Geschrieben am 15. Dezember 2010 von für Litmag, Porträts / Interviews

Im Porträt: Verleger Klaus Sander (2)

Klaus Sander und supposé (2): Die Ordnung des Feldes

– Zum ersten Teil des Porträts – Klaus Sander trifft Wissenschaftler und Künstler und bringt sie zum Sprechen. Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis, denn man hört ihn nicht. Seine Gesprächsanteile werden rausgeschnitten. Kein Job für Selbstdarsteller also. Wie kommt man dazu?

Der Evolutionsbiologe Axel Meyer erzählt:Der Evolutionsbiologe Axel Meyer erzählt

Als Student in Bochum lernte Sander, Jahrgang 1968, Vilém Flusser kennen, den polyglotten, charismatischen Philosophen und Medientheoretiker, der seine Vorlesungen mit „supposé que …“ (vorausgesetzt, dass …) eröffnete, womit er auf die Gebundenheit von Aussagen an bestimmte Annahmen hinwies. Für ihn war das Denken ein im Wandel befindlicher, kommunikativer Prozess. Nach Flussers Tod 1991 half Sander der Witwe bei der Herausgabe des Nachlasses, in dem sich viele Audio-Dokumente befanden, denn Flusser war ein gesuchter, unkonventioneller Redner und Interviewpartner gewesen. Sander begann sich für das gesprochene Wort, für seine Eigengesetzlichkeit und seinen Eigenwert zu interessieren.

Anfangs durchforschte er Archive nach historischen Tondokumenten. Nach der Gründung von supposé (1997) veröffentlichte er seine Entdeckungen in der Reihe „wissenschaftsgeschichte im originalton“. „Verehrte An- und Abwesende!“ grüßt da etwa Albert Einstein von einem 2-CD-Set, das Vorträge in Deutsch und Englisch präsentiert. Max Delbrück, Begründer der Molekulargenetik, wagt auf „Die Pipette ist meine Klarinette“ sogar zwei Songs. Max Planck, Lise Meitner, Werner Heisenberg und viele andere berichten von ihren Entdeckungen und nehmen Stellung zu Problemen der Zeit. Mit sachlicher Inbrunst erzählt Gershom Sholem, der Erforscher der Kabbala, sein Leben, und man lauscht mit Bewunderung.

Der Experimentalphysiker Anton Zeilinger erzählt:Der Experimentalphysiker Anton Zeilinger erzählt

Von Anfang an war supposé ein außergewöhnliches und eigensinniges Vorhaben. Wenn Klaus Sander über Leben und Label spricht, klingt der Eigensinn immer noch frisch. Gleichzeitig betont er die organische Entwicklung seines Forschungsunternehmens, das durchaus gewisse Risiken birgt. Projekte, selbst wenn sie gut vorbereitet sind, können auch scheitern …

Die umfangreichste Reihe (26 Titel) heißt „erzählte wissenschaft“. Nicht die Schriftsteller, sondern die Wissenschaftler erweisen sich als die Meister der Mündlichkeit. Sie sind es gewohnt, im Team zu arbeiten und sich permanent mit anderen auszutauschen, also zu sprechen. Auf Kongressen und in der Lehre präsentieren sie ihre Ergebnisse in freier Rede. Zwar ist nicht jeder Professor ein begnadeter Erzähler und Erklärer. Aber es gibt sie, die brillanten Enthusiasten, die den Zuhörer mitreißen, und hier sind sie zu hören.

Zudem besitzen die Themen ja ihren Eigenreiz: Jeder hat sich schon einmal die Frage gestellt, ob zwei Menschen dasselbe sehen, wenn sie „blau“ sagen. Jeder fragt sich im Herbst und Frühjahr beim Blick zum Himmel, was es mit dem Vogelzug auf sich hat. Über den Bienenstaat schrieb bereits Aristoteles. Und wie war das eigentlich mit Darwin und der Evolution?

Auch hier erhöht die Individualität der Sprecherpersönlichkeit den Genuss. Skeptisch gebremst beginnt etwa der Quantenphysiker Anton Zeilinger mit einem historischen Rückblick, um dann bei der Schilderung eigener Versuche in Feuer zu geraten. „Spukhafte Fernwirkung“ lautet der Titel der beeindruckenden CD, Untertitel: „Die Schönheit der Quantenphysik“. Peter Berthold, ein freundlich lächelnder Ornithologe mit imponierendem Bart, brennt vom ersten Wort an, für ihn ist das Erzählen die reine Lust, die „Faszination Vogelflug“ überträgt sich auf den Hörer.

Seit dreizehn Jahren reist Klaus Sander umher, projektiert, produziert und erntet euphorische Kritiken. Für das Gesamtprogramm von supposé gewann er den Deutschen Hörbuchpreis und den Kurt-Wolff-Preis für besondere Projekte. Der Mainstream war nie sein Zuhause, aber inzwischen hat er die neugierigen Hörer auf seiner Seite.

Die Virologin Karin Mölling erzählt: Die Virologin Karin Mölling erzählt

Und weiter? Zwei works in progress widmen sich unserem nördlichsten Nachbarn. Island, Gastland der Buchmesse 2011, hat eine üppige Saga-Tradition, die auf mündlicher Überlieferung beruht. Nun lassen Sander und sein Mitherausgeber Thomas Böhm sechs Sagas von Isländern auf Deutsch erzählen. Ganz verschieden davon und bereits auf der supposé-homepage angekündigt ist „Mein Leben im Fisch. Kristin Steinsdóttir erzählt das Island ihrer Kindheit“. Vom Cover glitscht der Fisch auf uns zu und man denkt: „Ja! Scheint fremd, aber klingt toll!“ Und so wird es auch sein.

Gisela Trahms

Geschenktipps:
Was im Hamburger Star-Club außer den Beatles los war: Hubert Fichte, Beat und Prosa (1966)
Für Mystiker:  Gershom Sholem, Die Erforschung der Kabbala
Für Tierfreunde: Team of Jeremy Roht, Animal Music (Wolfsgeheul)
Bienen traditionell: Karl von Frisch, Die Tanzsprache der Bienen
Bienen aktuell: Jürgen Tautz, Der Bien
Was uns heimsucht: Karin Mölling erzählt: Das Leben der Viren
Das gesamte Programm: www.supposé.de