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Einströmendes Unendlichkeitsgefühl
...

Der Oberösterreicher Walter Pilar ist vom Salzkammergut nach
Südböhmen,
Litauen und Kreta aufgebrochen: Herausgekommen sind ein Buch voll langer Taxi- und
Zugfahrten, Zeitsprünge hinter und vor den eisernen Vorhang, ein Gefängnisaufenthalt, erste
oder wiederaufgenommene Kontakte, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und schließlich
die Heimkehr ins immer wieder "zwangsnormale Österreich".

Von Reinhard Winkler
(18. 08. 2012)

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Reinhard Winkler
winkler.hawelka [at] aon.at

geboren 1965, Studium der
Germanistik und Geschichte
in Salzburg. Lebt und arbeitet
als Pressefotograf in Linz.
Freier Mitarbeiter der Ober-
österreichischen Nachrichten
und des Spotz-Magazins. Redaktionsmitglied der
Aurora.

 

 

 
(c) Reinhard Winkler

Walter Pilar,
geb. 1948 in Ebensee
(OÖ), lebt als Schriftsteller,
Grafiker, "KunstWand-
werker & Rauminstallatör"
in Linz. Seit 1968 zahlreiche
Lesungen, Aktionen &
Ausstellungen. Einträge in
Gipfelbücher, Beiträge in in-
und ausländischen Kultur-
zeitschriften & Anthologien.
Er erhielt u. a. den oö. Landeskulturpreis für
Literatur.


 

 Walter Pilar:
In Krumau & anderswo:
Achsen des Augenblicks.

Ritter, 2007, 192 S.
ISBN: 9783854153740

   Der Augenblick, die Epiphanie, die Erscheinung:

"Irgendwo nach Kefermarkt fährt ein Behinderter im Rollstuhl an den Zug heran, stemmt sich hoch & schwingt seinen verkürzten Körper auf den Waggonauftritt, während zwei ältere Leute den Rollstuhl zusammenklappen & ihn der aus dem Gepäckwagen herausragenden Hand entgegenstrecken."

Augenblicke beziehen sich zunächst auf ein äußeres Erscheinungsbild. Augenblicke sind keine Erkenntnisform, sie passen in kein hermeneutisches Regelwerk, sie bewegen sich nicht von Außen nach Innen, suchen keinen Bedeutungskern für die Symptomatik der Alltagsgestik. Ihr Ursprung und ihr Austragungsort ist die Spielform reiner Äußerlichkeit.

   Pilar registriert Oberflächen. Was er in einem bestimmten, konzentrierten Moment wahrnimmt, nimmt in kleinen Erlebnisaufsätzen, Essays, Gedichten, Miniaturen und nicht zuletzt Zeichnungen Umrisse an. In diesem Transkribieren wird die Epiphanie als wahrgenommener Moment Erscheinung, Vision: Melancholisch-elegische Gestimmtheiten stellen sich ein,

"... wenn das, als unbeschreibbar geltende, unendlichkeitsgefühl mit sanftmütigem wohlwollen einströmt & alles in dir zu tönen scheint: nicht nur weil du dich selbst verzückst & schließlich irritiert dabeibist, wie ein solches irritandum nur in seltenen augenblicken aufkommt; ein anderer zustand, der durch besondere ereignisse hervorgerufen wurde & nun zu steigerungen neigt? Ein irritandum insofern, weil sonst ja das kognitive, alltags- & damit überlebensbezogene henkeln und tadeln dominiert."

Seine Erlebnisse auf Reisen durchs Südböhmische, nach Litauen, Kreta, ins Salzkammergut, seine Zeitsprünge hinter und vor den eisernen Vorhang, seine Besichtigungen, sein Gefängnisaufenthalt, Flüge, Taxi- und Zugfahrten, erste oder wiederaufgenommene Kontakte, Besuche, Gespräche und Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, schließlich seine Heimreisen ins immer wieder "zwangsnormale Österreich" alles rundet sich, "um sich schließlich zum Exorbitanten zu steigern".

   Achsen des Augenblicks: In die horizontale Ebene des Sehens ritzt Pilar vertikale Wahrnehmungskerben aus Erinnerungen und Erwartungen. Oder, mit anderen Unbekannten, aber im selben Koordinatensystem gedacht: Auf der Horizontalen seines grundsätzlichen Einverständnisses mit der Welt leuchten Pilars Idiosynkrasien wie Wahrnehmungswiderhaken. Pilar, das schreibende und zeichnende Ich, das nichts von der Stelle bewegen muss, sich keine Zusammenhänge aufbürdet, schrittweise nach vorn geht oder springt, unterbricht, alles berührt und wieder lässt.

Und dennoch hat In Krumau & anderswo: Achsen des Augenblicks etwas Imperatives. Durch Pilars Beschreibungen, sein Interesse für die sang- und klanglose Wirklichkeit, für das Vertraute, für Unverständlichkeiten und Eigenheiten entsteht im Leser ein Zwang, der einen dazu bringt, die Welt beiläufig so und nicht anders zu sehen.

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