verschwindibus
Ulf Stolterfoht
lyrikbedarf 2: thesaurus (9)
lyrikbedarf 2: thesaurus (9)
verschwindibus
wagenblast
wallenwein
weihling
winsen
wuchterl
wuffel
wulst
xox
ypern
zuckleber
Sieh mal, der Verschwindibus! Ein schwarz gekleidetes Männlein aus dem Stummfilm, blass und blasser und schließlich durchsichtig werdend, und dann ist er durch die Wand davon, man weiß nicht wie. Gruß und Kuss, Verschwindibus! Und das wars dann. Nicht so Wagenblast und Wallenwein. Sehr solide süddeutsche Namen sind das, vielfach bei Google aufgeführt, und manche ihrer Träger besitzen Autohäuser der allerfeinsten Klasse, obwohl ja Wallenwein ein alkoholisches Getränk im Namen führt (bedenklich!) und man unwillkürlich Wallenstein dazu reimt, den der Schwabe Schiller als die personifizierte Unzuverlässigkeit dargestellt hat…
Retten wir uns lieber zum Weihling, was so vertrauenerweckend kirchlich klingt, andererseits ornithologisch, eine Kreuzung aus Weihe und Sperling (Habitat: Heslach), aber auch Mitglieder jener Gruppe des homo sapiens bezeichnet, die im Englischen ‚receiver of the Jugendweihe‘ heißt, still going strong… Garantiert nicht vorhanden in Winsen an der Luhe! Dort Ruhe! Wem das nicht gefällt, der brumme zu Wuchterl, Karl Heinz mit Vornamen, Stuttgarter Denker, schwer gelehrt.
Oder doch lieber zum Wuffel? Mein Favorit, mit Reimgenosse Knuffel. Glücklich, wer als Kind einen besaß! Heutzutage ist der Wuffel fast ausgestorben, und die Waffel ist auch kein Ersatz. Die Wuffel vertragen den Wulst nicht, schon gar nicht den Schwulst. Allenfalls xox, die Kekse, kennen Sie doch noch? Kommen wahrscheinlich aus Ypern oder Zypern. Und Zuckleber? Da gibt selbst Google auf. Kein Eintrag vorhanden. Die Interpreten: Gestrandet. Zucken nur. Ende.
Ein ‚Thesaurus‘ ist ein Wörterbuch zu klassischen griechischen oder lateinischen Texten oder eine Begriffssammlung zu bestimmten Fachgebieten. Von Stolterfoht wird ein Korpus von neun Wortketten, die dem Alphabet folgen, so benannt, dies ist die letzte, von v – z. Das Ganze gleicht einem Nagelschränkchen mit neun Fächern, darinnen allerlei Wörter, die einem noch zu hämmernden Gedicht wohl anstünden. In vieler Hinsicht können sie dem Dichter dienen, wie schon der Titel „lyrikbedarf“ andeutet. Der Poet sollte immer mal wieder eins aus dem Schublädchen nehmen, es hin und her wenden, prüfen, mit anderen verknüpfen, Bedeutungen ersinnen, Reime finden oder ähnlich klingende Wörter suchen – kurz, die Sprache in aller Freiheit wirken lassen. „Die Sprache schäumt“, schrieb Tobias Lehmkuhl über Stolterfohts Langgedicht „holzrauch über heslach“, und das, finde ich, gilt für alle Texte dieses Dichters, macht sie leicht, üppig und, seltene Eigenschaft, komisch.
So ist auch die Frage, ob denn ein solches Gebilde aus elf Wörtern ein Gedicht sei, ganz irrelevant. Man nehme es doch, wie es da steht und mache sich ein Vergnügen, indem man die Phantasie spielen lässt! Was kann einem nicht alles einfallen zu „wagenblast“ oder „wuffel“! In einem anderen Gedicht dieses „fachsprachen“-Bandes heißt es:
„gedichte schreibt man von hand. so viel ist glaub ich
bekannt. ‚ich‘ scheint demnach in maßen möglich –
bleibt allerdings semantisch leer.“
Wo gäbe es eine elegantere, unsentimentalere Diagnose von Poesie und Spätzeit-Ich? Und spöttisch:
„wo tiefere bedeu-
tung fehlt hilft reim. notfalls kanns assonanz.“
Dieses „notfalls kanns assonanz“ entzückt mich jedes Mal neu. Wie wahr! Wie schön gereimt! Und wieviel Freiraum eröffnet es, von wie vielen Reimen der trübsten Art erlöst es uns! Stolterfohts knappe Sätze gleichen flashs mit Tiefenwirkung, die sekundenschnell offenlegen und entlarven, aber auch taktvoll Raum gewähren für Rätsel und Dunkelheit. Auf die pädagogische Grellausleuchtung kann man ja gut verzichten. Machen wir uns doch lieber unseren eigenen Text auf die Welt. Mit dem Wuffel.
Gisela Trahms
Zu Neuer Wort Schatz (1): Marcel Beyer
Zu Neuer Wort Schatz (16): Konstantin Ames
Liebe Freundinnen und Freunde der Poesie, auch der Neue Wort Schatz sagt erst einmal Verschwindibus und dankt für Ihr Interesse und Ihr Wohlwollen. Bleiben Sie dem Gedicht gewogen, suchen Sie jenes, das zu Ihnen spricht (es existiert!), verschenken Sie es!
Das Gedicht ist zu finden in:
Ulf Stolterfoht
fachsprachen XIX-XXVII
Urs Engeler Editor,
Basel /Weil 2005
Foto: Renate von Mangoldt