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Himmelsrichtung: unbestimmt

Jürgen Beckers "Scheunen im Gelände", ein Korrespondenzbuch, kühn auch an Rändern
des Daseins: Text
Bild und Vergangenheit Gegenwart Zukunft.

Von Tina Karolina Stauner
(15. 10. 2012)

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Tina Karolina Stauner
tkstauner [at] arcor.de

Tina Karolina Stauner
lebt in München und veröf-
fentlicht nach Ausbildung
beim Werkbund, im Theater
und in Kulturwissenschaften
als freie Autorin und Künstlerin.
Die Absolventin der Münchener
Journalistenakademie schreibt
journalistische und literarische
Texte und arbeitet als visuelle
Künstlerin in/mit mehreren
Medien. Im Bereich des
Kultur- und Musikjournalis-
mus liegen ihre Schwerpunkte
unter anderem bei Themen
wie Free Jazz, Improvisation,
experimentelle Musik, Neue
Musik, Neues Musiktheater,
Avantgarde und Songwriting.
 

Homepage
memoryvision.tumblr.com

Blog

tkstauner.blogspot.com

 


 

Jürgen Becker.
Scheunen im Gelände.
Mit Collagen von Rango
Bohne und einem Nachwort
von Michael Krüger.

Lyrik Kabinett, 2012. 108 S.
ISBN: 9783938776315
 

 

 

Linktipp

www.juergen-becker.com

   In der Reihe Lyrik Kabinett München ist im heurigen Frühjahr der Gedichtband "Scheunen im Gelände" von Jürgen Becker erschienen. Ein weißes Buch, das in Karton aus zwei Farbfeldern, blau und rot, gebunden ist. Darauf silbrigweiße Typografie.

In seinem Nachwort dazu erinnert Michael Krüger, bezogen auf Beckers Lyrik, an Hugo von Hofmannsthals Vortrag "Poesie und Leben" aus dem Jahr 1896 und dabei an dessen Satz: "Eine neue und kühne Verbindung von Worten ist das wundervollste Geschenk für die Seele."

"Scheunen im Gelände" dokumentiert autobiografisch Gefärbtes des 80-jährigen Becker, der über 40-jährige Erfahrung im Umgang mit Lyrik hat. Und die künstlerische Avantgarde der 50er Jahre mit Stockhausen, Kagel, Vostell und anderen kannte und in den 60ern zur Gruppe 47 eingeladen wurde. Becker war auch zeitweilig Lektor, Verlags- und Hörspielleiter.

   Hinsichtlich der Bedeutung der Vergangenheit hält Becker das Schreiben für einen "archäologischen" Vorgang. Es gehe darum, verschüttete Erinnerungen hervorzuholen. Eigene und beim Leser. Eine der Stärken dieses Lyrikers beschreibt Krüger aber so: Seine Gedichte "bleiben über die Zeit hinweg offen". Genau in der Fähigkeit, im Bewusstseinsvorgang Schreiben eine Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen und zu präsentieren, liegt eine Qualität.

Die Gedichte in dem Buch sind inspiriert und ergänzt durch Collagen von Rango Bohne, Beckers Ehefrau. Man kann es ein Korrespondenz-Buch nennen. Becker schätzt die Impulse, die aus Bohnes visueller Arbeit kommen. In ihren Bildern entstehe ein unmittelbarer, authentischer Ausdruck, der nichts mit der vorgefundenen Bilderwelt zu tun habe, "vergleichbar mit meinem Arbeiten", so teilt Becker dem Neuen Evangelischen Kirchenverband Köln kürzlich anlässlich einer Lesung und Ausstellung in der Trinitatiskirche im Gespräch mit.

   Dass es den Wert der Natur gibt. Einer unzerstörten Natur. Klar zu spüren in den Gedichten von "Scheunen im Gelände". Aber auch, dass dies wenig selbstverständlich sein kann und ist, dass man möglichst präzise darauf aufmerksam machen muss.

Auch dass diese Naturerfahrung eine Grenzerfahrung ist oder werden kann in gefährdetem Terrain und Leben, das angreifbar ist und angegriffen ist. So wirken auch die Collagen von Rango Bohne, die mit den Gedichten korrespondieren. Bilder, die Naturstücke sind. Realismus, in dem man dann aber verschobene Teilstücke wahrnimmt. Nicht zusammenstimmende Kanten, plötzliche, leichte oder starke Farbbrüche. Gerade noch im Stimmigen. Aber eben keine Spur romantisch, sondern poetisch gebrochen.

   Ohne Brüche ist auch bei Becker nichts. Manche Figuren in den Gedichten leben damit, manchen gelingt dies nicht. Menschen, in deren Natur etwas eingedrungen ist, das bis an die Grenzen des Ertragbaren strapaziert. Auch bis zu einem worst case, wie etwa Krieg, und danach ganz am Leben scheitern. Oder in der Kunst mit allem umgehen.

Ironisch Gebrochenes meint Becker nicht. Kein "naturgemäß" in einem Thomas Bernhardschen Sinn. Sondern Klarheit, Ruhe, Reinheit, in der der Mensch noch natürlich oder ungeblendet eine Chance haben sollte. Sollte. Denn Beckers Gedichte handeln davon, dass eben genau dies nicht selbstverständlich oder unmöglich ist.

"Der rasanten Veränderung der Welt hält Becker trotzig sein stilles Bild der Welt entgegen", ergänzt Krüger.


Auszüge

Was man liegen läßt, im Vorbeigehen, später
stellt sich heraus
es war ein Versäumnis, vielleicht.
Sicher kann man sich nie sein,
auch wenn Zivilisten aussehen wie Zivilisten ...
(Umleitung Soltau-Ost)

[...]

weiße Flächen berühren den Waldrand
dahinter beginnt wovon man nichts weiß
unbestimmt bleibt auch die Himmelsrichtung
die Herkunft dessen was ankommen wird
spät vielleicht plötzlich
es kann still bleiben wie nie zuvor
(was und wann)

[...]

Nach ihrer Zeit mit den Surrealisten
ging Lee Miller als Kriegsphotografin
für Vogue an die Front. Sie ließ sich
in München photografieren, als sie
in Hitlers Badewanne ein Bad nahm,
kurz nach ihrem Besuch in Dachau.
(History)

[...]

Der Waldrand steht still.
Still liegen die Felder.
So sieht es aus.
So kann man es sagen.
(Eine Zeit ohne Skrupel)

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