzt wird. In dieser Situation ist die kleine
Widerstandsgruppe, bestehend aus einigen "Helden" der Serie, zu allem
bereit. Kollaborateure werden eiskalt exekutiert, Anschläge auf die Besatzer
werden durchgeführt und schließlich sehen wir etwas, das in einer
amerikanischen Serie bis dato undenkbar erschien: Ein Mitglied der
Widerstandszelle sprengt sich bei der Vereidigung der neu eingesetzten
Polizeitruppe, die aus Menschen besteht (also so etwas wie die Kapos im KZ),
selbst in die Luft. Die Guten als Selbstmordattentäter? Will die Serie etwa
Verständnis wecken für die fanatischen Selbstmörder im Nahen Osten?
Individuelle Moral im Angesicht der
Vernichtung
Fest
steht: BSG ist unbequem, denn die Serie gibt keine höhere Ethik vor. Zwar
stellt die selbst keineswegs zimperliche Präsidentin der Menschheit klar,
dass sie keine weiteren suicide bombers tolerieren werde, doch fällt
diese Entscheidung in Form eines Machtwortes und nicht als Ergebnis einer
vorangegangenen ethischen Diskussion. Einsame Entscheidungen wie diese
gehören zu den Kernpunkten bei BSG
im Umgang mit ethischen Fragen. Anders als bei Star Trek existiert
kein kollektives Ideal, und selten finden die in den einzelnen Episoden
aufgeworfenen Probleme eine Öffentlichkeit, in der über Ethik verhandelt
werden könnte. Stattdessen ist die Moral vollständig ins Individuum
verlagert. Der Einzelne entscheidet, wie weit er zu gehen bereit ist. Dass
dies an die Konzeption von DS9 erinnert, ist kein Zufall, denn Ronald D.
Moore, einer der Produzenten von BSG, war maßgeblich an der Star-Trek-Serie
beteiligt. Nach eigener Aussage wollte er mit BSG eine Serie erschaffen,
"die sich zwischen den hehren Idealen von Star Trek und dem harten
Moralpragmatismus des Militärs bewegt". Sein
Bezugspunkt ist dabei anders als bei Enterprise nicht die
hoffnungsfrohe Utopie der Zukunft, sondern die Moral der Gegenwart –
allerdings in einem Ausnahmezustand. Und das macht die Serie so authentisch.
BSG zeigt echtes Militär im Weltraum, das sich Fragen stellen muss, die der
amerikanischen Gesellschaft sehr vertraut sind. In den Worten Moores: "Was
bedeutet es, in einer unter Angriff stehenden Gesellschaft frei zu sein? Was
sind die Grenzen einer solchen Freiheit? Wer hat Recht? Wer hat Unrecht?
Unterstützt man die falsche Seite?"
Wer Recht hat und wer
Unrecht, ist bei BSG nicht einfach zu beantworten. Um dem Zuschauer die
Entscheidung weiter zu erschweren, nehmen die Autoren den Zylonen zu allem
Überfluss auch noch ihr stählernes Äußeres. Einige Modelle haben nun eine
menschliche Erscheinung. Anfangs dient dies der Infiltration, der Absicht,
gefährliche Schläfer unter die Besatzung der Galactica, die militärische
Führungsriege und sogar die Regierung zu mischen. Doch im Verlauf der Serie
wird offenbar, dass nicht nur das Äußere der Zylonen menschlich geworden
ist.
Das
macht ein eindeutiges, allgemeingültiges ethisches Urteil vollends
unmöglich. Und so begegnen uns auf der Galactica zwei Offiziere, die
unterschiedlicher kaum sein könnten und deren beider Verhalten doch
nachvollziehbar ist. Auf der einen Seite steht der Pilot Karl Agathon,
genannt Helo, der sich im Verlauf der Serie in eine Zylonin verliebt und
fortan nicht mehr in der Lage ist, Menschen und Zylonen klar in Freund und
Feind zu trennen. Das macht ihn letztlich zum moralischsten Charakter der
Serie. Er ist es, der gegen die Vergewaltigung einer Zylonin einschreitet.
Und als die Präsidentin (gegen die ethischen Bedenken des obersten Militärs
Admiral Adama) entscheidet, einen neu entdeckten Virus zur Vernichtung der
gesamten zylonischen Spezies einzusetzen, greift Helo zum Mittel der
Sabotage, um dies zu verhindern. Dass auch er nicht zimperlich ist, wenn es
um seine Überzeugungen geht, beweist die Tatsache, dass er für diese
Sabotage mehrere Zylonen ermorden muss.
Auf der anderen Seite
steht Colonel Saul Tigh. Er ist der skrupellose, teilweise sogar brutale
Pragmatiker der Serie. An ihm ist es, die Drecksarbeit zu erledigen.
Damit übernimmt er eine Rolle, die
ansonsten von denen, die sich als die Guten sehen, zum Schutz der eigenen
Ideale nicht selten "outgesourced" wird. Im Weltraum machen das
Außerirdische wie Garak
– bei uns auf der Erde das
US-Militär.
In
seiner schroffen, unwirschen Art wirkt Tigh immer wieder unsympathisch, doch
auch hier machen es die Autoren dem Zuschauer nicht leicht, ein vorschnelles
Urteil zu treffen. Denn ohne Tighs Bereitschaft, sich die Hände schmutzig zu
machen, wäre die Menschheit vermutlich schon vernichtet worden. Und er tut
diese Dinge, die getan werden müssen, keineswegs mit Freude oder gar aus
Sadismus. Im Gegenteil, Tigh ist ein bedauernswerter Charakter, ein
Alkoholiker und Raufbold aus Selbstverachtung, der aus Pflichtgefühl und
seinem Sinn für Gerechtigkeit heraus gezwungen ist, seine eigene Frau zu
töten – eine Szene, die nicht nur kaum zu ertragen ist, sondern die Tigh
auch vollends den Boden unter den Füßen wegzieht.
Ist
Helo in dieser Gegenüberstellung wirklich der Gute, so wie sein Name
Agathon, abgeleitet von der griechischen Vorsilbe Agatho- (auf
Deutsch
gut-), vermuten lässt? Und ist Saul(us), aus der Bibel als Verfolger von
Christen bekannt, der Böse?
Gut und Böse sind bei BSG
nicht klar definiert, es sind nicht die Kategorien, die bei den
ethisch-moralischen Konflikten der Serie von entscheidender Bedeutung sind.
Überraschenderweise kommt es zwischen Tigh, der sich ansonsten so ziemlich
mit jedem Besatzungsmitglied der Galactica anlegt, und Helo nie zu einer
ernsthaften Auseinandersetzung. Es hat fast den Anschein, als wären sie sich
bewusst, dass die Menschheit beides braucht: Ideale und Pragmatismus. |