
Dr.
Christoph Buggert
geboren 1937 in Swinemünde
/Insel Usedom. Studium in
Freiburg/Breisgau und
München, 1967 Promotion.
Schrieb 1959 sein erstes
Hörspiel, dem ca. 25 weitere
Hörspiele folgten, die in 16
Sprachen übersetzt wurden
und mit wichtigen nationalen
und internationalen Preisen
ausgezeichnet wurden. Seit
1972 Hörspieldramaturg am
Bayerischen Rundfunk, 1976
bis 2002 Leiter der Abteilung
Hörspiel/Produktion-Hörfunk
am Hessischen Rundfunk, für
sechs Jahre zusätzlich Leiter
der Kulturwelle hr2. Romane:
"Das Pfarrhaus - Buch der
Entzückungen" (1988),
"Lange Reise" (2002),
"Deutschlandbesuch" (2006).
Christoph Buggert lebt mit
seiner Familie in Oberursel
bei Frankfurt am Main.

Hans-Jürgen Krug.
Kleine Geschichte
des Hörspiels.
UVK, 2003. 166 S.
ISBN: 3896694243
Weitere Literatur

Hans J. Koch.
Hermann Glaser.
Ganz Ohr. Eine Kulturge-
schichte des Radios
in Deutschland.
Böhlau, 2005, 376 S.
ISBN: 3412135038
In den späten 20er und
frühen 30er Jahren nutzen
führende literarische Köpfe
– wie z.B. Alfred Döblin,
Bertolt Brecht, Friedrich
Wolf, Walter Benjamin –
das Radio für ihre
eigenen Zwecke.
Aktivierung des Hörers
als Mitspieler.
Akustische Manifest-
ationen nahezu aller
übrigen Künste (Neue
Musik, Pop und Rock,
Film, Tanz, Bühne, Perfor-
mance-Kunst, Bildende
Kunst, Internetästhetik)
werden systematisch
erforscht und für das
Radio nutzbar gemacht.
In den Anfangszeiten
des Rundfunks und dann
wieder ab 1945 ist die Rede
von Demokratisierung der
Kultur, von der besonderen
gesellschaftlichen Verant-
wortung der Radiokünstler.
Hauptsächliches Charak-
teristikum zeitgenös-
sischer Hörspielkunst ist
die Intermedialität gewor-
den. Das zeitgenössische
Hörspiel vagabundiert
durch künstlerische Hör-
welten außerhalb des
Radios und fügt sie dem
Formenkatalog des
Radios bei. |
Die
einzige Kunstgattung, die das Medium Radio in seiner 80-jährigen
Geschichte entwickelt hat, ist für die Forschung schwerer zugänglich als die
meisten anderen künstlerischen Disziplinen. Für jedes Hörspiel gibt es einen
zeitlich fixierten Ursendetermin. Wenn es gut geht, folgen eine oder zwei
Wiederholungen durch den produzierenden Sender sowie mehrere Übernahmen in
andere Sendegebiete. Danach verschwinden fünfundneunzig Prozent aller
Audiokunstwerke auf Nimmerwiedersehen in den Rundfunkarchiven.
Der neuerdings boomende
Hörbuchmarkt, der eine von Sendeterminen unabhängige Rezeption ermöglicht,
sorgt keineswegs für systematische Spiegelung der Radioprogramme.
Avantgardistische Hörwerke zum Beispiel bleiben so gut wie unberücksichtigt,
stattdessen wird Bestseller-Verdächtiges bevorzugt. Und der Klassiker-Kanon,
der sich innerhalb der Hörspielredaktionen selbst herausgebildet hat
(brauchbar für Schwerpunktprogramme oder Retrospektiven), beschränkt sich
auf 400 bis 500 Titel – aus geschätzten 100.000.
Nach wie vor machen die
Rundfunkanstalten ökonomische, organisatorische und urheberrechtliche
Vorbehalte geltend, wenn sie um Zusendung von Archivkopien gebeten werden.
Sogar der von Sender zu Sender reisende Forscher steht vor nahezu
unüberwindlichen Schwierigkeiten. Wo soll er beginnen, an welchen Kriterien
soll er sich orientieren, wenn auch die vor Ort angetroffenen Redakteure und
Archivare die von ihnen verwalteten Schätze nicht mehr kennen?
Ein Glücksfall
Es
bedurfte schon ungewöhnlicher Voraussetzungen, dass
die nunmehr vorliegende
"Kleine Geschichte des Hörspiels"
von Hans-Jürgen Krug entstehen konnte. Als freier Kritiker und
Medienjournalist ist der Autor seit vielen Jahren mit dem Hörspiel in Kontakt.
Als Mitglied wichtiger Preisjurys konnte er unabhängige Wertungen und
Standpunkte entwickeln. Akademische Lehraufträge, eine beträchtliche Zahl von
Veröffentlichungen, nicht zuletzt auch persönliche Interessen trugen dazu bei,
dass sich ein verlässlicher
Überblick über die schwer zugängliche Materie aufgebaut hat.
Bislang vorliegende
Gattungsbeschreibungen – etwa von Richard Kolb (1932), Heinz Schwitzke
(1963), Kurt Eugen Fischer (1964), Stephan B. Würffel (1978) – konnten auf
dieser Basis bis in die Hörspiel-Gegenwart fortgeführt werden. Hans-Jürgen
Krug schließt eine Lücke, die von Hörspielmachern, Wissenschaftlern und
Pädagogen seit Langem beklagt wurde.
Geschichten vom Radio
Der
Autor selbst nennt seine Studie eine "Erzählung"
(S. 10). Ohne Frage bedarf es der subjektiven Perspektive, manchmal auch der
summierenden Vereinfachung, wenn eine 80-jährige
Gattungsgeschichte auf knapp 150 Seiten verdichtet werden soll. Die Tatsache, dass
der Untersuchungsgegenstand sich in einem gänzlich neuartigen Medium entwickelt
hat, machte das Vorhaben nicht einfacher.
Wer Hörspielgeschichte
schreibt, darf die Geschichte des Radios nicht aus den Augen verlieren.
Nicht bloß ein immanenter Formenwandel hat das Hörspiel lebendig gehalten,
auch permanente rundfunktechnische und rundfunkpolitische Veränderungen
trugen dazu bei. Einflüsse also, die Wohl und Wehe der Gattung Hörspiel
allenfalls am Rande berücksichtigen.
Es zeugt von souveräner
Stoffbeherrschung, dass Hans-Jürgen Krug diesen
Sachverhalt nie vernachlässigt. Oft wird das Machtgefälle zwischen Medium
und Gattung sogar zum Motor der 'Erzählung'.
Es wirkt durchaus überzeugend, wenn der Autor mehrere Zäsuren, die er in der
Formgeschichte des Hörspiels konstatiert, mit Umwälzungen der
Produktionstechnik bzw. der Rundfunkpolitik begründet.
Technische Formensprache
Die
Anfangsphase der Gattung wird in zwei Epochen aufgeteilt. Zunächst das
experimentierfreudige Live-Spiel, das die ungewohnten medialen Möglichkeiten
neugierig, manchmal auch kindlich nutzt. Darauf folgend die späten 20er und
frühen 30er Jahre, in denen führende literarische Köpfe – wie z.B. Alfred
Döblin, Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Walter Benjamin – das Radio für Ziele
einzusetzen versuchten, die sie auch andernorts vertraten. Nach der
Unterdrückung des Hörspiels im Propaganda-Rundfunk der Nazis wurde bewusst,
teilweise sogar mit dem gleichen Personal, an diese Tradition angeknüpft.
Folgerichtig gibt Hans-Jürgen Krug seinem Kapitel II die Überschrift:
"Literarische Blütezeiten (1929 – 1968)".
Der bis heute nachwirkende
Innovationsschub des so genannten Neuen Hörspiels
der späten 60er und 70er Jahre wurde nicht zuletzt durch die Einführung der
Stereofonie verursacht, die den Radiomachern das räumliche Spiel sowie die
vielfältigen Möglichkeiten der Parallelisierung und Schichtung klanglicher
Informationen eröffnete (Collage, Montage, chorische Effekte, gleichrangiger
Einsatz von Wort/Geräusch/Musik, sprachanalytische Choreographien).
Die
daran anschließende Rückbesinnung der Hörspielmacher auf den Kontakt mit dem
Publikum sowie die Aktivierung des Hörers als Mitspieler (etwa im
Originalton-Hörspiel) stellt Hans-Jürgen Krug in Zusammenhang mit der Einführung
des dualen Rundfunksystems Anfang der 80er Jahre. Ein Gesichtspunkt, der bisher
kaum beachtet wurde, aber sofort einleuchtet. Die plötzlich auftauchende
Konkurrenz kommerzieller Rundfunkanbieter zwang dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk ein verstärktes Quotendenken auf. Auch Kulturwellen wurden davon nicht
verschont.
Schließlich hat die
Einführung digitaler Produktionstechniken
dem zeitgenössischen Hörspiel abermals einen Innovationsschub verpasst.
Eine Zäsur, die sich mit der Revolutionierung der Formensprache im Neuen
Hörspiel durchaus vergleichen lässt. Moderne
Samplertechniken ermöglichen der Radiokunst ein nomadisches Dasein:
Akustische Manifestationen nahezu aller übrigen Künste (Neue Musik, Pop und
Rock, Film, Tanz, Bühne, Performance-Kunst, Bildende Kunst,
Internetästhetik) werden systematisch erforscht und für das Radio nutzbar
gemacht.
Die anderen Stimmen
Als
ausgesprochen reizvoll empfinde ich es, dass
Hans-Jürgen Krug über weite Strecken mit dem Mittel der Zitat-Montage
arbeitet. Äußerungen von Hörspielmachern und Hörspieltheoretikern werden
geschickt in den Erzählstrom eingefügt, ohne dass
Überblick und Neutralität verloren gehen. Gegenüber schnellebigen Moden oder
Selbstbeweihräucherungen, die auch der Gattung Hörspiel nicht fremd sind,
verhält der Autor sich sympathisch resistent. Stattdessen hält er, neben der
Geschichte-der-Gattung, nahezu ununterbrochen den ernst zu nehmenden
Diskurs-über-die-Gattung präsent.
Auf diese Weise wird
beispielsweise sichtbar, dass Radiotheorien aus den
Anfangszeiten des Rundfunks sich bis in einzelne Formulierungen hinein mit
Programmzielen des Wiederbeginns nach 1945 decken. Hier wie dort ist die
Rede von Demokratisierung der Kultur, von der besonderen gesellschaftlichen
Verantwortung der Radiokünstler. Zweimal während der Radiogeschichte – wenn
auch aus gänzlich unterschiedlichen Gründen – wurden solche hehren Vorsätze
leichtfertig wieder aufgegeben.
Wichtige Signale aus dem Medienmüll
Die
Geschichte des Hörspiels ist keineswegs identisch mit der Geschichte der
Hörspiel-Avantgarde. Es ist Hans-Jürgen Krug als Verdienst anzurechnen, dass
er auch die so genannten Gebrauchsgattungen – wie z.B.
das Kinderhörspiel, den Krimi, das Dialekthörspiel, die Hörspiel-Serie – im
Blick behält. Verständlich allerdings ist, dass er auf
Innovation und radiophones Risiko das Hauptaugenmerk lenkt.
Absolut folgerichtig endet
die "Kleine
Geschichte des Hörspiels" mit einer additiven
Übersicht über die gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte der Hörspielredaktionen
der ARD. Durch immanente Formanalyse scheint zeitgenössische Hörspielkunst
nicht mehr darstellbar. Hauptsächliches Charakteristikum ist die
Intermedialität geworden. Das zeitgenössische Hörspiel vagabundiert durch
künstlerische Hörwelten außerhalb des Radios und fügt sie dem Formenkatalog
des Radios bei. Der Mut und der Ideenreichtum der Münchener Hörspielarbeit
ist in dieser Hinsicht bahnbrechend gewesen. Gerechterweise wird das nicht
verschwiegen.
In
keiner anderen Kunstgattung dürfte die Vielschichtigkeit und Zerrissenheit des
digitalen Zeitalters so authentisch abgebildet werden wie im zeitgenössischen
Hörspiel. Um so unverständlicher ist es, dass
der kulturelle Diskurs die Aktualität und Relevanz der Radiokunst nach wie
vor vernachlässigt. Hans-Jürgen Krugs
"Kleine
Geschichte des Hörspiels" wird hoffentlich dazu
beitragen, den für die gesamte Kunstszene abträglichen Zustand zu ändern.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: "IASLonline"
(Universität München):
http://iasl.uni-muenchen.de |
|