Geschrieben am 13. Juni 2012 von für Kunst, Litmag

Kurzbesuch auf der documenta

Betender Boxermotor

– Auf der Kasseler documenta 13 stellt Thomas Bayrle seine stark beachteten Motoreninstallationen aus: Da stampfen die Kolben, rotieren die Kurbelwellen, während aus den Lautsprechern liturgische Rituale ertönen. Was hat sich der Künstler dabei gedacht? Impressionen von einem Kurzbesuch. Von Peter Münder

Es war wohl ein völlig idiotisches Timing, ausgerechnet am vergangenen Samstagmorgen um neun Uhr die artistische Riesenshow zu besichtigen, die zunächst vom Bundespräsidenten mit seinem Tross an Bodyguards, Bürokraten, hessischen Amtsträgern, BKA-Leuten und großem Polizeiaufgebot offiziell eröffnet wurde. Aber als rasender Reporter bzw. Durchreisender hat man manchmal keine andere Wahl: Da hieß es dann geduldig abwarten, bis Joachim Gauck vor dem Fridericianum im Blitzlichtgewitter unter starkem Zuschauerapplaus sein Bad in der Menge genommen hatte und dann hinunter in die documenta-Halle spazierte, wo der Frankfurter Altmeister Thomas Bayrle, 73, seine Motoren installiert hat.

Der Zugang zur Halle war für unser Grüppchen „normaler“ Presseleute während der präsidialen Besichtigungszeremonie für eine halbe Stunde gesperrt. Wir starrten – argwöhnisch von Polizei und Sicherheitsleuten beäugt – von draußen durch die Scheiben, sahen den freundlichen Herrn Gauck beim Rundgang durch die Halle geduldig den Erläuterungen (über Bienen, Erdbeeren oder Tomaten?) der blondlockigen documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev lauschen und noch ein paar nette Worte mit den Kindern von Thomas Bayrle wechseln. Und dann war die Halle mit Bayrles gigantischem Flugzeugwandbild und der „Carmaggedon“-Collage, vor denen die acht zersägten Motoren stehen, nach dem Abmarsch der staatstragenden Kulturträgertruppe auch schon frei.

Monstranz und Rosenkranz

Ich bin weder Imker oder Gemüsebauer noch am Konsum bewusstseinsverändernder Pflanzen interessiert – ganzheitliche Naturaspekte wurden ja diesmal schwerpunktmäßig thematisiert –, sondern wollte unbedingt die originellen, munter summenden und säuselnden aufgesägten Motoren von Thomas Bayrle in all ihrer ganzheitlichen Pracht, die souverän neben Bienen und Tomaten bestehen kann, bewundern.

Da stampfen die sechs Kolben in einem wunderbar rundlaufenden Porsche 911-Motor unermüdlich rauf und runter, und man kann wie im klassischen Physiklehrbuch die Umwandlung vertikaler Bewegungsabläufe in die Rotation studieren: Stammt daher vielleicht die Rosenkranz-Assoziation? Denn „Rosenkranz“ heißt diese Installation. Der Motor wird elektrisch betrieben, die Soundinstallation flüstert leise liturgische Versatzstücke, die schwer zu verstehen sind. An der Wand sind Mercedes-Scheibenwischer installiert, die unermüdlich hin und her wedeln, während die Lautsprecher im exakten Wischrhythmus „Bitt für uns“ flüstern. Keine Frage: Die ritualisierten, monotonen Beschwörungsfloskeln passen perfekt zum mechanischen, ewig gleichen Viertaktarbeitszyklus. Vervollständigt wird die Kollektion der betenden, beschwörenden Motoren durch einen Moto-Guzzi-Motorrad-Motor und einen prächtigen neunzylindrigen, kreisförmig angeordneten Flugzeugmotor, der beim Anlassen kräftig röhrt und stottert, bevor er richtig in Fahrt kommt. Diese „Sternmotor“-Installation heißt „Monstranz“ und sondert über die Lautsprecher eine mehrstimmige Rosenkranzandacht aus dem Kölner Dom ab.

Rosenkränze, Andachten, Fürbitten – all das kombiniert Bayrle mit den Motorengeräuschen – als blasphemische Kirchenkritik? Oder als Versuch, der Forderung von documenta-Chefin Christov-Bakargiev nachzukommen, Kunst für die Vermittlung einer „anderen Welterfahrung“ zu instrumentalisieren? Oder geht es nun, da Fußball ja offenbar zum neuen Religionsersatz hypostasiert wird, um den PS-Kult als Religionsersatz? Mit einem neuen Synkretismus, der sich aus Hymnen und Hubraumgröße, Kanon und Kurbelwellendrehzahl, Drehmoment und Deus absconditus zu einer neuen dynamisch-animistischen Ideologie vereinigt?

Kritische Anstöße

Da Bayrle, der übrigens gelernter Weber ist, sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema Mensch und Maschine auseinandersetzt, erscheint ihm der jetzt hochgekochte Medienhype, dieser Wirbel um eine neue Weltsicht und die Abkehr vom anthropozentrischen Weltbild als grotesker Sturm im Wasserglas. Er möchte den Ball lieber flach halten, das Gaspedal nicht so bleifußmäßig durchdrücken: „Diese Aufgeregtheiten konservativer Klerikaler, die meine Arbeiten blasphemisch finden, die gibt es ja schon seit Jahren“, erklärt er in der documenta-Cafeteria. „Ich will doch nur kritische Anstöße zum Verhältnis von Mensch und Maschine geben – eine größere Skepsis gegenüber einer dominierenden Technik ist ja ebenso erforderlich wie eine Abkehr vom alles beglückenden technokratischen Kausaldeterminismus –, denn nicht alles, was um uns herum passiert, wird vom Menschen verursacht und der Mensch ist doch nicht immer das Maß aller Dinge.“

Als wir dann anfangen, über Musils „Mann ohne Eigenschaften“ zu diskutieren, in dem diese neue Sicht von „Zeitfiguren am gesellschaftlichen Schachbrett, verstrickt in soziale Abhängigkeiten“ ja thematisiert wird, bricht der Erfinder dieser wunderbaren Motorenmonstranzen das Gespräch jedoch ab. Vielleicht wird es jetzt zu theorielastig, außerdem wartet seine Familie schon und mehrere Interviews wollen auch noch gemacht werden. Vielleicht hat der Künstler aber doch noch Zeit, einige dieser monotonen Litaneien neu zu programmieren? Hübsch wäre doch ein furioses Gesäusel aus dem Porsche 911-Soundsystem: „Bitt für niedrige Benzinpreise! Vergib dem Geisterfahrer! Vergiss die Pkw-Maut!“

Käfer auf Rädern

Ein kleines Happening dann auf dem Rückweg: Vor dem Haupteingang steht ein uralter VW-Käfer mit Brezelfenstern und festgeklebten Zeitungsartikeln an der Seitenscheibe, um den sich ein dichter Pulk von Polizisten gruppiert hat. Wollen sie den Fahrer verhaften, seinen Brezelkäfer abschleppen? Nein, die Beamten diskutieren lebhaft mit dem VW-Fan Otto Weymann über die Qualitäten seines Spezialkäfers: Er ist offenbar der Urahn aller VWs, Baujahr 1942 (!!!). Als ich Otto Weymann anspreche, meint er einfach: „Steig ein!“ und erklärt mir, wo der Choke sitzt (am Getriebetunnel), wie man Zwischengas gibt und dass er insgesamt fünf Käfer besitzt. Auf seiner Visitenkarte outet sich der sympathische Bartträger – ein Silberschmiedemeister i. R. aus Fuldatal – als Schwedenfan. „Noch nie in Spanien gewesen!“, vermeldet er triumphierend auf seiner Visitenkarte. Und selbstverständlich, meint er noch, „sehe ich meinen Käfer als rollendes Gesamtkunstwerk“! Ja, der Kunstbegriff – ein weites Feld. Nicht nur Bienen und Tomaten gehören dazu, auch uralte Käfer auf Rädern.

Peter Münder

documenta 13, Kassel. 9. Juni bis 16. September, tägl. 10-20 Uhr; Eintrittskarten sind vor Ort erhältlich

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