Das Sich-alleine-Durchschlagen setzt kreative Kräfte frei
– Pärchen stinken, Pärchen lügen
Pärchen winken und fahr’n nach Rügen
Cocktails trinken, Kartoffelchips essen
Händchen halten und die Freunde vergessen
Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch
Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch (…)
Schon vor Jahren stellten die Lassie Singers die heteronormative Zweierbeziehung in Frage: Liebe als Konstrukt, Pärchenterror, zum Scheitern verurteilte Romanzen – in ihren Songtexten nahm Christiane Rösinger die Rolle der Liebes-Desillusionistin ein, heute bezeichnet sie Pärchen als „niedrige Lebensform, die in der Artentabelle nur knapp über dem Einzeller oder dem Pantoffeltierchen“ steht. Am Frauentag (8.3.) erschien Rösingers nach einem Lassie Singers-Lied betitelte Buch „Liebe wird oft überbewertet“, in dem sie die gesellschaftliche Verpflichtung zur Paarbeziehung für das Unglück der Welt verantwortlich macht.
CM: Ist „Liebe wird oft überbewertet“ dein Manifest?
Christiane Rösinger: Die Kritik an der Zweierbeziehung und der Liebe an sich ist ja mein Lebensthema, das Buch ist also schon so etwas wie mein Manifest. Viele Texte der Lassie Singers haben sich mit diesem Thema beschäftigt, aber mir war immer klar, dass ich darüber mal ein Buch schreiben will, dass es mehr Prosa als Lyrik braucht. Hobbysoziologie hat mich schon immer interessiert, und eigentlich wollte ich einen nicht ganz ernst gemeinten Ratgeber schreiben, der „Wie schaffe ich es, möglichst lang allein zu bleiben“ heißen sollte. Aber dann ist es doch ein Sachbuch geworden.
CM: Bist du dir beim Schreiben manchmal selbst zu hart vorgekommen?
CR: Es hat etwas Therapeutisches, die eigenen Thesen zu formulieren und festzuschreiben – und ich will auch nichts zurücknehmen. Psychologie und Soziologie unterstützen übrigens meine These, dass es „die Liebe“ gar nicht gibt! Die romantische Beziehung („RZB“) und die Liebesheirat sind zudem relativ neue Erfindungen aus dem 18. Jahrhundert. Ich habe mich immer gefreut, wenn ich Zitate aus der Literatur gefunden habe, die mich bestätigen, denn wenn man das Wort „Liebe“ googlet, findet man fast nur Beispiele, die die Liebe positiv darstellen. Ich bin aber nicht mysogyn, sondern eine Menschenfreundin: ich verachte Paare nicht per se, ich stelle nur die Frage, ob es wirklich „normal“ ist, dass der Mensch immer zu zweit sein muss. Meine Zukunft sehe ich aber nicht als die Paarkritikerin vom Dienst: das Thema habe ich jetzt ja durch.
CM: Christiane, was wirst du der Frauenzeitschriften-Interviewerin antworten, die dir sagt, dass du verbittert bist, weil du „den Richtigen noch nicht gefunden“ hast?
CR: Ich will mich ja nicht als Superheldin aufspielen – manchmal komme ich mir schon vor wie eine Trümmerfrau, die vom Krieg erzählt! – aber ich hatte halt mit zwanzig Jahren schon ein Kind, bin als Alleinerziehende nach Berlin gezogen und hatte in jeder Hinsicht bestimmt nicht die besten Voraussetzungen. Durch mein Kind, Familie und Freunde war ich aber emotional grundversorgt, auch wenn das Leben manchmal schwer war. Einen festen Partner habe ich nie vermisst – im Gegenteil, das Alleine-Durchschlagen setzt ja auch Kräfte frei. Hätte ich mich nicht vom Vater meiner Tochter getrennt, hätte ich so viele andere Sachen bestimmt nicht gemacht: eine Band gegründet, Musik gemacht, Texte geschrieben. Wie viel Energie bei den Leuten verloren geht, nur weil sie in ihren Beziehungen so viele Kompromisse eingehen und sich selbst verleugnen!
Wenn mir jemand vorwirft, dass ich nicht beziehungsfähig sei, kontere ich, „Du kannst wohl nicht allein sein“. Allein sein muss man aushalten können, man muss lernen, mit sich allein zu sein. Das ist nicht immer einfach und ich verschweige nicht, dass es Momente der Einsamkeit gibt – aber ich glaube, dass es viel schlimmer ist, sich mit seinem Partner allein zu fühlen als mit sich selbst allein zu sein. Ich mag mich als Teil eines Pärchens jedenfalls selber nicht leiden.
Zurzeit kann man vor allem bei der jüngeren Generation einen Backlash in punkto Heiraten beobachten: Pompöse Hochzeiten sind gang und gäbe, gestandene Doktorinnen geben leichtfertig ihren Nachnamen auf und sind „Gattin von Herrn soundso“ – woher kommt das?
CR: Tja, die Krise! Die Sehnsucht nach heiler Welt kommt in Krisenzeiten immer besonders stark zum Ausdruck. Nach dem 11.9.2001 wurde in den USA der Wert der Familie besonders aggressiv propagiert – Trends aus Amerika kommen hier ja immer etwas verspätet an, aber sie beeinflussen uns. Das Heiraten scheint auch eine politische Sache zu sein: wer links ist, heiratet nicht, oder? Heiraten tun die jungen Konservativen – und davon gibt es ja so viele!
Christiane Rösinger war Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands Lassie Singers und Britta. In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof. Neben ihrer musikalischen Arbeit schreibt sie für Zeitungen wie taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und FAZ. 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, „Das schöne Leben“. Seit 2008 schreibt und spricht sie die wöchentliche Kolumne „Aus dem Leben der Lo-fi-Boheme“ für den österreichischen Radiosender fm4, 2010 erschien ihr Soloalbum „Songs Of L. And Hate“.
Christina Mohr
Christiane Rösinger: Liebe wird oft überbewertet. Ein Sachbuch. Broschur. S. Fischer 2012. 208 Seiten. 13,99 Euro. Zur Homepage von Christiane Rösinger.
Musikalische Lesungen:
16.03.2012 Leipzig – Centraltheater // 18.03.2012 Köln – Kulturkirche // 25.03.2012 Berlin – Volksbühne // 23.04.2012 Hamburg – Uebel & Gefaehrlich // 24.04.2012 Bremen – Schwankhalle // 29.04.2012 Dresden – Bärenzwinger // 30.04.2012 Wien – Brut // 02.05.2012 Salzburg – ARGE Kultur // 03.05.2012 München – Freiheiz // 04.05.2012 Schorndorf – Manufaktur // 05.05.2012 Frankfurt – Hochschule für Musik und Darstellende Kunst