Geschrieben am 15. Dezember 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (16): Konstantin Ames

shington

Konstantin Ames

eune zîtung

eune zîtung, links, mitte rechts unten: luxusgütern nach
nordkorea

shington hat am freitag (fischtag) eine liste von luxus
exportiert
kungen waren stehen güter wie ipods, jet-ski, designer
kleidung, diamanten, felle, notebooks, rennwagen, ja
achten. Spirituosen

Still stehen sie und warten auf Entzifferung, die Wortfetzen und die Wörter. Einige fügen sich zu Halbsätzen zusammen, deren Grammatikfehler die Lücken andeuten, andere begnügen sich bescheiden mit dem Aufgezähltwerden. Dabei sind sie doch eigentlich lauter Wutgeschosse, die am liebsten mit einem Knall explodierten.

„eune zîtung“ beginnt die Überschrift, das wirkt wie eine Mixtur aus Dialekt und Mittelhochdeutsch. Wir übersetzen mal frei: ein Zeitungsfetzen, rücksichtslos aus dem Blatt gerissen. Es fehlt etwas links, übrig bleibt rechts, und da wird einem ja schon elend zu Mute. Mitte rechts ist vielleicht ein bisschen besser, aber die Nachricht, um die es geht, befindet sich unten auf der Seite, wohin man schon gar nicht mehr schaut, da auch die Kraft zur Empörung bereits aufgebraucht ist von all dem Unheil, das täglich Schlagzeilen und Leitartikel füllt.

Luxusgüter und Nordkorea – da knallt es nun wirklich. Nicht kompatibel, meldet das Hirn. Was soll ein Land, dessen Bewohner hungern, mit Designer-Kleidung? Wozu Notebooks, wenn die Zensur allgegenwärtig ist? Wie absurd das ist, versteht sich ja von selbst, wobei man natürlich weiß, dass Kim Jong Il problemlos an Diamanten oder an einen Rennwagen gelangt, wenn er es will. Interessant ist aber, was das Gedicht mit diesen üblen Tatbeständen macht.

Als erstes fällt auf, dass gegenüber den vielen Substantiven die Verben nur spärlich vertreten sind. Es geht ja um eine Liste, und also muss auf ihr etwas „stehen“, das wird brav mitgeteilt. Aber abgesehen davon gibt es nur „exportieren“, und das füllt allein eine ganze Zeile und bildet das Zentrum des Gedichts. Es geht tatsächlich um den Export – nicht gerade ein häufig anzutreffendes Thema in Gedichten. Leicht beunruhigt stellen wir fest, dass aber nun das entscheidende Verb fehlt: Hat Washington den Export von Luxusgütern in den Schurkenstaat erlaubt oder verboten? Verboten, nimmt man unwillkürlich an, aber gesagt wird es nicht. Und klar wird damit, dass Erlaubnis und Verbot gleichermaßen pervers sind: Es sollte sich von selbst verstehen, dass ein Land, das seine Bewohner nicht ernähren kann, die wenigen Devisen nicht dazu nutzt, um Luxusgüter zu importieren, selbst wenn sie ihm angeboten würden.

Es geht um Amerika, um den Kapitalismus, und auf sehr trickreiche Weise. Wie klingt denn „shington“? Nicht fast so koreanisch wie „Pjöngjang“? Und was macht das in Klammern eingeschobene, bestimmt nicht aus dem Zeitungstext stammende „fischtag“? Es erinnert ja an Karfreitag, an den Tod Christi, aber so viel religiöse Bedeutung muss man dem Ausdruck gar nicht zuschieben. Es genügt, dass er die Assoziation der Einschränkung, Zurückhaltung, Bescheidenheit weckt. Am Freitag ernährt man sich gemäßigt und verzichtet auf Üppigkeit, wie es christlicher Tradition entspricht. Dieser Tradition, so höhnt der Text, glaubt Amerika wohl zu folgen, wenn es an einem Freitag die UN-Resolution in die Tat umsetzt und die Luxusgüter sperrt. Aber natürlich nicht für sich! Vielmehr: Keine Yachten für Nordkorea! Und Spirituosen bringen ja auch nur Verderben! Insgesamt also: Sanktionen, die nur Gutes bewirken! Kann der Westen wirklich stolz sein!

Ein sehr zorniges Gedicht, dabei ohne jede Sentimentalität und auch nicht zur Protestklampfe zu singen. Komplex und nicht nur doppel-, sondern mehrfachsinnig macht es aufmerksam auf eine kleine Nachricht, die in der Flut des Neuen rasch untergeht. Mehr als sensibilisieren kann die Lyrik nicht. Daher sollte man ihr auch nicht immerzu die Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. „Alles richtig, aber bewirkt ja nichts!“ ist ein ziemlich billiger Vorwurf, der immer dann laut wird, wenn das Gedicht gesellschaftliche Zustände kritisiert. Dabei ist ein Gedicht über entschwundene Liebe ja genauso nutzlos. Konstantin Ames beweist jedenfalls, dass er genau hinschaut, auf die Meldungen und das, was sie besagen, um einen Text zu konstruieren, dessen Intelligenz das mächtige shington sehr dumm dastehen lässt.

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (17): Ulf Stolterfoht

Zu Neuer Wort Schatz (15): Mara Genschel


Das Gedicht ist erschienen in:

Jahrbuch der Lyrik 2008
Herausgegeben von
Christoph Buchwald und
Ulf Stolterfoht,
Frankfurt/Main 2008

Das Gedicht ist Teil eines Zyklus, den Sie hier finden können.