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Hannibal Lecter als Opfer
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Der aus Bulgarien stammende Schriftsteller Dimitré Dinev wendet
sich in seinem neuen Stück dem Sagenkreis um Minotaurus zu;
Niklaus Helbling führt Regie. (Akademietheater Wien)

Von Kristina Werndl
(01. 07. 2007)

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Kristina Werndl
...
kristina.werndl [at] gmail.com

ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.



(c) Reinhard Werner



(c) Reinhard Werner



(c) Brasch/Deuticke

Dimitré Dinev

Mit seinem Roman
"Engelszungen" und dem
Erzählband "Ein Licht über
dem Kopf" hat sich der 1990
aus Bulgarien nach Wien
geflohene Dimitré Dinev in den
letzten Jahren als einer der
interessantesten jüngeren
österreichischen Autoren weit-
hin bemerkbar gemacht. Neben
seiner erzählerischen Prosa,
in der "heimat- und hauslose
Neueuropäer an den Toren des
alten Europas einen Karneval
der Blessuren und Torturen
veranstalten"
(FAZ), schreibt
Dinev seit einiger Zeit auch für
das Theater. "Das Haus des
Richters" entstand als
Auftragsarbeit für das
Burgtheater.

Linktipp

www.burgtheater.at

Aurora-Links

"
Haut und Himmel"
Ein Stück von Dimitré Dinev  (Rabenhof Theater Wien).

Weitere
Theaterbesprechungen

   Das Stück beginnt berückend. In einem annähernd leeren Raum sieht man den König mit zwei Baumeistern verhandeln. Ein goldenes Grab, ein perfektes Gefängnis soll entstehen, das den Insassen das Gefangensein vergessen lässt, denn: Niemand Gewöhnlicher soll dem Blick der Familie entzogen werden, sondern das eigene Kind. Die Rede ist vom Sohn des König Minos bzw. hier: des Richters, der auch im antiken Mythos nicht durch biologische, sondern schicksalhafte Bande an seinem Vater gebunden ist.

Minos hatte sich von Poseidon ein Opfertier gewünscht, und ein weißer Stier war aus den Fluten gestiegen. Da Minos seinem Versprechen aber nicht nachkam, ließ Poseidon Minos’ Frau Pasiphaë in Liebe zu dem Stier entbrennen. Daidalos, der geschickteste Handwerker und geniale Künstler, zimmerte Pasiphaë ein Kuhgestell, worin sich diese von Taurus, einem Stier, befruchten ließ. Die Frucht dieser Begegnung war Minotaurus, der als archaisches Mischwesen – Menschenkörper mit Stierkopf – in die (Bild-)Geschichte der Menschheit eingegangen ist.

   Im "Haus des Richters" ist Minotaurus, der von den anderen weggesperrt wird und hinter einer Hannibal-Lecter-Maske sein Dasein fristen muss, eine ständige Erinnerung an ungelöste familiäre Konflikte. Sehr schnell wird klar: Die eigentlich Gefährlichen sind die anderen. Seine Maske schützt sie vor seiner Normalität. Problematisch ist der ob seiner Gerechtigkeit gerühmte Richter, der die Arroganz des Mächtigen hinter einer jovialen, konzilianten Geste gegenüber dem Proletariat versteckt. Michael König spielt ihn sehr glaubwürdig, und auch Barbara Petritsch als unbefriedigte, im falschen Lebensentwurf gefangene Gattin gewinnt ihrer Figur eine in den besten Momenten erschreckend skurrile Komik ab.

Dinev bleibt sehr nahe am mythischen Gerüst. Seine postpubertären drei Schwestern, Königskinder namens Ada (Ariadne – gespielt von Alexandra Henkel), Phädi (Mareike Sedl) und Xeni (Nicola Kirsch), verfallen Theseus (sehr gut: Dietmar König), der bei Dinev als Dieb und Verlobter wie erhofft gegen Tischsitten und die bleierne Monotonie des Familienalltags verstößt; Ada wird mit ihm fortziehen, aber – wie man weiß – auf Naxos oder anderswo sitzen gelassen.

   Dinev überführt den an Brüchen reichen antiken Mythos in die logische Form einer Story. Diese Stringenz, zusammen mit einer surreale Würze verleihenden Musik (Imre Bozoki-Lichtenberger) und einem faszinierenden Bühnenbild – ständig sich und die Verhältnisse verrückende Einrichtungsgegenstände und Raumteiler (Dirk Thiele) – sorgen für einen gehörigen Spannungspegel. Hinzu kommt die beindruckende schauspielerische Leistung zuvorderst von Martin Reinke als Baumeister (Daidalos). Schon im antiken Mythos ist Daidalos ein Gastarbeiter mit einem dunklen Fleck in seiner Vergangenheit, bei Dinev nun ist er ein Flüchtling aus dem Balkan, der den Machthabern mit Ziegeln und Mörtel ihre künstlichen Paradiese schafft. Er ist die heimliche Hauptfigur im "Haus des Richters"; allein das Haus – das Gefängnis, das Labyrinth – kann ihm in dieser Hinsicht Konkurrenz machen. Es führt ein magisches Eigenleben, verschluckt Personen, spuckt sie wieder aus, hebt die Zeit, die Chronologie auf, lässt Erlebtes ansichtig werden – und ist vielleicht doch nur der Ort, an dem die Betretenden die Wahrheit suchen und auch zulassen.

Im Gegensatz zu Dinevs Vorgängerstück "Haut und Himmel", das eine unbekömmliche, disneyfizierte Version von Schlachtfeldromantik hervorbrachte, ist das Haus des Richters von den Dialogen und seiner Stoßrichtung sehr gelungen und auf eine österreichische politische Wirklichkeit hin lesbar. 

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