Viele offene Fragen & einige gewagte Spekulationen.
Von Wolfram Schütte
“Alle Putin-Freunde von ganz rechts bis ganz links (was vielleicht dasselbe ist)”, beginnt Ihr, liebe Kollegen des “Perlentaucher”, eine Eurer Meldungen zur Ukraine/Krim-Krise. Es ist nicht die erste in dieser Sache, die Euch – die Ihr so stolz gewesen seid, keinem politischen Vorurteil, geschweige denn einer Ideologie zu folgen – an einem prekären Standpunkt zeigt.
Von ihm aus ist jeder, der nicht bedingungslos die offiziellen politischen Einschätzungen & Wertungen teilt, die von der Bundesregierung, “dem Westen” & den schreibenden Außenpolitikern der großen deutschen Printpresse über die Ukraine & die Krim gebetsmühlenhaft vertreten werden, automatisch ein Putin-Freund oder ein noch nicht einmal mehr bedauernswertes Opfer, sondern womöglich gar ein bewusster Propagandist der Putinschen Propaganda.
Auch im politischen Unterhaltungsfernsehen namens Talkshow sind schwarz & weiß vorweg ausgemacht & die Rolle vom Schönen-Wahren-Guten und dem bös-gierigen Biest festgelegt – wenn nicht gelegentlich greisenhaft-freche Selbstdarsteller wie Peter Scholl-Latour oder der welterfahrene Reporter Gerd Ruge die Talk-Runden ein wenig aufmischen.
Da ich weder ein Putin-Freund bin, noch ihn gar “für einen lupenreinen Demokraten” halte (eher für einen lupenreinen Autokraten), fühle ich mich natürlich auch nicht von Euch “Perlentauchern” angesprochen.
Aber verärgert schon, weil ich die Art & Weise, wie bei uns über die Ukrainischen Entwicklungen berichtet, geschwiegen & geurteilt wurde, für fatal, weil borniert & primitiv halte – sowohl, wenn man dieser Tage an den Anfang des 1.Weltkriegs vor 100 Jahren denkt, als auch wenn man zufällig gerade Swetlana Alexijewitschs Buch “Leben auf den Trümmern des Sozialismus” liest, dieses komplexe sozialpsychologisch-literarische Panorama der “Secondhand-Zeit” & ihrer Mentalitätsfelder, welche die “Friedenspreisträgerin” in den Ländern der ehemaligen UdSSR erforscht & dargestellt hat.
Ist denn keiner unter Euch “Perlentaucher“, der Euren derzeitigen Zug ins Totalitäre bemerkt? Keiner, der in der Lage wäre, diese voreingenommene Rhetorik historisch & geistig zu orten: als reinster Ausdruck des Kalten Krieges – in dem jeder, der nicht in das gewünschte Hohe Lied einstimmte, als “Fellow traveller”, “Kommunist” oder als Sympathisant der “Fünften Kolonne” diskriminiert wurde – & zwar sowohl diesseits als (mit umgekehrten Vorzeichen) auch jenseits der damaligen Zonengrenze?
Naturgemäß gibt es zu dem derzeitigen Casus unterschiedliche Meinungen, deren Pro & Contra bei manchen, die sich äußern, mehr oder weniger offen oder subversiv, ideologisch bedingt sein mögen oder sein dürften. Aber, bitte schön bei allen!
Solange wir uns aber noch beim politischen Streit auf Vernunft & Argumentation einigen können & unsere eigenen uns bewussten oder uns verschwiegenen Bedingtheiten dabei in Rechnung stellen, sollten wir uns aber nicht auf das pauschale Freund/Feind-Schema einlassen – sondern einzig versuchen, die Argumente abzuwägen.
Weder in den Hintern kriechen, noch in den Hintern treten
Es gibt im Hinblick auf die ukrainisch-russischen Konflikte im Laufe ihrer Entwicklung mehr verdrängte Fragen & evidente Fragwürdigkeiten als die eindimensionalen Antworten & Schuldzuweisungen, mit denen fragende Skeptiker mundtot gemacht werden sollen.
Langsam scheint sich z.B. jetzt erst die Überlegung durchzusetzen, dass man “im Westen” allzu lange sich nicht wirklich politisch in dem bismarckschen Sinne gegenüber dem von Gorbatschow über Jelzin zu Putin heruntergekommenen Russland verhalten hat. “Politisch” heißt im Sinne Bismarcks – daran hat der kluge Erhard Eppler kürzlich in einer Kolumne der SZ erinnert –, “sich in die Schuhe des anderen versetzen zu können”, also dessen eigenste politische Interessen zu erkennen, um sie bei der eigenen Politik in Rechnung stellen zu können. .
Davon habe ich in den vergangenen Jahrzehnten in der Diplomatie des Westens nichts gehört, gesehen oder bemerkt – seit den Deutschen durch den de facto-Totengräber der UdSSR, Gorbatschow, ihre Wiedervereinigung in den Schoß gefallen ist & durch den de facto-Ausverkäufer & familiären Selbstbediener aus der kommunistischen Konkursmasse, Jelzin, das Riesenreich einem feudalistischen Raub-Kapitalismus zufiel.
Dem Putinsch’en Trauma-Satz, wonach die Russen in einem Staat eingeschlafen & in einem völlig anderen aufgewacht seien, ist ja wohl kaum zu widersprechen. Er offenbart über seine faktische Wahrheit hinaus jedoch nicht nur bei dem machthabenden ExNKWD-Offizier eine offen einbekannte Mentalität der politischen Ohnmacht & der weltweiten öffentlichen Demütigung für die in die Knie gegangene einstige Weltmacht UdSSR.
Man muss diesen Einflussverlust gewiss nicht bedauern. Immerhin reicht die russische Macht aber noch aus, um Edward Snowden, der uns in mutigem Alleingang das hässliche Gesicht der noch amtierenden anderen Weltmacht offenbart hat (wie Prometheus den Menschen einst das Feuer brachte), eine einzigartige Freistatt außerhalb der US-Machtsphäre zu gewähren.
Aber ein intelligenter (“westlicher”) Politiker dürfte doch (schon allein aus Eigeninteresse!) die Gefährlichkeit solchen imperialen Machtverfalls für das Selbstbewusstsein & -verständnis des davon Betroffenen nicht unterschätzen oder gar außer Acht lassen. Müsste er nicht sogar vermeiden, den taumelnden Koloss durch ein triumphalistisches Auftreten zu unbedachten Handlungen zu reizen? (Kann aber ein Paranoiker den andern “verstehen” & können beide wechselseitig ihre Paranoia abbauen?)
Das heißt nicht, vor dem “Untergeher” zu kuschen oder ihm in den Hintern zu kriechen. Aber auch nicht, um im Bild zu bleiben, dem Maladen in den Hintern zu treten. Man kann jemanden auch auf Distanz “Verständnis” zeigen & ihn gleichwohl in seine Schranken weisen – statt ihn durch die eigene augenblickliche Mächtigkeit & Beliebtheit vor aller Augen zu demütigen. Müsste man nicht sogar – um weiterhin in der gewählten Metapher zu bleiben – ein äußerstes politisches Eigen-Interesse daran haben, den unaufhaltsam Niedergehenden mit Bedachtsamkeit zu behandeln – anstatt den Stürzenden auch noch grinsend zu stoßen?
Wo ist aber da die diplomatische Vernunft geblieben, als westliche Politiker auf dem Maidan ihre Reden schwangen? Wo ist die politische Vernunft geblieben, als man damit offen spekulierte, dass die ukrainischen Oligarchen – die jetzt zu Feudalherren nobilitiert wurden, nachdem ihre Parlamentarier die jetzige Regierung installiert hatten – lieber im Schutz der (von ihnen kontrollierten) “Demokratie” ihre Schäfchen ins Trocken bringen würden, als der “Launenhaftigkeit” oder der konkurrierenden Kriminalität des gewählten Autokraten im Kreml ausgesetzt zu sein?
Zynisch-offener hat noch keiner der Lobredner des Westwegs der Ukraine zur “Demokratie” sie als ideologische Camouflage zum korrupten Machterhalt der ukrainischen Oligarchen ausgesprochen.
Absehbares Krim-Problem
Oder eine andere offene Frage: warum hat keiner der westlichen Diplomaten beim zweimaligen ukrainischen Anlauf, aus der russischen politischen Hegemonie ins westliche Lager zu gelangen, daran gedacht, dass es dann automatisch ein “Krim-Problem” geben würde – weil die russische Großmacht nicht ihre Schwarzmeerflotte in einem anderen Staat stationiert sein lassen konnte? (Würden die USA tatenlos zusehen, wenn sich Hawaii für unabhängig erklären würde & dadurch der Heimathafen ihrer Pazifikflotte, Pearl Harbor, in einem anderen Land läge?)
Warum wurde das groteske historische Paradox nicht durchdacht, dass es der ukrainische KP-Generalsekretär Nikita Chruschtschow war, der seiner fest in der UdSSR verankerten Heimat 1954 als großzügige Geste die Krim geschenkt hatte? Und zwar zur Erinnerung daran, dass sich 300 Jahre vorher die Ukraine unter den Schutz des russischen Zaren gestellt hatte!
Was für eine welthistorisch-geografische Groteske, was für eine kolossale Pointe!
Hätte eine kluge politische Diplomatie des Westens das anstehende Dilemma nicht mit beiden Betroffenen ansprechen, be- & durchdenken müssen, statt ignorant (oder gar mit Kalkül?) darauf zu warten, dass Putin den Gordischen Knoten der Krim mit einem völkerrechtswidrigen Schlag in seinem Sinn “lösen” würde?
Als die drei EU-Außenminister mit dem bedrängten Janukowitsch ihren pazifizierenden Vertrag über eine ukrainische Neuwahl in einer Nachtsitzung ausgehandelt hatten – & sie stolz das diplomatische Ergebnis ihrer Verhandlungen der staunenden Welt verkündeten, standen sie einen Tag später dreifach wie Chamberlain nach dem Münchner Abkommen mit Hitler da, als dieser dennoch in die Thschecholowakei einmarschierte – wie diesmal “die radikalen Kräfte des Maidan” (diese Formulierung gebrauchten unsere Medien) Janukowitsch, der offenbar um sein Leben fürchtete, ins russische Exil vertrieben haben. Wie das?
Von den “radikalen Kräften” &, dass es rechtsradikale Aktivisten seien, erfuhren wir damals zum ersten Mal. Unter den mehr als 100 Toten des Maidans, die von Scharfschützen einer regierungsnahen Elitetruppe getötet worden sein sollen, hätten sich aber auch Polizisten befunden, hörten & lasen wir auch einmal (& dann nicht mehr) – zusammen mit dem Verdacht, dass “die rechtsradikalen Kräfte” (zurück)geschossen hätten! Womit sowohl der plötzliche Macht-Umschwung als auch die überstürzte Flucht des Janukowitsch plausibel erscheinen würde.
Die bislang “friedliche“ Revolution “des ukrainischen Volks“ war offenbar über Nacht in ihre kriegerische Gewaltphase umgeschlagen, ohne dass uns die Medien bis heute dieses Rätsel je plausibel erklärt hätten. Eher sah es so aus, als wollte niemand es genauer wissen.
Erst als die dann im Parlament gewählte “Übergangs-Regierung” in den östlichen Landesteilen der dort mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung sofort das Russische als zweite Amtssprache verbot, wurde plötzlich darüber berichtet, dass in der “Übergangs-Regierung” auch Mitglieder der faschistisch-antisemitisch-nationalistischen “Swoboda“- Partei säßen.
Eine Tatsache, die umso peinlicher war, als sie Putin zupass kam, um als (wieder einmal “gerufener”) “Retter” aller Russen der Krim aufzutreten & eine Okkupation wie in einer Offenbach-Operette als geheimnisvolle Selbstverteidigung zu inszenieren – bis auch hier der ethnische Patriotismus qua Volksabstimmung obsiegte.
Nachdem nun aber auch noch die blonde Ährenkranz-Ikone Timoschenko in einem bekannt gewordenen Telefongespräch ihr wahres Gesicht offenbart hat – & diese Denunziation der faschistoiden Oligarchin von ihr als patriotische Wahlempfehlung verstanden wird –, sieht sich “der Westen” in der peinlichen Lage, um Himmels willen zu hoffen, dass ihre Landsleute sie gleichwohl nicht zur Ministerpräsidentin wählen werden.
Was nun? Was tun?
In Putins Kremlrede zur “Heimkehr der Krim ins russische Reich” gibt es eine hoch interessante Passage, in der er davon spricht, dass die Deutschen besonderes Verständnis für seinen politischen Coup aufbringen müssten, weil Russland schon für ihre Wiedervereinigung gewesen sei, als andere (unausgesprochen: Margret Thatcher) im Westen noch gezögert hätten.
So historisch schief & politisch vergiftet diese nach Deutschland blinzelnde Bemerkung auch ist, so offenbart sie doch womöglich eine Lösung des Konflikts zwischen “dem Westen” & dem “Putin’schen Russland“, das nun die Erfahrung macht, nach Jahrzehnten der Lächerlichkeit wieder respektiert, wenn auch zugleich isoliert zu werden.
Wenn jemand geeignet wäre, mit Putin in einen adäquaten Dialog zu treten, der Aussicht hätte, aus der politisch verfahrenen Situation herauszuführen, dann wäre es wohl in der Tat Angela Merkel – weil sie aus der DDR stammt & Russisch versteht. Offenbar glaubt sich der DDR-Kenner Putin von der Templiner Pfarrerstochter als Russe besser verstanden als von den anderen westlichen Kontrahenten.
Allerdings müsste das auch Barack Obama wollen. Denn nur als Sprecherin eines Westens, der politisch & diplomatisch auf dem Quivive ist, wäre ein solcher Dialog “auf Augenhöhe” in gegenseitigem Interesse sinnvoll. Der US-Präsident, der augenblicklich Putin wie einen flüchtigen Ladendieb abkanzelt, ist weit von einer solchen Ein- & Ansicht entfernt.
Obama hat noch nicht einmal begriffen, wie politisch dumm es ist, Russland eine “bloße Regionalmacht” zu schimpfen, um es bewusst verbal zu verletzen – nur um der Welt arrogant wie kaum je zuvor sich als potenten Hegemon zu präsentieren, der sich damit auch noch offen brüstet, andere & weniger sichtbare Mittel als Putin zu besitzen, den Staaten in seinem Machtbereich seinen Willen aufzuzwingen.
Obama hat noch nicht einmal begriffen, dass die USA mit ihrer NSA ihre “befreundeten” Verbündeten genauso arrogant behandeln wie die UdSSR einst ihre osteuropäischen Satrapen – und dass nicht nur Russland heute nicht mehr ist, was es einst war, sondern auch nicht mehr die USA das noch sind, was sie einmal waren & fälschlicherweise immer noch zu sein glauben – wie ihr Präsident vollmundig mit durchgedrückten Knien & federndem Gang körpersprachlich eindrucksvoll zu suggerieren meint.
Dieser Intellektuelle ist zu eitel im Bewusstsein, der erste schwarze Präsident des machtvollsten Staates des Globus zu sein, & er ist – nicht nur außenpolitisch – zu dumm, um auch seine Grenzen zu erkennen. Ein Koloss auf tönernen Füßen.
Barack Obama, der erste Friedenspreisträger ohne eine entsprechende weltpolitische Leistung, hat sich ist leider zur größten präsidentiellen Enttäuschung der USA nach dem II. Weltkrieg entwickelt. Hochmut – den der Jäger mit den Drohnen reichlich besitzt – kommt vor den Fall, heißt es in der Bibel. Hoffen wir, dass sich die Kollateralschäden von Barack Obamas Präsidentschaft in Grenzen halten.
Wolfram Schütte