
Was australischen Touristen verborgen bleibt, gräbt Tim Winton aus
Von Iris Tscharf
Australien. Ein schönes Land, oder? Sieht in Reisebroschüren so richtig zauberhaft aus mit den schillernden Fischen, den Schildkröten, den Mantarochen oder den Korallen im Great Barrier Reef. Den Krokodilen, den Delfinen und plüschigen Getier wie Kängurus, Koalabären und den süßen Wombats. Oder die mächtigen Wasserfälle im Kimberley Canyon wirken selbst auf Fotos atemberaubend schön.

Von schneeweißen Sandstränden und putzig aussehenden Beuteltieren findet man in Tim Wintons Roman nichts. Der australische Autor zeigt sein Land nämlich von einer Seite, die den Touristen – im Normalfall – verborgen bleibt: eine ausgetrocknete Salzwüste. Auf dieses Stück Land hat man die australischen Ureinwohner, die Arabana-Aborigines, zurückgedrängt. Tim Winton lässt hier seine Hauptfigur los, kein Aborigine, sondern ein Jugendlicher, den er durch dieses karge Land, das weitestgehend unbewohnt und unwirtlich die meisten Menschen abschreckt, durchqueren lässt.
Jaxie Clacktons altes Leben endet mit einem zugeschwollenen Auge und dem toten „Captain Drecksack“. Weil Jaxie befürchtet, dass die halbe Stadt Monkton mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn für den Tod seines Vaters verantwortlich machen würde, packt er schnell ein paar Sachen und flieht Richtung Norden, Richtung Magnet. Ohne Plan und mit zu wenig Wasser beginnt sein neues Leben als Flüchtender. Doch das Wasser wird bald knapp und als Jaxie vom Highway abweicht, steht er vor einer leeren, weißen Fläche und findet ein altes, heruntergekommenes Goldgräberlager, in dem er vorerst unterschlüpfen kann. Hunger und Durst prägen jede Minute, aber kein Getier lässt sich blicken, obwohl er gar nicht wählerisch wäre. Er würde alles essen: „… eine Schlange, einen Grashüpfer, sogar einen Dornteufel. Jedes Lebewesen, das vorbeikrabbelte. Aber es ließ sich keines blicken.“

In Tim Wintons Roman ist Australien alles andere als ein „beautiful place“. Dieses alte verlassene Lager ist durchfurcht mit Gruben, Löchern und Rinnen, so dass Jaxie bei jedem Tritt in einen Minenschacht fallen könnte. Scharfkantige Dosen, Glasscherben, Schrotkartuschen, Patronenhülsen, alles liegt zurückgelassen herum, als „hätten sie plötzlich die Schnauze voll gehabt und sich aus dem Staub gemacht.“ Unterbrochen wird dieses endzeit-wirkende Bild nur von ein paar Bergkängurus, die unbesorgt zwischen Salubris-Eukalypten hüpfen, bevor sie von Jaxies Waffe totgeschossen werden. Winton lässt abwechselnd verschiedene Bilder Australiens entstehen, eines, das lebt, eines, das wie tot und ausgedörrt wirkt. Mal gibt es Buschland voller Wüstenkasuarinen, Jandeebäume und Wurakbäume, in denen nachts Motten und Käfer schwirren, tagsüber Kakadus und Kragensittiche diesem harten Land eine Weichheit verleihen, dann wieder ein Bild mit umgegrabenen, misshandelten Böden oder dieser riesengroßen, weißen Salzpfanne, die sich in alle Richtungen erstreckt und in der kein Leben möglich scheint. Und doch verirren sich in diese Gegend Lebewesen. Ziegen, um genau zu sein. Jaxie. Und ein Mann, der hier schon seit Jahren lebt. Doch Jaxie weiß nicht, ob er ihm trauen kann, vielleicht ist er auch verrückt geworden in all der Einsamkeit hier draußen. Außerdem kann er gut mit dem Messer umgehen und die Antworten auf die Fragen, die Jaxie ihm stellt, sind mit Sicherheit nicht alle wahrheitsmäßig beantwortet worden. Doch Jaxie lässt sich überreden, vorerst in der Schäferhütte zu bleiben. Hier gibt es Wasser und die Ziegenfalle des Mannes ist wirklich gut konstruiert.

Inmitten diesem australischen endzeitlich wirkenden Setting lässt Winton viele Tiere wie Rotrückenspinnen, Drosselstelzen, Emus oder Bulldoggenameisen durchs Bild krabbeln, und eigentlich ist es der Mensch, der hier nicht ins Bild passt, der Mensch, dem es selbst unheimlich ist, seiner Spezies in dieser Gegend zu begegnen. Und es ist der Mensch, der diese Gegend wirklich stört mit all dem zurückgelassenen Müll und so manchem Geheimnis, das Jaxie wohl lieber vergraben hätte lassen sollen. Dann hätte die Geschichte vielleicht anders geendet. Aber so passt das Ende zu diesem trostlos erscheinenden salzigen und ausgedörrten Land in diesem atmosphärischen Roman über eine einsame, unwirkliche Gegend, in der man nicht landen möchte.
Iris Tscharf
- Tim Winton. Die Hütte des Schäfers (The Sheperd’s Hut, 2018). Aus dem Australischen von Klaus Berr. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 304 Seiten, 22 Euro. Verlagsinformationen.
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