Vom Pferd
Die niederländische Autorin Els Moors ist in Deutschland bislang kaum bekannt. Das ist kaum anders zu erwarten, denn die 1971 im belgischen Popinge geborene flämische Autorin kann bislang nur zwei Romane und zwei Gedichtbände vorweisen. Das ist für zehn Jahre Autorenschaft nicht viel, aber auch nicht zu verachten.
„Lieder vom Pferd über Bord“ ist die erste Publikation Moors, die ins Deutsche übersetzt wird, und versammelt anscheinend die Texte aus den beiden Gedichtbänden „Er hangt een hoge lucht boven ons“ (in etwa: Eine hohe Luft hängt über uns) von 2006 und „Liederen van een kapseizend paard“, 2013 erschienen, was im Titel der deutschen Übersetzung wiederkehrt. Für die Übersetzung zeichnet Christian Filips, ein Autor und Performancekünstler, der lange in Belgien zur Schule gegangen ist, wohl also besser Niederländisch spricht als manch gelernter Übersetzer. Eine gelungene Kombination also, könnte man denken, und soll man ruhig auch eine Weile.
„Lieder vom Pferd über Bord“: Bereits der Titel verheißt viel, nicht nur, was die Form angeht, sondern auch was von dem Band inhaltlich zu erwarten ist. Irgendetwas Ausgeticktes, Außergewöhnliches immerhin. Was will man mehr, wo doch auch unter der lyrischen Sonne Neues nur arg selten ist, selbst dann, wenn es sich neu geriert. Vielleicht findet sich hier jener ironische Ton, der den sprachsensiblen deutschen Dichtern so fremd geworden ist, über das Distanzgebaren zum sozialen Leben überhaupt. Vielleicht kommt es hier doch mal wieder zu einem Lächeln, wenn schon beim Gedichte lesen keiner was zu lachen haben soll. Vielleicht, vielleicht, schön wärs.
Und in der Tat, Moors, die man auch als Perfomerin ihrer Texte im Netz bewundern darf, bietet etwas Besonderes. „Der Gärtner und sein Alibi“, „Die weißen bumsenden Karnickel“, „Komm ich leg deine Mutter um“, „So böse wie noch nie“, „Feinsliebchen läuft“ und eben jene „Lieder vom Pferd über Bord“ sind in dem Band zu finden, effektheischende Titel, mit denen – vorsichtig gesagt - Textabschnitte voneinander getrennt werden. Denn Gedichte, wie man sie gewohnt ist, sind das nicht. Die Texte tragen nur die Gesamtüberschriften. Und auch wenn erkennbar ist, dass hier nicht jeweils ein Großgedicht, sondern viele kleine Texte zusammengestellt sind – wo sie beginnen und wo sie enden, ist kaum auszumachen.
Das aber ist kein Schaden, denn die Gedichtzyklen (ich wags) lassen einen wunderbaren Flow zu, der sich aus der kontinuierlichen Lektüre der Texte ergibt. Darin gehen dann auch die kleinen Skandale unter, die in den Titeln vor allem angesiedelt sind: „Komm ich leg deine Mutter um“ – nicht nett. „Die weißen bumsenden Kaninchen“ – hier ist der Verstoß gegen den guten Geschmack gleich angesiedelt.
Und so kehrts denn auch in den Texten, zumindest soweit sie den assoziativen Regeln neuerer Poesie folgen und einen Sprachstrom erzeugen, der voller überraschender Wendungen sein soll. Die Tonlage ist frech und offen, dabei gelegentlich in die Alltagssprache übergehend – alles das also, was man von einem jungen Text, der sich unbeschwert vom literarischen Ballast und empathischen Tiefgang gerieren will.
Bumsende Kaninchen, Pferde über Bord, böse wie noch nie, das hat man gern im Gedicht, auch wenn die Texte dann am Ende doch nicht derart unbeschwert daherkommen, wie es ihre Titel ankündigen. Hinzu kommt, dass man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass der Übersetzer den Texten dann doch, über die Sprachlage des Originaltext hinaus, einen besonderen Dreh gegeben hat.
Denn wendet man sich ans niederländische Original, das den Übersetzungen dankenswerter Weise beigegeben ist, dann sind die Entscheidungen, die der Übersetzer getroffen hat, dann doch ein wenig tendenziös. Und wenn sie eine Tendenz haben, dann die, die Übersetzung fetziger, jugendlicher, provokativer zu machen (wobei es Abweichungen gibt, die gegen diese Tendenz sprechen).
Auf einer der ersten Seiten finden sich die folgenden Zeilen: „jongens trappen tegen een fiets / en tegen een bal / ze gaan elkaar te lijf / ze schuden aan de losse onderdelen op het plein / ze vragen wat ik doe“. Das heißt ungefähr: „Jungen treten gegen ein Fahrrad / und gegen einen Ball / sie rücken sich gegenseitig zu Leibe (sie kämpfen miteinander) / sie rütteln an den losen Unterteilen des Platzes / sie fragen, was ich mache“. Filips macht daraus: „die Jungens ballern gegen ein Rad / einen Ball / gehen einander an die Wäsche / rütteln an den losen Bolzplatz-Unterteilen / fragen mich Was geht“.
Die Verknappung der ersten beiden Verse ist ansehnlich, hat aber einen anderen Ton als das Original, das viel biederer daherkommt. Dass die balgenden Jungs sich an die Wäsche gehen, ist nicht blöd gedacht, aber für den Bolzplatz gibt es keinen Hinweis, den sich der Übersetzer nicht selbst gegeben hätte. Dass er im letzten Vers in den nicht mal mehr urbanen Jugendlichen-Slang verfällt (Was geht), passt in die vorhergehenden Entscheidungen. Aber auch in diesem Fall ist die Übersetzung peppiger als das Original.
Anders hingegen bei der Übersetzung von „De witte fuckende konijnen“, das Filips als „die weißen bumsenden Kaninchen“ übersetzt. Nahegelegen hätten, wenns denn schon keine „fickenden weißen Kaninchen“ hatten sein sollen, „rammelnde weißes Kaninchen“, da Kaninchen ja nun mal rammeln: Belgische Riesen, gute Rammler, hat der alte Oellers immer gesagt. Warum hier das biedere „bumsen“ her musste, wird nicht ganz klar.
Eine Erklärung mag sich aus einem der ersten Texte dieses Teils ergeben, in dem sich zeilen finden wie „die weißen bumsenden Kaninchen bumsen / und bums die bumsen sich und alles platt“ für de witte fuckende konijnen fucken / en zij fucken samen het dak plat“, was irgendwie auch etwas anderes bedeutet. Davon abgesehen, dass im Niederländischen das alliterierende „und bums“ einfach nicht vorkommt. Da ficken die Kaninchen einfach das Dach platt. Weder „sich“ noch „und uns“, aber immerhin alle zusammen.
Nun kann man sich fragen, ob ein Übersetzer so etwas darf. Selbstverständlich darf er, wenngleich er nicht unbedingt den Anspruch halten kann, einen Text zu übersetzen. Hier handelt es sich vielmehr um einen neuen deutschen Text, der eine niederländische Vorlage nutzt. Was dann schon wieder Filips Eigenleistung sehr viel höher schätzt als die des auch literarisch geschulten Übersetzers, der sich an die Übertragung eines Textes von der einen in die andere Sprache macht. Was von beidem schwieriger ist, kann man sich ausdenken. Aber das ist ein anderes Thema.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Nicht viel?
Unabhängig von der spannenden Diskussion über die Übersetzungen (deren starke Abweichungen vom Original mir auch aufgefallen und nicht immer plausibel sind) möchte ich hier mal kurz Einspruch erheben: Zwei Romane und zwei Gedichtbände in zehn Jahren sollen "nicht viel" sein? Wie bitte? Das ist eine der absurdesten Aussagen, die ich seit langem gelesen habe. Interessante, komplexe Literatur braucht Zeit; viele Autor_innen sind sicherlich froh, wenn sie in derselben Zeit einen einzigen Roman oder Gedichtband fertigstellen können.
Und auch, die (Un)Bekanntheit der Autorin in Deutschland an die Zahl der von ihr veröffentlichten Bücher zu knüpfen, halte ich für einen seltsam rückwärtsgewandten Publikationsfetischismus. Lyrik findet doch, gerade heute, und erfreulicherweise, bei weitem nicht nur in Büchern statt. Umso seltsamer, den künstlerischer impact einer Autorin, die sich mit ihren Texten offenbar stark im Performance-Bereich bewegt, an der (dann ja noch nicht einmal kleinen, sondern für nur zehn Jahre beeindruckend großen!) Zahl ihrer Publikationen zu messen.
Mir ging es mit der
Mir ging es mit der Übersetzung sehr ähnlich (und war ähnlich überrascht):
met het hoofd in de nek
wacht ik op een echo
tegen de muren van de huizen
waar ik aan voorbijga
waar zij samen voor de ramen zullen staan
waar rode en groene pijlen een voor een
naar boven worden gesleept
wird zu:
von einem Kopf, der mir im Nacken sitzt
erwarte ich ein Echo
gegen die Häusermauern
woran ich vorbeigeh, wo sie
gemeinsam vor dem Fenster stehen werden
wo man Pfeile, rote, grüne, Stück
für Stück nach oben schleppt
Die Änderungen fand ich ebenfalls überraschend, sie stempeln nicht so um, dass ich einen freien kreativen Nachschöpfungakt von Filips lesen könnte (das schiene mir in gewissem Sinn zulässig), sie sind irgendwie fast wie Nachbesserungen, empfand ich als eine Art Einmischung. Die englische Übersetzung vom Willem Groenewegen ist straight:
with my head stretched back
I wait for an echo
from the walls of the houses
I pass by
where they will all gaze through the windows
where red and green fireworks are
dragged upwards one by one
http://www.poetryinternationalweb.net/pi/site/poet/item/12400
Moors/Schneider
Sehr geehrte Frau Schneider,
ein geschätzter Kollege hat mal gesagt, dass man auf Leserbriefe nicht reagiert, das zeuge von schlechtem Geschmack, dann seis so: Man geht bei der Abschätzung von Autorenproduktivität von einem Faktor von 1,2 / Jahr aus, d.h. man geht davon aus, dass ein Autor / eine Autorin pro Jahr 1,2 selbständige Publikationen schafft – die, die sich mehr Arbeit machen (oder weniger machen wollen), schaffen halt weniger, die die sich weniger machen oder nur fleißig sein wollen oder müssen, eben mehr. Insofern liegen 4 Publikationen in 10 Jahren unter dem Durchschnitt. Sind Moors Texte also besonders komplex? In einer niederländischen Rezension, die ich gelesen habe, wird Moors ja grad vorgeworfen, ihren ersten Gedichtband allzu schnell, eben unüberlegt rausgebracht zu haben. Nicht viel, aber auch nicht zu verachten, sollte ungefähr die Mitte halten.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Delabar
frei übersetzen
ich finde die übersetzung von christian filips sehr gut. wenn dem rezensenten etwa für ein wort eine andere übersetzung einfiele, heisst das ja nicht, dass die dann unbedingt besser sein muss. filips hat die texte von els moors etwas frei übersetzt, aber dafür stehen sie im deutschen sehr gut da. warum sollte er sich denn nicht die freiheit nehmen, für einen vergleich haben wir doch das original direkt daneben!
Neuen Kommentar schreiben