Menschheitsdämmerung
Derzeit noch nachzuhören eine Sendung vom 29.02.2020 im RBB:
1920 erschien in Berlin die bekannteste deutsche Gedichtsammlung. Sie prägt bis heute unser Bild der expressionistischen Lyrik – von Benn bis Lasker-Schüler, von Trakl bis Becher. Doch diese „Symphonie jüngster Dichtung“, wie der Herausgeber Kurt Pinthus die Sammlung im Untertitel nannte, spiegelt auch die ganze Tragik des 20. Jahrhunderts wider.
Von den 23 Dichtern starben fünf bereits im Ersten Weltkrieg, zehn mussten nach 1933 emigrieren, einer wurde von den Nazis ermordet. Zum runden Geburtstag erscheint die „Menschheitsdämmerung“ in einer bibliophilen Neuausgabe.
Eine Sendung von Thomas Diecks
ALFRED LICHTENSTEIN
DIE DÄMMERUNG
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
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Zum Weiterlesen
„Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung.“
Herausgegeben von Kurt Pinthus. Mit einem Nachwort von Florian Illies.
Rowohlt Verlag 2019, 423 Seiten
„Abendland, Li(e)der. 100 Jahre Menschheitsdämmerung.“
In: „Schreibheft. Zeitschrift für Literatur“, Nr. 92, S. 9 – 64.
Rigodon-Verlag 2019, 192 Seiten
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