„If you can´t fix it, you don´t own it.“
Was vor nicht allzu langer Zeit noch als spießig, altmodisch und tendenziell lächerlich galt, ist heute das coole neue Ding: Selbermachen, oder auch DIY, Do It Yourself. Christina Mohr schaut sich das Phänomen genauer an.
Wann und womit hierzulande der Selbermaching-Trend begann, ist nicht genau zurückzuverfolgen. Sind Blixa Bargelds Werbefilmchen für eine Baumarkt-Kette schuld oder die Armada der TV-Köche, denen man so gerne abnehmen möchte, dass der Erwerb eines teuren Messerchens allein schon den ersten Stern für die heimische Küche garantiert? Und wer oder was sorgte für die Neubewertung „typisch weiblicher” Handarbeit? Heerscharen junger Frauen, die sich früher in Clubs die Beine in den Bauch tanzten und niemals freiwillig in Omas Nähkästchen geguckt hätten, versammeln sich mit Nadeln und Garn bewaffnet in Wohnzimmern und Cafés oder bestricken als Guerilla-Knitterinnen Parkbänke und Straßenschilder.
Im Frankfurter Museum für Kommunikation ist noch bis Februar 2012 die Ausstellung „DIY – Die Mitmach-Revolution” zu sehen (mehr hier), die sich allen nur denkbaren Bereichen widmet, in denen sich Menschen nicht auf industriell gefertigte Dinge resp. bestehende gesellschaftliche Strukturen verlassen wollten oder konnten und selbst Hand anleg(t)en.
Die Ausstellungsmacherinnen Tine Nowak, Verena Kuni und Annabelle Hornung spannen den Bogen weit: 50’er-Jahre-Heimwerkerboom, von Trümmerfrauen gefertigtes Nachkriegsspielzeug, in Walnussschalen versteckte Abhörwanzen aus der DDR, Fanzines und Stadtzeitungen, Seed-Bombing, der Melitta-Filter, Chemie-Baukästen für Schulkinder, Independent-Plattenlabels, Wikipedia, CB-Funk, die Nazi-Widerständler Edelweißpiraten – eine umfassende Klammer für all diese Aktionen, Bewegungen und Basteleien zu suchen, ist schwer und einfach zugleich.
Allen gezeigten Phänomenen gemein ist der enorme Erfindungsreichtum ihrer ProtagonistInnen, sei es aus Mangel, Neugierde, Protest oder Spaß an der Freud‘. Ebenso übergreifend ist der – mal mehr, mal weniger stark ausformulierte – Drang nach Autonomie, Autarkie, Unabhängigkeit: wer seine Kleidung selbst nähen, seinen Kuchen selbst backen und sein Haus selbst bauen kann, ist der Freiheit ein gutes Stück näher gekommen. Oftmals ist harte Arbeit unumgänglich, die Befriedigung „danach“ umso stärker. Das „DIY-Manifesto“ verkündet einprägsam: „If you can´t fix it, you don´t own it.“
Die Ausstellung erklärt nicht, sie zeigt – und lädt alle Interessierten zum Mitmachen ein. Fast täglich finden Workshops statt, in denen gestrickt, gekocht, gebastelt und getauscht werden darf. Die Resonanz ist groß und wer weiß, vielleicht beginnt die ersehnte Weltrevolution ja tatsächlich beim gemeinsamen Crocheting am Frankfurter Museumsufer. Der im Ventil Verlag erschienene Katalog ist weniger Ausstellungsabbildung, sondern ein aufwändig lektoriertes und ediertes Begleitbuch: in fünf Themenblocks (Hobby, Arbeit, Gegenkultur, Wissen, Medien) erklären und beschreiben Autoren wie Jürgen Teipel, Petra Eisele, Holm Friebe oder Verena Kuni ihre DIY-Erfahrungen.
Craftistas: können handgestrickte Socken politisch sein?
Die öffentliche Wahrnehmung in punkto DIY beschränkt sich gern auf niedliche und nutzlose Dinge wie gehäkelte Fingerpüppchen oder selbstgemachte Ohrringe aus Silberdraht, die in unübersehbarer Menge über Webportale wie dawanda.de und etsy.com verkauft werden.
Der Critical Crafting Circle, u. a. bestehend aus Missy Magazine-Herausgeberin Sonja Eismann, DIY-Ausstellungskuratorin Verena Kuni und Kulturwissenschaftlerin Elke Gaugele beschäftigt sich mit der politischen Komponente des Selbermachens: Crafting bedeutet mehr als dekorativen Tinnef in mühsamer Kleinarbeit herzustellen, sondern die bewusste Aneignung und Umdeutung früher als repressiv verpönter Handarbeitstechniken.
Vor 150 Jahren diente häusliche Handarbeit, der sogenannte „Hausfleiß”, dazu, junge Mädchen zu beschäftigen, damit sie nicht auf unkeusche Gedanken kamen. Und auch noch in der jüngeren Vergangenheit hatte die überwiegend weiblich konnotierte Haus- und Handarbeit einen schlechten Ruf: Kaum eine junge Frau wollte ihrer Großmutter nacheifern, selbst wenn oder weil diese mit selbstgenähter Kleidung aus gesammelten Lumpen ihre kriegstraumatisierte Familie durchgebracht hatte. In den frühen 1980’er Jahren brachten Die Grünen mit Wollknäueln und Stricknadeln zwar ein wenig hippieeske Anarchie in den Bundestag, cool oder nachahmenswert wirkte das aber nicht.
Die Feministinnen/Craftistas der Jetztzeit agieren auf vielen Feldern: aus den USA stammt beispielsweise die „new domesticism”-Bewegung, die das Handarbeiten auf der heimischen Couch nicht als duckmäuserischen Rückzug aus dem Sozialleben propagiert, sondern als bewusste und häufig ökonomischen Umständen geschuldete Abkehr vom kostspieligen Konsum- und Ausgehzwang. Das „kommando agnes richter.” widmet seine Guerilla-Strick-Anschläge der psychisch kranken Prinzhorn-Künstlerin gleichen Namens und die Fag Fighters weisen mit ihren pinkfarbenen Sturmmützen und spektakulären Aktionen auf die alltägliche Gewalt gegen Schwule in Polen hin.
Das ebenfalls bei Ventil erschienene Buch „Craftista!” stellt Crafting-AktivistInnen vor und bietet einen längst fälligen historisch-gesellschaftlichen Überblick über die Geschichte des Handarbeitens samt wichtiger Begriffserklärungen.
Im Idealfall ist Crafting eine leidenschaftliche Demonstration gegen Konsumterror und für Individualismus, Recycling und Nachhaltigkeit – und damit selbstverständlich politisch. In weniger idealen Fällen reicht die Wirkmacht des Bastelns und Boßelns nicht über den Hingucker-Effekt hinaus, auch deshalb, weil viele Craftistas hauptsächlich modisch-dekorativen Krimskrams herstellen und die revolutionäre Kraft der Blumensamenbombe als zweifelhaft einzuschätzen ist.
Die Herausgeberinnen verschweigen nicht, dass der Crafting/DIY-Trend voller Widersprüche steckt: meistens sind es weiße, verhältnismäßig wohlhabende Mittelstandstöchter, die ironisch-subversive Parolen in Kreuzstich auf Camouflagestoffe sticken – prekär Lebende können sich den Einkauf im schicken, sündhaft teuren Wollgeschäft nicht leisten und werden nur müde darüber lächeln, wenn sie erfahren, dass das Nähen von Kuscheltieren aus alten Waschlappen gerade total angesagt ist.
Trotz aller offenen Fragen, wackliger Argumentationen und fragwürdiger Politisierung: es war längst an der Zeit, dass „typisch weibliche“ Fähigkeiten und Hobbys denselben gesellschaftlichen Stellenwert bekommen wie das „typisch männliche“ Autoschrauben oder Briefmarken sammeln.
„Business up front, Party in the Back”: Zines über Frisuren, Mode und Musik
Dass Selbstermächtigung und DIY-Ethos vor allem in Druckerzeugnissen schier unerschöpfliche Kreativität und künstlerische Kraft freisetzen, dokumentiert der bereits Anfang des Jahres bei Die Gestalten erschienene Band „Behind the Zines“: die Herausgeber haben international herausragende Publikationen zusammengetragen, die in geringer Auflagenhöhe und selbstausbeuterischer Eigenproduktion entstanden sind.
Zines existieren für alle nur vorstellbaren und nicht-vorstellbaren Interessensgebiete, Fotografie, Musik und Mode sind da schon quasi Mainstream. Dennoch bzw. gerade deswegen finden auf dem Zine-Sektor die spannendsten Innovationen statt: wenn man sowieso keinen nennenswerten Verkaufsgewinn erzielt, kann man in gestalterischer und inhaltlicher Hinsicht richtig auf den Putz hauen.
Auch wenn das (Fan-)Zine häufig der Verbreitung von Spezialwissen über popmusikalische Bewegungen dient, ist das Musik-Zine nur ein kleiner Bestandteil von „Behind the Zines“, dessen Schwerpunkt – typisch für Die Gestalten – auf Ästhetik und Layout liegt.
Hervorheben möchten wir an dieser Stelle ein amerikanisches Zine, das sich ausschließlich dem Mullet-Haarschnitt, hierzulande VoKuHila genannt, widmet. Lässt man die im Zine getroffene Charakterisierung „Business up front, Party in the back“ mal richtig auf sich wirken, erscheint der Mullet in völlig verändertem Licht.
Christina Mohr
DIY: Die Mitmach-Revolution. Broschur. Ventil Verlag 2011. 214 Seiten. 19,90 Euro. Alles über die Frankfurter Ausstellung finden Sie hier.
Critical Crafting Circle (Hg.): Craftista! Handarbeit als Aktivismus. Broschur. Ventil Verlag 2011. 254 Seiten.14,90 Euro. Mehr hier auf der Verlagshomepage.
Klanten/Mollard/Hübner (Hg.): Behind the Zines: Self-Publishing Culture. Broschur. Gestalten 2011. 240 Seiten. 39,90 Euro. Mehr zum Buch hier.