Männer in der midlife crisis
– Eigentlich ist es gar nicht erstaunlich, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Lebensentwürfe haben. Und dass viele damit unzufrieden sind. Und auch das gar nicht so neue Mantra „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum“ ist eigentlich – ja, gar nicht so neu. Ben Stiller sah sich offenbar trotzdem bemüßigt, einen erstaunlich einfältigen Film zum Thema midlife crisis zu machen. Zoë Beck
Walter Mitty führt an sich gar kein erstaunliches Leben. Er sitzt im Fotoarchiv des Magazins Life! und hat unter anderem dafür zu sorgen, dass den Negativen des berühmten Fotografen Sean O’Connell nichts passiert. Irgendwie ist Walter deutlich verklemmt und verhuscht, und irgendwie träumt er sich deshalb in alberne Superheldenvisionen, die ihn fast schon Minutenlang aus dem öden Alltag reißen. Nun soll das Life!-Magazin nicht mehr im Print, sondern nur noch online erscheinen, was Walters Job überflüssig macht. Dazu ist er noch unglücklich in eine Kollegin verliebt, und die neue Chefgarde besteht, wie das für Onlinemenschen eben so üblich ist, aus hirnlosen Idioten, die einzig existieren, um sich über ihn lustig zu machen. Walters letzte große Aufgabe: sich um das Titelbild für die letzte große Ausgabe zu kümmern. Ein Foto, natürlich von Sean O’Connell, und aus irgendeinem Grund ist das Negativ dazu unauffindbar, ebenso wie der Fotograf, der ohne festen Wohnsitz und über die üblichen Kommunikationskanäle unerreichbar an einem unbekannten Ort auf diesem Planeten sitzt.
Walter macht sich auf den Weg und sucht O’Connell und das Negativ. Dabei besteht er diverse Superheldensituationen: Er springt aus einem Hubschrauber, treibt im eisigen Atlantik, muss einem ausbrechenden Vulkan entkommen, schließlich die höchsten Berge besteigen. Am Ende – ohne zu viel verraten zu wollen – wird Walters zukünftiges Leben ohne seinen Job beim Life!-Magazin angedeutet, und warum er nun diese Superheldenkräfte in sich entdecken musste, bleibt unklar, es sei denn, man muss all das getan haben, um mit der braven alleinerziehenden Kollegin, deren Hobby Kriminalromanschreibseminare sind, Händchenhalten zu dürfen.
Nichts also ist erstaunlich an Walters Leben, bis auf diese wenigen Tage. Natürlich kann man es umdrehen und erstaunlich finden, dass Walter bei allem, was möglicherweise in ihm steckt, ein derart ödes Leben zulässt.
Schöne Bilder bietet der Film, hingegen katastrophale Plotschwächen, Charaktere so flach wie Bierdeckel, und mit drei ganz schwachen Frauenfiguren ein höchst zweifelhaftes Frauenbild. Aber es ist ja auch ein Männerfilm, über Männer in der midlife crisis, die merken, dass sie irgendwas falsch gemacht haben und deshalb – ja was? Mal nach Grönland schippern? Vor Vulkanausbrüchen wegskaten? Auf Berge klettern? Um sich dann etwas zufriedener dem (gepatchworkten) Familienleben zu widmen?
„Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ ist unterm Strich erstaunlich unentschieden: keine so richtige Komödie, keine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, was ein erfülltes Leben ausmachen mag, keine Spur von Ironie oder Satire, und schon gar keine Charakterstudie. Anders als die Verfilmung der Thurber-Kurzgeschichte „Das Doppelleben des Walter Mitty“ von 1947 mit Danny Kaye, wo sich ein schüchternes Muttersöhnchen mit dominanter Freundin von seinem Chef ausnutzen lässt und dessen Tagträume doch immerhin einen dramaturgischen Nutzen haben, sodass eine tatsächliche Wandlung mit der Hauptfigur geschehen kann.
Und um auch das letzte Argument noch zu entkräften, es handle sich um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Vormarsch der Onlinemedien: Der Film sagt uns auch nicht, warum ein papierenes Magazin so viel sinnvoller sein mag. Wegen der schönen Titelseiten, die einen am Zeitungskiosk anstrahlen? Weil Menschen, die im Onlinebereich arbeiten, grundsätzlich gelackte Vollpfosten sind, die von nichts Ahnung haben und gemein zu den Walter Mittys dieser Welt sind?
Nein, dem Film fehlt ungefähr alles, was es zu einer guten Geschichte braucht. Die wirklich schönen Landschaftsaufnahmen wurden bereits erwähnt, aber wozu dann der störende Rest? Dabei könnte aus einer midlife crisis so viel Gutes, Neues, Schönes entstehen …
Zoë Beck
The Secret Life of Walter Mitty. USA: 2013. FSK 6.
Regie: Ben Stiller, Drehbuch: Steve Conrad. Mit Ben Stiller, Kristen Wiig, Shirley MacLaine, Adam Scott, Kathryn Hahn, Sean Penn, Patton Oswalt u.a. Still aus Mitty: Quelle.