Die anders Andere
Interessante Neuerscheinung im Literaturverlag Leipzig: Izabela Leal: Die Andere. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Timur Stein
20. Februar
Szene 1: Am Anfang.das ist kein tagebuch. ich habe nicht vor meine memoiren niederzuschreiben oder von der zeit zu berichten als wir zusammenlebten. es ist kein geständnis. vielmehr ist es eine performance krümmung des körpers zurschaustellung der stimme. ich greife nach einem heft zerreiße seiten. verdächtige alles vor allen dingen sie. vernehme lärm sehe gestalten höre schritte. man erzählt sich frauen meiner familie seien dem wahnsinn verfallen sie streifen die haut ab wie schlangen. ich möchte keine schlüsse ziehen keinen bericht erstatten kein verfahren eröffnen. mache notizen streiche durch werfe fort. zerschneide ohne scham. habe von ihr gelernt. kritzele. will mir keine blöße geben keinen verdacht auf mich ziehen. mir sind verschiedene sorten mensch begegnet sie war nicht katalogisierbar. eine fremde stimme ohne melodie. mal sprach sie langsam mal hastig verschluckte silben würgte sätze heraus. mir sind verschiedene sorten mensch begegnet. ich lernte einmal jemanden kennen der sprach in der ersten person plural. er behauptete viele freunde zu haben und mit ihnen durch fantasiefelder zu ziehen. sie war sichtlich interessiert. wir unterhielten uns im haus einer freundin. er war ein komischer vogel. ließ sich von einem guru in die kunst des verschwindens einweisen. schließlich tötete er den eigenen meister und schrieb darüber mehrere briefe einige notizen und eine aussage. ich kann nicht sagen ob er verschwand.
Das Buch der brasilianischen Dichterin sowie Literatur- und Übersetzungswissenschaftlerin Izabela Leal, das mit dem renommierten Literaturpreis Prêmio Rio de Literatura ausgezeichnet wurde, sucht einen Mittelweg zwischen Poesie und Prosa. Ohne das eine noch das andere zu sein, ist dieses Buch zugleich Kriminalroman und griechische Tragödie, die vergebliche Suche nach Identität, ein sprachlicher Balanceakt: Es projiziert das Innenleben einer zwischen zwei Großstädten hin- und hergerissenen Frau, verbirgt, indem es sichtbar macht, und überrascht auf jeder neuen Seite mit einem intimen Verständnis des Schreibens und Frau-Werdens. Geschildert wird die Begegnung mit "der Anderen", der nicht identifizierbaren „intrusa“ (weibliche Form von „Eindringling“).
Izabela Leal: geb. 1969 in Rio de Janeiro, Bachelor in Psychologie, Master-Abschluss in portugiesischer Literatur an der Katholischen Universität von Rio de Janeiro, Promotion in portugiesischer Literatur der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, Stipendium der Calouste Gulbenkian Foundation, 2008 Veröffentlichung der Dissertation Camilo Pessanha in zwei Ausgaben, unterrichtet portugiesische Literatur und Literaturtheorie, Stipendium des Bundesstaates Rio de Janeiro zu Übersetzungen von Herberto Helder, derzeit ist sie Professorin für portugiesische Literatur an der Federal University of Pará.
Timur Stein: geb. 1990 in Rybnica (Moldawien), Studium der Romanischen Philologie in Erlangen, Marburg und Bogota sowie der Translationswissenschaften in Germersheim.
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