
Kristina
Werndl
kristina.werndl [at] gmail.com
ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.
Machfus' Erzählungen berücken durch ihre
souveräne Bauart,
ihren heiteren, humor-
vollen Ton und über-
raschende Ausgänge.

Nagib Machfus.
Die himmlische Begegnung.
Ausgewählte Erzählungen.
Unionsverlag, 2010, 186 S.
ISBN: 3293004210
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"Meine
Liebe gilt den Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo,
sondern der Gassen der ganzen Welt." Dieser Satz charakterisiert das
umfangreiche Gesamtwerk von Nagib Machfus. Der Sohn aus einer einfachen
ägyptischen Beamtenfamilie schrieb über die Schwächen, Marotten, Sehnsüchte
und Ängste des kleinen Volkes. Er gilt als "Vater des Romans" im arabischen
Sprachraum, wo diese Gattung erst 1914 in Erscheinung trat.
Die im vorliegenden Band
versammelten Erzählungen von Machfus aus verschiedenen Schaffensperioden
sind nach ihrer Entstehungszeit geordnet. Sie ermöglichen im Abgleich mit
Machfus' Biographie interessante Rückschlüsse auf seine
Wahrnehmung von Ägyptens Politik und Gesellschaft. Zwar sind die Erzählungen
im Biographischen und Regionalen verwurzelt, doch lösen sie sich aus diesen
engen Banden und liefern eine relevante Stellungnahme zum Kampf der Menschen
gegen Autoritäten, Bürokratie und soziale Zwänge. Die Erzählungen berücken
durch ihre souveräne Bauart, ihren heiteren, humorvollen Ton und
überraschende Ausgänge. Exotik entsteht allenfalls durch fremdartige
Sprachbilder. Aufregend sind die bedrohlich-surrealen Parabeln über die
Gefährdung des Individuums durch staatliche Repression.
Der
sorgsam edierte und übersetzte Sammelband mit Erzählungen aus drei
Jahrzehnten bietet Gelegenheit, die zeitlose Literatur des 2006 94-jährig
verstorbenen "Pharao der Literatur" (Die Zeit) für sich zu entdecken.
Textprobe:
"Mitten im Südflügel des
Parks befand sich ein Pavillon aus Baumwurzeln, er hatte die Form einer
Pyramide und war rings von Jasmin umgeben. In diesem Pavillon wartete ein
Mann, ein Mann in den besten Jahren und von schlanker Figur. Obschon sein
Haar weiß schimmerte, verrieten seine Gesichtszüge noch immer jugendliche
Frische. Er sah auf seine Armbanduhr und blickte dann in den weiträumigen
Park. Durch die Jasminzweige traf ein goldener Strahl der langsam über dem
Nil sich neigenden Sonne auf sein Gesicht. Da tauchte das junge Mädchen auf.
Über das Mosaik des Hauptweges kam es an den Pavillon heran. Als es durch
den niedrigen Eingang eintrat, bückte es sich etwas. Es ging auf den Mann
zu, braunhäutig und mit grünen Augen. Sie gaben einander die Hand. Dann
sagte sie sanft und um Verzeihung bittend:
"Ich schäme mich."
Der Mann
beruhigte sie freundlich: "Ich freue mich, dass Sie gekommen sind."
"Ich
habe nicht das Recht, Ihnen die Zeit zu stehlen."
"Es ist keine verlorene Zeit, die man für ein ernsthaftes Gespräch
opfert."
(Aus:
"Anbar Lulu", in: Nagib Machfus. Die himmlische Begegnung,
S. 85.)
Zuerst erschienen in den
Bibliotheksnachrichten. |
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