Geschrieben am 2. November 2016 von für Hörbuch, Litmag

Hörbuch: Hans Sarkowicz: Geheime Sender. Der Rundfunk im Widerstand gegen Hitler

sarkowicz_geheime_sender_8cd_173647Rundfunkverbrecher, Radioschrauber, Widerstandssender

– Das vom HR-Redakteur Hans Sarkowicz produzierte Hörbuch „Geheime Sender“ berichtet auf 8 CDs in einer spannenden Mediengeschichte über Radiosender im Widerstand gegen Hitler. Von Peter Münder

„Man hat Hitler ja auch am Radio brüllen hören und mein Vater wurde krank davon, wenn er das hörte, physisch. Wenn er dieses Gebrüll hörte, wurde ihm physisch schlecht. Er konnte es nicht ertragen: „Stell´s ab. Ich kann das nicht hören“. Elisabeth Mann Borgese über ihren Vater Thomas Mann (In: Heinrich Breloer: „Unterwegs zur Familie Mann. Begegnungen, Gespräche, Interviews“. S. Fischer Verlag Frankfurt 2001, S. 64)

Das „allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsmittel“ war für den Nazi-Propagandaminister Goebbels der Rundfunk. Der sollte die Bevölkerung „so innerlich durchtränken, dass überhaupt niemand mehr ausbrechen kann“, wie er schon unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 postulierte. Um das totale Radio- Brainwashing zu gewährleisten, wurden für widerspenstige Abweichler, die Auslandssender hörten, drakonische Strafen verhängt, während des Zweiten Weltkriegs wurde das Abhören von „Feindsendern“ sogar mit der Todesstrafe für diese „Rundfunkverbrecher“ verfolgt.

Der HR-Radiojournalist und Biograph (über Erich Kästner und Heinz Rühmann) Hans Sarkowicz hat in dieser grandiosen Dokumentation über die ca. hundert Widerstandssender während der Nazizeit viele faszinierende Aspekte der Rundfunkgeschichte beleuchtet. Hintergrund-Informationen über die Entstehungsgeschichte des deutschsprachigen Dienstes der BBC (seit der Sudetenkrise von 1938 auf Sendung) oder von Radio Moskau werden ergänzt mit Sketchen, Interviews und O-Tönen der prominententesten Deutschen wie etwa Thomas und Golo Mann, die in ihren Ansprachen bei der BBC oder US-Sendern zum Widerstand gegen die Nazi-Diktatur aufriefen.

Extrem facettenreich und unterschiedlich war die ideologische Ausrichtung dieser Widerstandssender: Es gab den vom Komitee der Pariser Exil-KPD gegründeten Deutschen Freiheitssender 29,8, für den auch Brecht einige Beiträge („An die Nachgeborenen“) beisteuerte, den vom „Führer“ enttäuschten Nazi Otto Strasser mit seinem Sender der „Schwarzen Front“, den vom emigrierten Zentrums-Abgeordneten Otto Spiecker auf einem im Ärmelkanal kreuzenden Fischkutter installierten Kurzwellensender, der als Sprachrohr der „Deutschen Freiheitspartei“ auftrat und im März 1941 eingestellt wurde. Der nach England emigrierte Politikwissenschaftler Richard Löwenthal hatte mit der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ den „Sender der Europäischen Revolution“ aufgebaut, der keineswegs auf abstrakt-visionäre Europa-Ideale fixiert war, sondern handfest-pragmatisch zu Sabotage-Akten aufrief und das illegale Abhören propagieren wollte: „Genossen, unser Ziel ist der Sturz des Hitlerregimes, sorgt dafür, dass immer mehr Menschen unsere Stimme hören können. Darum, wo immer sich dir eine vorteilhafte Gelegenheit bietet, schreibe in Blockbuchstaben: Europäische Revolution, Welle 31,2; 23 Uhr“.

Kurios war auch der vom britischen Journalisten Sefton Delmer betriebene Geheimsender „Gustav Siegfried 1“, der den Hörern suggerierte, im Deutschen Reich von Widerstandsgruppen betrieben zu werden, die sich aus Enttäuschung über verratene deutschnationale moralische Prinzipien über Korruption, Cliquenwirtschaft von Bonzen und die Skrupellosigkeit blutrünstiger Generäle empörten. Delfter war nämlich davon überzeugt, dass während der allgemeinen Euphorie über erfolgreiche Blitzkriegs-Eroberungen jede direkte Aufforderung zum offenen Widerstand sinnlos und eine „Verschwendung von Atem und elektrischem Strom“ sei.

Wie Sarkowicz in seinem Kommentar so treffend bemerkt, dürfte der Erfolg dieser Aufrufe minimal gewesen sein – denn „noch eilte die deutsche Armee von Sieg zu Sieg“. Und in dieser „Morgen gehört uns die ganze Welt“-Phase stießen wohl alle anderen Widerstandssender auf eine ähnlich dürftige Resonanz.

Erst mit der Bombardierung Englands und dem Russlandfeldzug wuchs das Interesse der Hörer an realistischen Darstellungen des Kriegsverlaufs, steigerte sich die Kritik der Bevölkerung an den größenwahnsinnigen Eroberungsphantasien von Hitler und seinen Generälen. Die BBC-Maxime „Never tell a lie“ wurde nun von vielen tausend Hörern honoriert, die sich auf den deutschsprachigen Dienst verließen, um statt verlogener Propaganda harte Fakten und glaubwürdige Beschreibungen aktueller Ereignisse zu bekommen.

Erschütternd und bewegend wirken heute noch einige Ansprachen und Aufrufe von Thomas Mann, der hier mit seiner Rechtfertigung der britischen Bombenangriffe auf deutsche Städte zu hören ist. Nach den deutschen Bombardierungen von London und Coventry, in denen Tausende von Zivilisten starben, seien die britischen Angriffe auch auf seine Heimatstadt Lübeck nachvollziehbar, erklärte er. Seine radikale Widerstands-Haltung gegen die Hitler-Diktatur und all „die verruchten Lumpen, die Euch regieren“ wurde damals ja von den Kindern Erika und Klaus angestachelt, die seine jahrelange allzu moderate Kritik am braunen Mob scharf kritisiert hatten und ihn aufforderten, „endlich aus der Deckung zu kommen“.

So empörte sich Thomas Mann schließlich in seinen Ansprachen an deutsche Hörer, die damals im kalifornischen Exil auf Platte aufgenommen und dann von der BBC in London gesendet wurden, über skrupellose Nazis, die nichts weiter als „eine gemeinere Abart des sowjetischen Bolschewismus“ darstellten. Die alliierten Bombenangriffe kommentierte er 1941 gegenüber den deutschen Hörern mit dem Hinweis, dass er nichts einzuwenden habe „gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muß“. Und nachdem die Tage eines Deutschlands „in Güte und Größe“ mit der Existenz des „Unaussprechlichen“ – nämlich der massenhaften Ermordung von Juden – vergangen sind, kann er seiner Wut, Verzweiflung und Empörung nur noch mit dem emotionalen Ausbruch Ausdruck verleihen: „Zur Hölle mit Euren Führern und ihren Spießgesellen!“

Falls es ein Prädikat „Hörbuch des Jahres“ gibt, hat diese faszinierende, eindrucksvolle Dokumentation von Hans Sarkowicz über die geheimen Widerstandssender gegen Hitler diese Auszeichnung jedenfalls verdient.

Peter Münder

Hans Sarkowicz: Geheime Sender. Der Rundfunk im Widerstand gegen Hitler. Mit Beiträgen von Thomas und Golo Mann, Lotte Lenya, Friedelind Wagner u.a. Hörverlag München 2016, 8 CDs, ca. 9 Std. 45 Min. 35,00 Euro.

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