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Magazin für Verrisse aller Art
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Zum Stand der Dinge II: SUSAN SONTAG UND DIE KRIEGSPHOTOGRAPHIEBOMBARDEMENT DER BILDER: Zu Susan Sontags Paradigmenwechsel (siehe dazu auch Susan Sontag: REGARDING THE PAIN OF OTHERS. New York 2003)Susan Sontag ist eine tapfere zähe Intellektuelle. Zahllose kluge Gedanken pflastern ihren Weg, und ihre Tapferkeit besteht darin, manchen Gedanken ohne Zögern zu revidieren, wenn sie, aus welchen Gründen immer, ihre Meinung geändert hat. So auch ihre Thesen zur Photographie, speziell jener Photographie, die menschliches Leiden abbildet und nun wieder den Krieg im Fernsehen frei Haus serviert. Die Überflutung mit solchen Bildern stumpfe ab, war früher ihre These, mache gleichgültig gegen das Leid, jetzt sieht sie das anders. Dazu eine kleine Selbstbeobachtung: Ich sehe einen Bericht über KZ-Opfer. Eine alte Frau erzählt. Das Gesicht dieser Frau ist durchgepflügt vom Leid. Die Kamera hält starr auf dieses Gesicht. An einem bestimmten Punkt der Erzählung überwältigt Rührung die alte Frau. Sie kann nicht weitersprechen, sie schluchzt, ihr Gesicht verzerrt sich in der Anstrengung, die Beherrschung wiederzufinden, aber es gelingt nicht, sie verstummt gänzlich, Tränen fließen, und die Kamera rückt noch näher, weicht nicht von diesem Gesicht, in dem wir die geschwollenen Äderchen zählen könnten. Ich nenne das obszön. Ich schalte ab. Ich schalte nicht ab, weil ich abgestumpft wäre, oder weil ich vom Leid dieser Frau nichts wissen wollte, ich schalte ab, weil ich spüre, und zwar mit überdeutlicher Direktheit, wie ich manipuliert werde. Die Kamera fräst sich nicht nur in die Intimität der alten Frau, sie penetriert auch mich. Ich sehe die Herren von der Regie und den Mann an der Kamera, ich spüre ihren Triumph über die gelungene Szene, wie sie die alte Frau aufgewühlt haben, sie, deren Inneres von Anfang an eine einzige offene Wunde war, wie sie es geschafft haben, Rührung und Erschütterung so ’authentisch rüberzubringen‘, daß mir schlecht wird, und ich höre sie sagen, wie ’geil‘ das wieder war, wie das ’voll gefetzt‘ hat, oder etwas Ähnliches aus dem Wörterbuch des Medienzynikers. Diese Art von Kritik an den Bildern nennt Madame Sontag neuerdings konservativ, ja, schlimmer und vernichtender: provinziell, und zwar deshalb, weil das konservative Denken die Existenz von Realität voraussetze, Realität aber gilt Madame Sontag als obsolet, weil die Moderne (die Moderne, was ist das?) alles Reale in ein Medienereignis verwandelt habe, alles nur Spektakel, alles Metapher. Wir nennen das reichlich konfus. Realität für obsolet halten: nach 20 Jahren Mißbrauch und Verwirrung nur noch hohle Schablone postmoderner Hysterie; Wirklichkeit als Metapher: bei Intellektuellen schon immer ein geschätzter Vorwand, körperliche Arbeit zu vermeiden. Obsolet sind möglicherweise die Medien selbst inzwischen, denn deren Botschaft verliert ihren virtuellen Charakter nie, als Substitution, Surrogat, Zeichen, Verweis, Repräsentation, Referenz. Zwar sind wir immer in Gefahr, die Bilder mit dem zu verwechseln, was sie repäsentieren, aber beobachten Sie doch besser an sich selbst, was das Bombardement der Bilder mit Ihnen macht: Sie werden vergewaltigt, ganz real. Das müßte Sie doch kränken. Ich besteite auch, daß die tägliche Bilderflut des Schreckens Apellfunktionen hätte, wie etwa: handle, unternimm etwas, wehre dich. Nichts dergleichen. Diese Volte schlägt Madame Sontag jetzt vielleicht deshalb, weil sie zu Ostern passen könnte, weil wir liberal sind und keine Bilderstürmer, und weil wir uns im Krieg für eine Seite entscheiden sollten. In Wahrheit sind die Bilder in den Medien vor allem deshalb vorhanden, weil ohne sie das Medium nicht vorhanden wäre. Pures Vorhandensein ergibt aber für sich keinen Sinn, darum sind sie sinnlos in Hinblick auf außer ihnen liegende Zwecke, es sei denn solche kommerzieller Art und politischer Beschwichtigung. Das ist das eine, das andere ist der Sensationsdruck, den die Bilderattacke ausüben muß - auch dies eine dem Medium selbst dienende Funktion mit der Folge eines enthemmten und berufsnotwendigen Zynismus. Im übrigen ist es nicht schwer, hinter fast allen Appellen die Eitelkeit der Appelleure zu erkennen, oder wie soll ich jene Genugtuung verstehen, die Photographen kaum verbergen können, wenn ihnen die Dastellung des Schreckens besonders schrecklich gelungen ist. Für sowas gibt es schließlich Preise, die Sache lohnt sich also. Madame Sontag behauptet, jener Appellfunktion der Bilder Folge zu leisten, sei die korrekte Reaktion. Wie dürfen wir das verstehen? Meint sie ’politisch korrekt‘, hat sie sich jetzt in dieses Lager eingereiht? Und wo sind jene, die den Handlungsappellen folgen? Mir scheint, die einen sitzen weiter vor den Bildschirmen und trinken ihr Bier, die anderen taumeln folgenlos durch die Straßen, berauscht vom eigenen Aktionismus, von den Bildern geblendet. Madame Sontag behauptet jetzt, Bilder würde die Sinne schärfen für das Elend, für Mechanismen von Unterdrückung und Brutalität. Das würde voraussetzen, daß Bilder etwas erklären könnten, aber sie illustrieren nur. Welche Erklärungskraft besitzen Photos einer Erschießung, verstümmelter Körper, Massengräber, verhungernder Kinder? Nicht die mindeste. Sie behaupten Wahrheiten, die sie nicht beweisen können. Der Glaube an die moralische Macht der Bilder ist die faule Ausrede des Konsumenten, der sich ungern den Fernsehabend vermiesen läßt. Man läßt Bilder an sich vorüberziehen und fühlt sich entlastet, man hat das Seinige getan. Preiswerter kann Entrüstung nicht mehr werden. Genau darum schauen wir Katastrophen so gern. Schalten Sie Ihr Gerät ab!
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