Unsichtbar
„Der XYZ-Verlag bringt den Roman ABC nun auf Deutsch heraus.“ – „Jetzt in neuer Übersetzung.“ – „Den deutschen Text liest B. Kannter-Schauspieler.“ – „Endlich auf Deutsch erschienen.“ Immer diese Erscheinungen! Isabel Bogdan regt sich auf. Und zwar fürchterlich.
Ja, ist die Übersetzung denn vom Himmel gefallen? Uns ist eine Übersetzung erschienen, Halleluja? Nein, verdammt noch mal! Ist sie nicht! Da hat jemand monatelang dran gearbeitet, Ihr Pfeifen! Entschuldigung, aber ist doch wahr. Da hat jemand gerungen und gehadert, geackert, gegrübelt, recherchiert, sich am Schreibtisch festgekettet, mit Autor und Lektor konferiert und zum Schluss nur noch von Kaffee und Zigaretten gelebt, damit das deutsche Publikum ein Buch lesen kann, und was ist? Erst bekommt er ein reichlich knappes Honorar, und dann: „Endlich auf Deutsch erschienen.“ „Jetzt in neuer Übersetzung.“ „Vorgelesen von.“ Als wäre er gar nicht da. Schönen Dank auch.
Jawohl, das ist ein Rundumvorwurf. Pauschal an, ach, alle. Mir doch egal, ob das unfair ist. Unfair-popunfair. Fair wäre, wenigstens den Namen des Übersetzers zu nennen. „Wissen Sie“, sagte mir mal ein Kritiker, „das Übersetzen interessiert die Leute eben nicht so.“ Das ist zwar irgendwie wahr, aber gleichzeitig auch überhaupt nicht wahr.
Tatsächlich interessiert es die Leute nicht so sehr, weil sie noch nie drauf gekommen sind. Sobald sie auch nur anfangen, über das Thema nachzudenken, sobald sie sich mit Übersetzern unterhalten oder Übersetzerlesungen besuchen, sind sie nämlich ruckzuck interessiert. Weil sie plötzlich merken, dass das eine kreative Arbeit ist, und dass es nicht nur darum geht, Inches in Zentimeter umzurechnen. Dass das nicht demnächst eine Software machen kann.
Den meisten Leuten geht sofort etwas auf, wenn man nur das kleine, nicht besonders anspruchsvolle Beispiel bringt, dass man als Übersetzer aus dem Englischen entscheiden muss, welche Figuren sich duzen und welche sich siezen. Und dass man dann möglicherweise einen eleganten und unauffälligen Übergang vom Sie zum Du in den Text kriegen muss, ohne wirklich einzugreifen und „nennen Sie mich doch Karl-Heinz“ reinzuschreiben. Schon da sieht man den Leuten an, dass ihr Gehirn anfängt zu rattern, und dass sie eine Ahnung kriegen, was Übersetzen bedeutet. Und dann haben sie plötzlich lauter Fragen.
Es interessiert die Leser also durchaus. Man muss das Interesse nur wecken. Solange es aber Kritiker regelmäßig schaffen, in epischer Breite die „wunderbare Sprache“ eines Autors zu loben, wenn sie doch in Wahrheit die Sprache eines Übersetzers gelesen haben, solange werden auch Leser nicht wahrnehmen, was sie da eigentlich lesen.
Es geht ja gar nicht darum, dass jede Literaturkritik auch eine Übersetzungskritik sein müsste. Muss sie ja gar nicht. Aber! Man kann doch von einem Kritiker bitte erwarten, dass er, sobald er ein Wort über die Sprache eines Buches verliert, sich bewusst ist (und dem Leser bewusst macht), dass die Sprache nicht die des Autors ist. Sondern die des Übersetzers. Das kann doch so schwer nicht sein!
Ach so, Entschuldigung, ist es ja auch nicht. Wenn der Übersetzer nämlich ungeschickt war, oder gar, Gott behüte, einen Fehler gemacht hat, dann, DANN! wissen Rezensenten meist sehr genau, wer „schuld“ ist. Seht einmal, da steht er! Pfui, der Überseh-tzer! An den Pranger!
Aber wenn der Übersetzer gut gearbeitet hat, wird der Autor gelobt. „Ja, klar“, erklärt man mir tröstend, „das liegt daran, dass ein Übersetzer eben dann gute Arbeit geleistet hat, wenn man sie nicht bemerkt.“
Hallo? Warum das denn! Das ist doch Quark! Und Käse ist es auch! Aber nicht Wurst! Ob man den Übersetzer „bemerkt“, hängt mit der eigenen Aufmerksamkeit und der Sensibilität für das, was man da liest, zusammen. Nicht damit, wie gut der Übersetzer seine Arbeit gemacht hat. Himmel, man würde doch auch nicht behaupten, ein Autor habe seine Arbeit gut gemacht, wenn man ihn nicht bemerkt. Oder ein Schauspieler. Was für ein Unsinn!
Wenn die Sprache eines Buchs gelungen ist, dann hat der Übersetzer seine Arbeit gut gemacht. Nicht, wenn er unsichtbar ist.
Und die Literaturkritik ist ja nur das eine. Es geht weiter in den Presseabteilungen der Verlage. Und bei den Literaturveranstaltern. Man könnte doch beispielsweise den Übersetzernamen als Marketinginstrument einsetzen. (Wird ja auch gemacht. Bei einem einzigen Kollegen.) Es müsste vorne auf den Büchern bsw. draufstehen: Übersetzt von Isabel Bogdan. (Drei-vier Verlage tun das.) Und warum werden Übersetzer eigentlich nicht gefragt, ob sie das Hörbuch lesen wollen? Warum werden sie so selten zu Lesungen gebeten? Jaja, schon klar: weil noch der unbekannteste Schauspieler ein paar Leute zieht, die nur seinetwegen kommen. Angeblich. Was natürlich wieder daran liegt, dass niemand die Übersetzer kennt. Teufelskreis.
Neulich sagte mir tatsächlich ein Buchhändler, man wisse ja nicht, ob der Übersetzer gut vorlesen kann. Als wüsste man das bei Autoren! Als wären Schauspieler zwangsläufig gute Vorleser! Als würde man es bei Übersetzern nicht rauskriegen können! Tatsächlich stellte sich heraus, dass der Buchhändler keine Ahnung hatte, wer die Übersetzerin war, und schon gar nicht, dass sie direkt um die Ecke wohnte. Der Übersetzer ist derjenige, der den Text am besten kennt, er ist in seiner individuellen Sprache verfasst, es ist sein Text. Er ist geradezu prädestiniert, ihn zu lesen. Stattdessen wird bei den allermeisten Veranstaltungen der Name des Übersetzers nicht mal erwähnt. Man macht sich schon gar nicht die Mühe, ihn einzuladen, nicht mal als Gast. In sämtlichen Veranstaltungsankündigungen und auf allen Hörbuchcovern steht, wer den deutschen Text liest. Und natürlich, wer das Original verfasst hat. Das Bindeglied dazwischen, derjenige, der dafür gesorgt hat, dass es überhaupt einen deutschen Text gibt: Fehlanzeige. Der hat unauffällig zu sein und die Klappe zu halten. Warum eigentlich?
Ach, und übrigens. Als Kundin, die Bücher kauft, möchte ich auch gern wissen, wer sie übersetzt hat. Das macht nämlich etwas aus. Ich kaufe durchaus Bücher wegen des Übersetzers, oder eben gerade nicht. Es nervt kolossal, wenn ich bei jedem Buchhinweis, den ich irgendwo lese, erst mal selbst herauskriegen muss, wer es übersetzt hat. Nun bin ich auch selbst Übersetzerin und deswegen besonders sensibel für das Thema. Jeder andere passionierte Leser wird aber ebenfalls sagen, jawohl, die Übersetzung ist wichtig, sehr sogar – und gleichzeitig wird er fast keinen Übersetzernamen kennen. Warum? Da stimmt doch was nicht, das passt doch nicht zusammen!
Es kann doch nicht wahr sein, dass man die Übersetzer nur dann wahrnimmt, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Das ist allein eine Frage des Bewusstseins. Liebe Leser, liebe Kritiker, liebe Literaturveranstalter: Huhu! Hier sind wir! Ohne uns könntet Ihr das alles gar nicht lesen!
„Der Autor“, sagte Nobelpreisträger José Saramago einmal, „schafft mit seiner Sprache nationale Literatur. Die Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht.“
Isabel Bogdan
Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u.a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor, Sophie Kinsella, Alice Sebold, Janet Evanovich). Sie lebt und arbeitet in Hamburg.