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Nagib Machfus: Die himmlische Begegnung
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Erzählungen aus vier Jahrzehnten vom Literaturnobelpreisträger aus Kairo.

Kristina Werndl
(12. 11. 2010)

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Kristina Werndl
kristina.werndl [at] gmail.com

ist Redakteurin des
Aurora-Magazins.

 

 

Machfus' Erzählungen berücken durch ihre
souveräne Bauart,
ihren heiteren, humor-
vollen Ton und über-
raschende Ausgänge.


 

 

Nagib Machfus.
Die himmlische Begegnung.
Ausgewählte Erzählungen.

Unionsverlag, 2010, 186 S.
ISBN:
3293004210

 

   "Meine Liebe gilt den Bewohnern der Gassen. Nicht nur der alten Gassen von Kairo, sondern der Gassen der ganzen Welt." Dieser Satz charakterisiert das umfangreiche Gesamtwerk von Nagib Machfus. Der Sohn aus einer einfachen ägyptischen Beamtenfamilie schrieb über die Schwächen, Marotten, Sehnsüchte und Ängste des kleinen Volkes. Er gilt als "Vater des Romans" im arabischen Sprachraum, wo diese Gattung erst 1914 in Erscheinung trat.

Die im vorliegenden Band versammelten Erzählungen von Machfus aus verschiedenen Schaffensperioden sind nach ihrer Entstehungszeit geordnet. Sie ermöglichen im Abgleich mit Machfus' Biographie interessante Rückschlüsse auf seine Wahrnehmung von Ägyptens Politik und Gesellschaft. Zwar sind die Erzählungen im Biographischen und Regionalen verwurzelt, doch lösen sie sich aus diesen engen Banden und liefern eine relevante Stellungnahme zum Kampf der Menschen gegen Autoritäten, Bürokratie und soziale Zwänge. Die Erzählungen berücken durch ihre souveräne Bauart, ihren heiteren, humorvollen Ton und überraschende Ausgänge. Exotik entsteht allenfalls durch fremdartige Sprachbilder. Aufregend sind die bedrohlich-surrealen Parabeln über die Gefährdung des Individuums durch staatliche Repression.

   Der sorgsam edierte und übersetzte Sammelband mit Erzählungen aus drei Jahrzehnten bietet Gelegenheit, die zeitlose Literatur des 2006 94-jährig verstorbenen "Pharao der Literatur" (Die Zeit) für sich zu entdecken.
 

Textprobe:

"Mitten im Südflügel des Parks befand sich ein Pavillon aus Baumwurzeln, er hatte die Form einer Pyramide und war rings von Jasmin umgeben. In diesem Pavillon wartete ein Mann, ein Mann in den besten Jahren und von schlanker Figur. Obschon sein Haar weiß schimmerte, verrieten seine Gesichtszüge noch immer jugendliche Frische. Er sah auf seine Armbanduhr und blickte dann in den weiträumigen Park. Durch die Jasminzweige traf ein goldener Strahl der langsam über dem Nil sich neigenden Sonne auf sein Gesicht. Da tauchte das junge Mädchen auf. Über das Mosaik des Hauptweges kam es an den Pavillon heran. Als es durch den niedrigen Eingang eintrat, bückte es sich etwas. Es ging auf den Mann zu, braunhäutig und mit grünen Augen. Sie gaben einander die Hand. Dann sagte sie sanft und um Verzeihung bittend:

"Ich schäme mich."
Der Mann beruhigte sie freundlich: "Ich freue mich, dass Sie gekommen sind."
"Ich habe nicht das Recht, Ihnen die Zeit zu stehlen."
"Es ist keine verlorene Zeit, die man für ein ernsthaftes Gespräch opfert."

(Aus: "Anbar Lulu", in: Nagib Machfus. Die himmlische Begegnung,
S. 85.)


Zuerst erschienen in den Bibliotheksnachrichten.

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