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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 6


Zum Stand der Dinge I: MÜNCHEN UND DER GRUSELPROFESSOR

BEHÖRDENFUROR: Das Münchner Verdikt und die Ausstellung ’Körperwelten‘

Solches geschah im Land der Bayern Anno Domini 2003:

Münchner Stadtväter martern ihr Hirn mit der Frage, ob plastinierte Körper Leichen oder Nicht-Leichen seien, und beschließen, die Ausstellung ’Körperwelten‘zu verbieten, drohen gar die Zwangsbestattung der Humanpräparate an.

Was in Berlin und London selbstverständlich war, wird in der sogenannten Isarmetropole glatt verboten.

Das ist starker Tobak, aber natürlich ging es nicht wirklich um die Frage, ob hier eine Leichenwürde verletzt und eine Totenruhe gestört werde, erst recht nicht darum, ob es eine solche Würde überhaupt gebe, und wenn doch, was sie dann wohl sei, philosophisch, moralisch, juristisch. Auch ist unerheblich, ob ’Gruselprofessor‘ Herr von Hagens ein eitler Schaumschläger und Möchtegern-Beuys sei.

Erheblich ist etwas anderes: Wieder einmal hat deutsches Obrigkeitsdenken den Bürger entmündigt. Die Freiheit des eigenen Urteils wurde schulmeisterlich beschnitten. Ein Kreisverwaltungspotentat, dessen Horizont über Pflanzenkübel in der Fußgängerzone nicht hinausreicht, bevormundet Zehntausende, die diese Ausstellung gerne sehen würden. Zehntausende haben sie schon gesehen und waren begeistert, aber die Herrn Pharisäer im öffentlichen Dienst bramabarsieren von Würde.

Andererseits könnte man dem Münchner Stadtrat auch dankbar sein für diesen fundamentalen Beschluß, hat er uns doch gezeigt, wo die, sonst rundum bis ins Mark verderbte, gott- und ruchlose Welt noch in Ordnung ist, nämlich da, wo die Almen rauschen, denn mir san mir, München, unser bayrisches Klein-Bonum. Auch Seine Weihbischöfliche Gnaden, Hochwürden Engelbert, haben ja in linientreuester Weise die Haltung der Kirche dazu erschöpfend erläutert. (Danke, Hochwürden!)

Sogar der Preuße darf sich freuen. Endlich haben die beliebten Vorurteile über bayrisches Wesen (Lederhose, Holladulljöh und geistige Enge) wieder frisches Futter bekommen. Von wegen Laptop!

Auffallend war nur das Gebahren des Rates Benker, den wir sonst als allezeit gesinnungsstrammen Edelgrünen kennen. Der Herr schlug plötzlich liberale Töne an. Sollten wir ihn verkannt haben?

Wer aber schützt eigentlich die Würde (von Totenruhe ganz zu schweigen) jener Verblichenen, die EU-weit in Katakomben und Grüften dem geilen Blick der Menge ausgeliefert sind, den anatomischen Sammlungen in Wien, den Mumienkellern von Palermo, den Zellen 5000 toter Kapuziner zu Rom, aus deren Gebein verblendete Todessehnsucht einst Kronleuchter und Nachtgeschirre gedrechselt hat?

Da besteht doch Handlungsbedarf! Bestattungsunternehmer aller Länder, nichts wie hin! Bügelt die Totenhemden glatt, hebt Gräber aus, tankt eure Leichenwagen voll! Der Münchner Rat ist mit euch.

P.S. Inzwischen haben höhere Gerichtsinstanzen die Ausstellung auf den letzten Drücker doch noch genehmigt, und die Massen strömen. Sic!


Walter Wurster




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