Nichtkindprosa
„Es ist also Nacht an dieser Stelle der Geschichte, alles schläft, nur in dem unheimeligen Heim des Kindes wird es so richtig laut und lustig, weil der Vater in dieser Nacht wie in vielen anderen Nächten abwesend ist, im Geiste wie im Fleische. Der Vater kann rechnen, in seinem Beruf zählt er rascher als andere zwei und zwei zusammen, im Privatleben zahlt er dennoch drauf, weil er sich eine viel zu teure Frau angeschafft hat. Die Kleider der Mutter sind wertvoll wie die Mutter selbst, sie sind nicht aus dem Schlussverkauf wie die geblümten Kittelschürzen der figurlosen Revierfrauen, die alle einer nicht genau definierbaren Altersgruppe angehören, egal wie alt sie sind, sie sind alle vorzeitig gealtert, nur die Mutter ist anders als die anderen mit ihrem von Urahnen geerbtem weißrussischen Schwarzhaar, wo andere nur mausbraune Flusen haben, sie braucht kein Haarfärbemittel, für das Geld kann sie sich stattdessen einen Jägermeister kaufen.“
Neu in der edition taberna kritika: neue Prosa von Elke Heinemann.
Marillenlikör, Eierlikör und vor allem zu viel Jägermeister trinkt die Mutter der sechsjährigen Elisa Mitte der 1960er Jahre Nacht für Nacht, bevor sie zu einer lautstarken Maria-Callas-Imitation anhebt, während der Vater auf einer scheinbar endlosen Dienstreise das familiäre Drama ignoriert. Das Kind erfindet für sich die Zwillingsschwester Alise und beginnt, in der dritten Person Singular seine „wahre Geschichte“ zu schreiben, die es in der Ich-Form beenden kann, als es kein Kind mehr ist. Sarkasmus und Ironie, sprachliche Verdichtungen und metaphorische Verschiebungen zeichnen die Prosa von „Fehlversuche“ aus: Ein Buch über ein Kind, das explizit kein Kinderbuch ist.
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