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Zündende Gemische
...

Was man mit Sprache alles anstellen kann. Die Oberösterreichische
Schriftstellerin
Adelheid Dahimène ("Indie Underground") konstruiert in ihrer Lesereihe
"
Experiment Literatur" einen Abend wie einen Viertaktmotor: "Ein Viertaktmotor ist
ein Hubkolbenmotor, der den Kreisprozess in vier Takten bewältigt.
Diese vier Takte nennt man auch Animation".

Von Reinhard Winkler
(07. 06. 2008)

...



Reinhard Winkler
winkler.hawelka [at] aon.at

geboren 1965, Studium der
Germanistik und Geschichte
in Salzburg. Lebt und arbeitet
als Pressefotograf in Linz.
Freier Mitarbeiter der Ober-
österreichischen Nachrichten
und des Spotz-Magazins. Redaktionsmitglied der
Aurora.




"Experiment Literatur"
(Alter Schlosshof Wels,
20. 2. 2008)

 



Yvonne Giedenbacher
,
geb.
1976 in Wels. Studierte
Publizistik und Sinologie.
2006 gewann sie den FM4-
Literaturpreis "wortlaut". Sie
publiziert
Texte in Literatur-
zeitschriften und Anthologien.
Giedenbacher lebt in Wien
und ist derzeit Studentin der
Kunstgeschichte an der
Uni Wien.
 



Stefan Rois
,
Jahrgang 1983, in Linz
lebend. Schriftsteller,
Journalist, Musiker und SpokenWordCorpus
(remember "Tumido&Stefan
Rois"), Student der Philo-
sophie und Kunstwissenschaft.
Zwei Bücher: "Die Kinder
fressen ihre Revolution",
Plauen 2003, Lyrik/ "KAOS –
Die Widersacher des leeren
Moments", Bückeburg 2004,
Experimentalprosa. 2007
erhielt er die Talentförder-
u
ngsprämie des Landes OÖ.




Doris Mitterbacher
,
sprich: Mieze Medusa
ist eine fixe Größe in der
österreichischen HipHop- und
Poetry-Slam-Szene und
Mitglied des
backlab-
Kollektivs. 2007 gewann sie
gemeinsam mit tenderboy
den Protestsongcontest.
Textveröffentlichungen u.a.:
"
Dem Wind nach" in DUM –
das ultimative Magazin
, 43/
2007. "Sushiträume" in
&radieschen, 1/2007.
"
Schusseliges" (als Mieze
Medusa) in Auf – Eine
Frauenzeitschrift
, 135/2007.
Geboren wurde sie 1975 in
Schwetzingen, BRD, lebt in
Wien
. Derzeit: Germanistik-
/Anglistikstudium.




Hermann Haslin
,
alias Hermann Haslinger,
geb. 1952, lebt in Linz.
Studium der Malerei und
Grafik (Mag. art.). Erzeugt
cartoonistische und literarische
Arbeiten. Cartoons erschienen
u.a. in Trend-Profil-Extra, der
Frankfurter Neuen Presse,
Frankfurter Rundschau,
Welt am Sonntag, Die Zeit.
Literarische Veröffentlichungen
in Zeitschriften und Antho-
logien, u.a. das Hörspiel
"Embrioz" in den Linzer
Facetten sowie Lyrik in
der Frankfurter Edition.
 

Aurora-Tipp
Jahreszeiten

1.Takt: Ansaugen
2.Takt: Verdichten
3.Takt: Arbeiten
4.Takt: Ausstoßen

"Ins Literarische übersetzt bedeutet dieser Vorgang einen geschlossenen Kreislauf unter Beteiligung von vier AutorInnen", meint Dahimène. In diesem Sinne:

Yvonne Giedenbacher saugt an, ihre Texte fließen schnell, wie ein mit doppelter Geschwindigkeit zurückgespulter Film. Geschichten aus dem Tagebuch der Kindheit.

Stefan Rois verdichtet, das heißt: er erzählt Gedanken, ohne dabei episch zu werden. Rois komprimiert Literatur zur Philosophie. Seine Fragen, getragen vom Wunsch nach Erkenntnis und Bewusstsein, könnte auch ein Kind stellen, vermutlich, weil diese Fragen so alt wie die Menschheit sind. Also noch einmal von vorne: Was ist der Sinn des Lebens?

Doris Mitterbacher alias Mieze Medusa arbeitet, ihre Texte sind eine Abfolge an Sätzen, die wie flinke Handgriffe Szenarien entwerfen. Natürlich sozialkritisch, freilich feministisch, aber zurückhaltend deskriptiv. Sie klagt nicht an, sie beschreibt, was ist. So vorgelesen wird die Unterdrückung der Frau zum Bild, zur Konfrontation mit dem Alltag, der auf einer schiefen Ebene läuft. Was in der Werbewelt funktioniert, wird bei Mieze Medusa zum Brechreiz.

Hermann Haslin stößt aus. Laute Luft, lange Pausen, er hält Töne und verschluckt sie, hie und da schnelle Wortfolgen, dann wieder das Betonen von Vokalen und Konsonanten, als stünden sie ohne Verknüpfung nebeneinander. Der Sinn der Wörter wird zerpflückt: die Sprache liebt mich, die Sprache liebt mich nicht. Wenn Haslin "schmuggeln" sagt, hört man tatsächlich zwei gs. Und dann brüllt er wie ein Stier: "Sauzüchten!"

Eine Lesung mit vier AutorInnen ist ein Sammelsurium an Eindrücken. Was da im Nacheinander abfolgt, präsentiert sich in der Erinnerung des Besuchers als Nebeneinander, vier Gesichter, vier Stimmen, vier und noch viel mehr Texte, vier Intentionen. Um Ordnung zu schaffen, komme ich auf Dahimènes Idee mit dem Ottomotor zurück, beschleunige sie, treibe sie auf die Spitze: Nicht die einzelnen Lesungen repräsentieren die vier Takte – ich klaube mir jene Sätze aus dem Gedächtnis, die mir vom Leseabend in Erinnerung geblieben sind und stelle sie zusammen wie eine Aneinanderreihung von Quintessenzen. Eine Verfremdung, natürlich. Aber ganz im Sinne des Bildes eines Leseabends als "Viertaktgemisch", eines Prozesses, der sich ins Unendliche wiederholen könnte:


1.Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher.
Die Vorstellung, in einem Entwicklungsroman in die falsche Richtung unterwegs zu sein, von B nach A, macht mürbe.

2.Takt: Verdichten. Stefan Rois. Einmal war er jemandem ins Bild gelaufen. Aber das Fotopapier weigerte sich, Kadavers Erscheinung festzuhalten. Der Hydrant hinter Kadaver erschien unsagbar spektatkulärer.

3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Sich fühlen wie Aschenputtel auf Anti-Aging-Pillen und mit einem Hühneraugenpflaster dort, wo der Schuh drückt.

4.Takt: Ausstoßen. Haslin. In den Gemeinderatsausschusssitzungen wurde beschlossen, so entnahm ich einigen Presseberichten, dass ein buddhistisches Veranstaltungszentrum nicht in ein Wohngebiet passe.
_ _ _

1.Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Er schaut durch mich hindurch und redet sich um Kopf und Kragen.

2.Takt: Verdichten. Stefan Rois. Das Menschengeschlecht hat nebst vielen kümmerlichen Geistern auch einige wahrhaft erhabene Naturen hervorgebracht.

3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Zwischen den wabernden Schmerzimpulsen hindurch auf den kodakblauen Himmel starren, dann die Augen nach unten rutschen lassen.

4.Takt: Ausstoßen. Haslin. Ried oder Riad. Aber nichts ändert sich in Ried. Stimmt. Dort bleibt immer alles gleich. Dort werden d’Sau zücht! Und leider auch freigelassen.
_ _ _

1.Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Kurz bevor ich wieder einschlafe flüstert das Zimmer: "Freitag Abend", denn manche Dinge ändern sich nie.

2.Takt: Verdichten. Stefan Rois. "Bei uns daheim" sagt man bei uns daheim und meint damit: so ist es richtig.

3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Schönen Guten Abend. Ich mache gleich weiter.

4.Takt: Ausstoßen. Haslin. Ich schmuggelte ein Minitonband in diesen urigen Gemeinderatssitzungssaal.
_ _ _

1.Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Plötzlich sehe ich die Dinge. Nicht wie sie wirklich sind. Aber doch zum ersten Mal. Dass nämlich alles ein Ende hat, unwiederbringlich.

2.Takt: Verdichten. Stefan Rois. Das Schimpfen der PhilosophInnen über die Entfremdung war immer einseitig. Man hat selten bemerkt wie erlösend sie sein kann, wie warm Plastik ist.

3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Im Bus sitzen mit Kopfweh to end all Kopfweh und überlegen, ob es sich auszahlt, nach dem Foto zu suchen, das manchmal hilft.

4.Takt: Ausstoßen. Haslin. Tips an Autofahrer: Die Winterreifen nach der O-Regel zu wechseln, also von O bis O. Ich zitiere: Von Oktober bis Ostern. Von Nebel bis Bebel also.
_ _ _

1.Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Also rolle ich meine Socken von den Füßen, erst links, dann rechts, zwischen meinen Zehen haben sich dunkelblaue Flusen gesammelt.

2.Takt: Verdichten. Stefan Rois. Wozu Sinn? Es funktioniert doch alles.

3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Seufzen. Aufstehen.

4.Takt: Ausstoßen. Haslin. Und die Buddhisten sollen bleiben, wo sie sind.

usw.

 

 

 

 

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