Geschrieben am 3. Juni 2018 von für Litmag, TABUMAG

Leander F. Badura: Geld als linkes Tabu

Bild: Christian Rudolf Noffke
Leander F. Badura: Geld als linkes Tabu

Was geisterte da nicht alles durch den Blätterwald anlässlich des zweihundertsten Geburtstages eines gewissen Karl Marx. Neben schmollenden Linksradikalen, die „Wir haben’s ja schon immer gesagt“ grummelnd in derselben Ecke wie sonst auch standen, bekam der bärtige Meisterdenker auch jede Menge würdigende Aufmerksamkeit von bürgerlichen Autoren. Wie sinn- oder gehaltvoll das war, und was das über gesellschaftliche Machtverhältnisse im kulturellen Bereich aussagt, soll an dieser Stelle unbeachtet bleiben. Interessanter als der Großteil der gönnerhaft-idiotischen Rosinenpickerei à la „Wo hatte Marx recht, wo nicht“ (als sei das eine relevante Frage), war nämlich die Hinwendung eines kleinen Boulevardblatts, das die wirklich wichtigen Fragen stellte: „War Marx ein Schmarotzer?“ Wer sich weniger für den tendenziellen Fall der Profitrate und die Preisform interessiert, auf die Teilnahme am Marx-Hype jedoch nicht verzichten wollte, kam also allemal auf seine Kosten. Aber was ist eigentlich die Antwort auf diese Frage?

Das Unvermögen Marxens, mit Geld umzugehen, ist legendär. Abgesehen von seiner Tätigkeit als Journalist in jungen Jahren, hat er kaum Geld verdient. Ewiger Exilant und Verfolgter, lebte er mit seiner Familie in unsäglichen Verhältnissen, größtenteils in London. Sein Überleben und seine Arbeit (mit der er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte) waren nur gesichert, weil sein guter Freund Friedrich Engels, selbst Textil-Fabrikant, nicht nur erfolgreich, sondern auch diszipliniert war. Er hielt die Familie Marx mit aus.

Gut, war Marx also ein Schmarotzer. Man könnte es allerdings auch so sehen: die Genossen Engels und Marx lebten Solidarität, gar das Marx’sche Diktum „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Marx’ Arbeit war zu wichtig, um sie der Notwendigkeit des Geldverdienens zu unterwerfen, Engels konnte es sich leisten, für den Freund aufzukommen – warum also nicht? Damit legten die beiden ganz nebenbei ein unverkrampfteres Verhältnis zu Geld an den Tag als die meisten Linken, die ihnen nachfolgten und die sich, meist mehr schlecht als recht, auf sie bezogen. Denn Geld, das ist vielen Linken nicht ganz geheuer.

Im Prinzip lassen sich die Auffassungen vieler Linker zum Thema Geld auf zwei Missverständnisse zurückführen. In beiden Fällen wird dem Geld eine Bedeutung beigemessen, die ihm nicht gebührt.

Entweder, Geld wird als bürgerlich verpönt, gar für das Verderben des Charakters verantwortlich gemacht. Der Besitz von Geld (ergo: Kapital) gilt als Kriterium für eine bürgerliche Figur. Damit wird auch ein Tabu errichtet: Du sollst nicht besitzen. Dass Friedrich Engels ihnen da ganz anderes erzählen könnte, wissen viele schlicht nicht. Das könnte man als den Hippie-Aberglauben bezeichnen. Menschen, die dies behaupten, ziehen es vor, in elenden Verhältnissen zu leben, weil sie meinen, das sei eine adäquate ‚kritische‘ Lebensform. Sie träumen von Autarkie und Allmende, von kleinen Gemeinschaften. Zu ihnen gehört auch eine gewisse anarchistische Tradition, die nach dem Scheitern der ‚Propaganda der Tat‘ (vulgo: Terroranschläge), den Weg des Aufbaus einer nicht-kapitalistischen Welt durch Errichtung autonomer Kommunen zu gehen gedachte. Die Option des Nicht-Mitmachens ist allerdings eine Illusion, die eher der eigenen psychischen Entlastung (die Unmöglichkeit, korrekt zu handeln, auszuhalten, ist ja auch unerträglich) dient, als einer kritischen Praxis. Auch die Losung „Geld macht nicht glücklich“, deren Wirkung als ideologische Stütze der Herrschaft der Besitzenden übrigens weitgehend verkannt wird, gehört in diese Sphäre. Wenngleich die „Geldfeinde“ auf gewisse Weise so die Abschaffung der Arbeit antizipieren, die ja das eigentliche Ziel jeder kommunistischen Kritik und Praxis ist, so tun sie das auf Kosten dessen, was jene Abschaffung eigentlich bewirken soll: unmittelbare Bedürfnisbefriedigung. Sie schaffen zwar die (Lohn-)Arbeit ab, aber nicht die kapitalistische Produktionsweise, weshalb diese sie achselzuckend als Elendsgestalten an den Rand drängt. Solange sie damit zufrieden sind: bitte. Illusionen, das sei kritische Praxis, sollten sich solche Linke indes aus dem Kopfe schlagen.

Oder, und das ist das zweite große Missverständnis, Geld wird als Herrschaft verkannt. Es gibt den populären Spruch „Geld regiert die Welt“ – der schon an sich falsch ist –, der gerne ergänzt wird um: „Doch wer regiert das Geld?“ Ein mystisches Fragezeichen weist hier schnurstracks den Weg in Verschwörungsideologie und ruckzuck ist man weg von jeglichen relevanten Fragen der Analyse der Verhältnisse, in denen wir leben. Das Geld an sich wird hier mit einer quasi metaphysischen Macht aufgeladen. Dann wird fabuliert über Zentralbanken und amerikanische Ostküstenbanker, über Bilderberger und Goldstandards usw., und es dauert meist auch nicht lange, bis irgendjemand die „Protokolle der Weisen von Zion“ aus der Mottenkiste zaubert und den bis dahin raunenden Antisemitismus offensichtlich macht. Das ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal der Linken. In Ungarn wird gegen George Soros gehetzt und deutsche Verschwörungsideologen flottieren irgendwo zwischen Linkspartei und AfD. In dieser Variante wird das tabuisierte Geld zwar nicht aus dem eigenen Leben verbannt, aber in einer abstrakten Weise so mystifiziert, dass ebenfalls ein Tabu entsteht. Es ist auch ein Missverständnis des Begriffs „Herrschaft der Besitzenden“. Denn Herrschaft wird in der kapitalistischen Produktionsweise eben nicht personal ausgeübt. Es herrscht – daher der Name der ganzen Chose – das Kapital. Als automatisches Subjekt, das die Menschheit selbst erschaffen und unter die es sich unterworfen hat. Ob nun Banker, Großkapitalist, Angestellter oder Arbeiter – der Grad des gesellschaftlichen Einflusses und die Tatsache, dass die einen Profiteure, die anderen Verlierer sind, ändert nichts an dem Umstand, dass keiner von ihnen herrscht.

In beiden Missverständnissen wird das profane Geld in einer Weise verklärt, dass der Begriff ‚Tabu’ tatsächlich angemessen scheint. Die „heilige Scheu“, von der Freud spricht, trifft sowohl auf die hippiesken Geld-Ablehner als auch auf die raunenden Antisemiten zu. Es sei erwähnt, dass es sich hierbei natürlich um idealtypische Darstellungen handelt; realiter ist die Überlappung beider Gruppen wahrscheinlich größer als ihre Trennung. Das Groteske an diesem Geld-Tabu ist, dass Geld eigentlich eins der gewöhnlichsten Dinge der Welt ist. Nahezu jeder Mensch der Welt – abgesehen von einigen wenigen Gruppen, die (noch) autark in der Natur leben – kommt mit Geld in Berührung, wenn er seinen Alltag meistern will. Warum also diese Erhöhung?

Da insbesondere Bauchlinke, also jene, die entweder durch Erziehung oder Umfeld eine grundlegende Ablehnung oder zumindest Skepsis gegenüber den Verhältnissen, nicht jedoch ein fundiertes theoretisches Wissen abbekommen, ein Bedürfnis haben, die Herrschaftsverhältnisse, deren Unrecht sie ja durchaus erkennen, zu rationalisieren, suchen sie assoziative Erklärungen. Dabei fallen ihre Überlegungen oft unbewusst auf den jahrtausendealten Humus des Antisemitismus im kollektiven Gedächtnis. Anders ausgedrückt: sie merken, dass Elend oder Wohlsein oft daran hängen, ob ein Individuum Geld hat, oder nicht. Also muss dieses das entscheidende Kriterium über Macht und Einfluss in der Gesellschaft sein. Einerseits kann das also heißen, dass man sich davon lossagen, unabhängig machen muss (zur hippiesken Ablehnung gehört oft eine irrationale Verklärung der Subsistenzwirtschaft und eine beeindruckende Ignoranz ob der Komplexität hochmoderner Gesellschaften). Andererseits scheint der Schluss nahezuliegen, dass also diejenigen, die das Geld kontrollieren, die (wahren) Herrscher der Welt sein müssen.

Eine nicht zu vernachlässigende Facette des linken Geldhasses, die hier nicht unerwähnt bleiben soll, ist die damit verbundene Genussfeindlichkeit. Diese speist sich allerdings nicht nur aus der Ablehnung des Wohlstands, sondern auch aus verschiedenen linken Spielarten revolutionärer Askese, die insbesondere über das Denken und Tun historischer Kämpfe in linkes Denken gesickert sind. So fordert beispielsweise die militante, antisemitische Maoisten-Truppe „Jugendwiderstand“: „Zerstöre nicht dich, zerstöre den Feind“. Mit der Absage an Alkohol, Drogen und Entertainment soll die Hinwendung zu Kampfsport verbunden werden. Dass dies bei einer Kiezmiliz in absehbarer Zeit auch ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden werden könnte, sei an dieser Stelle nur nebenbei erwähnt. Es wird jedoch offensichtlich, woran sich die jungen Maoisten orientieren: ein revolutionäres „mens sana in corpore sano“. Dass sie darin den männerbündischen, lustfeindlichen faschistischen Kampfbünden der Zwischenkriegszeit nicht unähnlich sind, fällt ihnen wahrscheinlich nicht auf.

Wenngleich davon ausgegangen werden kann, dass beispielsweise die kubanische Revolution keinen Erfolg gehabt hätte, wären die Kämpfer nur von Kneipe zu Kneipe gezogen, ist die linke Lustfeindlichkeit in friedlichen, liberaldemokratischen Kontexten natürlich eine Farce. Doch weil Wohlstand allgemein suspekt ist, wird sie auch hier gerne gepflegt. Dabei muss man nun wirklich nicht lange nachdenken, um darauf zu kommen, dass ein Individuum durchaus in der Lage sein kann, von der eigenen materiellen Lage zu abstrahieren. Ein weißer Mitteleuropäer kann ohne weiteres der Ursache seines Wohlstands auf die Spur kommen (Ausbeutung hierzulande und – noch viel schlimmer – außerhalb der eigenen Grenzen, die Stützung repressiver Regime zur Instandhaltung der Handelsrouten, kolonialismusähnliche Bindungen in sogenannte Entwicklungsländer, usw.) und auch verstehen, dass es weder den osteuropäischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die an Deutschlands verlängerter Werkbank stehen, hilft, noch den lateinamerikanischen Kleinbauern, die für den Sojaanbau von ihrem Land vertrieben werden, wenn er selbst plötzlich keine Autos mehr kauft und kein Rindfleisch mehr isst. Champagner ist nicht böse.

Das größte Problem der linken Genussfeindschaft ist jedoch die Selbstaufgabe, die damit verbunden ist. Insbesondere die Konsumkritik krankt an der Annahme, dass Gerechtigkeit (besser gesagt, die Abschaffung von Ungerechtigkeiten) Verzicht bedeutet. Das historische Ziel, für das die Linke einst angetreten ist, ist ja das genaue Gegenteil: Luxus für alle. Dass das natürlich nur in Einklang mit den vom Planeten zur Verfügung gestellten Ressourcen geschehen kann, ist selbstverständlich. Der Produktivitätsschub, der durch die Abschaffung der sich selbst hemmenden kapitalistischen Produktionsweise verursacht würde, dürfte allerdings diese Effizienzprobleme ohne größere Schwierigkeiten lösen.

Das Tabu ist stets auch Ausdruck der Ambivalenz von Verbot und Begehren. In Bezug auf jene Linke, die Geld für ein No-Go halten, kann davon ausgegangen werden, dass sie darin auch die eigene Machtlosigkeit verarbeiten. Was sie nicht haben können, wollen sie auch nicht haben. Und da sie einflusslos bleiben, muss das, was sie nicht haben (können und wollen), der Schlüssel zur Macht sein. Das ist indessen eine Denkstruktur, die eine erstaunliche Breitenwirkung entfaltet hat: „Geld allein macht nicht glücklich“ stimmt nur insofern, als dass auch der Kapitalist nur eine dem Kapital unterworfene Charaktermaske ist. Jene, die damit ihre eigene Misere internalisieren, erweisen der Linken einen Bärendienst.

 

Leander F. Badura lebt und arbeitet als Journalist in Berlin. Er ist Redaktionsmitglied der Wochenzeitung „der Freitag“.
https://www.torial.com/leander-f.badura

 

 

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