Geschrieben am 27. Oktober 2008 von für Comic, Litmag

Art Spiegelman: Breakdowns

Art the Artist

Breakdowns beweist einmal mehr, dass Art Spiegelman vor allem ein Comic-Künstler ist, dem mehr an der Erprobung visueller Möglichkeiten als am Transport griffiger Botschaften liegt. Von Gisela Trahms

In der öffentlichen Wahrnehmung wurden Comics durch ein einziges Werk plötzlich seriös: Maus, 1986 bzw. 1991 erschienen, stellte in zwei Bänden die Leidensgeschichte von Spiegelmans Eltern dar, die Auschwitz überlebten und später nach Amerika auswanderten. Zunächst war die Reaktion ablehnend, ja empört: Juden als Mäuse? Der Holocaust in kleinen Bildchen? Was konnte das anderes sein als eine monströse Geschmacklosigkeit?

Diese Vorurteile verschwanden schnell.

Maus gewann 1992 den Pulitzerpreis und machte Spiegelman berühmt. Leser, die Robert-Crumb-Hefte nicht mit zwei Fingern angefasst hätten, zeigten sich erschüttert und stellten das Werk den Romanen von Primo Levi und Imre Kertész an die Seite. Lag es an dem ernsten Thema und an der Niveau signalisierenden Buchform, dass das Ausdruckspotential von Comics endlich anerkannt wurde?

Nicht allein. „Breakdowns“ erzählt, wie es war: komplizierter.

Der prächtige, großformatige Band enthält zwei Bücher: Einmal den Reprint des schon 1978 erschienenen Albums gleichen Namens, in dem der damals 30-jährige Spiegelmann in einem Panorama kurzer strips vorführte, was Comics alles können: beispielsweise den Holzschnitt des deutschen Expressionismus aufnehmen und kreativ für eigene Zwecke nutzen. Oder Geschichten parodieren, kombinieren, ad absurdum führen. Oder ein Bild dekonstruieren bis zur Abstraktion, indem man die Druckschablonen Schritt für Schritt verschiebt und den Herstellungsprozess selbst zum Thema macht, so wie Warhol das mit den Marilyn-Variationen tat. Selbstreflexion des Mediums also, zu einem Zeitpunkt, da man vom Comic eigentlich nur eins verlangte: fun.

Kein Wunder, dass der Autor gegen eine Wand aus solidem Desinteresse fuhr. Kaum jemand wollte das bunte Prunkstück auch nur geschenkt haben. Einzige, rühmliche Ausnahme: Der Frankfurter Verlag Roter Stern wagte 1980 eine deutsche Ausgabe, herausgegeben von Klaus Theweleit. Sie ist noch immer mühelos „bei folgenden Anbietern“ erhältlich, also auch hier: Nichts gewonnen außer der Ehre.

Bilder, um davor in die Knie zu gehen

Inzwischen gibt es in jedem Land eine „Szene“ von Fans und Fachleuten für Comics. Was Art Spiegelman betrifft, so genügen wache Augen und Interesse an Bildern, um vor diesem Buch in die Knie zu gehen. Breakdowns bereitet jene Erschütterungen, aber auch die ästhetischen Genüsse, die sich bei Meisterwerken einstellen, selbst wenn sie düster sind. Und das sind diese Blätter wahrlich. Der Titel bedeutet ja ‚Zusammenbrüche‘, die Einzelstrips heißen z.B. „Gefangener auf dem Höllenplaneten“.

Die Gründe dafür erfährt man in dem anderen, dem Reprint vorangestellten Teil des Buches. Er zeigt Szenen aus Spiegelmans Leben.

Verkürzt gesagt, besteht dessen schwarzer Kern darin, dass der kleine Art, 1948 in Schweden geboren, zwar im harmlosen Nachkriegs–New York aufwächst, aber gleichzeitig in einem durch die Reden der Eltern allgegenwärtigen Geisterort namens Auschwitz. Was das bedeutet, weiß jeder Leser von Maus, denn dort wird nicht nur die Geschichte der Eltern erzählt, sondern auch die des Sohnes: heimgesucht von Schreckensbildern und Schuldgefühlen, wütet er gleichzeitig gegen den Vater und weigert sich, dieses ‚Erbe‘ anzunehmen.

Im aktuellen Teil von Breakdowns visualisieren zwei besonders eindrucksvolle Sequenzen das Problem: Eine monumentale „Maus“-Büste wirft einen Schatten, dem selbst der alternde Spiegelman nicht entkommt. Schließlich reicht er seinem jungen Sohn ein Kästchen, und als dieser es erfreut öffnet, stürzt sich ein von Bild zu Bild wachsender Drache auf das Kind. Ganz zusammengekrümmt sitzt es schließlich da und murmelt „Danke, Papa“. Es schnürt einem die Kehle zu.

A medium of true art

„Porträt des Künstlers als junger %@*!“ lautet der Untertitel des Buches. Das bezieht sich sowohl auf das dreißig Jahre alte Album wie auf die Biographie seines Schöpfers. Die Zeichen könnten ersetzt werden durch „Intellektueller“, „Tabu-Brecher“, „Pop-Artist“, „Rebell“. All das ist Art Spiegelman heute noch. Außerdem natürlich ein Mann mit der Erfahrung von sechzig Lebensjahren, politisch engagiert und umgetrieben von dem, was er in seiner Heimat und in der Welt beobachtet. Am 11. September waren er und seine Familie kurz davor, endgültig zu Opfern zu werden: Sein Atelier und die Schulen der Kinder befanden sich ganz in der Nähe des World Trade Centers.

Den Einbruch des Terrors in das kaum begonnene Jahrhundert fasste Spiegelman in einem Album mit dem genialen Titel „In the Shadow of No Towers“ in Bilder. Es erschien in Fortsetzungen in der ZEIT, da es in den USA zunächst niemand drucken wollte. Es enttäuschte die mit dem Thema verknüpften Erwartungen, indem es einmal mehr bewies, dass Art Spiegelman vor allem ein Comic-Künstler ist, dem mehr an der Erprobung visueller Möglichkeiten als am Transport griffiger Botschaften liegt.

In dem ausführlichen Nachwort zu Breakdowns beschreibt er, was Comics für ihn schon als Kind bedeuteten: „In der stickigen Enge meines Einwanderer-Elternhauses waren Comics mein Fenster nach draußen..“. Und im vorliegenden Album sieht er nicht nur das historische Dokument seines frühen Schaffens, sondern „eine immer noch glühende Liebeserklärung an ein Medium, das ich verehre.“ A medium of true Art.

Gisela Trahms

Art Spiegelman: Breakdowns. Portrait des Künstlers als %@*! (Breakdowns, 2008).
Übersetzt von Jens Balzer.
S. Fischer Verlag 2008. 29,90 Euro.