Kristina Werndl
...kristina.werndl
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ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.

(c) Reinhard Werner

(c) Reinhard Werner

(c) Brasch/Deuticke
Dimitré Dinev
Mit seinem Roman
"Engelszungen" und dem
Erzählband "Ein Licht über
dem Kopf" hat sich der 1990
aus Bulgarien nach Wien
geflohene Dimitré Dinev in den
letzten Jahren als einer der
interessantesten jüngeren
österreichischen Autoren weit-
hin bemerkbar gemacht. Neben
seiner erzählerischen Prosa,
in der "heimat- und hauslose
Neueuropäer an den Toren des
alten Europas einen Karneval
der Blessuren und Torturen
veranstalten" (FAZ), schreibt
Dinev seit einiger Zeit auch für
das Theater. "Das Haus des
Richters" entstand als
Auftragsarbeit für das
Burgtheater.
Linktipp
www.burgtheater.at
Aurora-Links
"Haut
und Himmel"
Ein Stück von Dimitré Dinev (Rabenhof
Theater
Wien).
Weitere
Theaterbesprechungen
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Das
Stück beginnt berückend. In einem annähernd leeren Raum sieht man den König
mit zwei Baumeistern verhandeln. Ein goldenes Grab, ein perfektes Gefängnis
soll entstehen, das den Insassen das Gefangensein vergessen lässt, denn:
Niemand Gewöhnlicher soll dem Blick der Familie entzogen werden, sondern das
eigene Kind. Die Rede ist vom Sohn des König Minos bzw. hier: des Richters,
der auch im antiken Mythos nicht durch biologische, sondern schicksalhafte
Bande an seinem Vater gebunden ist.
Minos hatte sich von
Poseidon ein Opfertier gewünscht, und ein weißer Stier war aus den Fluten
gestiegen. Da Minos seinem Versprechen aber nicht nachkam, ließ Poseidon
Minos’ Frau Pasiphaë in Liebe zu dem Stier entbrennen. Daidalos, der
geschickteste Handwerker und geniale Künstler, zimmerte Pasiphaë ein
Kuhgestell, worin sich diese von Taurus, einem Stier, befruchten ließ. Die
Frucht dieser Begegnung war Minotaurus, der als archaisches Mischwesen –
Menschenkörper mit Stierkopf – in die (Bild-)Geschichte der Menschheit
eingegangen ist.
Im
"Haus des Richters" ist Minotaurus, der von den
anderen weggesperrt wird und hinter einer Hannibal-Lecter-Maske sein Dasein
fristen muss, eine ständige Erinnerung an ungelöste familiäre Konflikte.
Sehr schnell wird klar: Die eigentlich Gefährlichen sind die anderen. Seine
Maske schützt sie vor seiner Normalität. Problematisch ist der ob seiner
Gerechtigkeit gerühmte Richter, der die Arroganz des Mächtigen hinter einer
jovialen, konzilianten Geste gegenüber dem Proletariat versteckt. Michael
König spielt ihn sehr glaubwürdig, und auch Barbara Petritsch als
unbefriedigte, im falschen Lebensentwurf gefangene Gattin gewinnt ihrer
Figur eine in den besten Momenten erschreckend skurrile Komik ab.
Dinev bleibt sehr nahe am
mythischen Gerüst. Seine postpubertären drei Schwestern, Königskinder namens
Ada (Ariadne – gespielt von Alexandra Henkel), Phädi (Mareike Sedl) und Xeni
(Nicola Kirsch), verfallen Theseus (sehr gut: Dietmar König), der bei Dinev
als Dieb und Verlobter wie erhofft gegen Tischsitten und die
bleierne Monotonie des Familienalltags verstößt; Ada wird mit ihm
fortziehen, aber – wie man weiß – auf Naxos oder anderswo sitzen gelassen.
Dinev
überführt den an Brüchen reichen antiken Mythos in die logische Form einer
Story. Diese Stringenz, zusammen mit einer surreale Würze verleihenden Musik
(Imre Bozoki-Lichtenberger) und einem faszinierenden Bühnenbild – ständig
sich und die Verhältnisse verrückende Einrichtungsgegenstände und Raumteiler
(Dirk Thiele) – sorgen für einen gehörigen Spannungspegel. Hinzu kommt die
beindruckende schauspielerische Leistung zuvorderst von Martin Reinke als
Baumeister (Daidalos). Schon im antiken Mythos ist Daidalos ein Gastarbeiter
mit einem dunklen Fleck in seiner Vergangenheit, bei Dinev nun ist er ein
Flüchtling aus dem Balkan, der den Machthabern mit Ziegeln und Mörtel ihre
künstlichen Paradiese schafft. Er ist die heimliche Hauptfigur im
"Haus des Richters"; allein das Haus – das Gefängnis,
das Labyrinth – kann ihm in dieser Hinsicht Konkurrenz machen. Es führt ein
magisches Eigenleben, verschluckt Personen, spuckt sie wieder aus, hebt die
Zeit, die Chronologie auf, lässt Erlebtes ansichtig werden –
und ist vielleicht doch nur der Ort, an dem die Betretenden die Wahrheit
suchen und auch zulassen.
Im Gegensatz zu Dinevs Vorgängerstück
"Haut
und Himmel", das eine unbekömmliche, disneyfizierte Version von
Schlachtfeldromantik hervorbrachte, ist das Haus des Richters von den
Dialogen und seiner Stoßrichtung sehr gelungen und auf eine österreichische
politische Wirklichkeit hin lesbar.
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