Prinzip des Verirrens
Judith Zander (©dtv, Foto: HeikeBogenberger)
Heute stellt Carola Wiemers den Band "manual numerale"von Judith Zander im Deutschlandradio vor:
„Judith Zander hat ihre jüngste Gedichtsammlung unter ein Motto gestellt, das aus Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" stammt: "Sie findet: Gerad oder Ungerad ergibt immer wieder die Zahl 1". Während bei Musil viel über die Kluft zwischen Gefühl und Verstand nachgedacht wird, setzen Zanders Verse dem darin waltenden mathematischen Prinzip eine eigenwillige poetologische Topographie entgegen.
Die durchgängig ohne Titel, in Kleinschreibung verfassten Gedichte stehen auf nicht nummerierten Seiten. Eine Zahl zwischen 1 und 31 steht in unregelmäßiger Abfolge jeweils am Anfang des Textes und ist identisch mit der Anzahl der folgenden Gedichtzeilen.
Da Zander im Titel von einem "manual numerale" spricht, wird ein Zusammenhang zwischen Zahl (Datum) und Textlänge (Vers) suggeriert. In einem 14-Zeiler heißt es:
"14. / es ist mai es ist juni julei / jeder vierzehnte gebe mich frei".
Dieser Vision einer Gliederung liegt das Prinzip des Verirrens zugrunde. Zander zelebriert nicht das Chaos, sie zeigt ein Sprechverhalten, das jenseits der Ordnung funktioniert - und sich übrigens auch auf den Leser überträgt. Der müsste sich nämlich die Seiten markieren, um ein bestimmtes Gedicht wiederzufinden.“
Das Jahr fängt an »im januar« und damit auch dieser Gedichtband, der Tagebuch und lyrisches Handbuch zugleich ist. Und bald folgt das Bekenntnis: »du weißt ich wollt mehr als pullover borgen«.
Um flüchtiges Glück und unser Sehnen, die Utopie unseres Begehrens geht es, um den Schrecken, wenn sich in der Küche jemand findet unter jammervollen Jackendecken. Statt eines Titels sind die Gedichte mit den Zahlen des jeweiligen Tages versehen und besitzen ebenso viele Zeilen. Zwei Gedichte pro Tag, eines mit der Tageszahl, eines mit der Monatszahl. Nicht für jeden Tag findet sich ein Eintrag, doch mit jedem neuen Datum wandeln sich die lyrischen Formen.
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