Geschrieben am 28. September 2009 von für Hörbuch, Litmag

Elfriede Jelinek: Über Tiere

Elfriede Jelinek: Über TiereDer Körper als Haus

Keine Frage: das Tier bei Elfriede Jelinek, das ist der Mann. Wenn die Österreicherin also dazu anhebt, einen Text über Prostitution zu schreiben, dann weiß man, was man zu erwarten hat. Subtilitäten haben Elfriede Jelinek noch nie interessiert. Andererseits geht es in den Bordellen von Deutschland, Österreich und sonst wo eh nicht subtil zu, so viel hat man als aufgeklärter Bürger schon mitbekommen. Von Tina Manske

Im ersten Teil des Textes wird man in Sicherheit gewogen: Da ist in den pastellfarbensten Tönen von der Liebe die Rede, und Jelinek nimmt sich durchaus auch selbst auf die Schippe, wenn die Kalauerdichte dieses Um-die-Worte-Herumdrehens und -webens zu hoch wird, was einige Male passiert: „Und ich vermeide den Scherz, warum du es mir besorgen sollst, und zwar nur deshalb, weil ich ihn schon zu oft gemacht habe. Keiner lacht. Recht hat er. Recht hat keiner.“ Und da ist auch wieder das Thema, um das sich Jelineks Texte immer auch drehen: die Grenze zwischen Körper und Welt. Ein Haus haben zum Beispiel: ja, das wäre schön, andererseits ist doch der Körper unser Haus. Wenn wir uns in dem nur sicher fühlen könnten … Richtig romantisch könnte man werden.

Hämatome, gesplitterte Zähne und eine tote Frau

Umso größer ist der Kontrast zum zweiten Teil, den Jelinek unter anderem aus Polizeiaufzeichnungen von Verkaufsgesprächen einer Wiener Nobel-Eskortagentur zusammengestückelt hat und der ein erschreckendes Abbild der Realität zeichnet. Minderjährige Mädchen aus Osteuropa werden gehandelt wie Frischfleisch („Noch Jungfrau!“), Politiker und Manager feilschen um Preise und Praktiken. Am Ende dieser eigentlichen Zumutung stehen Hämatome, gesplitterte Zähne und eine tote Frau, der der Körper zu eng wurde. Was tagtäglich in den Zeitungen unter „Vermischtes“ steht, hier wird’s Ereignis.

2007 wurde das Stück im Wiener Burgtheater uraufgeführt, nun liegt im Schweizer Christoph Merian Verlag eine mit modernster Technik (5.1.-Dolby-Stereo-Surround) aufgenommene Radioversion auf CD vor. Bemerkenswert an dieser Produktion ist vor allem zweierlei: Sylvie Rohrers manisch gehetzte Darbietung des monomanischen Textes (für den sie im Theater wohl noch nicht mal die Dienste der Souffleuse in Anspruch nahm, Respekt) und die Musik von Regisseur Ruedi Häusermann. Für ihre Darbietung mit dem „Nestroy-Theaterpreis“ zu Recht geehrt, führt Sylvie Rohrer so fulminant durch diesen Monolog der Pornohölle, dass man – selbst wenn man dann und wann die Konzentration und die Geduld verliert – gebannt an ihren Lippen hängen bleibt. Dagegen bilden die vielen von Häusermann inszenierten Klaviere sowie der Chor ein bildungsbürgerliches Gegenstück zu den Ungeheuerlichkeiten, die da aus dem Mund der Schauspielerin sprudeln.

Tina Manske

Elfriede Jelinek: Über Tiere. In einer musikalischen Durchquerung von Ruedi Häusermann. Hörspiel. 2 CDs, Laufzeit 90 Minuten. Basel: Christoph Merian Verlag 2009. 19,00 Euro.