Geschrieben am 15. September 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (3): Monika Rinck

ottern

Monika Rinck

bitte wie geht vorbereiten

bitte wie geht vorbereiten

bitte wie geht vorbereiten, wie geht bräunungscreme
und haare waschen, das sind doch alte fragen,
menschheitsalter kommen da zusammen, so wie
auf einer landungsbrücke stehn und schnittchen essen,
weil jemand sich verlobt, und ein orchester spielt,
und immer wieder ausgeschenkt und eingeschenkt.
dreht sich der wind, wimpelt, legt den trizeps frei,
bordüren hampeln, paspeln, angefasste oberarme, jahaa,
der unterschied zwischen champagner und fleischfarben
ist bekanntlich nur graduell. oder lieber doch (jetzt noch?)
auf die körper übergreifen, an den anziehsachen reißen
und in hinterzimmern liegen, wenn es draußen hell
und innen redlich wird. und schließlich etwas schreiben müssen,
das viel jünger ist als ich, sodass die ottern lachen müssen
und sich an den händen fassen, ringelreihn, nein, nein, nein,
das ist nicht mein dessous, das muss von jemand andrem sein.

Dies ist ein Meister- und Funkelstück, blitzend vor Ironie und überdrehter Munterkeit. Eine weibliche Stimme schwebt heran und erkundigt sich höflich: „wie geht vorbereiten?“ Ja, was denn vorbereiten? Nur vorbereiten geht schon mal nicht. Und wie, bitte, soll Bräunungscreme „gehen“? Angeblich handelt es sich um „alte fragen“, wir befürchten: Jetzt wird’s grundsätzlich, und da dröhnen, nächstes Wort, auch schon die „menschheitsalter“. Doch dann bedeutet das glücklicherweise bloß, dass Leute verschiedenen Alters anlässlich einer Verlobung zusammentreffen und feiern. So scheint es.

Denn die Fragen sind kein bloßer Jux. Dringlich und drängend will jemand wissen, wie es denn funktioniert, das Leben, ob man sich nicht ein bisschen darauf vorbereiten kann, damit es mehr ist als der Wirrwar von Einzelaktionen, den das Gedicht beschreibt. Da nämlich wird jetzt aufgezählt, bis man nach Luft schnappt, das Tempo ist hektisch, von „schnittchen essen“ über Alkohol nachschütten und „angefasste oberarme, jahaa“ bis zum Zielpunkt aller Anstrengungen, dem schnellen Sex. „lieber doch (jetzt noch?)“ wird gefragt, also: Ist noch genug Zeit? Lohnt es die Mühe des An- und Ausziehens und hab ich was davon?

Kein Du, kein Auflodern der Gefühle, kein Ausblick auf Zweisamkeit. Dass aber das Ich, das hier spricht, nicht völlig vereist ist vor Coolness, verrät das Wort „redlich“ („wenn es draußen hell / und innen redlich wird“), das in diesem Kontext wie ein Irrläufer wirkt. Da macht sich jemand zumindest nichts vor, sondern versucht, allem Geschnatter zum Trotz, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Jetzt, denken wir, kommt die Klage, irgendetwas über Einsamkeit und vergeudete Jahre. Nichts da. Ein satter Reim setzt den Schlusspunkt unter ein fröhliches Wortgetänzel: „ringelreihn, nein, nein, nein, / das ist nicht mein dessous, das muss von jemand andrem sein.“

Ziemlich komisch, das alles, und ziemlich panisch. Der anfangs so lichte, offene Raum voll Musik und Sonnenschein, den das Gedicht absteckt, verliert sich nach und nach und spätestens beim zweiten Lesen in dunkle Hinterzimmer, wo der Facharzt für Leiden und Zynismus einen Text hochhält, der lange Schatten wirft. Gottfried Benns Gedicht „Stilleben“ stellt „Die Frage der Fragen“, nämlich die, was denn bleibt, wenn „alles abgeblättert daliegt“. Was ist die Substanz unseres Daseins, das „Abgehäutete“?

Wie immer bei Benn gibt es keine Antwort, sondern nur ein paar grandiose Sprachbrocken. Er zählt die ‚Menschheitsalter‘ der Kunstepochen auf, die genialen, Jahrhunderte überdauernden Leistungen, welche doch, letztendlich und bei Licht besehen, lauter vergebliche Anstrengungen waren. Keine positive Rückmeldung aus metaphysischen Gefilden, sondern eine Schlusszeile, in der Benn klar macht, was wir sind, ein Witz nämlich: „und die Ottern lachen“.

Angesichts dieser Lage gibt es im Grunde keine Bewegung nach vorn. Jeder Fortschritt, meint Benn, sei Selbsttäuschung, Zeit im Sinne von Entwicklung, Veränderung finde nicht statt und habe daher „etwas Stilles bekommen“. Nun, auch das ist vorbei. Die Urenkelin, die mit dem Bennschen Spiegel durch die Gegenwart irrlichtert, findet keine Ruhe. Sie hört die Ottern immer noch lachen und weiß schon, wie sehr sie frieren wird in ihren Dessous.

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (4): Jürg Halter

Zu Neuer Wort Schatz (2): Jan Wagner


“bitte wie geht vorbereiten“ ist zu finden in:

Monika Rinck
zum fernbleiben der umarmung
Kookbooks Verlag
Berlin 2007

Autorenfoto: Timm Kölln